Historiker:innen haben sich lange mit der Interpretation des kolonialen Status von Bosnien-Herzegowina schwergetan. Dies liegt unter anderem daran, dass das Habsburgerreich die Idee einer Kolonisierung offiziell ablehnte. Der Beitrag zeigt jedoch auf, dass die Abgeordneten des ungarischen Unterhauses Bosnien-Herzegowina zwischen 1878 und 1918 einhellig als Kolonie betrachteten.

Die konzeptionellen Grenzen zwischen „kolonialen“ Imperien und dem russischen, österreichisch-ungarischen und osmanischen Reich waren im späten neunzehnten Jahrhundert nicht klar gezogen. Die Osmanen hatten ihre kolonisatorischen Unternehmungen im Jemen und im heutigen Libyen, die Russen in Zentralasien; Österreich-Ungarn übernahm die osmanische Provinz Bosnien und behandelte es als eine Art Kolonie. Diese Imperien hatten ihre historische Art, mit lokalen Eliten umzugehen, und passten sich in ihren Gebieten auf flexible Weise an, was die kolonialen Beziehungen erschwerte.

Cooper, Frederick: Epilogue. Beyond Empire?, in: Fibiger Bang et al (eds.): The Oxford World History of Empire. Volume 2: The Imperial Experience. Oxford, 2021. S. 1256.
Einleitung
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Betrachtet man die koloniale Vergangenheit der europäischen Staaten um die Jahrhundertwende genauer, so bleibt auf der Landkarte nur der Platz eines Reiches leer. Dieser weiße Fleck auf dem Kontinent ist kein anderer als 
Österreich-Ungarn
deu. Donaumonarchie, deu. Doppelmonarchie, deu. Habsburgerreich, deu. Habsburgisches Reich, deu. Habsburgermonarchie, hun. Osztrák-Magyar Birodalom, eng. Austria-Hungary, eng. Austrian-Hungarian Monarchy, eng. Austrian-Hungarian Empire

Österreich-Ungarn (ung. Osztrák-Magyar Monarchia), auch als k. u. k. Monarchie bekannt, war ein historischer Staat in Mittel- und Südosteuropa, der von 1867 bis 1918 bestand.

. Der Mangel an einschlägiger Forschung ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass es mit dem früheren Selbstverständnis des 
Habsburgerreich
eng. Habsburg Empire, deu. Habsburgermonarchie, deu. Donaumonarchie, eng. Habsburg Realm, eng. Habsburg monarchy

Als Habsburgerreich (auch Habsburgermonarchie oder Donaumonarchie) werden die Territorien und Länder bezeichnet, die von den Herrschern und Herrscherinnen aus dem Haus Habsburg bzw. Habsburg-Lothringen vom Mittelalter bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Personalunion regiert wurden – jedoch lange keinen zusammengehörigen Staat im engeren Sinne bildeten. Erst 1804 wurde das Kaisertum Österreich als ein solcher gegründet, aus dem 1867 Österreich-Ungarn bzw. die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie hervorging.

Zum Habsburgerreich gehörten eine Vielzahl von kleineren und größeren Ländern und Territorien, die überwiegend zu mehreren größeren Gruppen zusammengefasst wurden. Dazu gehörten neben dem Erzherzogtum Österreich und seinen Nebenländern (darunter etwa die Herzogtümer Kärnten, Krain, Salzburg und weitere) vor allem die sog. „Länder der Böhmischen Krone“ sowie die „Länder der ungarischen Krone“. Hinzu kommen zahlreiche weitere Territorien und Landesteile, nicht zuletzt und angesichts der Expansionspolitik des 19. Jahrhunderts auch auf dem Balkan (u. a. Bosnien und Herzegowina). Angesichts der zahlreichen Grenzverschiebungen, territorialer Neuordnungen sowie auch nur zeitweiliger territorialer Gewinne und Verluste war das Habsburgerreich praktisch durchgängig Grenz- und Gebietsänderungen unterworfen.

