Aufarbeitung der NS-Verbrechen im Polen der Nachkriegszeit

Recht, Staat und Gesellschaft in Interaktion
Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Polen war fest in die Etablierung des neuen sozialistischen Herrschaftssystems um 1945 eingeschrieben. Sie reagierte auf die Kriegstraumata, wandte aber gleichzeitig die Regeln der juristischen Redlichkeit an – ein komplexes Panorama, das sich einfachen Deutungen entzieht.
So wie es keine Stunde Null für das Ende des Krieges und den Aufbau der neuen politischen Herrschaftsordnung in 
Volksrepublik Polen
eng. Polish People’s Republic, pol. Polska Rzeczpospolita Ludowa

Die Volksrepublik Polen war ein von 1944 bis 1989 existierender sozialistischer Staat in der sowjetischen Einflusssphäre. Seine Grenzen entsprechen denen des heutigen Polens. Sozialistische Einheitspartei des Ein-Parteien-Staates war die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR).

 gab, galt dies auch für die Bestrafung der deutschen Kriegsverbrechen. Die Verläufe waren vielschichtig, die Übergänge fließend.
Polen war das einzige Land, das während des Zweiten Weltkriegs teilweise gleichzeitig von zwei totalitären Regimes besetzt wurde, dem NS-Staat und der 
Sowjetunion
eng. Soviet Union, deu. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз, . Совет Ушем, . Советонь Соткс, rus. Sovetskij Soûz, . Советий Союз, yid. ראַטן־פֿאַרבאַנד, yid. סאוועטן פארבאנד, yid. sovətn farband, yid. sovʿtn-farband, yid. sovətn-farband, . Советтер Союзу, . Совет Союзы, deu. Советий Союз, . Советон Цæдис, . Совет Эвилели

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.

Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.

. Beide Okkupationen forderten mehrere Millionen Opfer. Während die nationalsozialistischen Verbrechen direkt nach und auch schon während des Krieges geahndet wurden, blieben die Vergehen des sowjetischen Regimes bis 1989 tabuisiert.
Bis sich in Polen eine von der Sowjetunion gestützte staatssozialistische Herrschaftsordnung etablierte, verging eine gewisse Übergangszeit. Zwischen dem  Lubliner Manifest
Lubliner Manifest
auch:
Juli-Manifest, Manifest des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung
Das Lubliner Manifest war ein von dem exekutiven Gremium des staatsozialistischen Übergangsmachtregimes, dem „Polnischen Komitee für Nationale Befreiung“ (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego), herausgegebener Aufruf an die polnische Bevölkerung. Es legte die Grundlagen für die neue Herrschaftsordnung in Polen ab 1944. Seine Ursprünge liegen in Moskau, wo das Dokument von Josef Stalin freigegeben und gedruckt wurde. Es erkannte den Landesnationalrat als einzige legitime Macht in Polen an, betonte das Bündnis mit der Sowjetunion und brach radikal mit der polnischen Exilregierung und dem Zwischenkriegszeitregime. Bis 1989 galt der 22. Juli als Staatsfeiertag in Polen mit dem Namen: Nationaler Feiertag der Wiedergeburt Polens (Narodowe Święto Odrodzenia Polski).
 vom 22. Juli 1944, das den Willen des neuen Regimes zur Machtausübung bekundete, und den manipulierten Wahlen im Januar 1947, welche die Herrschaft der kommunistisch ausgerichteten Kräfte in Polen sicherten, bestanden noch einige Freiräume. Diese machten sich auch in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Polen bemerkbar, die noch nicht vollständig stalinistisch gelenkt war. Die frühen Rechtsgrundlagen, die Zusammensetzung der beteiligten Akteure und die Formen der justiziellen oder spontanen gesellschaftlichen Strafmaßnahmen spiegeln diese Bedingungen wider. Um die Aufarbeitungspraktiken der Nachkriegszeit umfassend zu verstehen, muss aber auch die fast sechsjährige Erfahrung der Pol:innen von Krieg, Gewalt und Angst mitbedacht werden.

