In der Nacht vom 22. auf den 23. Mai 1979 schwimmt der 36-jährige Gernot Eamandi über die scharf bewachte Donau von Rumänien nach Jugoslawien. Sein Ziel: die Bundesrepublik. Mit dabei: ein Rucksack aus seiner Armeezeit.
Text
Die Fluchtgeschichte im Kurzfilm
Text
Dass Gernot Eamandi einmal zum Flüchtling werden würde, hat er nicht erwartet. Es geht ihm gut im Westen
Rumänien
ron. România, eng. Romania

Rumänien ist ein von knapp 20 Millionen Menschen bewohntes Land in Südosteuropa. Die Hauptstadt des Landes ist Bukarest. Der Staat liegt direkt am Schwarzen Meer, den Karpaten und grenzt an Bulgarien, Serbien, Ungarn, die Ukraine und Moldau. Rumänien entstand 1859 aus dem Zusammenschluss der Moldau und der Walachei. In Rumänien liegt das für die dortige deutsche Minderheit zentrale Gebiet Siebenbürgen.

s. Seine Familie gehört zu den seit 200 Jahren dort ansässigen Deutschen, den Banater Schwaben Banater Schwaben Die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe gehört mit anderen deutschsprachigen Minderheiten zu den so genannten Donauschwaben, die seit Ende des 17. Jahrhunderts im Banat siedelten. Das zwischen der Donau, der Theiß und der Maros liegende Banat war nach Kriegen stark entvölkert, weshalb hier bereits Kaiser Leopold I. Kolonisten vor allem aus Süddeutschland ansiedelte. Gernot Eamandi lebt in 
Timișoara
deu. Temeswar, srp. Темишвар, srp. Temišvar, hun. Temesvár, deu. Temeschwar

Timișoara ist eine Großstadt im westlichen Rumänien, unweit der Grenzen zu Serbien und Ungarn. Sie war bis zum Zweiten Weltkrieg ein Siedlungszentrum der deutschsprachigen Donauschwaben. Timișoara zählt knapp 320.000 Einwohner.

, dem pulsierenden Herzen der Region, in einem „schwäbischen“ Umfeld. Er spricht aber auch Rumänisch und Ungarisch. Gernot Eamandi studiert Maschinenbau und ist mit seinem Leben zufrieden, obwohl die Willkürherrschaft des Diktators Nicolae Ceaușescu immer drückender auf Rumänien lastet. Sogar sein Traum, Pilot zu werden, scheint sich zu erfüllen. Doch dann muss er seine Pilotenausbildung abbrechen: Weil sein Vater in der Bundesrepublik wohnt, gilt Gernot Eamandi als Fluchtverdächtiger. „Da war ich sauer“, sagt er, „dann erst wollte ich raus.“1  
Sein Ausreiseantrag wird abgelehnt. Tausende Banater Schwaben versuchen in diesen Jahren zu ihren Angehörigen im Westen zu übersiedeln. Ab 1968 zahlt die Bundesrepublik für jede genehmigte Ausreise sogar eine „Entschädigung“ an den rumänischen Staat.2 Doch geduldig auf diese Hoffnung zu setzen ist nicht Gernot Eamandis Sache. Er traut sich zu, durch den Grenzfluss Donau ins liberalere
Jugoslawien
srp. Југославија, hrv. Jugoslavija, eng. Yugoslavia, slv. Jugoslavija, sqi. Jugosllavia

Jugoslawien war ein südosteuropäischer Staat, der mit Unterbrechungen und in leicht wechselnden Grenzen von 1918 bis 1992 bzw. 2003 existierte. Hauptstadt und größte Stadt des Landes war Belgrad. Historisch unterscheidet man insbesondere zwischen der Zeit des Königreichs Jugoslawien von 1918 bis 1941 (auch 'Erstes Jugoslawien' genannt) und dem kommunistischen Jugoslawien ab 1945 (das sog. 'Zweite Jugoslawien') unter dem diktatorisch regierenden Staatschef Josip Broz Tito (1892-1980). Der Zerfall Jugoslawiens ab 1991 und die Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Landesteile mündeten schließlich in die Jugoslawienkriege (auch Balkankriege oder postjugoslawische Kriege genannt). Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind heute Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, der Kosovo und Bosnien und Herzegowina.