Seit dem späten 18. Jahrhundert bildeten die meisten Teilstaaten des Habsburgerreiches die sog. Kronländer, die später eigene Landesordnungen erhielten. Mit der Umwandlung des Kaisertums in einen österreichisch-ungarischen Doppelstaat (Doppelmonarchie) schieden das Königreich Ungarn und die weiteren Länder der ungarischen Krone auch aus dem Kreis der Kronländer aus. Im Anschluss wurden sie im behördlichen Sprachgebrauch auch als Transleithanien bezeichnet, alle weiteren (ohne Bosnien und die Herzegowina) als Cisleithanien.

 inkompatibel war, über sich als Kolonialmacht zu reflektieren. Ferner wurde nach seinem Zusammenbruch im Jahr 1918 die Möglichkeit einer kolonialen Vergangenheit von den nationalen Historiographien und den politischen Eliten der Nachfolgestaaten des Donauraums noch vehementer geleugnet als von der früheren imperialen Propaganda.1 
Ein weiterer Grund für den Mangel an einschlägiger Forschung ist, dass es Schwierigkeiten birgt, Theorien und Perspektiven, die sich auf Kolonialismus beziehen, auf die ehemalige Donaumonarchie anzuwenden. Zum einen wurden die gängigen Theorien im Wesentlichen in Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit der transatlantischen und nicht der osteuropäischen Länder formuliert. Zum anderen war die Terminologie der internationalen Diplomatie und des Völkerrechts vor 1914 bei weitem nicht so einheitlich, wie es die internationale Geschichtsschreibung suggerieren mag. Das Habsburgerreich verfügte über eine ihr ganz eigentümliche imperiale Terminologie und eigene Konzepte etwa im Zusammenhang mit imperialer Reichsbildung und Kolonisation.
Aus diesem Grund gibt es bisher nur wenige Publikationen, die sich systematisch mit der kolonialen Vergangenheit Österreich-Ungarns auseinandergesetzt haben. Es existieren jedoch einige Fallstudien, die sich vor allem auf die Geschichte 
Bosnien und Herzegowina
srp. Босна и Херцеговина, srp. Bosna i Hercegovina, bos. Bosna i Hercegovina, hrv. Bosna i Hercegovina, eng. Bosnia–Herzegovina, eng. Bosnia and Herzegovina

Bosnien und Herzegowina ist ein Bundesstaat im südöstlichen Europa. Das Land wird von rund 3 Millionen Menschen bewohnt (2022: 3,23 Mio.) und setzt sich aus den politischen Teilgebieten Republika Srpska, der Föderation Bosnien und Herzegowina und dem Distrikt Brčko zusammen. Bosnien und Herzegowinas Hauptstadt ist Sarajevo. Das Land wird der Balkanhalbinsel zugeordnet und grenzt ans Adriatische Meer. Die Bosnien stellen neben den Serben und Kroaten die größte Bevölkerungsgruppe.

Geografisch setzt sich das Land zusammen aus den historischen Regionen Bosnien und der Herzegowina, deren wechselhafte politische Geschichte in engem Zusammenhang mit den jeweiligen historischen Nachbarstaaten und der Lage auf dem Balkan steht. Bereits seit dem 15. Jahrhundert gehörten die südlichere Herzegowina und große Teile Bosniens zum Osmanischen Reich, das hier an das nördlich gelegene, christlich geprägte Habsburgerreich grenzte. Ende des 19. Jahrhunderts kamen beide Regionen zunächst unter österreichisch-ungarische Finanzverwaltung, 1908 folgte schließlich die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn, was zu einer politischen Krise führte. 1914 waren regionale Freiheitsbewegungen wie „Mlada Bosna“ („Junges Bosnien“) am Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand (1863–1914) beteiligt, das in letzter Konsequenz zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914–1918) und schließlich zum Zusammenbruch Österreich-Ungarns führte.

