Von halbfertigen Bienenkörben bis zu filigranen Stickereien – das Museum Europäischer Kulturen in Berlin (MEK) verwahrt eine Vielzahl an Objekten aus Südosteuropa. Bei aller Faszination, die diese bis heute auslösen: Warum sollten wir uns für sie interessieren? Und was kann materielle Kultur zu einem „postkolonialen“ Blick auf Südosteuropa beitragen?
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Von gesplitterten Holzkellen, halbfertigen Bienenkörben, schlichten Backmulden und Spinnrocken bis hin zu farbenprächtiger Tonware, aufwändig verzierten Textilien und alten Ikonen – das Museum Europäischer Kulturen in Berlin (MEK) verwahrt eine Vielzahl an Objekten aus unterschiedlichen Regionen des gesamten . Ein großer Teil von ihnen geht auf die Sammeltätigkeit des Journalisten und Fotografen Gustav-Adolf Küppers zurück. Von 1935 bis 1939 bereiste er mit Ausnahme Albaniens und Griechenlands alle Balkanstaaten und legte so den Grundstein für eine der bis heute größten Sammlungen an Alltagsgegenständen und Fotografien aus Südosteuropa im deutschsprachigen Raum. Im Jahr 1999 gelangten die etwa 3.600 ethnografischen Objekte und 1.600 Aufnahmen an das damals neugegründete MEK.1
Balkan
ell. Valkanikí chersónisos, ell. Valkánia, ell. Βαλκανική χερσόνησος, ell. Βαλκάνια, sqi. Ballkanik, sqi. Gadishulli i Ballkanit, sqi. Ballkani, bul. Balkanski poluostrov, bul. Балкански полуостров, srp. Балканско полуострво, bos. Balkansko poluostrvo, hrv. Balkanski poluotok, eng. Balkan Peninsula, eng. Balkans, deu. Balkanhalbinsel, srp. Balkansko poluostrvo
Die Balkanhalbinsel befindet sich im Südosten Europas und kann nicht eindeutig geographisch eingeordnet werden. Sie liegt zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer im Westen und Osten, dem Mittelmeer im Süden und der Donau im Norden. Der Balkan wird von ungefähr 55 Millionen Menschen bewohnt und ist Heimat vieler Bevölkerungsgruppen.
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Holzkelle, erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Bienenkorb (unfertig), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Backmulde, erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Maik Schult / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Männermieder, erworben in Bosnien (keine Ortsangabe), 1935 (zum Objekt in der Datenbank)
Südosteuropa postkolonial?!
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Bei aller Faszination, die die Objekte mit ihren zum Teil sichtbaren Gebrauchsspuren bis heute auslösen: Warum sollten wir uns für sie interessieren? Sind es nicht die üblichen Gegenstände, die sich zuhauf in heimatkundlichen und ethnografischen Museumssammlungen befinden? Und was können sie zu einem ‚postkolonialen‘ Blick auf Südosteuropa beitragen? Ist dieser Begriff für ein Verständnis volks- und völkerkundlicher Sammlungspraxis überhaupt geeignet? Gerade hier geht es doch eben nicht um Heiligtümer oder Kunstgegenstände aus den Kolonien, sondern zumeist um abgelegte, nicht mehr gebrauchte Dinge aus europäischen Gesellschaften.2
Wie die Völkerkunde war auch die Volkskunde von einem „Rettungsparadigma“ durchdrungen, das charakteristisch war für den europäischen Modernediskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts.3 Dieser wurde nicht zuletzt geprägt von einer mehr oder weniger dualistischen Sicht auf die Welt: Dynamische und kosmopolitische ‚Zentren‘ auf der einen und ländliche, statische ‚Ränder‘ auf der anderen Seite, deren kulturelle Erzeugnisse langfristig dem Untergang geweiht seien.4
Unter Bezugnahme auf die postkoloniale Theoriebildung sind in den letzten Jahren immer mehr Arbeiten entstanden, die sich mit der Produktion dieser Vorstellungen und ihren wissensgeschichtlichen Implikationen auch innerhalb Europas beschäftigt haben. Insbesondere der ‚Osten‘ des Kontinents ist dabei als eine Art „other within“ analysiert worden, das ‚dem Westen‘ häufig als identitätsstiftende Gegenfolie dient.5 Während der Balkanraum für die Analyse jener Alteritätsdiskurse anfangs noch ein wichtiger Referenzpunkt war, spielt die Region in neueren Arbeiten kaum noch eine Rolle.6 Meine Ausführungen gehen deshalb in gewisser Weise ‚zurück‘ in der Debatte. Sie fokussieren zudem die bislang recht unterbeleuchtete Dimension musealer Wissensproduktion: Sie sind somit auch ein Plädoyer für die Erweiterung eines rein textlich-diskursiven Zugangs und eine stärkere Einbeziehung der materiellen Kultur.
