Zeitschriftenartikel über die jüdische Turnerschaft in Deutschland

Der Jurist und Zionist Salli Hirsch blickt in seinem Artikel auf die national-jüdische Turnerschaft in Deutschland. Der Text eröffnet eine interessante Perspektive auf die Hinwendung zum Sport.

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Transkription (Deutsch)

Die jüdische Turnbewegung in Deutschland
Wenn beim Wiener Turnfest die jüdischen Turner an den Teilnehmern des Zionistenkongresses vorbeimarschieren, wenn beim Schauturnen und bei den sportlichen Wettkämpfen die einzelnen Landsmannschaften miteinander wetteifernd ihr Bestes zeigen, dann wird den Zuschauer ein hohes Glücksgefühl erfüllen: vergessen wird er die Widerwärtigkeiten des Golus Golus Jiddisch für die jüdische Diaspora. , versinken wird die Erinnerung an die Diskussionen über das Bestehen, die Daseinsmöglichkeit und Existenzberechtigung der jüdischen Nation, und unwiderstehlich wird beim Anblick der Turner der Jubelruf auf unsere Lippen dringen: Das jüdische Volk es lebt!
Schweigend werden die Turner der einzelnen Kreise Kreise Der Deutsche Kreis bildete den ersten Kreis der „Jüdischen Turnerschaft“, der zweite Kreis bildete Westösterreich und der dritte Kreis Galizien-Bukowina. zeigen, was sie geleistet haben für die Wiedergeburt des jüdischen Volkes, und wir sind überzeugt, dass die deutsche Landsmannschaft nicht am schlechtesten abschneiden wird. Diese Zeilen sollen, gleichsam zur Ergänzung der Wiener Vorführungen, die am besten für unsere Arbeit zeugen werden, Einiges über den gegenwärtigen Stand der jüdischen Turnbewegung in Deutschland sagen.
Als auf dem zweiten Zionistenkongress zweiten Zionistenkongress Der zweite Zionistenkongress fand vom 28. bis zum 31. August 1898 in Basel statt. die physische Regeneration der Judenheit als Forderung aufgestellt und die Ausbildung des Körpers durch turnerische Betätigung verlangt wurde, fiel diese Idee bei den deutschen Juden auf fruchtbaren Boden, und bis auf den heutigen Tag ist das deutsche Milieu für unsere Turnbewegung, wenigstens was die körperliche Ausbildung betrifft, außerordentlich günstig gewesen. Deutschland ist nicht nur das klassische Land der Turnerei, von wo aus die Turnbewegung sich die Welt erobert hat, in Deutschland, dessen Bedeutung von einem gesunden und kräftigen Nachwuchs für das Heer abhängt, hat die planmäßige Körperausbildung sich stets der Begünstigung der Regierung und der Popularität der Massen erfreuen können. Die deutschen Juden hatten sich bald auch in dieser Beziehung der umwohnenden Bevölkerung assimiliert, und gerade die assimiliertesten Schichten fingen an, auf die körperliche Ausbildung der Jugend Gewicht zu legen. Diese Zeitströmung ist auch unserer Turnbewegung zugutegekommen. Und es muss anerkannt werden, dass die Jüdische Turnerschaft in Deutschland, von fortschrittlichem Geiste beseelt, es verstanden hat, auch die modernen Formen der Körperkultur sich zunutze zu machen. Während die Deutsche Turnerschaft noch heute in einem schroffen Gegensatz zum Sport steht, hat die Jüdische Turnerschaft denSport als |187| gleichwertige Körperausbildung anerkannt und ihn in ihr Programm aufgenommen. So umfasst heute der Deutsche Kreis der Jüdischen Turnerschaft neben seinen Turnvereinen auch reine Sportorganisationen, wie die Ruderabteilung der „Vereine Jüdischer Studenten“ und den Ruderklub „Ivria“, ferner auch Vereine, die die Gleichberechtigung beider Arten der körperlichen Betätigung schon in ihrem Namen ausdrücken, wie den „Jüdischen Frauenbund für Turnen und Sport“ „Jüdischen Frauenbund für Turnen und Sport“ Der „Jüdische Frauenbund für Turnen und Sport“ (IFFTUS) wurde am 17. September 1910 in Berlin gegründet. Siehe hierzu den Beitrag über die Gründung des Frauenbunds in der Jüdischen Rundschau vom 23. September 1910: Juedische Rundschau. Allgemeine Juedische Zeitung, 15, (1910), 38, S. 455. in Berlin und den „Jüdischen Turn- und Sportverein“ in Königsberg „Jüdischen Turn- und Sportverein“ in Königsberg Der „Jüdische Turn- und Sportverein“ in Königsberg gründete sich im Jahr 1905 trotz Gegenwehr der „Gemeinderabbiner und Repräsentanten“, die mit einem Artikel in der ‚Königsberger Hartungschen Zeitung‘ versuchten, die Öffentlichkeit über die Vereinsgründung zu informieren und diese zu untersagen. Des Weiteren sprach sich auch ein „deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ gegen einen Jüdischen Turnverein aus, da die Bürgerschaft Königsbergs bisher keine Unterschiede zwischen jüdischen und christlichen Turnern kannte, die gemeinsam in den ansässigen Vereinen turnten, O.  