Ab 1918 gehörten Bosnien und die Herzegowina zum neu errichteten „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (1918–1929), das ab 1929 als „Königreich Jugoslawien“ firmierte, jedoch bereits 1941 infolge deutscher Eroberung im Zweiten Weltkrieg unterging. Ab 1945 war die sozialistische Republik Bosnien und Herzegowina Teil des wiedererrichteten, nun kommunistischen Jugoslawiens. Vor dem Hintergrund des zunehmend kriegerischen Zerfalls des Landes im Rahmen der Jugoslawienkriege (1991–2001) konnte Bosnien-Herzegowina seine 1992 erklärte Unabhängigkeit erst infolge des opferreichen dreijährigen Bosnienkriegs (1992–1995) durchsetzen.

 unter österreichisch-ungarischer Herrschaft beziehen und auf deren Grundlage einige Historiker:innen die Donaumonarchie als Kolonialreich bezeichnen. Außerdem wurde eine komparative Studie über das besetzte Bosnien-Herzegowina mit Britisch-Indien und Britisch-Ostafrika begonnen.2
Österreich-Ungarn als Kolonialreich – ein analytischer Ansatz
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Die folgende Untersuchung stützt sich auf empirische Erfahrungen und auf Fakten aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Erstens stößt man bei Recherchen im Österreichischen Nationalarchiv immer wieder auf unveröffentlichte Dokumente, wonach die Diplomaten des britischen „Foreign Office“ und des französischen Außenministeriums das Habsburgerreich als Kolonialmacht betrachteten. Zweifellos verfügten das britische und französische diplomatische Corps im 19. Jahrhundert über mehr Wissen über den Kolonialismus als die Historiker:innen des 20. und 21. Jahrhunderts in Mitteleuropa, von denen sich die meisten bis heute weigern, die Möglichkeit eines kolonialen Erbes der Donaumonarchie zu erwägen. Zweitens wurde in dem 1894 in Brüssel gegründeten „Institut Colonial International“ jedem Land eine Anzahl von Sitzen zugewiesen, die seiner vermeintlichen „kolonialen Bedeutung“ entsprach. Unter den Mitgliedsstaaten befand sich auch Österreich-Ungarn.3 Die Erforschung des Habsburgerreiches wird auch heute noch gerne übergangen, wenn es um die Erforschung ähnlicher Sachverhalte geht.
Demnach lag die Vermutung nahe, dass, wenn Österreich-Ungarn tatsächlich ein Kolonialreich war, der Beweis für diese Aussage durch die Erforschung der Geschichte der ungarischen Reichshälfte erbracht werden könnte. Die vorliegende Arbeit untersuchte die Debatten im ungarischen Abgeordnetenhaus, in denen die Begriffe Kolonie (gyarmat) und Kolonialisierung (gyarmatosítás) verwendet wurden.
Vorkommen des Begriffs Kolonie in den Debatten der ungarischen Abgeordnetenkammer
