Zeitungsartikel
Berlin. Jüdischer Frauenbund für Turnen und Sport
Der Bericht des Jüdischen Frauenbundes für Turnen und Sport (IFFTUS) der in der Dritten Kriegsnummer der „Jüdischen Monatshefte für Turnen und Sport“ Februar 1918 erschien, gibt Auskunft über die Bedingungen für den jüdischen Frauensport im vierten Kriegsjahr. Die Berliner Frauen berichten detailliert über die Alltagsprobleme der Athletinnen, die Probleme bei der Versorgung der Familien oder die Schwierigkeiten, ihre Räumlichkeiten zu heizen. Auch der Frauenverein IFFTUS hat angesichts des Kriegs mit schwindenden Mitgliederzahlen zu kämpfen.
Transkriptionen
Transkription (Deutsch)
Berlin. Jüdischer Frauenbund für Turnen und Sport
Seit unserem letzten Bericht (April 1917) haben sich die Bedingungen für eine gute Entwicklung unseres Vereins nicht gebessert. Die Kriegsverhältnisse üben weiter ihre niederdrückende Wirkung aus. Die Arbeitsüberlastung jedes einzelnen, hervorgerufen durch die Notwendigkeit für viele Frauen und Mädchen, heute in größerem Maße als je bisher für ihre Familien sorgen zu müssen, der Kohlenmangel während der Wintermonate, die sich ständig verschlechternden Verkehrsverhältnisse ließen einen regeren Turnbetrieb nicht ermöglichen. Dazu kam noch, daß eine Reihe unserer eifrigsten Mitglieder durch Kriegsstellungen im Ausland, im besetzten Gebiet oder außerhalb Berlins für die Mitarbeit ausgeschaltet wurde. Wir haben jetzt etwa 100 Mitglieder und 60 Kinder in den Mädchenabteilungen. Es wird in den Frauenabteilungen dreimal wöchentlich, in den beiden Mädchenabteilungen je einmal in der Woche geturnt. Dadurch, daß der Turnbetrieb verschiedener Abteilungen zusammengelegt und die Nachmittagsabteilung vollständig aufgegeben werden mußte, gingen uns eine ganze Reihe von Mitgliedern verloren; die Neuanmeldungen waren gering. Nur die Mädchenabteilungen haben sich weiter gut entwickelt, es wird eifrig und gut geturnt.
Aus den oben genannten Gründen war auch die Beteiligung an den volkstümlichen Uebungen auf unserem Sportplatz in diesem Sommer nur eine geringe. Der Wanderbetrieb, der im Sommer besser war, ist in letzter Zeit wieder stark abgeflaut. Auch hier sprechen natürlich die Ernährungs und Verkehrsverhältnisse sehr mit.
Erfreulich ist, daß unsere neue Vereinswohnung im Gegensatz zu der vorigen im Winter gut erwärmt ist, sodaß wir unsere sonnabendlichen Zusammenkünfte dort abhalten können, die regelmäßig besucht sind. Wir weihten sie am Sukkothfeste
|20| Die Einsetzung von Vortragsabenden, die Einrichtung hebräischer Kurse ist in diesem Jahr unterblieben. Durch die Veranstaltungen des „Ausschusses für national-jüdische Jugendarbeit“ „Ausschusses für national-jüdische Jugendarbeit“ Der „Ausschuss für national-jüdische Jugendarbeit“ wurde im März 1917 auf Anregung von Alfred Wolff gegründet, um die Zusammenarbeit der verschiedenen national-jüdischen Organisationen anzuregen, die Kräfte zu bündeln und eine Zersplitterung zu vermeiden. in Berlin, dem unser Bund angeschlossen ist, wird unseren Mitgliedern ausreichende Gelegenheit zur Belehrung gegeben.
Aus den oben genannten Gründen war auch die Beteiligung an den volkstümlichen Uebungen auf unserem Sportplatz in diesem Sommer nur eine geringe. Der Wanderbetrieb, der im Sommer besser war, ist in letzter Zeit wieder stark abgeflaut. Auch hier sprechen natürlich die Ernährungs und Verkehrsverhältnisse sehr mit.
Erfreulich ist, daß unsere neue Vereinswohnung im Gegensatz zu der vorigen im Winter gut erwärmt ist, sodaß wir unsere sonnabendlichen Zusammenkünfte dort abhalten können, die regelmäßig besucht sind. Wir weihten sie am Sukkothfeste
Sukkoth
auch:
Sukkot ist das jüdische „Laubhüttenfest“. Es wird vom 15. bis 21. Tischri (nach dem gregorianischen Kalender im September oder Oktober) gefeiert.
mit einem kleinen Fest für die Kinder und einem gemütlichen Beisammensein für die Erwachsenen am Abend ein. Auf dieselbe anspruchslose und interne Art feierten wir in unserem Heim auch das
Chanukkafest
Laubhüttenfest, Sukkot, Sukot
Chanukka
auch:
Chanukka ist das jüdische Lichterfest, mit dem der Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem gedacht wird. Es beginnt am 25. Kislev (im November oder Dezember) und dauert acht Tage. An den Chanukka-Abenden feiern Familien und Freunde ausgelassene Feste, Kinder bekommen Münzen, Süßigkeiten und andere Geschenke.