Erste Kommissionen, Rechtsgrundlagen und der öffentliche Kommunikationsraum

Die institutionalisierte Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Polen fing schon während des Zweiten Weltkriegs an, begleitend zur ersten Etappe der „Befreiung“ des Landes durch die Rote Armee. Mit Untersuchungskommissionen zu  Majdanek
Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek
auch:
Majdanek concentration camp, Konzentrationslager Majdanek, Majdanek, KZ Majdanek, K.L. Lublin, KL Lublin, KZ Lublin, Konzentrationslager Lublin, Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS Lublin, Maidanek, Lublin-Majdanek, Konzentrationslager Maidanek, Konzentrationslager Maydanek, Maydanek
Das Konzentrations- und Vernichtungslager im Lubliner Stadtteil Majdanek wurde 1941 zunächst noch als „Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS Lublin“ eingerichtet, ab 1943 jedoch auch offiziell als Konzentrationslager bezeichnet. Es besaß weitere Außenlager (vor allem zur Zwangsarbeit) und fungierte nicht nur als Konzentrations- und Arbeitslager, sondern zunehmend auch als Vernichtungslager. Ab 1942 war das Lager eingebunden in die ‚Aktion Reinhardt‘, in deren Rahmen die im Generalgouvernement Polen lebenden Juden und Roma systematisch deportiert, interniert und ermordet wurden. Von den insgesamt ca. 150.000 Insassen Majdaneks sind vermutlich mindestens rund 80.000 Menschen im Lager ums Leben gekommen bzw. ermordet worden, darunter allein 59.000 jüdische Häftlinge. Majdanek wurde im Sommer 1944 als erstes Konzentrations- und Vernichtungslager von der sowjetischen Armee befreit. Es wurde im Nachgang auch durch die sog. ‚Majdanek-Prozesse‘ bekannt, die bereits ab 1944 sowie 1946–1948 auf polnischer Seite und zwischen 1975 und 1981 in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurden.
 und  Auschwitz
Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz
auch:
KZ Auschwitz
Die Konzentrations- und Vernichtungslager in und bei Auschwitz stellen den größten Lager-Komplex dar, der durch das nationalsozialistische Deutschland errichtet worden ist. Es handelt sich eigentlich um drei große Konzentrations- und Vernichtungslager sowie rund 50 Außenlager, die meist der Zwangsarbeit dienten. Die Lager wurden ab 1940 eingerichtet und am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee befreit. Die drei Hauptlager sind: Das ab Frühjahr 1940 eingerichtete sog. ‚Stammlager‘ Auschwitz I; das großflächige Vernichtungslager Birkenau, formal Auschwitz II, bekannt als Auschwitz-Birkenau; und das Konzentrations- und Arbeitslager Auschwitz III im nahen Monowitz, das durch die I. G. Farben AG errichtet worden war und ab 1943 selbst als Stammlager für zahlreiche Außenlager fungierte. Aufgrund der enormen Zahl der hier in industrialisierter Form ermordeten Menschen, der zahllosen weiteren hier verübten Kriegsverbrechen (darunter Menschenversuche) sowie der gewaltigen Größe und organisatorischen Komplexität der Anlagen stehen der Lager-Komplex Auschwitz und vor allem Auschwitz-Birkenau heute vielfach auch symbolisch für den Holocaust bzw. die Shoah insgesamt und die besonders grausame und exzessive Form der Menschen-Vernichtung durch das nationalsozialistische Deutschland. Von den insgesamt mind. rund 1,3 Millionen nach Auschwitz deportierten Personen sind mind. rund 1,1 Millionen in den Lagern ums Leben gekommen, darunter rund 960.000 Jüdinnen und Juden. Die allermeisten von ihnen wurden direkt nach Ankunft in den Gaskammern ermordet. Exakte Opferzahlen konnten jedoch nie ermittelt werden. Kurz vor Ankunft der Roten Armee wurde ein Teil der KZ-Häftlinge noch über Todesmärsche aus den Lagern evakuiert und, sofern nicht bereits auf dem Marsch ermordet, in andere Lager verbracht.
 gelangten noch vor Kriegsende zwei zentrale Konzentrations- und Vernichtungslager und die dort begangenen Verbrechen ans Tageslicht und ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit.
Kurz darauf wurde als Folgeinstanz beim Präsidium des  Landesnationalrates
Landesnationalrat
Der Landesnationalrat war formell das höchste Organ der Legislative im Polen der Jahre 1944 bis 1947. Es bestand insgesamt aus 444 abdelegierten Mitgliedern. Als ein Quasi-Parlament verfügte er über breit angelegte Kompetenzen bei der Gesetzgebung, der Verabschiedung des Haushaltsplans, wirtschaftlichen Fragen, der Amnestie und dem Militär. De facto trug er jedoch einen Fassadencharakter und seine Arbeit war anderen Institutionen untergeordnet.
 und damit im Zentrum der neuen kommunistischen Macht die „Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen“ gebildet. Sie existierte bis zum 10. November 1945 ohne jegliche rechtliche Basis. 
Die Begleiterscheinungen der Übergangszeit schlugen sich auch in den konkreten Handlungen der Kommission nieder: Die zerstörte Infrastruktur erschwerte die Ortsbesichtigungen in Auschwitz. Die dort stationierten Einheiten der Roten Armee hemmten die Arbeit vor Ort, indem sie beispielsweise die Kommissionsmitglieder in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten oder das Fotografieren verbaten. Infolge der Plünderungen des Lagergeländes durch die benachbarte Bevölkerung wurde ein Teil der Dokumente und Beweisstücke vernichtet. Manchmal brachten das Chaos und der Zufall aber auch positive Nebenwirkungen mit sich: Wichtige Unterlagen, wie etwa die Lagerpläne, Befehle der Lagerleitung und ihre Korrespondenz mit anderen Behörden, die von der geplanten Massenvernichtung in Auschwitz zeugten, konnten in Kloaken und Kanälen des Lagers gesichert werden.1 Nachdem die Kommission mehrere Monate lang ungeregelt tätig gewesen war, erhielt sie mit dem Dekret vom 10. November 1945 endlich die notwendigen rechtlichen Grundlagen. Sie wurde auf höchster staatlicher Ebene, und zwar beim Justizministerium, eingegliedert. Gleichzeitig gehörten ihr mehrere Personen an, die nicht direkt mit dem neuen Regime verbunden waren.
Die Kommission erfüllte über die Aufarbeitungsarbeit hinaus eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Sie war die Hauptanlaufstelle für die Sammlung und Auswertung von relevanten Dokumenten und Zeugnissen, aber auch Umfragen in Bezug auf die NS-Besatzung. Ihre Existenz galt außerdem als ein klares Signal an die polnische Bevölkerung, welche die Bestrafung der NS-Täter forderte und emotional ersehnte. Die Kommission eröffnete und bewahrte somit einen Kommunikationsraum für die durch die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs traumatisierte polnische Gesellschaft.2

