Durch eine aufwendige zentrale Koordination sollte dem Copernicus-Jubiläum in der Bundesrepublik Breitenwirkung verschafft werden. Eine besondere Rolle spielten dabei die Organisationen der Heimatvertriebenen aus Ost- und Westpreußen.
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In der Bundesrepublik gab es zum Copernicus-Jahr 1973 ein umfangreiches Programm, das von verschiedenen Akteuren getragen wurde. Auffällig ist dabei die gewissermaßen generalstabsmäßige Planung im Vorfeld. Mehrere Gremien sollten für eine zentrale Steuerung der verschiedenen Aktivitäten sorgen.1 Zunächst wurde 1968 ein Jubiläums-Verein gegründet, zusätzlich entstanden ein Arbeitskreis und ein Kuratorium, die beide mit Vertreter:innen der Wissenschaft, der Kirchen und der Wirtschaft besetzt waren. Diese Gemengelage machte offenbar die Gründung eines weiteren koordinierenden Organs notwendig, sodass 1971 ein „Deutsches Copernicus-Komitee“ eingerichtet wurde, das wiederum über ein geschäftsführendes Präsidium und einen Mitgliederkreis verfügte.
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Als Ort des zentralen Festaktes am 19. Februar 1973, dem Tag von Kopernikus’ 500. Geburtstag, wurde die Stadt Nürnberg ausgewählt. Kopernikus hatte sich dort zwar nie aufgehalten, doch war in Nürnberg 1543 die erste Auflage seines Hauptwerkes De Revolutionibus erschienen. Zudem konnte der in der Nähe des Nürnberger Hauptbahnhofes gelegene Vortragssaal des Energie- und Wasserversorgers EWAG genutzt werden, in dem schon seit 1961 auch Planetariumsvorführungen für Schulklassen stattfanden. Der Festakt wurde seitens der Stadt Nürnberg zum Anlass genommen, der Einrichtung den neuen Namen „Nikolaus Kopernikus Planetarium Nürnberg“ zu verleihen. Nürnberg konnte sich dadurch nicht nur weiter als Kopernikus-Stadt profilieren, die städtische Bildungseinrichtung konnte auch als Anschluss an ein erstes Nürnberger Planetarium in der Weimarer Republik gelten, das auf Initiative des NS-Gauleiters Julius Streicher 1934 abgebrochen worden war.2  Ein zusätzlicher moderner Akzent des Festaktes war die Uraufführung des Werkes Al Rovescio für Flöte, Harfe und Klavier und Metallidiophone von dem Detmolder Komponisten Giselher Klebe.
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In der Norishalle, dem erst 1969 eröffneten und architektonisch modernsten Ausstellungshaus Nürnbergs, wurde "Copernicus `73 – Welt des Menschen" gezeigt. Sie war ein zentrales Projekt des Copernicus-Komitees und wurde vom Münchener Astronomie-Professor Felix Schmeidler konzipiert. Ebenfalls in München konnte 1973 eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) langfristig geförderte Copernicus-Forschungsstelle eingerichtet werden, deren Leitung der Wissenschaftshistoriker Heribert Nobis übernahm. Ihre Aufgabe war die Erarbeitung einer neuen Gesamtausgabe der Schriften von Nikolaus Kopernikus, die im Jahr 2019 abgeschlossen wurde. Gemeinsam mit dem Deutschen Museum konzipierte die Forschungsstelle im Jubiläumsjahr 1973 noch eine eigenständige Ausstellung unter dem Titel "Nicolaus Copernicus – Wandel des Weltbildes".
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Trotz der zentralen Steuerung war das Copernicus-Jubiläum in der Bundesrepublik nicht auf eine zentrale Deutung festgelegt, wodurch es sich von den Feierlichkeiten in der DDR und der Volksrepublik Polen unterschied. Vielmehr konkurrierten im Rahmen des breiten Programms unterschiedliche Akzentsetzungen und Narrative. Einerseits wurden die historischen ‚Leistungen‘ von Kopernikus als Vorbild des modernen technologischen Fortschrittes gerühmt und als Ansporn für das Schließen der für die Bundesrepublik diagnostizierten „technologischen Bildungslücke“ präsentiert. Dabei lag es nahe, die kopernikanische Lehre mit der Weltraumfahrt zu verknüpfen, hatten doch erst vier Jahre zuvor die amerikanischen Astronauten Neil Armstrong und Edwin Aldrin als erste Menschen unter weltweiter begeisterter Anteilnahme den Mond betreten. Die Nürnberger Copernicus-Ausstellung beispielsweise ließ ihr Thema in eine Darstellung von „Astronomie und Raumfahrt“ münden, in der „Teile einer aus dem All zurückgekehrten Rakete“3 und andere weltraumbezogene Exponate gezeigt wurden. Eine an der Universität Münster in Verbindung mit dem Copernicus-Komitee erarbeite Festschrift4 zeigte in diesem Sinne auf ihrem Cover anstelle eines Porträts von Nikolaus Kopernikus ein Foto des großen Mondkraters, der nach Copernicus benannt worden war.
