Die polnischen Feierlichkeiten zum Copernicus-Jahr 1973 waren breit angelegt und hatten Auswirkungen auf Wissenschaft, Öffentlichkeit und internationale Beziehungen. Ein zentrales Ereignis des Jubiläums war ein aufwendiger Spielfilm über das Leben von Kopernikus.
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In Polen hatte das Programm zum 500. Geburtstag von Nikolaus Kopernikus eine große Reichweite und brachte viele unterschiedliche Ereignisse und Ergebnisse mit sich. Die polnischen Autoritäten arbeiteten an der Inszenierung des Copernicus-Jahres („rok kopernika 1973“), wie die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Ritter es ausdrückt, „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“.1  Das geschah nicht zuletzt im Hinblick auf die internationale Wahrnehmung Polens, denn nach den Plänen von Edward Gierek (ab 1970 Parteichef der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei [Polska Zjednoczona Partia Robotnicza]) sollten die Feierlichkeiten die wachsende Rolle Polens in der Welt zum Ausdruck bringen.
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Eines der außergewöhnlichsten Ereignisse – etwas Vergleichbares gab es weder in der DDR noch in der Bundesrepublik – war die „Intercopernicalia '73“, eine internationale Begegnungswoche für Studentinnen und Studenten. Sie fand vom 14. bis 17. September in Toruń statt, die Teilnehmer kamen von Universitäten in Polen sowie aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien. Aber auch Studentinnen und Studenten aus Finnland, Frankreich und den USA konnten für die Teilnahme gewonnen werden. Den Erwartungen dieser Gäste begegneten die Organisatoren dadurch, dass Vorträge und politische Kundgebungen in ein breitgefächertes Kulturprogramm eingebettet wurden, das auch nach westlichen Maßstäben als attraktiv gelten konnte. Dazu gehörten Diskonächte, eine nächtliche Show mit Lichteffekten, Feuerwerk, Filmprojektionen und Musik sowie Konzerte mit der Fusion-Jazz-Combo von Krzysztof Sadowski und der Bluesrock-Band von Wojciech Skowroński.
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An ein breites Publikum gerichtete Veröffentlichungen zum Copernicus-Jahr wurden häufig auch in fremdsprachigen Fassungen herausgegeben und im Ausland vertrieben. Ein Beispiel ist das Buch Land of Nicholas Copernicus von Michał Rusinek, reich illustriert mit Fotografien von Magdalena Rusinek-Kwilecka, das 1973 bei einem New Yorker Verlag erschien. Kopernikus wird hier als ein Produkt seiner polnischen Heimat beschrieben: Die lebendige Hansestadt Toruń habe die vielfältigen Interessen des jungen Nicolaus angeregt, als Student in Kraków werde er „wahrscheinlich“ die mittelalterlichen Bauten bewundert haben. Daher werde Kopernikus „sicherlich niemals das Gefühl gehabt haben, sein Land müsse in irgendeiner Weise hinter jenen im Rest von Europa zurückstehen“.2  Insbesondere in den USA und Großbritannien verbreiteten polnische Gesellschaften und Vereine mit Erfolg die Interpretation von Copernicus als polnisches Exportgut. Ein Artikel in der New York Times zu Copernicus' Geburtstag am 19. Februar 1973 belegt den Erfolg solcher Initiativen, denn er beschreibt Kopernikus als „Polens größten Wissenschaftler“.3
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Für die polnische Bevölkerung gab es vielfältige neue Angebote. Das Kopernikus-Haus in der Altstadt von Toruń wurde instandgesetzt, seine mittelalterliche Fassade rekonstruiert und das Gebäude, das in Toruńs Zeit als westpreußische Stadt Thorn in Mietwohnungen unterteilt worden war, wurde erstmals als Museum zugänglich gemacht. In Olsztyn, wo Kopernikus mehrere Jahre seines Lebens verbracht hatte, wurde ein modernes Planetarium eingerichtet, das am Tag seines 500. Geburtstages eingeweiht wurde. Die Projektionstechnik lieferte Carl Zeiss Jena, im Atrium des Gebäudes wurde ein Mosaik von Stefan Knapp, einem in London lebenden polnischen Künstler, angebracht, dessen Werke zu dieser Zeit weltweit ausgestellt wurden. Die Reichweite der Copernicus-Kampagne in der Volksrepublik verdeutlicht auch das Brettspiel Turniej Kopernikowski (Kopernikus-Turnier), das ebenfalls im Gedenkjahr 1973 veröffentlicht wurde.  Der amerikanische Kopernikus-Experte Owen Gingerich, der 1973 an wissenschaftlichen Veranstaltungen in Polen teilgenommen hatte, erinnerte sich später, dass Kopernikus damals im polnischen Alltag „allgegenwärtig“4  gewesen sei.