Prozesse nach rechtsstaatlichen Prinzipien

Die Kommission war zwar für die Aufarbeitung und Dokumentation der Verbrechen, allerdings nicht für die Durchführung der Prozesse verantwortlich. Diese Aufgabe oblag anderen Institutionen. Eine davon war das „Oberste Nationale Tribunal“ (NTN), das am 22. Januar 1946 ins Leben gerufen wurde. Es war für die auf dem Gebiet Polens begangenen Kriegsverbrechen zuständig sowie die Verbrechen, die vom „Dekret über die Septemberniederlage und die Faschisierung des staatlichen Lebens“ vom 22. Januar 1946 erfasst wurden. Das Dekret bildete eine der rechtlichen Grundlagen, um die politischen Gegner des neuen Machtregimes im Nachkriegspolen auszuschalten, zusammen mit dem „Dekret vom 31. August 1944 über die Bestrafung der faschistisch-hitleristischen Täter, die der Morde und Folterung an der Zivilbevölkerung und Gefangenen schuldig sind sowie über die Verräter an der Polnischen Nation“, in Kurzform das „August-Dekret“. Allerdings machte das Tribunal während seiner zweijährigen Tätigkeit lediglich von dem Teil seiner Zuständigkeit Gebrauch, der sich auf die Bestrafung der NS-Täter bezog. Vor dem Tribunal fanden insgesamt sieben Verfahren gegen das Führungspersonal der nationalsozialistischen Okkupation und der Vernichtungslager statt: gegen Arthur Greiser Arthur Greiser Arthur Greiser (1897–1946) war von 1939 bis 1945 Reichstatthalter und Gauleiter der NSDAP in dem Reichsgau Wartheland, von den Amerikanern im Mai 1945 verhaftet und an Polen ausgeliefert. Sein Prozess fand in Posen ab dem 21. Juni 1946 statt. Am 9. Juli wurde er zum Tode verurteilt und am 21. Juli vor der Posener Zitadelle öffentlich hingerichtet. , Amon Göth Amon Göth Amon Göth (1908–1946) war SS-Hauptsturmführer, ab Februar 1943 mit dem Bau, anschließend mit der Leitung des Zwangsarbeits- und Konzentrationslagers Płaszów bei Krakau beauftragt; verantwortlich für die Liquidierung des Krakauer Ghettos im März 1943. Schon vor dem Kriegsende aufgrund des massiven Eigentumsraubes der Opfer verhaftet, aus gesundheitlichen Gründen aber auch wieder entlassen. Im Mai 1945 von den Amerikanern verhaftet; zuerst gelang es ihm, seine wahre Identität zu verschleiern. Nach deren Entdeckung wurde er an Polen ausgeliefert, wo vom August bis September 1946 ein Prozess vor dem Obersten Nationalen Tribunal gegen ihn stattfand. Am 5. September zu Tode verurteilt, sein Gnadengesuch wurde abgelehnt, am 13. September 1946 wurde er hingerichtet. , Ludwig Fischer Ludwig Fischer Ludwig Fischer (1905–1947) war SA-Führer, von 1939 bis 1945 Gouverneur des Distrikts Warschau im Generalgouvernement Polen, nach dem Krieg im Mai 1945 von den Amerikanern verhaftet, Ende März 1946 an Polen ausgeliefert. Ein Prozess gegen Fischer u. a. begann im Dezember 1946 vor dem Obersten Nationalen Tribunal. Am 3. März 1947 wurde er zu Tode verurteilt, am 8. März hingerichtet. und andere, Rudolf Höß Rudolf Höß Rudolf Höß (1901–1947) war SS-Obersturmbannführer und Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz vom Mai 1940 bis November 1943. Nach dem Krieg verhaftet, sagte er zuerst als Zeuge in den Nürnberger Prozessen aus und wurde anschließend, im Mai 1946, an Polen ausgeliefert, wo im März 1947 vor dem Obersten Nationalen