A.: Königsberg. Der Jüdische Turnverein in Königsberg, in: Jüdische Turnzeitung. Monatsschrift für die körperliche Hebung der Juden, 6 (1905), 10, S. 196–198. , und schließlich sind auch unsere größeren Turnvereine dazu übergegangen, eigene Abteilungen für den Sportbetrieb einzurichten, so hat der Bar Kochba-Berlin zwei Sportabteilungen, eine allgemeine und eine akademische, während der Bar Kochba in Hamburg Bar Kochba in Hamburg Das Schauturnen im Zuge des IX. Zionistenkongresses, welcher zur Jahreswende 1909 / 1910 in Hamburg abgehalten wurde, stieß auf reges Interesse der jüdischen Jugend, die in jüdischen Vereinen turnen wollten. Eine Fusion mit der bestehenden „Hamburger Jüdischen Turnerschaft von 1902“ kam aufgrund von Vorbehalten gegen die neuen, vermeintlich jüdisch-national gesinnten Mitglieder nicht zustande. Durch den Einsatz von Dr. Ernst Tuch und Dr. Walter Weigert, konstituierte sich am 14. März 1910 der Hamburger „Bar Kochba“. Vgl. B.: Die Gründung eines neuen Jüdischen Turnvereins „Bar Kochba“ Hamburg, in: Jüdische Turnzeitung. Monatsschrift für die körperliche Hebung der Juden, 11 (1910), 3 / 4, S. 48–50. bei der letzten jüdischen Ruderregatta in Berlin seine Ruderabteilung starten lassen konnte. Turnen und Sport sind keine feindlichen Brüder mehr, sondern ergänzen sich in glücklichster Weise: während der Turnbetrieb eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Ausbildung gewährleistet und den Sinn für Ordnung und Disziplin weckt, nötigt uns der Sport, unsere ganze Energie und Kraft herzugeben und eigene Initiative zu entfalten, um im Wettkampfe zu siegen. Wenn in der Jüdischen Turnerschaft der Ausgleich zwischen Turnen und Sport herbeigeführt worden ist, so liegt das vor allem daran, dass für uns das Turnen nicht Selbstzweck ist, sondern nur ein Mittel zur körperlichen Regeneration und nationalen Wiedergeburt unseres Volkes; und jedes Mittel, das – wie der Sport – denselben Zwecken zu dienen geeignet ist, lässt sich unserm Programme einfügen. Hat uns so unsere nationale Tendenz innere Kämpfe erspart, unter denen die Deutsche Turnerschaft noch lange zu leiden haben wird, so ist es anderseits gerade unser nationales Programm, das uns die Gegnerschaft weiter jüdischer Kreise zugezogen hat. Dieselben Kreise deutscher Juden, die für körperliche Ausbildung durchaus Interesse haben, stehen unserer jüdischen Turnbewegung wegen ihrer nationalen Tendenz feindselig gegenüber. Zwei Beispiele aus dem letzten Jahre: die liberale Mehrheit der Repräsentantenversammlung der Kölner Jüdischen Gemeinde hat unser# Kölner Turnverein die ihm bis dahin jährlich gewährte Subvention von 300  M.  entzogen, weil er „fast ausschließlich jüdisch-nationale Zwecke verfolge, seine Mitglieder in hervorragender Weise zu Nationaljuden erziehen wolle und deshalb dazu angetan sei, eine Gefahr für die deutschen Juden herbeizuführen“; und in der letzten Hauptversammlung des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ richtete man den Hauptstoß des Angriffes gegen die jüdischen Turnvereine, weil sie die Hauptträger der jüdisch-nationalen Propaganda seien. Nun, ein größeres Lob konnte uns nicht erteilt werden! Unsere Jüdischen Gegner haben erkannt, welche Gefahr – zwar nicht für das Judentum, wohl aber für ihre Assimilationsgelüste — die Vereine der Jüdischen Turnerschaft darstellen und beginnen jetzt ebenfalls, sich der Turnidee zu bemächtigen und