Museumsobjekte und Archivalien spielen eine wichtige Rolle im Copernico-Portal. Als Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes sind sie wichtige Zeugen der Geschichte des östlichen Europas. Ein Online-Workshop im Oktober 2021 widmete sich der Frage, welche Bedeutung sie in der Erforschung der Migrationsgeschichten spielen können.
Objekte im Copernico-Portal
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Das kulturelle Erbe des östlichen Europas ist ein zentrales Thema des Copernico-Portals. Bislang gehören elf Museen zu seinem Partnernetzwerk. In der Recherchedatenbank werden ausgewählte Sammlungen vorgestellt, in den Themenschwerpunkten auch die Geschichten um ausgewählte Objekte aus den Sammlungen unserer Partner, beispielsweise die einer Ulmer Schachtel, eines Schrankkoffers oder einer Weihnachtskrippe. Ein Schwerpunkt dieser Objektgeschichten war bislang die Rolle, die Objekte in der Migration ihrer Besitzer spielen.
 
In Zukunft möchte Copernico noch deutlich stärker aufzeigen, wie aussagekräftig solche Objekte für die Geschichte des östlichen Europa sind, und neue Wege finden, sie zu präsentieren und auffindbar zu machen. Deswegen wird derzeit einen Antrag für ein gemeinsames Projekt zur Erschließung und Digitalisierung in mehreren unserer Partnereinrichtungen vorbereitet. Im Zentrum stehen Sammlungsobjekte, die einen besonderen Bezug zur Migrationsgeschichte haben – also beispiels­weise selbst mitgenommen und bewegt wurden, oder auf andere, unterschiedlichste Weise in Bezug zu Migration zu setzen sind. Besonders im Fokus stehen dabei Transformationsprozesse – entweder jene im Leben der betroffenen Menschen und die Frage, ob und wie die Sammlungsgegenstände hierüber Auskunft geben; oder die Veränderung und Transformation der Dinge selbst, während, infolge oder aufgrund von Migration.
Der Workshop
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Am 19. Und 20. Oktober 2021 trafen sich Vertreter:innen der Institutionen des Copernico-Verbundes sowie Forscher:innen zu einem Online-Workshop, um Perspektiven für ein gemeinsames Projekt zur Erschließung und Digitalisierung auszuloten. Der Projektantrag soll zusammen erarbeitet und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Förderung eingereicht werden. Das Besondere an der Konstellation ist, dass mit dem Herder-Institut ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft das Projekt zusammen mit kleineren Institutionen wie Museen bestreiten möchte.
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Nach einer Begrüßung von Peter Haslinger und einer Einführung durch Barbara Fichtl begann der Workshop mit drei kurzen Impulsvorträgen:
 
  • Jochen Oltmer bot einen Überblick über aktuelle Aspekte und Fragen im Feld der historischen Migrationsforschung. Er gab dabei zu bedenken, dass bei der Erschließung und Digitalisierung eine selbstreflexive Ebene nicht zu vernachlässigen sei, also die Frage zu stellen, warum Objekte wissenschaftlich und museal mit migrationsbezogener Bedeutung aufgeladen werden.
  • Jannis Panagiotidis entwickelte eine funktionale Definition des Begriffs der Transformation über die Abgrenzung ähnlicher diskursiver Konstrukte wie beständigem Wandel, Akkulturation und Kulturtransfer. Transformation sei als „tiefgehender und beschleunigter Wandel infolge historischer Zäsuren“ zu verstehen, so sein Fazit. Die Objektsammlung einer Heimatstube könne daher etwa als „Invention of Tradition“ in Zeiten der Transformation gesehen werden.
  • Anna-Lisa Müller analysierte Migration und Transformation unter dem Aspekt der materiellen Kultur. Diese sind die objektbezogenen, kollektiv geteilten und mit sozialem Sinn versehenen Modi des Handels. Sie warf auch die Frage auf, ob die Beteiligten daran interessiert seien, was Objekte über migrierende Menschen aussagen, oder die Migration der Objekte selbst.
     