Tribunal ein Prozess gegen ihn stattfand. Das Todesurteil an Höß wurde am 16. April 1947 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau in Anwesenheit von ca. 100 Personen, darunter ehemaliger Häftlinge, durch Erhängen vollstreckt. , die Wachmannschaften des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, Albert Forster Albert Forster Albert Forster (1902–1952) war von 1930 bis 1945 Gauleiter der NSDAP in Danzig, nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der dortige Reichstatthalter. Nach dem Krieg von den Briten verhaftet und im August 1946 an Polen ausgeliefert. Am 29. April von dem Obersten Nationalen Tribunal zu Tode verurteilt. Aufgrund der Gnadengesuche des Angeklagten wurde die Hinrichtung zuerst aufgeschoben, am 28. Februar 1952 jedoch dann vollstreckt.  und Josef Bühler Josef Bühler Josef Bühler (1904–1948) war Staatssekretär bei der Regierung des Generalgouvernements in Krakau, seit Juni 1940 Stellv. des Generalgouverneurs Hans Frank. Nach dem Krieg Flucht, Verhaftung durch die Amerikaner im Mai 1945. Zuerst befragt als Zeuge im Nürnberger Prozess, im Mai 1946 an Polen ausgeliefert. Im Zuge des Prozesses vor dem Obersten Nationalen Tribunal am 10. Juli 1948 zum Tode verurteilt und am 21. August 1948 erhängt.
Die Geburtsstunde des Tribunals Anfang 1946 lag noch vor dem Beginn des massiven stalinistischen Einflusses in Polen und der Gleichschaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen. Zu diesem Zeitpunkt war eine sehr heterogene personelle Besetzung möglich, die schon wenige Jahre später nicht mehr denkbar gewesen wäre. So finden sich unter den Richtern und Anwälten des Tribunals Vertreter unterschiedlicher politischer Richtungen, die ihre Ausbildung noch in der Zwischenkriegszeit absolviert hatten. Die Schöffen wurden zwar vom Landesnationalrat und den  Sejm
Sejm
Der Sejm ist eine von zwei Kammern des polnischen Parlaments. Nach dem Zweiten Weltkrieg, bis 1989, die einzige, denn die zweite Kammer – der Senat – wurde in der Volksrepublik Polen abgeschafft.
 gewählt, aber auch auf dieser Ebene herrschte noch Heterogenität.
Anders als die politischen Schauprozesse gegen die Gegner des neuen Machtregimes jener Zeit hielten sich die Prozesse des Tribunals an internationale und polnische Rechtsnormen. Die Bedeutung der Beweismittel und der Dokumentationsmaterialien – gesammelt von eigenen oder unterstützenden, darunter jüdischen, Organisationen – sowie die Zeugenaussagen garantierten die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Die Urteile zeugen von einer differenzierten und an die Einzelfälle angepassten Herangehensweise. Bei allen Prozessen gab es nur Pflichtverteidiger, was der Stimmung innerhalb der polnischen Bevölkerung entsprach. Jegliche andere Lösung wäre als Unterstützung für die Besatzer angesehen und per se abgelehnt worden. 
Der Prozess gegen Rudolf Höß, den ehemaligen Kommandanten von Auschwitz, vor dem Tribunal zeigt wie unter einer Lupe das Klima der Zeit auf. Das Verfahren wurde von Anfang an auf eine möglichst große öffentliche Wirkung ausgelegt. Es fand in 
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw, deu. Warszowa, deu. Warszewa, yid. Varše, yid. וואַרשע, rus. Варшава, rus. Varšava, fra. Vaarsovie