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Bei der Analyse der Ideen und des Vokabulars in den Debatten der Abgeordnetenkammer können drei wichtige Beobachtungen gemacht werden. Zum einen zeigte sich, dass das Wort Kolonie im ungarischen politischen Diskurs mannigfaltige Bedeutungen aufwies und dass der politische Begriff des Kolonialismus in Ungarn nicht westeuropäischen Ursprungs war, sondern mitteleuropäische Wurzeln hatte. Zum anderen wurde deutlich, dass Bosnien-Herzegowina, das mit Genehmigung des Berliner Großmächtekongresses (1878) besetzt worden war, im ungarischen Abgeordnetenhaus zwischen 1878 und 1918 als österreichisch-ungarische Kolonie betrachtet wurde. Drittens konnte die Frage beantwortet werden, wie die ungarische politische und wirtschaftliche Elite nach 1867 mit den Themen imperialer Reichsbildung und Kolonialismus umging.
Zwischen den Jahren 1878 und 1914 wurden die Begriffe Kolonie oder Kolonisation in insgesamt 522 parlamentarischen Anfragen oder Reden im ungarischen Abgeordnetenhaus verwendet. Mehr als zwei Drittel dieser Anfragen wurden von Politikern der Oppositionsparteien getätigt – hauptsächlich von Mitgliedern der Partei der Unabhängigkeit und der 48er, die das dualistische System ablehnten.
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Die verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Wortes „Kolonie“ lassen sich in acht Kategorien einteilen. Analysiert man die einschlägigen parlamentarischen Anfragen anhand der Kategorien, so sind in der ersten Gruppe eindeutig jene zu finden, die sich für unsere Untersuchung als praktisch unbrauchbar erwiesen haben. Diese Kategorien liegen etwa vor, wenn der Begriff Kolonie im Sinne von „Siedlung/Standort/Einrichtung“ oder „Diaspora“ verwendet wurde; oder wenn auf die afrikanischen und asiatischen Kolonien anderer Kolonialmächte verwiesen wurde; vielleicht auch, wenn die Sprecher argumentierten, dass die Donaumonarchie keine Kolonien besaß. Der Grund dafür ist simpel: Aus den obigen Aussagen geht hervor, dass die Abgeordneten die Welt im Wesentlichen durch die Brille der bipolaren Dichotomie von Kolonisator und Kolonisierten betrachteten und keinen rechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen Unterschied zwischen den britischen, französischen, italienischen, spanischen, deutschen, niederländischen oder dänischen Kolonien oder überseeischen Dependenzen sahen. Der Begriff der Kolonie war ein bloßer Sammelbegriff, innerhalb dessen sich keine Binnenunterscheidungen herausbildeten.
Politische Auslegung des Begriffs Kolonie
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Ein ganz anderes Bild bietet sich, wenn man die parlamentarischen Anfragen analysiert, in denen das 
Königreich Ungarn
eng. Kingdom of Hungary, hun. Magyar Királyság