zu flüchten. Von dort, so denkt er, wird er schon nach Deutschland weiterkommen. 
Das rumänische Grenzgebiet ist streng bewacht. Um dorthin vorzudringen, braucht man einen speziellen Ausweis. Zum Glück hat Gernot Eamandi als Ingenieur die nötigen Papiere, weil er manchmal beruflich in der Gegend ist. Dadurch kann er unauffällig das Gelände auskundschaften. Die Donau ist hier ein mächtiger Strom. Die Berge des Eisernen Tors Eisernen Tors Das "Eiserne Tor" ist ein südlich der Karpaten gelegenes Durchbruchstal an der Donau, das bis zur Aufstauung des Streckenabschnitts 1972 als gefährlichstes Stück der Donauschifffahrt galt. zwängen sie in ein etwa 500 Meter schmales Bett, dafür ist das Wasser umso tiefer und reißender. Am Ufer patrouillieren Soldaten. Wie an der deutsch-deutschen Grenze gilt hier der Schießbefehl. 
Trotz der Gefahren trainiert Gernot Eamandi ab März 1979 im kleinen Fluss Bega seine Ausdauer beim Schwimmen. Der Zufall führt ihn mit zwei Frauen zusammen, die auch eine Fluchtmöglichkeit suchen. Die drei beschließen, es gemeinsam zu wagen. Schwimmen können die beiden allerdings nicht. Daher besorgt Gernot Eamandi für sie ein Gummiboot. 
In der Vollmondnacht vom 22. auf den 23. Mai steigen die drei im Grenzgebiet aus dem Auto eines Verwandten und verschwinden in die Berge. Gernot Eamandi transportiert in seinem alten Militärrucksack das Gummiboot. Sonst hat er nur etwas Kleidung und seine Papiere dabei. Drei, vier Stunden lang sind sie unterwegs, bis sie ans rumänische Donauufer kommen. Mit größter Vorsicht pumpt Gernot Eamandi das Gummiboot auf und seine Begleiterinnen klettern hinein. Er selbst zieht sich aus und beginnt, nur mit Beinschlägen schwimmend, das Gummiboot auf die Wasserfläche hinauszuschieben. 
Da werden die drei von Grenzposten bemerkt. Schüsse knallen, einen davon kann der Schwimmer im Wasser spüren. In diesem Moment kann nur noch Glück helfen: Ein Frachtschiff drüben am jugoslawischen Ufer lässt seine Scheinwerfer aufleuchten. Die rumänischen Soldaten schießen nun nicht mehr über das Wasser, sie geben nur noch Warnschüsse in die Luft ab. Kurz darauf hören die Flüchtlinge, wie ein Motorboot angelassen wird. Doch der Motor springt nicht an. „Wir hatten ein sehr großes Glück.“ sagt Gernot Eamandi später.  
Nach einer Dreiviertelstunde erreichen die drei das jugoslawische Donauufer. Sie schlagen sich bis zur Deutschen Botschaft in
Beograd
deu. Belgrad, eng. Belgrade, srp. Београд

Belgrad ist heute die Hauptstadt Serbiens und hat über 1,3 Mio. Einwohner. Die Stadt liegt an der Mündung der Save in die Donau und an der Grenze der pannonischen Tiefebene zum Balkanraum. Daher spielten Belgrad und ihre Vorgängersiedlungen immer schon eine strategisch wichtige Rolle als Grenzfestung und Kotenpunkt von Heeres- und Handelsrouten. Die vormals Griechisch-Weißenburg genannte Stadt war vom 9. Bis zum 13. Jahrhundert zwischen dem Bulgarischen und dem Byzantinischen Reich sowie Ungarn umstritten. 1284 wurde Belgrad dem serbischen König Dragutin überlassen, ging jedoch 1427 zurück an Ungarn. Unter ungarischer Herrschaft gelang es lange Zeit, Belgrad gegen die Osmanen zu verteidigen, die die Stadt 1521 dennoch einnahmen. Am Ende des 17. und im 18. Jahrhundert wurde Belgrad von Habsburgern und Osmanen umkämpft. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lehnte sich die serbische Bevölkerung erstmals gegen die Osmanen auf. 1839 wurde Belgrad zur Hauptstadt des Fürstentums Serbien, das seit 1830 autonom war, jedoch noch unter der Oberhoheit des Sultans stand. Nach ethnischen Konflikten zwischen Serben und Türken verließen die Osmanen 1867 die Stadt; infolgedessen wurden Moscheen und andere osmanische Bauten abgerissen. Als Serbien 1878 auf dem Berliner Kongress die Unabhängigkeit erlangte, wurde Belgrad Hauptstadt des Staates. Auch im 1918 ausgerufenen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 Königreich Jugoslawien) war Belgrad Hauptstadt. Städtebaulich orientierte man sich nun am Westen und Belgrad bekam das Gesicht einer europäischen Metropole. 1941 bombardierte und besetzte die Wehrmacht Belgrad. Ein Großteil der ca. 10.000 bis 12.000 in der Stadt lebenden Juden wurde in Lager deportiert und ermordet. 1944 nahm die jugoslawische „Volksbefreiungsarmee“ unter Josip Broz Tito Belgrad ein, das in Folge 1945 als Hauptstadt der „Föderativen Volksrepublik Jugoslawien“ ein international wichtiges kulturelles, wirtschaftliches und politisches Zentrum wurde. 1961 gründete man dort die Blockfreie Bewegung. Beim Zerfall Jugoslawiens durch die postjugoslawischen Kriege blieb Belgrad Hauptstadt des Rumpfstaates, der nur noch aus Serbien und Montenegro bestand. Während des Kosovo-Krieges 1998-1999 wurde Belgrad von der NATO bombardiert.

durch. Dank seiner Papiere kann Gernot Eamandi nachweisen, dass er deutsche Vorfahren hat. Er bekommt einen vorläufigen deutschen Pass ausgestellt. Unter Polizeischutz bringt man die Geflüchteten in ein Flugzeug. Als der Pilot sie durch den Lautsprecher begrüßt, applaudieren alle Passagiere. Gernot Eamandi bricht vor Erleichterung in Tränen aus.
40 Jahre danach schenkt Gernot Eamandi seinen Rucksack dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm.

Siehe auch