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2024: 1.863.845). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

 im Sitz des Verbands der Polnischen Lehrerschaft statt und wurde simultan in vier Sprachen (Deutsch, Französisch, Englisch, Russisch) übersetzt. Um möglichst vielen Personen die Beobachtung des Prozesses zu ermöglichen, wurden Eintrittskarten vergeben, die zu einer einmaligen Teilnahme berechtigten. Die Medien – polnische und ausländische Presse, Rundfunk und nicht zuletzt die Kino-Wochenschau – berichteten über die Etappen des Verfahrens. Als Vorzeigeprozess sowie gleichzeitig als Beweis für die Rechtstaatlichkeit des neuen Regimes wurde der Prozess mit juristischer Genauigkeit und Redlichkeit durchgeführt. Die Gespräche des polnischen Juristen Jan Sehn Jan Sehn Jan Sehn (1909–1965) war polnischer Jurist und Staatsanwalt, eine der prägenden Persönlichkeiten im Prozess der Aufarbeitung der NS-Verbrechen im Nachkriegspolen. Mitglied und leitende Figur der Hauptkommission zur Erforschung der NS-Verbrechen in Polen, in deren Auftrag er u. a. die Untersuchungen auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Auschwitz durchführte. Er verhörte mehrfach Rudolf Höß während seines Prozesses und regte ihn zur Anfertigung von autobiografischen Notizen an. Sehn setzte sich in späteren Jahren sehr intensiv für blockübergreifende Kooperation zwischen Polen und der Bundrepublik Deutschland im Bereich der Aufarbeitung der NS-Prozesse ein, u. a. im Zusammenhang mit dem Ersten Auschwitz-Prozess. mit Rudolf Höß sowie die von dem Kriminologen Stanisław Batawia Stanisław Batawia Stanisław Batawia (1890–1980) war polnischer Jurist, Psychiater und Kriminologe, ab 1946 Leiter der Abteilung für Kriminologie am Lehrstuhl für Strafrecht an der Warschauer Universität. In den Jahren 1946–1951 war er Mitglied des Präsidiums der Hauptkommission zur Erforschung der NS-Verbrechen in Polen. Bekannt ist er v. a. durch kriminologisch-soziale Analyse der NS-Verbrechen, die er anhand zahlreicher Verhöre von Rudolf Höß durchführte und als psychologisches Porträt von 1951 in dem Bulletin der Hauptkommission zur Erforschung der NS-Verbrechen auf Polnisch veröffentlichte. vorgenommenen psychologischen Untersuchungen brachten als Bestandteile der Beweiserhebung zusätzliche Erkenntnisse mit sich. Dazu zählten die Rekonstruktion der Funktionsweise des Lagers Auschwitz und das Wissen über den Machtapparat des NS-Staates. Außerdem entstand ein psychologisches Porträt von Höß, das den Ausführungen von Hannah Arendt zur „Banalität des Bösen“ um Jahre vorausging. Seine öffentliche Verbreitung scheiterte jedoch an der Anfertigung in polnischer Sprache und den Umständen des Kalten Krieges.3