Turnorganisationen ins Leben zu rufen. Bereits seit einigen Jahren bestehen in Deutschland ein paar jüdische Turnvereine, die etwa auf der Basis des „Zentralvereins“ stehen, also auf religiöser Grundlage. Da die Deutsche Turnerschaft Juden in ihre Reihen aufnimmt, ist nicht klar, wodurch eine solche „konfessionelle Absonderung“ berechtigt ist. Diese Vereine dürften vom Standpunkt ihrer eigenen Anhänger ebenso wenig |188| existenzberechtigt sein wie evangelische oder katholische Turnvereine. Nunmehr geht auch der „Verband der jüdischen Jugendvereine in Deutschland“ daran, Turnabteilungen zu gründen, und entsprechend seinem Neutralitätsprinzip stellt er für seine Turnbewegung den Leitsatz auf, dass „die Pflege der Leibesübungen von einer Verquickung mit politischen und konfessionellen Sonderbestrebungen fernzuhalten“ sei. Unsere jüdischen Turnvereine werden, da sie sich mit Rücksicht auf ihr nationales Programm angeblich einer solchen Verquickung schuldig machen, in Acht und Bann getan; dagegen soll die Betätigung der Neutralen „in den interkonfessionellen Turnvereinen nicht beeinträchtig werden, im Gegenteil ist es erwünscht, dass unsere Turner gleichzeitig auch der Deutschen Turnerschaft, in welcher sie aufklärend (!!!) wirken können, als Mitglieder angehören.“ Man weiß nicht, worüber man sich mehr entsetzen soll: über die Verkennung unserer Turnbewegung, über die völlige Missachtung ihrer Verdienste für die körperliche Ausbildung der jüdischen Jugend und für die Erhaltung des Judentums oder über die Verkennung der deutschen Turnbewegung. Hat nicht auch diese sich stets der von den Neutralen gerügten „Verquickung“ schuldig gemacht? Vom Turnvater Jahn Turnvater Jahn Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), bekannt als „Turnvater Jahn“, zählte zu den Mitbegründern des „Deutschen Bundes“, einem Vorläufer der Burschenschaften. Ein wichtiges Ziel des „Bundes“ war die Befreiung Deutschlands von der napoleonischen Fremdherrschaft und die deutsch-nationalstaatliche Einheit. Zu diesem Zweck schuf Jahn die deutsche Turnbewegung, eng verbunden mit den politischen Zielen, die auch vom wehrhaften Nutzen sein sollte. Im Jahr 1811 wurde auf seine Initiative der erste Turnplatz im Berliner Volkspark „Hasenheide“ eröffnet, der das Turnen öffentlich zugänglich machte. Jahn gilt als Begründer der Turnbewegung, ist aber aufgrund seiner rassistischen und judenfeindlichen Äußerungen umstritten. erzählt man, dass, wenn er mit seinen Jungen durchs Brandenburger Tor zog, auf dem die Viktoria fehlte, er sie fragte, woran sie dächten, und wenn dann etwa einer seiner Turner nicht an Preußens Schmach erinnert wurde, so gab er ihm eine Ohrfeige. War das keine Verquickung mit „nationalen Sonderbestrebungen“? Oder eine geringere, als wenn wir unsere jüdischen Turner auf die große Vergangenheit unseres Volkes hinweisen, auf die kritische Lage, in der sich die Judenheit zurzeit befindet, und auf unsere jüdischen Zukunftshoffnungen? Heißt es die Turnbewegung mit „Sonderbestrebungen“ verquicken, wenn wir unsere Turner mit Zukunftshoffnungen und Zukunftswillen für unser jüdisches Volk zu erfüllen suchen, wenn wir sie dazu erziehen, dass sie bereit und imstande sind, mitzuarbeiten an der Erhaltung des Judentums und mitzukämpfen für die Größe unseres Volkes? Man mag unsere Anschauungen über das Judentum bekämpfen, aber man soll aufhören, von einer „Verquickung“ zu reden, wenn wir die Turnidee jüdischen Zwecken nutzbar machen. Jede Turnbewegung muss national sein, und jede wirklich volkstümliche Turnbewegung ist bisher national gewesen. Darum wandelt unsere jüdische Turnbewegung durchaus natürliche Bahnen, während die Neutralen die Turnbewegung des schönsten Momentes, der nationalen Begeisterung zu entkleiden und sie mit dem konstruierten Prinzip der Neutralität zu verquicken versuchen. Und darum kann es für den, der die Entwicklung der Turnidee auch nur oberflächlich kennt und begreift, nicht zweifelhaft sein, dass uns die Zukunft gehört und der Sieg!

