Aus einem fernen Land in meine Heimat Ukraine

Briefe der Zwangsarbeiterin Hanna Pastuch
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Die Briefe von Hanna Pastuch schildern das Schicksal einer im Jahr 1943 aus ihrer ukrainischen Heimat verschleppten jungen Frau, die bis 1945 als Zwangsarbeiterin in Deutschland arbeitet. Durch das Schreiben von Briefen versucht sie, die Verbindung zu ihrer Heimat und ihrer Familie aufrechtzuerhalten.
Bis zum Jahr 1944 arbeiten fast acht Millionen Menschen als Zwangsarbeiter für das Deutsche Reich. Mehr als zwei Millionen von ihnen stammen aus dem Gebiet der heutigen 
Ukraine
ukr. Ukrajina, eng. Ukraine

Die Ukraine ist ein von ungefähr 42 Millionen Menschen bewohntes Land im östlichen Europa. Kiew ist die Hauptstadt und zugleich größte Stadt der Ukraine. Das Land ist seit 1991 unabhängig. Der Dnieper ist der längste Fluss der Ukraine.

. Während einige mit Gewalt nach Deutschland verschleppt werden, gehen andere freiwillig, weil sie der deutschen Propaganda von einem „glücklichen und wohlgenährten Leben“ glauben, das im Gegensatz zu den harten Bedingungen in der besetzten Ukraine stehen würde. Den Geschichten dieser ukrainischen Zwangsarbeiter ist lange wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden – in der Sowjetunion galten sie gar als Verräter, die mit dem Feind kollaborierten. Noch heute finden wir in Museen und auf vielen Denkmälern, die den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet sind, Informationen über sowjetische oder russische Opfer, die ihre Erfahrungen den anderen Sowjetrepubliken überzustülpen versuchen. Diese Situation beginnt sich jedoch in den 90er Jahren zu wandeln – sowohl auf der Ebene der offiziellen Politik als auch der Gedächtniskultur auf deutscher und ukrainischer Seite. Eine wichtige Rolle spielen dabei regionale Initiativen, die die Geschichten von Zwangsarbeitern, ihre Lebensumstände in Nazi -Deutschland und ihre Schicksale ans Licht bringen. Eine dieser Initiativen – die 2021 gegründete ukrainische Nichtregierungsorganisation After Silence – arbeitet mit Briefen von Zwangsarbeitern an ihre Familien. Sie stellen eine der relevantesten Informationsquellen dar, über die wir verfügen. In und zwischen den Zeilen ihrer Briefe können wir nachvollziehen, wie das Leben dieser Arbeiter in Deutschland ausgesehen hat, und können einen Einblick in ihre Hoffnungen und Ängste gewinnen.


Liebe Mutti, wir waren heute bei der Polizei und wurden fotografiert, uns wurden Papiere bis 1944 ausgestellt. Auf dem Foto bin ich traurig.

Über das Essen schreibe ich Ihnen nichts, denn wenn es gut wäre, dann würde ich nicht um Pakete bitten.

Sie schrieben, dass Sie beim Anblick meiner Zöpfe geweint haben. Nichts ist von meinem Haar geblieben, ausgefallen ist es. Seit sieben Monaten ist mein Kopf im klaren Wasser nicht gewaschen worden. Warum muss ich so jung grau werden.

Übersetzer:innen: Claudia Dathe, Susanne Macht and Nelia Vakhovska
Hanna Pastuch ist erst 16 Jahre alt, als sie in der Gelsenkirchener Glas- und Spiegelmanufaktur AG eingesetzt wird – zusammen mit anderen Arbeiterinnen im Alter zwischen 16 und 28 Jahren aus der ukrainischen Region 
deu. Kamjanez-Podilskyj, ukr. Кам'янець-Подільська область, pol. Kamieniec Podolski, rus. Kamenez-Podolskaja oblast, rus. Kamenec-Podolʹskaâ oblastʹ, ukr. Kam'janecʹ-Podìlʹsʹka oblastʹ, rus. Каменец-Подольская область, ukr. Kamenez-Podilska oblast, ukr. Kam'ânecʹ-Podìlʹsʹka oblastʹ, rus. Kamenec-Podolʹskaja oblastʹ, rus. Kamjenjez-Podolʹskaja oblastʹ, pol. Obwód kamieniecko-podolski

Oblast Kam'ânecʹ-Podìlʹsʹk war eine Verwaltungseinheit im westlichen Teil der Ukraine Sie wurde 1937 aus Teilen der Oblast Vìnnicâ und Žitomir ausgegliedert. 1941 wurde der Verwaltungssitz der Oblast von Kam'ânecʹ-Podìlʹsʹk (heute Kam'ânecʹ-Podìlʹsʹkij) nach Hmelʹnicʹkij verlegt, das inzwischen die bevölkerungsreichste Stadt der Oblast geworden war. 1954 wurde infolgedessen auch die Oblast in Hmelʹnicʹkij umbenannt.