Hinrichtungen als öffentliches Ereignis

Die polnische Gesellschaft partizipierte an der Bestrafung der Täter:innen jedoch nicht nur in den Gerichtssälen. Kurz vor Kriegsende und danach gab es mehrere Fälle von öffentlichen Hinrichtungen.4 Die erste fand im Kontext des Majdanek-Prozesses statt. Am 23. Dezember 1944 wurden fünf Angeklagte gehängt. Der Hinrichtung schauten ca. 10.000 Personen zu. Die Hinrichtung von Mitgliedern des Wachpersonals des Konzentrationslagers  Stutthof
Konzentrationslager Stutthof
auch:
KZ Stutthof, Stutthof
Das Konzentrationslager Stutthof lag östlich von Danzig und ging Anfang 1942 aus einem bereits ab Sommer 1939 vorbereiteten und bei Kriegsbeginn eröffneten Zivilgefangenenlager hervor, das zwischenzeitlich, zum Jahreswechsel 1941/1942, auch als Sonderlager der SS genutzt worden war. Stutthof diente zunächst vor allem als Arbeits- und Durchgangslager mit einem umfangreichen Netz an Außenlagern. Mit Fortgang des Krieges übernahm Stutthof ab Sommer 1944 auch die Funktion eines Vernichtungslagers, insbesondere für aus dem Baltikum, Polen oder Ungarn deportierte Jüdinnen und Juden. Ungefähr 65.000 bis 85.000 kamen im Lager ums Leben bzw. wurden hier ermordet. Stutthof ist auch bekannt für die Evakuierung des Konzentrationslagers über Todesmärsche, in deren Rahmen weitere Massaker verübt wurden. Zur Aufarbeitung wurden bereits 1946 und 1947 vier sog. ‚Stutthof-Prozesse‘ in Polen durchgeführt, auf die in den 1950er und 1960er Jahren weitere Prozesse gegen einzelne Personen des Lagerpersonals in der Bundesrepublik Deutschland folgten.
 (4. Juli 1946), darunter sechs Frauen, verfolgten Massen an Zuschauer:innen. Es war aber nicht nur deren Zahl (50.000 Personen), sondern auch die Zusammensetzung dieser Gruppe und die Form der Beteiligung, die viel über die polnische Nachkriegszeit aussagen: Unter den Schaulustigen waren sowohl Frauen, Männer als auch Kinder. Teilweise organisierten Betriebe den Transport zum Hinrichtungsort. Die Stimmung hatte einen picknickartigen Charakter, es wurde Bier verkauft. Dieses Muster wiederholte sich bei der Hinrichtung des NSDAP-Gauleiters des 
Wartheland
pol. Okręg Warcki, pol. Okręg Rzeszy Kraj Warty, deu. Warthegau, deu. Reichsgau Posen, eng. Reichsgau Wartheland

Der Reichsgau Wartheland, auch bekannt als Warthegau, war ein nationalsozialistischer Verwaltungsbezirk im besetzten Polen. Er wurde am 16. Oktober 1939 als Reichsgau Posen geschaffen, und am 29. Januar 1940 umbenannt. Der Reichsgau war in größeren Teilen deckungsgleich mit der historischen Landschaft Großpolen und hatte eine Bevölkerung von 4,5 Millionen Menschen. Hauptstadt war das heutige Poznań (dt. Posen). Am 23. Januar 1945 wurde er vollständig von der Roten Armee erobert.

