Von dem Moment an, als ich mit dem Schreiben meines ersten ukrainischen Romans begann, beschloss ich, in zwei Sprachen zu schreiben: einen Roman auf Ukrainisch, den anderen in meiner Muttersprache Russisch. Ich wollte die Sprache meiner Eltern wirklich nicht aufgeben. Aber schließlich erinnerte ich mich an die Besonderheiten unserer familiären Sprachkollisionen. Russisch war die Muttersprache meiner Eltern, so wie es auch meine Muttersprache war. Denn so waren sie erzogen worden: Russisch war die Sprache der höheren Bildung, die Sprache der Metropole, die Sprache, die berufliche Aufstiegschancen bot.
Doch es kam alles anders. Am 24. Februar dieses Jahres brachte Russland seine Kultur auf Panzern bis nach Kiew. Zu dieser Zeit hielten meine Frau und ich uns im Landhaus eines Freundes zwischen Bucha und Borodjanka auf [...]. Schnell waren wir von einem Ring russischer Truppen umgeben und bald begann für uns eine unglaublich schwierige und beängstigende Zeit. Ich werde nicht beschreiben, was wir durchmachen mussten oder wie Freiwillige uns retteten, indem sie uns unter großer Gefahr für ihr eigenes Leben aus den besetzten Gebieten herausbrachten. Ich will nur sagen, dass ich nach dem 24. Februar beschlossen habe, nie wieder in meinem Leben etwas auf Russisch zu schreiben oder zu veröffentlichen. Ich will nichts mehr mit einer Kultur von Mördern und Vergewaltigern zu tun haben.
Kiew liegt am Fluss Dnepr und ist seit 1991 Hauptstadt der Ukraine. Nach der ältesten russischen Chronik, der Nestorchronik, wurde Kiew erstmals 862 erwähnt. Es war Hauptsiedlungsort der Kiewer Rus‘, bis es 1362 an das Großfürstentum Litauen fiel, das 1569 Teil der polnisch-litauischen Adelsrepublik wurde. 1667 kam Kiew nach dem Aufstand unter Kosakenführer Bogdan Chmel'nyc'kyj und dem darauf folgenden polnisch-russischen Krieg zu Russland. 1917 wurde Kiew Hauptstadt der Ukrainischen Volksrepublik, 1918 der Ukrainischen Nationalrepublik und 1934 der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.
Bezeichnet wurde Kiew auch als „Mutter aller russischen Städte“, „Jerusalem des Ostens“, „Hauptstadt der goldenen Kuppeln“ und „Herz der Ukraine“.
Im russisch-ukrainischen Krieg ist Kiew stark umkämpft.
Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist es möglich, dass diese Informationen nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen.
„Ich hatte gewissermaßen Glück. Ich interessiere mich schon lange nicht mehr für die russische Kultur oder die zeitgenössische russische Literatur. Literarische Auszeichnungen habe ich weder in Russland noch in der Ukraine bekommen. Ich habe keine emotionale Beziehung zu Russland. Wahrscheinlich hatte ich mal eine, aber das ist lange her. Mit der russischen Literatur stehe ich überhaupt schon lange auf Kriegsfuß. Meine Bücher wurden in Russland erstmals nach der Orangen Revolution 2005 verboten. Nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges im Donbass 2014 wurde ihre Einfuhr aus der Ukraine zum Vertrieb in Russland verboten. Ich habe mich nie als Teil der russischen Literatur empfunden, und meine russische Sprache hat für mich nie zur russischen Kultur oder zur Russischen Föderation gehört. Mein Russisch gehört mir und ist Teil eines Phänomens, das Russophonie heißt, also Russischsprachigkeit außerhalb Russlands. Dieses Phänomen wird sowohl in der Ukraine als auch in anderen Ländern allmählich verschwinden, und tatsächlich sorgt Russland selbst eifrigst dafür, dass sich möglichst viele Menschen von der russischen Sprache distanzieren.7
Andrej Kurkow: „Mein Russisch gehört mir“. In: Die Welt, 19. August 2022
Handwerk – das ist Sache der Hände. Und diese Hände wiederum gehören nur einem Menschen, d. h. einem einmaligen und sterblichen Seelenwesen, das mit seiner Stimme und seiner Stummheit einen Weg sucht. Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.9