. Sie lebt von 1942 bis 1945 in einem zu einer Fabrik gehörenden Ausländer-Gemeinschaftslager  und wird erst beim Einmarsch der US-Armee in Gelsenkirchen entlassen. Im Oktober 2022 entdeckt die NGO After Silence mindestens 22 Briefe von Hanna an ihre Mutter, die uns dabei behilflich sein können, mehr über ihr Leben in Gelsenkirchen herauszufinden.
Hanna stammt aus dem kleinen Dorf 
Cikova
rus. Цикова, rus. Cikova, rus. Tsikova, rus. Cikowa, ukr. Cikova, ukr. Tsikowa, ukr. Cykowa, ukr. Cykova, ukr. Cjikowa, ukr. Tsjikowa, ukr. Čukova Dibrova, ukr. Tschukowa Dibrowa, ukr. Tschikowa, ukr. Tschykowa, ukr. Tschukowa, ukr. Čukova Dìbrova, ukr. Čykova, ukr. Čikova, pol. Czykowa, ukr. Cjukowa, ukr. Cjukova, ukr. Cûkova, ukr. Чукова Діброва, ukr. Чикова, ukr. Цюкова, pol. Cykowa

Cikova (Bevölkerungszahl 2021: 673) ist ein Dorf in der Oblast Hmelʹnicʹkij in der westlichen Ukraine, in der Nähe von Kam'ânecʹ-Podìlʹsʹkij. Das Dorf wurde vor 1460 am Fluss Cikivka gegründet.

 – heute Teil der 
Hmelʹnicʹkij
ukr. Proskuriv, deu. Chmelnyzkyj, rus. Хмельницкий, ukr. Хмельницький, ukr. Chmelʹnicʹkij, rus. Proskurov, rus. Proskurow, ukr. Proskuriw, rus. Проскурів, ukr. Проскуров, rus. Chmelʹnickij, rus. Chmelnyzki, rus. Hmelʹnickij, pol. Proskurów, pol. Płoskirów

Rajon Hmelʹnicʹkij lag in der Mitte der gleichnamigen Oblast in der westlichen Ukraine. Er umfasste die Umgebung des Verwaltungssitzes der Oblast Hmelʹnicʹkij. Der alte Rajon Hmelʹnicʹkij wurde im Juli 2020 durch einen größeren, gleichnamigen Rajon ersetzt.