Die fast sechsjährige Besatzungszeit war geprägt durch die brutale Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung einerseits und der gezielten Neuansiedlung deutschsprachiger Bevölkerungsteile andererseits.

Bild: „Karte der Verwaltungseinteilung der deutschen Ostgebiete und des Generalgouvernements der besetzten polnischen Gebiete nach dem Stand vom März 1940“, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Kartensammlung, Inv.-Nr. K 32 II L 43. bearbeitet von Copernico (2022). CC0 1.0.

 Arthur Greiser am 14. Juli 1946. Ein Stimmungswandel stellte sich immer im Moment der Hinrichtung ein, der durch Brüllen, Schreien und manchmal Auseinandersetzungen um Teile des Galgenstrickes geprägt war, den man für einen Glückbringer hielt.
Da die öffentlichen Hinrichtungen stellenweise auszuufern drohten, endeten sie mit der Erhängung von Arthur Greiser. Der Strafvollstreckung an Amon Göth (13. September 1946) oder der Exekution von Rudolf Höß (16. April 1947) wohnten daher weniger Personen bei. Insgesamt lässt sich, wie der Historiker Marcin Zaremba zusammenfasst, die gesellschaftspolitische Stimmung der Nachkriegszeit als eine Mischung aus gesellschaftlichem Rachebedürfnis, emotionaler Abstumpfung und nicht zuletzt auch Aberglauben beschreiben. Ein Zustand, der leicht zu instrumentalisieren war, um von der Etablierung eines neuen diktatorischen Regimes und seinen Gewaltakten abzulenken. 
Wie soll die Ahndung der NS-Verbrechen im Polen der Nachkriegszeit interpretiert werden? Muss man sie als Legitimierung der neuen staatssozialistischen Herrschaftsordnung betrachten? Sie war zweifelsohne im Zentrum des neuen Regimes verortet: Die juristische Handlungsgrundlage für die Verfolgung der NS-Verbrechen bildeten dieselben Dekrete, die auch die Verfolgung der politischen Gegner ermöglichten. Der radikale Kampf der neuen Machthaber gegen ihre Gegner fand jedoch auf anderen Ebenen statt. Die an die eigene Ahndungsarbeit gestellten Ansprüche eines genauen, objektiven und authentischen Vorgehens fanden einen konkreten Niederschlag im Umfeld der jeweiligen Prozesse. Dass die dahinterstehenden Beweggründe nicht reiner Uneigennützigkeit entsprangen, sondern durchaus für die Anerkennung des neuen Regimes auf der internationalen Bühne genutzt wurden, schmälert auch Jahrzehnte später ihre juristische Belastbarkeit nicht.
Einen großen Anteil an der juristischen Redlichkeit der Verfahren während der Nachkriegszeit hatten als Schlüsselfiguren Juristen und Experten, deren berufliche Ausbildung und Sozialisierung noch in der Zwischenkriegszeit lag. Bevor neu ausgebildete Kader ihre Positionen beziehen konnten und die Stalinisierung an Boden gewann, sorgten sie für die Einhaltung der rechtlichen Standards.
Dies und viele andere Fakten aus der polnischen Strafverfolgung der NS-Verbrechen der direkten Nachkriegszeit blieben jedoch einer breiteren Öffentlichkeit, vor allem in Westeuropa, für lange Zeit unbekannt. Der Kalte Krieg und der „westliche“ Verdacht, dass die Justiz für politische Zwecke instrumentalisiert werde, verschlossen den Blick dafür. Die Folge war eine Pauschalisierung, die der Komplexität der historischen Zusammenhänge nicht gerecht wurde.

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