Das Königreich Ungarn (Magyar Királyság) bestand in wechselnden Grenzen seit dem Jahr 1000 und fiel bereits in der Frühen Neuzeit an die Habsburgermonarchie, in der es später das wichtigste der sog. Länder der ungarischen Krone wurde (auch Länder der Heiligen Ungarischen Stephanskrone bzw., nach 1867, auch als ungarische Reichshälfte bezeichnet). Im Gegensatz zu anderen Territorien der Habsburger - wie den Ländern der böhmischen Krone oder dem Erzherzogtum Österreich selbst - gehörte das Königreich Ungarn nie zum Heiligen Römischen Reich.

 als Kolonie Österreichs bezeichnet wurde (50,9 %), in denen das besetzte Bosnien-Herzegowina als österreichisch-ungarische Kolonie betrachtet wurde (4,2 %) oder in denen Österreich-Ungarn als ein Imperium auftrat, das danach strebte, Kolonien auf globaler Ebene zu erwerben (7,4 %). Dies sind die Debatten, in denen sich die Entwicklung des ungarischen Koloniebegriffs und seines semantischen Feldes sehr gut untersuchen lässt. Die im Abgeordnetenhaus um die Jahrhundertwende verwendete Interpretation des Begriffs Kolonie, unabhängig davon, ob sie sich auf das Wort als politisches, wirtschaftliches, philosophisches oder kulturelles Konzept bezog, wurzelte im Selbstverständnis jener Ungarn, oder besser gesagt in einer realen oder angenommenen historischen Situation. Dieses Selbstverständnis basierte auf der Annahme, dass sich das Königreich Ungarn vor 1867 in einer kolonialen Position innerhalb des Habsburgerreiches befand. Die politische Erinnerung an diese angenommene oder reale historische Situation teilten Regierungs- wie Oppositionsparteien.
Die politische Dimension des Begriffs „Kolonie“ in Bezug auf Ungarn wurde zwischen 1898 und 1901 in den Reden eines der Führer der nationalen Opposition, Ferenc Kossuth (Sohn von Lajos Kossuth) theoretisch entwickelt. In diesen Jahren unternahm der gemeinsame Außenminister Agenor Gołuchowski einen offenen Versuch, Österreich-Ungarn zu einer Großmacht mit überseeischen Kolonien (Rio de Oro, Tianjin) weiterzuentwickeln.4 Einige Elemente der Kossuthschen Interpretation hatten zuvor schon separat existiert, aber in seinen Reden kamen sie zum ersten Mal in dieser Form zusammen. Nach Ansicht des Politikers ist eine Kolonie ein Agrarland, das Agrar- und Rohprodukte produziert und von einem stärker industrialisierten Staat wirtschaftlich beherrscht und kontrolliert wird. Die wirtschaftliche Kontrolle übt der Industriestaat als alleiniger Inhaber der Zoll- und Handelspolitik aus, die es ihm auch ermöglicht, in dem kolonisierten Agrarland einen sicheren Absatzmarkt für seine eigenen Industriegüter zu schaffen.5 Diese Interpretation von Kossuth blieb im Zuge der Debatten im ungarischen Parlament bis 1914 im Wesentlichen unverändert. (Einerseits beschrieb diese Definition das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Bosnien-Herzegowina, andererseits kann sie auch für die Theoretiker, die sich mit dem Kolonialismus unserer Zeit beschäftigen, als begriffliches Werkzeug dienen).
Untersucht man die Reden, in denen die Parlamentarier über Österreich-Ungarn als ein Imperium reflektierten, das in der Lage war, globale koloniale Dynamiken anzustoßen (7,4 %), und in denen der Begriff Kolonie im Zusammenhang mit Bosnien-Herzegowina verwendet wurde (4,2 %), lässt sich eindeutig nachweisen, dass die ungarische politische Öffentlichkeit (und auch die Politik- und Wirtschaftspresse) Bosnien-Herzegowina zwischen 1878 und 1918 als österreichisch-ungarische Kolonie begriff. In den Beiträgen der Regierungs- und Oppositionsvertreter prallten nicht die Ansichten darüber aufeinander, ob die besetzten Provinzen Kolonien waren, sondern ob die österreichisch-ungarische Monarchie (im Vergleich zu verschiedenen britischen, französischen, deutschen und russischen Analogien) ein guter Kolonisator war und ob sie eine angemessene Kolonialpolitik verfolgte. Darüber hinaus machten sie sich Gedanken darüber, in welchem Umfang und auf welche Weise sich das Königreich Ungarn an den Aufgaben des gemeinsamen Reiches in Bosnien beteiligen sollte, d.h. welche Ziele die politische Elite Ungarns bei ihren Bemühungen um eine Beteiligung an der Verwaltung von Bosnien-Herzegowina verfolgen sollte.
Ungarns koloniale Mission
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Eine der unerwarteten Folgen der einschlägigen Debatten (1898–1903) war, dass im 
Budapest

Budapest ist die Hauptstadt Ungarns und mit ca. 1,7 Millionen Einwohner:innen die größte Stadt des Landes. Sie liegt in Mittelungarn an der Donau. Budapest ist 1873 durch die Zusammenlegung der Städte Buda und Pest entstanden.