  – mit einer Bevölkerung von nur etwa 960 Einwohnern. Ihr wird keine richtige Ausbildung zuteil: Sie absolviert lediglich zwei Schulklassen und arbeitet als Landarbeiterin zusammen mit ihrer Mutter Lykera und ihrer Schwester Olha. Über Hannas Vater liegen keine Informationen vor. 1941 wird die gesamte Region Chmel'nyc'kyj von deutschen Truppen besetzt. Das Deutsche Reich startet eine massive Propagandakampagne, um die lokale Bevölkerung dazu zu bewegen, die Ukraine freiwillig zu verlassen und für die Wirtschaft des Reichs zu arbeiten. Es ist belegt, dass die örtliche Zeitung „Podoljanin“ Aufrufe zur Arbeit in Deutschland veröffentlicht; sie verspricht eine gute Versorgung mit Lebensmitteln, freie Unterkunft und kostenlosen Briefwechsel mit Verwandten. Es ist nicht bekannt, wie viele Dorfbewohner freiwillig gehen, aber nach einer Weile beginnen die deutschen Besatzungsbehörden aufgrund der unzureichenden Zahl von Arbeitskräften, Menschen gegen ihren Willen zu verschleppen. Infolgedessen landen ukrainische Dorfbewohner in verschiedenen Teilen Deutschlands. Eine dieser Gruppen findet sich in Bielefeld wieder. Unter den Zwangsarbeitern befindet sich auch Hannahs Onkel Fanas Žovtonoha, mit dem Hanna während ihrer gesamten Zeit in Deutschland in Kontakt bleiben wird. Insgesamt arbeiten im Juli 1943 5.450 Arbeiter aus dem besetzten Osteuropa in Gelsenkirchen; 146 Zwangsarbeiter arbeiten in der Glas- und Spiegelmanufaktur, darunter mindestens 13 Minderjährige im Alter von 13-15 Jahren. Die 16-jährige Hannah ist das einzige Mädchen aus ihrem Dorf – allein, weit weg von zu Hause, und gezwungen, harte und gefährliche Arbeit zu leisten.
Briefe sind die einzige Möglichkeit für Hanna, mit ihrer Familie in Kontakt zu bleiben. Wie andere Zwangsarbeiter darf sie nur zwei Briefe pro Monat schreiben, obwohl die deutsche Propaganda versprochen hatte, dass es möglich sein würde, regelmäßig mit der Familie in der Ukraine zu korrespondieren. An den Stempeln auf jedem Brief ist zu erkennen, dass ihre Briefe zensiert wurden. Bemerkenswerterweise weiß Hanna davon und entwickelt in der Folge verschiedene Techniken, um diese Zensur zu umgehen. Manchmal verwendet sie Anspielungen oder Euphemismen, um die Bedeutung nur für ihre Mutter verständlich zu machen. In einem Brief vom 31. März 1943 schreibt Hanna:
„Ich finde gar keine Worte, um mein junges, glückliches Leben hier beschreiben (...) Warum konnte ich nicht zu Yulia gehen? Dann wüsste ich wenigstens, dass ich in der Nähe meiner Mutter bin" – hier bezieht sie sich auf den Tod ihrer jüngeren Schwester Yulia in der Ukraine, deren Grab sich in ihrem Heimatdorf befindet.
„Wenn doch nur Briefe ankommen würden, aber das tun sie nicht, wegen der ausländischen Besucher (???? ?????) – schreibt sie am 14. Dezember 1943. Zweifellos ist sie Zeugin der alliierten Bombardierung Gelsenkirchens geworden, kann diese aber nicht unmittelbar beschreiben. Sie nennt die Bomben „ausländische Besucher“, damit die Person, die die Briefe kontrolliert, nicht versteht, worüber sie schreibt.
Hanna schildert ihr Leben und bittet ihre Mutter oft um Lebensmittel oder Tabak aus der Ukraine:
„Mutti, kannst du mir ein Paket mit Getreide schicken, und Pflaumen, Nüsse, wenn du kannst. Wenn du welche hast, schick mir auch Brot“ – aus einem Brief vom 18. Oktober 1942. 
„Mutter, wenn du kannst, schicke mir ein Paket mit Getreide“ – 11. Dezember 1942.
Den Arbeitern ist es erlaubt, Pakete aus der Heimat zu erhalten – bis zu 250 Gramm pro Stück, aber es ist nicht überliefert, wie viele der Lebensmittel tatsächlich zugestellt werden, ohne unterwegs zu verderben. Da Tabak Mangelware ist, geben die „Ostarbeiter“ ihn im Tausch gegen Lebensmittel an die einheimischen Deutschen her. Die Ernährung ist im Allgemeinen recht dürftig – die Norm für Ostarbeiter liegt bei 2.283 Kalorien pro Tag. Das ist niedrigste Wert unter den Zwangsarbeitern.
„Ich erzähle Dir nichts über das Essen hier. Wenn es reichlich wäre, würde ich Dich nicht um mehr bitten“, – schreibt Hanna am 14. Januar 1943. Im April schreibt ihr Onkel Fanas einen Brief an Hannas Mutter, in dem er ihr mitteilt, dass er Hanna 2 Kilogramm Getreide aus Bielefeld geschickt hatte. Er sagt, dass er ebenfalls nicht viel zu essen habe, aber dass er versuchen werde, Hanna mehr zu schicken. „Wenn wir nach Hause zurückkehren, werden wir so leben wie früher, wir werden uns nicht vergessen“.
Die schlechte Ernährung in Verbindung mit den harten Lebensbedingungen und der permanenten schweren Arbeit beeinträchtigen Hannas Gesundheit. Das belegen ihre Briefe: „Von meinen Zöpfen ist nichts mehr übrig. Seit 7 Monaten kann ich mein Haar nicht mehr richtig waschen“ – 14. Januar 1943.