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Die polnische Wissenschaft richtete ihre Aktivitäten ebenfalls auf den Copernicus-Geburtstag aus. Eine prestigeträchtige außerordentliche Generalversammlung der International Astronomical Union konnte im September 1973 in Warschau stattfinden. Rechtzeitig zum Jubiläumsjahr legte die Polnische Akademie der Wissenschaften eine Gesamtausgabe der Schriften von Kopernikus vor, die Anmerkungen in sechs Sprachen enthielt und somit auf ein internationales Fachpublikum zielte. Der Astronom Jerzy Dobrzycki, der mit der Leitung des Editionsprojektes beauftragt worden war, unterhielt zu dieser Zeit bereits gute Beziehungen zu den US-amerikanischen Kopernikus-Forschern Edward Rosen und Owen Gingerich. Es bestanden auch Kontakte zu den Herausgebern der westdeutschen Copernicus-Gesamtausgabe, mit deren Erarbeitung zu dieser Zeit in München begonnen wurde.
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Zusammen mit dem Historiker Marian Biskup veröffentlichte Dobrzycki zudem das an ein breites Publikum gerichtete Buch Nicolaus Copernicus. Gelehrter und Staatsbürger, das auch in mehrfach aufgelegten deutschen und englischen Fassungen erschien. Hier wird Kopernikus nicht allein als Astronom gezeigt, sondern auch als ein „ein engagierter Diplomat, ein hervorragender Kenner in Verwaltungsfragen, ein entschlossener Militärberater, ein gefragter Arzt, ein oft konsultierter Währungsexperte“.5  Kopernikus als „stiller Gelehrter“6  sei eine der „Verfälschungen des Copernicus-Bildes durch den deutschen Großmachtchauvinismus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts“7  gewesen, denn alle seine unterschiedlichen Tätigkeiten habe Kopernikus im Sinne seines Vaterlandes Preußen und damit als Untertan der polnischen Krone ausgeübt: „Bei all seiner Liebe zur Forschung, Wissenschaft und Philosophie war Kopernik tief in der Wirklichkeit des Alltags verwurzelt. Er war eng und ehrlich mit den Problemen seines Landes verbunden, dem er einen großen Teil seines Lebens und seiner Begabungen gewidmet hat. Doktor Mikolaj Kopernik hat also voll und ganz den Namen eines guten Staatsbürgers seines Heimatlandes – Prusy Krolewskie – und damit auch des gesamten polnischen Staates verdient.“8
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Diese Positionen gingen dann wiederum in populäre Medien ein. Biskup und Dobrzycki wirkten als Berater am Spielfilm Copernicus9  mit, der laut Elisabeth Ritter als „eines der zentralen Elemente der Feierlichkeiten“10  in Polen gedacht und als Koproduktion mit der DDR-Filmgesellschaft DEFA auch für ostdeutsche Zuschauer bestimmt war. In dem Film, in dem Andrzej Kopiczyński die Hauptrolle übernahm, steht die Astronomie nicht allein im Mittelpunkt. Als Domherr zeigt Kopernikus sich hier offen gegenüber den Nöten des einfachen Volkes. Vor allem aber tritt er als Verteidiger des Ermlandes und der Burg Allenstein (Olsztyn) gegen die Armeen des Deutschen Ordens auf. Der „Kreuzritterorden“ (zakon krzyżacki), wie er auf Polnisch bezeichnet wird, wird im Film als äußerst brutal charakterisiert. Im damaligen Polen als Vorläufer deutschen Großmachtstrebens wahrgenommen, identifizierten sich hingegen in der Bundesrepublik Deutschland die Landsmannschaften aus Ost- und Westpreußen weiterhin stark mit dem Orden, dessen „Kulturleistung“ als Wegbereiter der eigenen „Heimat“ angesehen wurde.
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Im Buch von Biskup und Dobrzycki so nicht dargestellt ist aber die düstere Repräsentation der katholischen Kirche des Copernicus-Films. Lukas Watzenrode (gespielt von Czesław Wołłejko), Kopernikus’ Onkel und Bischof des Ermlandes, erscheint als bigotter und machthungriger Kirchenmann, Geistliche peitschen eine Menschenmenge auf, um angebliche Ketzer zu lynchen und stets wird das Auftreten der Institution Kirche mit düsterer Musik unterlegt. Selbst das private Glück des Protagonisten macht die Kirche zunichte: Zwischen Copernicus und Anna Schilling (Barbara Wrzesińska), einer entfernten Verwandten, die 1538/39 nachweislich als Haushälterin bei Kopernikus im Frauenburger Domkapitel lebte, imaginiert der Film eine Liebesbeziehung. Dass Kopernikus durch den Bischof Johannes Dantiscus gezwungen wurde, Anna fortzuschicken, erscheint im Film als tragisches Ende ihres innigen Verhältnisses. Der menschlich-nahbare Kopernikus, der hier konstruiert wird, zeigt beispielhaft, wie in der Volksrepublik Polen im Jubiläumsjahr 1973 versucht wurde, einer historischen Figur eine gegenwartsbezogene Präsenz zu verleihen.

Siehe auch