.Chanuka, Hanoukka, Lichterfest, Hanukka, Hanuka, Hanukah, Channukkah, Hanukkä
|20| Die Einsetzung von Vortragsabenden, die Einrichtung hebräischer Kurse ist in diesem Jahr unterblieben. Durch die Veranstaltungen des „Ausschusses für national-jüdische Jugendarbeit“ „Ausschusses für national-jüdische Jugendarbeit“ Der „Ausschuss für national-jüdische Jugendarbeit“ wurde im März 1917 auf Anregung von Alfred Wolff gegründet, um die Zusammenarbeit der verschiedenen national-jüdischen Organisationen anzuregen, die Kräfte zu bündeln und eine Zersplitterung zu vermeiden. in Berlin, dem unser Bund angeschlossen ist, wird unseren Mitgliedern ausreichende Gelegenheit zur Belehrung gegeben.
Translations
Kommentar
von Anke Hilbrenner
Der Bericht des Jüdischen Frauenbundes für Turnen und Sport (IFFTUS) zeichnet ein klares Bild von den schwierigen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens an der sogenannten Heimatfront im Winter 1918. Dabei unterscheidet sich die Perspektive von der des Kölner Turnvereins von 1902 aus dem Frühjahr 1917. Das liegt nicht so sehr an der Zeit, die seitdem Bericht der Kölner verstrichen war, denn auch die Frauen des IFFTUS hatten in der zweiten Kriegsnummer 1917 einen Bericht über die schwierigen Umstände gegeben.1 Es wird vielmehr deutlich, dass die Perspektive eines eher konservativen Turnvereins in Köln, der von Männern geleitet wird, einerseits und die eines progressiv zionistischen Frauenvereins in Berlin sich unterscheiden. Während die Kölner jüdischen Turner vor allem über die Auswirkungen der Rekrutierung der männlichen Turner berichten, benennen die Aktivistinnen des IFFTUS deutlich die schwierige Lebenssituation der Frauen an der sogenannten Heimatfront. Sie beschreiben die Arbeitsüberlastung, die durch die Notwendigkeit hervorgerufen wurde, „heute in größerem Maße als bisher für die Familien sorgen zu müssen“ (S. 19). Diese Pflicht erwuchs aus der Abwesenheit der Männer, aber auch aus der sich während des Krieges grundsätzlich rapide verschlechternden ökonomischen Situation. Die schwierige Versorgungslage, die bereits seit 1915, besonders aber im sogenannten „Steckrübenwinter“ 1916/17 die Situation der Zivilbevölkerung in Berlin prägte, forderte vor allem körperlichen Tribut bei den Frauen, die mit der Doppelbelastung von Familie und Erwerbstätigkeit umgehen mussten. Zusätzlich erschwert wurden die Verhältnisse durch die Hungerschäden der Großstadtkinder, die bereits seit dem Jahreswechsel 1915/16 augenfällig waren und die Mütter und Ernährerinnen in eine verzweifelte Lage brachten.2 Neben Lebensmitteln fehlte im Winter vor allem Kohle um die Wohnung zu heizen. Der wachsende Verbrauch von Rohstoffen zur Rüstungsproduktion führte bereits in den ersten Kriegsjahren zu einem Einbruch bei der Kohleförderung, der wiederum eine Transportkrise bei der Eisenbahn auslöste. Zudem war der Winter 1916/17 war sehr kalt. Im Frühjahr 1917 blieben zahlreiche Schulen geschlossen, um Kohle einzusparen. Diese krisenhafte Situation verbesserte sich bis Ende des Krieges nur geringfügig. Auch die Verkehrsinfrastruktur war gestört. Die Transportkrise wurde nicht nur durch den Kohlenmangel, sondern auch durch den Einsatz von S-Bahn-Zügen zum Truppentransport ausgelöst. Arbeiterinnen in der Großstadt Berlin mussten den Weg zu ihrer Arbeitsstelle häufig zu Fuß zurücklegen, was zum Teil mehrere Stunden in Anspruch nahm.3 Auch für den Weg zum Sport und Turnen fehlten so Verkehrsmittel aber auch die nötige Zeit. Nicht nur Männer sondern auch Frauen mussten zudem wegen des Krieges in andere Städte im besetzten Gebiet oder außerhalb Berlins tätig werden. Die Mitgliederzahl des IFFTUS war im Winter 1917/18 auf 100 Frauen und 60 Mädchen gesunken. Die geringe Zahl an Turn- und Sportstunden führte außerdem zu einer sinkenden Attraktivität des Angebotes. Im Sommer 1917 bot der IFFTUS so genannte volkstümliche Übung auf dem Außengelände sowie einen Wanderbetrieb an. Doch auch diese Aktivitäten kamen im Winter zum Erliegen. In dieser Jahreszeit dagegen entwickelte sich die
Vereinswohnung
Vereinswohnung
Die IFFTUS-Vereinswohnung mit einer jüdischen Bibliothek befand sich nach den Angaben von Ines Sonder seit März 1913 am Schöneberger Ufer 36A in der Wohnung von Helena Michaelis. Ab 1920 wird als Adresse der Vereinswohnung dann die Kurfürstenstr. 118 in Charlottenburg, die Wohnung der Schwestern Cohn, angegeben. Eine neue Wohnung im Jahr 1918 lässt sich in der Literatur über den IFFTUS nicht ermitteln.