Nicht mal waschen kann ich, denn ich habe keine Seife und sie ist nicht zu kaufen. Für sechs Monate hat man uns je eine Unterhose und ein Unterhemd gegeben, als ich sie abholte, habe ich vor Freude gesungen. Wenn ich zu Hause wäre, würde ich mich nicht entscheiden können, welchen Rock ich anziehen mag, und hier geht’s mir so lustig.

Übersetzer:innen: Claudia Dathe, Susanne Macht and Nelia Vakhovska
Die Sterblichkeitsrate unter den Ostarbeitern ist eine der höchsten aller Arbeiterkategorien – jeden Monat sterben etwa 1.210 an Tuberkulose, Typhus, bei Arbeitsunfällen usw. Hanna erwähnt nicht, ob sie krank ist, aber es ist bekannt, dass sie im Dezember 1942 eine Woche in einem örtlichen Krankenhaus verbringen musste: „Mama, du fragst mich, wie es mir geht. Meine Hände tun weh, meine Beine tun weh, meine Zähne und mein Kopf tun weh. Mein Gesundheitszustand ist sehr schlecht“ - 26. Dezember 1942.
Feiertage bieten ihr die Möglichkeit, sich von der harten Routine des Arbeitsalltags zu lösen. In einem Brief vom Dezember 1942 beschreibt Hanna, wie sie Weihnachten mit den Deutschen feiert:


Liebe Mutti, wir haben gestern Weihnachten gefeiert. Für uns Ukrainer hat man eine Feier zum Heiligen Abend organisiert, wir haben Christi Geburt gefeiert. Unsere Herren, unsere Vorgesetzten haben uns nicht gemieden, sie waren so nett zu uns, wie sie nur konnten, und halfen uns, so viel sie konnten. Sie sagten uns, wenn der Krieg vorbei ist, würden wir nach Hause gehen, jetzt können wir es aber nicht, weil der Krieg fortdauert. Sie verstehen, wie schwer die Trennung für uns ist. Liebe Mutti liebe Olja, am Heiligabend hatten wir keinen Grund, sauer zu sein, sie gaben uns gutes Essen, viel Weißbrot, Kaffee, Suppe, Würste und eine Flasche Wein. Mutti, so war mein Heiligabend.

Übersetzer.innen: Claudia Dathe, Susanne Macht and Nelia Vakhovska
Angesichts der üblichen mageren Verpflegung freut sich Hanna über die festliche Bewirtung: „Wir hatten nichts zu beanstanden. Wir haben gut gegessen, es gab viel Weißbrot und Kaffee und Suppe und Würstchen und eine Flasche Wein. Und das war mein Heiligabend, Mutti“.


Liebe Mutti, liebe Olja, kaum kann ich euch über mein junges und fröhliches Leben erzählen, es euch beschreiben1. Ich zwitschere euch davon, wohin ich gehe und was ich mache. Ich lasse die Vögel euch von mir singen, die wilden Winde von mir erzählen. Warum habt ihr mich denn nicht so weggehen lassen, wie Sjanka [ihre Tochter] Julka, dann würde ich wissen, dass ich in der Nähe meiner Mutti bin2.

[...] 

Ich verbinde mir den Kopf mit einem weißen Tuch, Und lasse den grauen Falken meiner Familie mein Schicksal erzählen.

[...]
 
Ich pflücke eine Rosenblume und werfe sie ins Wasser: Schwimm, du, Rosenblume, zu meiner Familie. Die Rosenblume ist weit geschwommen und hielt am Ufer, Die Mutter kam, um Wasser zu holen, und erkannte die Blume. Bist du, Hanna, ein Jahr oder zwei krank gelegen, dass deine Blume im Wasser verwelkt ist? Liebe Mutter, ich bin kein Jahr lang gelegen, noch zwei Jahre krank gewesen, Bin in böse Hände geraten und untergegangen…