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Kommentar zum Zeitschriftenartikel über die jüdische Turnerschaft in Deutschland

Beginnend mit dem 14. Jahrgang änderte die Jüdische Turnzeitung ihren Namen in Jüdische Monatshefte für Turnen und Sport1  und trug somit der wachsenden Bedeutung des Sports Rechnung. Der neue Name unterstrich die Gleichrangigkeit von Turnen und Sport und zeigte außerdem – zumindest im Untertitel – das Bekenntnis zum nationalen Verständnis ihres Judentums.
Die jüdische Turnbewegung in Deutschland bezeichnete sich seit Ende des 19. Jahrhunderts als national-jüdisch und die Diskussionen darüber, wie zionistisch sie sein dürfe, dauerten bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges und darüber hinaus an. Dennoch zeugten die Veröffentlichungen in der Jüdischen Turnzeitung von der engen Verbindung der zionistischen und der Turnbewegung, die bereits anhand von Max Nordaus Einlassungen zum Muskeljudentum deutlich wurde.2 Bis 1912 waren die Zionistentage immer auch Anlass für ein großes Schauturnen, das im zionistischen Sinne als wirksamer galt „als hundert Reden“3. In der Redaktion, ebenso wie in der Leitung der Turnerschaft selbst, war es bereits seit 1911 zu einem Generationswechsel gekommen. Der 1888 geborene angehende Zahnarzt Henry Unna hatte die Verantwortung für die Geschäftsführung der Turnerschaft und für die Zeitung übernommen. Mit ihm wurde der zionistische Charakter der Zeitschrift immer deutlicher. So propagierte er eine Turnfahrt nach Palästina, die 1913 umgesetzt und in den Jüdischen Monatsheften für Turnen und Sport entsprechend begleitet wurde.4 Als Soldat berichtete Unna während des Ersten Weltkriegs „Aus dem Felde“.5 Die von ihm vorangetriebene Umbenennung der Zeitung machte auch die Öffnung der jüdischen Turnerschaft zum Sport deutlich. Bis zu diesem Zeitpunkt verstand sich auch die jüdische Turnbewegung, wenn auch mit abnehmender Tendenz, als Gegnerin des als „undeutsch“ empfundenen Sports. So hieß es noch 1909 in der Jüdischen Turnzeitung:

Wie zwei feindliche Brüder stehen Turnende und Sporttreibende sich noch immer gegenüber. Der Ältere betrachtet den Jüngeren als minderwertig und sieht mit gewisser Mißachtung auf ihn herab, der Jüngere hält den Älteren für rückständig.

