Die Debatte um Gendersternchen, -unterstrich und -doppelpunkt ebbt nicht ab. Sie erhitzt seit Jahren immer wieder die Gemüter, insbesondere in den sozialen Medien. Diejenigen, die sich um eine gendersensible Schreib- und/oder Sprechweise bemühen, werden nicht selten als Sprachverhunzer beschimpft. Jene, die am generischen Maskulinum festhalten, müssen sich oft als Ewiggestrige bezeichnen lassen. Unsere Autorin begründet die Entscheidung des Copernico-Teams.
Text
In dieser ideologisch aufgeheizten Debatte ein neues Portal zu eröffnen, ist kein einfaches Unterfangen. Gleich zu Beginn gaben wir das Vorhaben auf, einfach genderneutrale Bezeichnungen im Portal zu verwenden. Oder fallen Ihnen gute genderneutrale Bezeichnungen für Bestandsbildner:in oder Leihgeber:in ein, die ohne Attribut auskommen? Nominalphrasen Nominalphrasen bestehen meist aus einem Nomen und einem Attribut, beispielsweise leihgebende Person oder bestandsbildende Person lassen sich nämlich nicht so einfach in ein kontrolliertes Vokabular kontrolliertes Vokabular Suche, Verschlagwortung und strukturierte Daten werden im Copernico-Portal durch einen Thesaurus gespeist und gesteuert, in dem Umschreibungen - wie "leihgebende Person" - nicht möglich sind. bringen.
Mitgemeint oder unsichtbar?
Text
Aber warum braucht es überhaupt neue Formen gendersensibler Sprache, wenn das generische Maskulinum doch bereits die Lösung schlechthin bietet? Die Befürworter:innen führen an, dass das grammatische Geschlecht nicht mit dem biologischen Geschlecht gleichzusetzen sei. Dieses Argument ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, doch gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass die Wahrnehmung des generischen Maskulinums eine andere ist: So hat etwa eine Studie1 herausgefunden, dass Mädchen sich eher den jeweiligen Beruf für sich vorstellen können, wenn nicht nur beispielsweise von Ingenieuren, sondern auch von Ingenieurinnen gesprochen wird. Andere Studien haben zudem gezeigt, dass dies nicht nur Berufe betrifft, die bislang als männerdominiert gelten, sondern auch in erster Linie an Männer gedacht wird, wenn das generische Maskulin in Bezug auf Berufe verwendet wird, die normalerweise häufiger von Frauen ergriffen werden.2   
Dies könnte zu der Annahme führen, dass die Beidnennung der männlichen und der weiblichen Form die Lösung des Problems sei. Dagegen spricht aber, dass man dann doch wieder in der zweigeschlechtlichen Sichtweise steckenbleibt. Bereits seit 2013 gibt es die Möglichkeit, kein Geschlecht bei der Geburt eines Kindes in das Geburtsregister eintragen zu lassen, seit 2018 ist die Angabe ‚divers‘ möglich. Überdies fühlen sich viele Transsexuelle und Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität weder beim generischen Maskulin noch bei der Beidnennung von männlicher und weiblicher Form mitgemeint.
Wollen Minderheiten die Sprache diktieren?
Text
Nun wenden viele ein, dass es sich bei Transgender um eine Minderheit handelt, die versuche, ihr Gruppeninteresse der deutschen Sprache aufzuprägen. Copernico ist allerdings ein Portal, in dem Minderheiten und die Wahrung ihrer Interessen eine wichtige Rolle spielen. Zeigt sich nicht letztlich die Stärke einer Mehrheitsgesellschaft darin, dass sie Anliegen auch von Minderheiten respektiert?  Und sollte es insofern nicht ein Anliegen von Copernico sein, eine möglichst diskriminierungsfreie Sprache zu verwenden?
Zementiert Gendern Unterschiede?
Text
Aber werden nicht eher die Unterschiede zwischen den Geschlechtern betont, wenn sie sprachlich durch Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte zementiert werden? Dies ist sicherlich kein von der Hand zu weisendes Argument, doch scheint es bislang keine Lösung für diese paradoxe Situation zu geben, dass gendersensible Sprache eigentlich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auflösen möchte und zugleich ihre Differenz betont. Allerdings geht es ja nicht per se darum, Unterschiede zu nivellieren, sondern darum, mehr Gerechtigkeit und sprachliche Ausgewogenheit sicherzustellen.  
Warum kein Sternchen? Warum kein Unterstrich?
Text
Copernico hat sich für den Doppelpunkt entschieden. Das hat drei Gründe:
  1. Der Doppelpunkt integriert sich am besten ins Schriftbild, während Sternchen und Unterstrich eher den Lesefluss unterbrechen.
  2. Der Doppelpunkt scheint derzeit am ehesten barrierefrei zu sein, auch wenn alle Formen gendersensiblen Schreibens Barrieren gerade für Menschen mit Leseschwäche darstellen.
  3. Der Doppelpunkt ist technisch umsetzbar, während Sternchen und Unterstrich in der im Portal verwendeten Auszeichnungssprache zu ungewollten Formatierungen führen. Sie können Kursivierungen oder andere Formatierungen auslösen, so dass uns die Entscheidung, den Doppelpunkt zu verwenden, sehr leicht gefallen ist, da es praktisch keine Alternative gibt.
Wir schreiben nichts vor: Der Doppelpunkt ist keine Pflicht
Text
Zwar hat sich Copernico dafür entschieden, mit Doppelpunkt zu gendern, aber auch dafür, dies nicht zur Pflicht zu machen. Alle Menschen und Einrichtungen, die zum Portal beitragen, können ihre Texte so gestalten, wie sie es für richtig halten. In der derzeit so polarisierten und polarisierenden Debatte liegt die Lösung wohl eher in einem Mittelweg. Copernico gibt also einen Rahmen vor, der möglichst gendersensibel formuliert ist, will aber keine Vorschriften machen, dass nur dies der beste Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit ist.