Übersetzer:innen: Claudia Dathe, Susanne Macht and Nelia Vakhovska
Ein Thema, das Hanna immer wieder schmerzt, ist die Einsamkeit, der sie in ihren Briefen mehrfach zum Ausdruck verleiht. „Vergiss mich nicht, denn ich bin hier eine arme Waise“, schreibt sie am 31. Dezember 1942 an ihre Mutter.
Hannas Leben als Fabrikarbeiterin in Gelsenkirchen zieht sich bis 1945. Im Jahr 1945 wird sie allerdings zusammen mit den anderen Arbeitern weiter von der Front entfernt evakuiert – nach Lünen. Dort lernt Hanna einen anderen Arbeiter aus der Ukraine kennen, Mykola Burlaka, der ursprünglich aus dem Dorf Rozumivka  in der Region Kirovohrad  stammt. Er ist ein Jahr älter als Hanna und hat die siebte Klasse der Schule abgeschlossen. Vom 8. Juli bis 21. August 1943 arbeitet er auf der Zeche Victor-Ickern in Castrop-Rauxel und vom 24. August 1943 bis 30. März 1945 auf der Zeche Victoria in Lünen. Es ist nicht bekannt, wie genau sie sich kennenlernen, aber bei der „Filtrierung“ nach ihrer Rückkehr in die Sowjetukraine wird Hannas Familienstand als „verheiratet“ angegeben. Ihre Beziehung wird später durch Korrespondenz und Erzählungen von Mykolas Verwandten bekannt. 1945 kehrt Hanna in ihr Heimatdorf zurück, und Mykola geht zum Arbeiten nach Sowjetrussland. Ein paar Jahre später kehrt er in sein Heimatdorf zurück und heiratet eine andere Frau. 1949 wird seine Tochter Hanna geboren – wahrscheinlich benannt nach Hanna Pastuch, „der ersten Frau“. Es ist Mykolas Tochter Hanna, die uns die Geschichte von Hanna Pastuch und Mykola Burlaka erzählt, da sie das einzige gemeinsame Foto des Paares aufbewahrt, das in Lünen aufgenommen wurde.
Mykola Burlaka stirbt im Jahr 1978. Er und Hanna sollten sich nach 1945 nie wieder sehen.
Als am 2. April 1945 die US-Armee in Gelsenkirchen einrückt, wird Hanna entlassen und der sowjetische Seite überstellt. Wie bereits erwähnt, musste sie ein sowjetisches „Filterverfahren" durchlaufen, bei dem sie auf „Zuverlässigkeit" geprüft wird. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie in einer Kolchose nahe ihres Heimatdorfes. Hanna heiratete nie wieder und lebt bis zu ihrem Tod im Jahr 1983 allein.
Hannas Geschichte steht in gewisser Weise prototypisch für das grausame Schicksal vieler Zwangsarbeiterinnen. Gegen ihren Willen nach Deutschland verschleppt, leiden sie unter harter Arbeit, Unterernährung, schlechten Lebensbedingungen und Einsamkeit. Briefe sind die einzige Verbindung zur Heimat und verkörpern die Hoffnung auf eine Rückkehr und darauf, dass dort eine Familie auf sie warten möge. Nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion werden viele dieser Menschen jedoch von den Behörden, ihren Nachbarn und anderen Dorfbewohnern mit Argwohn und Misstrauen behandelt. Die ukrainische Forscherin Tatjana Pastuschenko betont, dass Zwangsarbeiter oft als „Verräter, die dem Feind freiwillig geholfen haben", betrachtet werden. Selbst wenn sie nach ihrer Rückkehr einer sowjetischen Filterung unterzogen worden waren, mussten die ehemaligen Arbeiter viele Suggestivfragen beantworten, darunter „Welche Sowjetbürger, mit denen Sie in Deutschland waren, kennen Sie als Vaterlandsverräter?".
Von Januar bis Februar 2024 wird die Geschichte von Hanna Pastuch in Gelsenkirchen in der Ausstellung „Aus der Ferne in meine Ukraine. Briefe der Zwangsarbeiterin Hanna Pastuch aus Gelsenkirchen, 1942–1943“ präsentiert. Indem sie Hannas persönliche Erfahrungen und Erzählungen beleuchtet, leistet diese Ausstellung sowie die laufenden Recherchen einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Zwangsarbeit in Deutschland. Die Ausstellung wurde zuvor vom 22. November 2024 bis 14. Dezember 2024 in der Universität Münster präsentiert. Eine weitere Station der Ausstellung ist im April 2025 in Bochum geplant.

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