    In der anschließenden Diskussion kam die Frage auf, wie sich eine selbstreflexive Perspektive mit dem Denken in den Feldern einer normierten, strukturierten digitalen Datenbank  vereinbaren lässt. Erörtert wurden unter anderem die Möglichkeit, migrationsbezogene Bedeutungsaufladung ereignisorientiert in ein Datenmodell aufzunehmen. Auch die Herausforderung, Daten, die unter dem Aspekt „Transformation durch Migration“, also einer fundamentalen Veränderung ihrer Existenz und räumlichen Positionierung, durch die „Migration“ in den digitalen Raum, erschlossen wurden, inhaltlich dennoch so offen zu lassen, dass sie auch für noch nicht gedachte Forschungsfragen nutzbar bleiben, wurde besprochen. Man diskutierte Analogien zu Bestands- und Ortsbeschreibungen, sowie die schöpferische Aufnahme vorgegebener Fakten, aber auch Paradoxien wie die Feststellung, dass ein Konvolut immer ein Gegenstand sei, zumindest als ein solcher behandelt werde. Diese ersten Problemaufrisse werden in den nächsten Phasen des Projektes immer wieder zu behandeln, aber auch zu vertiefen sein.
     
    Wie genau Transformation im Rahmen des Projektes verstanden werden wird, wurde ebenfalls diskutiert – man kam zu dem Schluss, den Begriff objektbezogen zu denken. Es wurde festgestellt, dass sich der Transformationsbegriff je nach Forschungsperspektive auf Mikro-, Makro- und Mesoebene unterschiedlich darstellt, woraus sich eine weitere Problematisierung der Abgrenzung der verschiedenen Ebenen und der Zuordnung einzelner Gegenstände ergibt.
Objektgruppen
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Die Runde der Teilnehmenden teilte sich in drei Arbeitsgruppen auf, die verschiedene Quellengattungen diskutierten. Eine AG zu Ansichtskarten unter der Leitung von Joachim Tauber setzte sich mit medialen Aspekten wie Motiv, Text und Frankierung auseinander, anhand derer der Wandel von Migrationsgesellschaften sich in Postkarten spiegelt. Die Idee, sich bei der Erschließung auf „Hot Spots“ der Migration zu konzentrieren, also verhältnismäßig häufig ortswechselnden Objekten und Orten, deren geografische Zuordnung sich ändert, wurde im Rahmen dieser Gruppe diskutiert und für zielführend erachtet. Eine AG zu Gemälden und Grafiken, geleitet von Beate Störtkuhl, Agnieszka Gąsior und Ksenia Stanicka, besprach die Frage nach dem Mehrwert der Digitalisierung für die beteiligten Museen und die Frage, wie man die Bestände dadurch besser an die Öffentlichkeit bringen könnte. Auch auf welcher Ebene Migration und Transformation verstanden werden, wurde erörtert – etwa auf der personellen Ebene, in Bezug auf Objekte die ihren Ort wechseln, Personen der Sammler, Wandel im Werk aufgrund von Migration, Translozierungen oder semantische Umdeutungen. Auch die Frage nach zu benutzenden Thesauri, in denen sich überlagernde Bedeutungsebenen abgefragt werden können, kam auf. Die dritte, von Nico Wiethof und Barbara Fichtl geführte AG zum Thema Objekte stellte heraus, wie wichtig die Definitionen von Arbeitsbegriffen sind und dass die Diskussionen und Problematiken, welche die bei der Erschließung herangezogenen Begriffe begleiten, ebenfalls nachgehalten werden müssen. Man einigte sich innerhalb der Arbeitsgruppe auf einen weiten Transformationsbegriff, der den Funktionswandel eines Objektes von physischer Nutzung über das individuelle bis ins kollektive Gedächtnis umspannt. Eine Schwierigkeit stellen Objekte dar, die nicht selbst migriert sind, sondern aus einer migrierten Idee entstanden sind (Kulturtransfer). So kamen etwa Waffeleisen mit Migranten ins russländische Reich und wurden später auch dort produziert. In der abschließenden Diskussion diskutierte das Plenum über die Frage, wie man Erzählungen über museale Bestände dokumentiert und wie man bei der Katalogisierung mit der Frage nach dem Wahrheitsgehalt und nach Ungenauigkeiten umgeht.
 