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Andererseits stand aber weiterhin die Frage nach der Nationalität von Kopernikus im Raum. Die Herausgeber der Festschrift distanzierten sich ausdrücklich „von den Publikationen in Vergangenheit und Gegenwart, die unter Missachtung der Grenze zwischen Information und Propaganda die Copernicus-Forschung in den Dienst von Nationalismus und Weltanschauung stellen“.5 Diese Vereinnahmung deuteten sie als eine belastende „Hypothek“,6 denn sie sei überlagert „von der bitteren Auseinandersetzung der Deutschen und Polen um die Zugehörigkeit des Copernicus zu ihrer Nation“.7 An anderer Stelle war dagegen beschlossen worden, dem problematischen Thema mit Stillschweigen zu begegnen: „Das deutsche Komitee und die Vorbereitungsgesellschaft hatten sich, wie auch mit dem Auswärtigen Amt am 2. Juni 1972 abgesprochen, dahin festgelegt, daß alle Feierlichkeiten durchzuführen seien, ohne über die Nationalität [des Copernicus] betont zu sprechen.“8
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Eine Sonderrolle nahmen an dieser Stelle die landsmannschaftlichen Vereinigungen aus Ost- und Westpreußen ein. Sie waren in allen Gremien des bundesdeutschen Copernicus-Jubiläums vertreten und traten auch mit vielen eigenen Aktionen hervor. In ihren Bezugsgebieten, die mit Ende des Zweiten Weltkrieges Teil des polnischen Staates geworden waren, lag das historische Ermland inklusive nahezu aller Orte, an denen Copernicus sein Leben verbracht hatte. Für die Landsmannschaften war daher das Gedenken an Kopernikus zugleich ein Verweis auf eine „verlorene Heimat“ und damit von existenzieller Bedeutung.
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In der in Münster angesiedelten Coppernicus-Vereinigung waren daher bereits 1964 Pläne für den 500. Geburtstag ihres Namensgebers diskutiert worden, unter anderem die Errichtung eines Denkmals, von dem aber bald wieder Abstand genommen wurde. Besonders aktiv war die mit der Coppernicus-Vereinigung verbundene Landsmannschaft Westpreußen. Felician Prill, der Bundessprecher der Landsmannschaft Westpreußen, bezeichnete Kopernikus im Westpreußen-Jahrbuch des Jahres 1973 zwar politisch neutral als den „größte[n] Sohn des Weichsellandes“,9 rechnete ihn aber doch mit Nachdruck der „langen Geschichte Westpreußens“10 zu. In einem an selber Stelle veröffentlichten Beitrag von Karl Hauke über die Wiederherstellung des Kopernikus-Hauses im nun polnischen Toruń fällt auf, das diese Arbeiten zwar anerkennend beschrieben wurden („mit großer Sorgfalt“, „ein lebensnahes Gesamtbild“11), die fachlich hoch qualifizierte polnische Denkmalpflege als verantwortlicher Akteur aber gar nicht benannt wurde. Am Schluss des Artikels heißt es stattdessen: „Uns Deutschen sollte das Copernicus-Haus in Thorn eine lebende Erinnerung an den großen Astronomen und seine Herkunft sein.“12
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Außerdem gab die Landsmannschaft Westpreußen eine Kopernikus-Medaille in Gold und Silber heraus und konzipierte eine als Wanderausstellung angelegte Foto-Präsentation. Bei dem Bildhauer Georg Fuhg – er stammte aus dem ostpreußischen Ort Mehlsack, wo Copernicus als Administrator des ermländischen Domkapitels tätig gewesen war – wurde von der Landsmannschaft ein zwei Meter breites Bronzerelief in Auftrag gegeben. Es wurde dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Dauerleihgabe überreicht und am „Eingang zum Westpreußenzimmer des Landeshauses in Münster“13  aufgehängt. Die eigentümliche Darstellung zeigt die Sonne und fünf sie umlaufende Planeten. Die Planetenbahnen werden durchkreuzt von Sonnenstrahlen, die auf Darstellungen der ehemals ost- und westpreußischen Kopernikus-Städte zulaufen.
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„Die Zahl der feierlichen Gedenkstunden und festlichen Vorträge in der Bundesrepublik Deutschland konnte“, so steht es in einem Rückblick von Helmut Naunin, „nicht annähernd gezählt werden. […] Die Landsmannschaften und ihre örtlichen Gruppen regten an oder sprangen selbst als öffentliche Veranstalter ein“.14 Dabei legte der Autor aber Wert darauf, dass sich „die Teilnehmer nirgends auf die Organisationen und Vereine der Ostvertriebenen“15 beschränkt hätten. Vielmehr habe sich „die Anregung und Teilnahme oft aus dem Interesse an der Raumfahrt“16 ergeben. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der Vorsitz des Jubiläums-Kuratoriums Wernher von Braun angeboten worden war, möglicherweise auch auf Betreiben der Landsmannschaften: Als Raketenkonstrukteur der amerikanischen NASA hätte er diesen modernen thematischen Akzent ideal verkörpern können – und zudem war von Braun der Sohn ostpreußischer Gutsbesitzer.17
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In der breiteren Öffentlichkeit der Bundesrepublik setzte sich im Jubiläumsjahr indessen, getragen von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gerade auch in Polen und transportiert durch Massenmedien, bereits eine differenzierte Anschauung durch: Die DIE ZEIT charakterisierte Kopernikus nun als „des Polenkönigs preußische[n] Diener“18 und ein Artikel im SPIEGEL erklärte den „Gelehrten-Streit“19 um seine Nationalität für beendet: „Polen wie Deutsche halten den Astronomen für einen guten Bürger des polnischen Staates.“20

Siehe auch