Prof. Albu: Turnen und Sport, in: Jüdische Turnzeitung. Monatsschrift für die körperliche Hebung der Juden 10 1909, H. 10/11, S. 199–201, hier S. 199.
Vor allem in der deutsch-nationalen Turnerschaft wurde das Turnen als Tätigkeit einer organischen Gemeinschaft, wie sie auch das Volkstum darstellte, verstanden.6 Im Turnen verbanden sich die Massen zu einem Ganzen, während der Sport die moderne Gesellschaft mit ihrer Betonung des Individuums symbolisierte. Sport wurde oft genug als „englisch“ empfunden – er stand für bourgeois-kapitalistische Werte und die Schattenseiten der Moderne. Mit dieser Ablehnung des Sports orientierte sich die jüdische Turnbewegung zunächst am deutschen Turnervorbild. Darüber hinaus galt Sport in national-jüdischer Perspektive als dekadente Freizeitbeschäftigung der reichen Assimilierten, jener Gesellschaft, die jede Verbindung zur jüdischen Volksgemeinschaft aufgegeben hatte.7
Eine weitere Bedrohung für das „deutsche Turnen“ ging allerdings von der schwedischen Gymnastik aus, die Pehr Henrik Ling in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt hatte, und die zunächst vor allem als Therapiemethode galt.8 Sie erschien als einfacher durchführbar als Turnen und war deshalb vor allem dort attraktiv, wo die turnerische Infrastruktur noch nicht so ausgeprägt war. Aber die jüdischen Turner:innen öffneten sich rasch gegenüber den verschiedensten Systemen der Körperertüchtigung. Mit der Umbenennung des turnerischen Zentralorgans in Jüdische Monatshefte für Turnen und Sport im Jahr 1913 war die Akzeptanz des Sports in der jüdischen Turnbewegung endgültig vollzogen. Ebenfalls 1913 wurde das traditionelle Schauturnen auf dem 11. Zionistenkongress durch ein Turn- und Sportfest ersetzt.
Die jüdische Turnbewegung öffnete sich im Vergleich zur deutschen also relativ schnell dem Sport. Eine interessante Perspektive auf diese Öffnung gegenüber dem Sport ermöglicht insbesondere die hier veröffentlichte Quelle zur Lage der „Jüdischen Turnbewegung in Deutschland“ aus dem Jahr 1913. Der Autor dieser Analyse ist Salli Hirsch, der 1885 in Heinrichswalde geboren wurde. Salli Hirsch lebte von 1895 bis 1924 in Berlin, wo er Jura studierte und an der juristischen Fakultät der Berliner Universität promovierte. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg. In Berlin und Halberstadt war er als Rechtsanwalt und Notar tätig. Außerdem war er im Landesvorstand der Zionistischen Vereinigung für Deutschland sowie vor dem Ersten Weltkrieg Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Berlin. Salli Hirsch emigrierte mit seiner Frau Edith Hirsch, geb. Henschel und ihrem gemeinsamen Sohn Jakob (geb. 1924) im Jahr 1935 nach Palästina. Hirsch beobachtete in seiner Analyse, dass die jüdischen Turner viel schneller die Vorzüge des Sports für sich entdeckt hätten, als die Turner der deutschen Turnbewegung:

Wenn in der Jüdischen Turnerschaft der Ausgleich zwischen Turnen und Sport herbeigeführt worden ist, so liegt das vor allem daran, dass für uns das Turnen nicht Selbstzweck ist, sondern nur ein Mittel zur körperlichen Regeneration und nationalen Wiedergeburt unseres Volkes; und jedes Mittel, das — wie der Sport — denselben Zwecken zu dienen geeignet ist, lässt sich unserm Programme einfügen. (S.187) 

Ebenso wie Hirsch, so führt auch der Historiker Georg Eisen retrospektiv die Offenheit der jüdischen Turnbewegung und ihre Flexibilität auf den utilitaristischen Zugriff der Zionist:innen auf das Turnen zurück. Dabei sei die körperliche Ertüchtigung kein Selbstzweck gewesen, sondern habe immer in den Diensten der physischen „Verbesserung“ der Jüdinnen und Juden gestanden. Alle Mittel, die diesen Zweck erfüllten, waren gleichermaßen willkommen. Das galt für das Turnen ebenso wie für den Sport oder schwedische Gymnastik. Deshalb war eine Spaltung der jüdischen Turnerschaft in der Frage des Sports undenkbar. Im Gegenteil erkannten die führenden Köpfe der Bewegung, so Eisen, nach anfänglichem kurzem Zögern, schnell die Möglichkeit, durch die Öffnung gegenüber dem Sport zahlreiche neue Mitglieder zu gewinnen.9
Nicht nur in Bezug auf die Öffnung gegenüber dem Sport waren die jüdischen Turner zukunftsgewandt, sondern auch was die Aufnahme und Rolle der Turnerinnen anging. Auch das Frauenturnen findet bei Salli Hirsch bereits im positiven Sinne der „Gleichberechtigung“ (S. 187) Erwähnung.

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