zum wichtigen Treffpunkt. Da die Wohnung, anders als vorherigen Winter, geheizt werden konnte, war sie als Versammlungsort attraktiv. In der Wohnung wurden jeweils am Samstag, also am Shabbat, Treffen abgehalten. Jüdische Feiertage wie das Laubhüttenfest
Sukkoth
Insgesamt fällt auf, dass die Frauen des IFFTUS die kriegsbedingten Probleme im Frühjahr 1918 sehr deutlich benennen, und zeigen, dass der Verein es vermag, gerade in dieser schwierigen Situation eine wichtige Rolle für die verbleibenden Mitglieder zu spielen.
Sukkoth
auch:
Sukkot ist das jüdische „Laubhüttenfest“. Es wird vom 15. bis 21. Tischri (nach dem gregorianischen Kalender im September oder Oktober) gefeiert.
, das im Herbst stattfand, oder
Chanukka
Laubhüttenfest, Sukkot, Sukot
Chanukka
auch:
Chanukka ist das jüdische Lichterfest, mit dem der Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem gedacht wird. Es beginnt am 25. Kislev (im November oder Dezember) und dauert acht Tage. An den Chanukka-Abenden feiern Familien und Freunde ausgelassene Feste, Kinder bekommen Münzen, Süßigkeiten und andere Geschenke.
, das vor allem bei Kindern beliebt war und häufig in die christliche Vorweihnachtszeit fällt, feierten die Turnerinnen zusammen mit ihren Kindern in dieser Wohnung. Auch hier zeigt sich, dass die Turn- und Sportvereine zumindest zum Teil an die Stelle der durch den Krieg zerstörten Familien traten und Gemeinschaft stiften konnten. Demgegenüber ist auffällig, dass nicht nur die sportlichen Aktivitäten, sondern auch die politisch kulturelle Arbeit des IFFTUS wurde durch die krisenhaften Verhältnisse an der Heimatfront eingeschränkt wurden. Grundsätzlich bot der Verein auch Vorträge zum Zionismus, zur jüdischen Geschichte oder Hebräischkurse an. Im Jahr 1917 hatte sich der
„Ausschuss für national-jüdische Jugendarbeit“
„Ausschuss für national-jüdische Jugendarbeit“
Der „Ausschuss für national-jüdische Jugendarbeit“ wurde im März 1917 auf Anregung von Alfred Wolff gegründet, um die Zusammenarbeit der verschiedenen national-jüdischen Organisationen anzuregen, die Kräfte zu bündeln und eine Zersplitterung zu vermeiden.
in Berlin gebildet, um die Arbeit der national-jüdischen Verbände zu koordinieren. Der IFFTUS war offensichtlich froh, dass die Turnerinnen diese inhaltliche Arbeit nicht mehr selbst leisten mussten.Chanuka, Hanoukka, Lichterfest, Hanukka, Hanuka, Hanukah, Channukkah, Hanukkä
Insgesamt fällt auf, dass die Frauen des IFFTUS die kriegsbedingten Probleme im Frühjahr 1918 sehr deutlich benennen, und zeigen, dass der Verein es vermag, gerade in dieser schwierigen Situation eine wichtige Rolle für die verbleibenden Mitglieder zu spielen.
Metadaten
- Haupttitel
- Berlin. Jüdischer Frauenbund für Turnen und Sport
- Datierung
- Februar 1918
- Sprachen
- Deutsch
- Quelle
- Anonymus: Berlin. Jüdischer Frauenbund für Turnen und Sport. In: Jüdische Monatshefte für Turnen und Sport. Organ der jüdischnationalen Jugendbewegung, Dritte Kriegsnummer Februar 1918
- Quellentyp
- Zeitungsartikel
- Bestandshaltende Einrichtung
- Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
- Rechteinformation (Kommentar)
- CC BY-NC-SA 4.0