Am Nachmittag schlossen sich drei weitere Arbeitsgruppen zu den Themen Karten, Konvolute und Texte zusammen. Die AG Karten, die von Christian Lotz und Markus Lörz geleitet wurde, stellte fest, dass Landkarten Migration begleiten und vorbereiten, und als Medien des Wissenstransfers begriffen und vermittelt werden sollten, da sie die möglichen Bereiche einer Migration auf-  und verdecken, ein erneutes, zu vertiefendes Paradoxon. Ein transformatorischer Wandel spiegele sich in ihnen in der Verwendung verschiedensprachiger Ortsnamen und in der Bewegung nicht von Menschen über Grenzen, sondern von Grenzen über Menschen hinweg. Die virtuelle Zusammenführung heterogener Bestände wurde sowohl in der AG Karten als auch in der AG Konvolute thematisiert. Diese von Cornelia Eisler und Silke Findeisen geleitete Arbeitsgruppe kam zu dem Schluss, dass Objekte und Konvolute in vielen Dingen parallel gedacht werden können. Problematisch bei Konvoluten verschiedener Materialtypen sei jedoch vor allem, dass unterschiedliche Materialtypen auch unterschiedliche Datenstandards mit sich bringen. Auch die Frage nach dem Umgang mit Nicht-Vorhandenem stand im Raum. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass auch das Wissen der Museumsmitarbeitenden mit erschlossen werden muss, damit es nicht verloren geht, wenn die Betreffenden die Institution verlassen. Die AG Texte unter der Leitung von Felix Köther setzte sich unter anderem mit der Frage auseinander, ob thematische Cluster sinnvoll oder kontraproduktiv seien, wie und wo die Digitalisate publiziert und wie Inhalte über einen Thesaurus in Relation gesetzt werden können.
Rückblick und Perspektiven
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Am zweiten Tag setzte sich der intensive inhaltliche Austausch fort. In einer Präsentation rekapitulierten Barbara Fichtl, Antje Johanning-Radžienė, Felix Köther und Nico Wiethof den bisherigen Verlauf des Workshops. Dies regte das Plenum dazu an, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, welche Aspekte im Antrag stark gemacht werden müssten, und wie Herausforderungen in vielversprechende Perspektiven umzuformen seien.
 
Es folgte eine Einschätzung Peter Haslingers zu den Antragsperspektiven. Er plädierte dafür, weder das östliche Europa noch Menschengruppen als „Container“ zu denken und auch Themen außerhalb des §96 BVFG zu suchen und zu platzieren. Dabei müsse man auch Aspekte der Provenienzforschung, den Kontext der Ostforschung und den kolonialen Umgang mit Kulturgut berücksichtigen.
 
In der folgenden Diskussion kamen die eingeladenen Expert:innen erneut zur Sprache. Jochen Oltmer umriss noch einmal den in der historischen Forschung gängigen weiten Begriff von Migration, ihrer Herstellung und deren Folgen, dem man sich anschließen könne, ohne das Konzept zu überdehnen. Ebenfalls mahnte er an, bei der Heterogenität des Verbundes und der Bestände im Vorfeld der Antragstellung Verbindungen herauszuarbeiten, Ideen zu Konsolidierung und zu digitalisierende Bestände rigoros auszuwählen – selbstverständlich, ohne dabei die Ebene der Selbstreflexion außer Acht zu lassen. Anna-Lisa Müller sprach sich für ein Re-thinking der Sammlungs- und Inventarisierungspraktiken aus. Beide wiesen auch darauf hin, darauf zu achten, wie die gewonnen Einsichten für den Wissenstransfer – nicht nur im Kontext von Forschung, sondern auch für die Öffentlichkeit, Schule und universitäre Lehre – nutzbar gemacht werden können. Teilnehmende des Workshops tauschten sich über den Stand der Erschließungspraxis und deren Perspektiven aus – man fand im Verbundvorhaben den Ansatz, Dinge zusammenzuführen, die bislang außerhalb ihrer Sparten nicht verbunden sind.
 
Barbara Fichtl und Nico Wiethof präsentierten Input zum DFG-Antrag und dessen möglichen Ausrichtungen, etwa die Erarbeitung von „Best Practice“ oder Breitenerschließung. In der folgenden Diskussion nahmen die Museums- und Institutionenvertreter:innen Stellung zu den Perspektiven ihrer Beteiligung am Antrag. Erschließung und Verfügbarmachung eigener Bestände für die Wissenschaft sind dabei ebenso reizvolle Perspektiven wie der Einstieg in neue, nachhaltige Softwarelösungen. Auch die Frage nach Forschungsfragen und der Weitergabe von Einzelbeständen um sichtbarer zu werden und den Leihverkehr untereinander zu vereinfachen besprach man. Auch die Impulsvortragenden wurden eingeladen, sich zukünftig am Projekt zu beteiligen.
 
Um dem Partnernetzwerk einen Ausblick auf weitere Fördermöglichkeiten zu geben, war als letzter Referent auch Frédéric Döhl eingeladen, der das BKM Perspektivpapier „Kulturen im digitalen Wandel“ zur Schaffung eines Vergleiches mit anderen Zugriffen vorstellte. Danach kam die Konferenz zum Ende.
 
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die zwei Tage intensiven Austauschs haben den Projektpartner:innen durch wissenschaftliches Input und bereichernde Diskussionen mehr Klarheit über die weitere Gestaltung des Antrags gebracht. Mit den neu gewonnenen Perspektiven wird nun am Projektantrag gearbeitet.