 Parlament eine große politische Kampagne gegen die als ‚despotisch‘ aufgefassten Regierungspraktiken des gemeinsamen Finanzministers von Österreich-Ungarn und Gouverneurs von Bosnien-Herzegowina Benjámin Kállay gestartet wurde. Die Oppositionsparteien griffen formell die Person des Gouverneurs an. Die eigentliche Debatte drehte sich jedoch um die Frage, in welche Richtung sich das gemeinsame Reich in Zukunft entwickeln möge und wie die zivilisatorische Mission der Ungarn in den außenpolitischen Bestrebungen ihren Ausdruck finden sollte. Die Merkmale und Folgen dieser Debatte in Ungarn ähneln stark dem Impeachment-Prozess gegen Warren Hastings (1788-1794) Impeachment-Prozess gegen Warren Hastings (1788-1794) Warren Hastings war der erste Generalgouverneur der Ostindien-Kompanie in Bengalen. Im Jahr 1788 wurde er im britischen Unterhaus der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Anwendung gewaltsamer politischer Mittel angeklagt. Die Anklage wurde von Edmund Burke vertreten, der die gesamte Ostindien-Kompanie für Hastings' despotische Politik verantwortlich machte. Der parlamentarische Prozess und die darauf folgende politische, philosophische und soziale Debatte weiteten sich bald aus und wurden zu einer Debatte über zwei Themen: ob die britische Nation das Recht hat, über andere Nationen zu herrschen, und wenn ja, ob diese Macht despotisch oder demokratisch sein sollte. In den Prozessreden wurde das Verhältnis zwischen liberalen Grundsätzen und Menschenrechten und dem Imperialismus und Kolonialismus des Staates untersucht (ob der Staat seine Macht über seine Untertanen in eroberten Gebieten missbrauchen kann).  in Großbritannien.
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Die Opposition bezeichnete Kállays Politik als despotisch, da sie keinerlei gesetzlichen Beschränkungen unterworfen war. Nach der Lesart ungarischer Liberaler galten all jene Staaten und Reiche als despotisch, die über keine Verfassung verfügten. Das Jahr 1867 markierte einen Wendepunkt im Leben des habsburgischen Mitteleuropas, weil es der politischen Elite in Ungarn gelang, beide Staaten des neu organisierten Reiches (Österreich-Ungarn), den österreichischen Kaiserstaat und das Königreich Ungarn, zu zwingen, weiterhin auf einer verfassungsmäßigen Grundlage zu operieren. Mit diesem Akt brach die Habsburger-Dynastie auch mit der Praxis der uneingeschränkten Machtausübung über die Völker des von ihr beherrschten Reiches. So wie Ungarn Österreich zivilisierte, indem es 1867 eine Verfassung erzwang, bestand das Hauptziel der ungarischen Zivilisierungsmission in Bosnien-Herzegowina darin, den besetzten Provinzen eine eigene Verfassung zu geben. Für die ungarische Opposition waren Verfassungsmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit die Voraussetzungen für eine Beteiligung an der kolonialen Verwaltung von Bosnien und Herzegowina.
Zum dritten Punkt ist es wichtig festzustellen, dass die Behauptungen der internationalen Geschichtsschreibung, die politischen und wirtschaftlichen Eliten des ungarischen Teilreiches hätten die Kolonialisierungsbemühungen des gemeinsamen Außenministeriums behindert oder gar verhindert, anhand der parlamentarischen Debatten über den Kolonialismus eindeutig widerlegt werden kann.6 Die gesellschaftlichen Eliten des ungarischen Teilreichs waren unter den drei folgenden Bedingungen gewillt, die imperialistische und koloniale Politik des gemeinsamen Reiches mitzutragen. (1) Das Zielgebiet dieser Politik habe nicht Afrika oder Asien zu sein, sondern die Balkanhalbinsel. (2) Die Grundlagen des dualistischen Systems sollten wegen dieser Politik nicht neu verhandelt werden müssen, d.h. die Kolonisierung sollte nicht zu einem weiteren gemeinsamen Handlungsfeld werden und folglich kein viertes gemeinsames Ministerium erhalten. (3) Schließlich dürfe der Begriff Kolonialismus für diese Bestrebungen nicht verwendet werden.
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Die nationale Opposition der Abgeordnetenkammer versöhnte sich schließlich mit den oben genannten Bestrebungen und wurde nach 1908 sogar zu deren aktiven Unterstützern. Der Grund dafür ist simpel: Es gelang ihnen, die Kolonialpolitik mit den nationalistischen Traditionen des ungarischen Liberalismus in Einklang zu bringen. In der Möglichkeit, die ungarischen Verfassungsprinzipien auf Bosnien-Herzegowina auszudehnen, sahen sie nicht mehr eine rechtseinschränkende Expansion im Sinne der habsburgisch-absolutistischen Traditionen, sondern eine rechtsstärkende Integration im Sinne der Tradition des ungarischen Liberalismus. Sie glaubten, die Bewohner Bosnien-Herzegowinas durch die Kolonisation zu modernisieren und zu zivilisieren und damit neben der Erweiterung der europäischen Rechtsordnung auch ihre zivilisatorischen Pflichten gegenüber der Menschheit zu erfüllen.

Siehe auch