Porträtaufnahme Gustav-Adolf Küppers (1950). P 1, No. 1906 / Archiv der deutschen Jugendbewegung, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Porträtaufnahme Gustav-Adolf Küppers (1950). P 1, No. 1906 / Archiv der deutschen Jugendbewegung, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Gustav-Adolf Küppers mit seiner ersten Frau Eva vor der selbstgezimmerten Hütte auf dem „Sonnenberg“ (1915). P 1, No. 1906 / Archiv der deutschen Jugendbewegung, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Gustav-Adolf Küppers mit seiner ersten Frau Eva vor der selbstgezimmerten Hütte auf dem „Sonnenberg“ (1915). P 1, No. 1906 / Archiv der deutschen Jugendbewegung, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Gustav Adolf Küppers. Vom Siedler zum Sammler
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Als er sich ab Mitte der 1930erJahre auf Sammlungsreisen für das Berliner Museum für Völkerkunde begab, blickte der 1894 in Krefeld geborene Gustav-Adolf Küppers bereits auf ein bewegtes Leben zurück.7 Nach einem kurzen Studium der Germanistik, Theologie und Landwirtschaft in Göttingen verschrieb er sich dieser Kombination auch praktisch und begann ab 1915 – als Kriegsinvalide mit nur einem Bein – in der Lüneburger Heide ein Stück Land urbar zu machen. Dieses nannte er den „Sonnenberg“ und trug diesen fortan als inoffiziellen Namenszusatz. Bereits vor dem Krieg war Küppers im Dunstkreis des
Wandervogels
Wandervogel
Der „Wandervogel“ entstand 1896 in Steglitz/Berlin als Bewegung von Schüler:innen und Student:innen. Sie markierte den Beginn der Jugendbewegung mit der Erprobung alternativer Lebensweisen. Schon früh setzten Spaltungen ein. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg sortierte sich die Bewegung neu und viele Verbände wurden Teil der völkisch-nationalistisch ausgerichteten „Bündischen Jugend“. Ab 1933 wurden diese und andere Wandervogelgruppierungen in die Hitlerjugend einverleibt.
aktiv gewesen und bekannt mit zahlreichen Vertretern der
Lebensreform
Lebensreform
Lebensreform bezeichnet eine Vielzahl verschiedener sozialreformistischer Strömungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie beinhalteten alternative Formen des Wohnens, der Erziehung, Ernährung, Sexualität und anderer Aspekte des Alltags und Zusammenlebens. Gemeinsam war ihnen die Ablehnung von Industrialisierung und Urbanisierung und eine Kritik an der damit einhergehenden Entfremdung vom menschlichen „Naturzustand“. Die Bewertung der Reformbewegung, deren Protagonisten zum Teil auch völkische Positionen vertraten, ist unter Historiker:innen insofern durchaus umstritten.
- und Jugendbewegung. Zugleich war er zeit seines Lebens ein notorischer Vielschreiber. Dies war bedingt durch finanzielle Nöte, die ihn zwangen, sich durch publizistische Beiträge über Wasser zu halten. Zudem war Küppers sehr bemüht um Anerkennung im heterogenen Milieu der Reformbewegungen, was ihn früh auch mit anti-modernistischen, völkischen und auch antisemitischen Positionen in Verbindung brachte. Ihnen blieb er teilweise auch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden, als er sich einen gewissen Bekanntheitsgrad als Züchter der Knollenpflanze Topinambur erworben hatte.8Wenngleich Küppers nie Mitglied der NSDAP war und er dem nationalsozialistischen Einparteienstaat bisweilen ambivalent gegenüberstand, zeugen seine frühen Texte von einer klaren Identifikation mit dessen völkischen und rassistischen Grundpfeilern. Auch die ab den mittleren 1930er Jahren veröffentlichten Aufsätze zum Balkan waren geprägt von einer rassistischen Rhetorik, die über eine zuweilen womöglich notwendige „Anpassung“ an den herrschenden Jargon weit hinausging.9 Es verwundert insofern kaum, dass ihm in der späteren DDR seine Sammlungsreisen als „nazistische Propaganda in Wort und Schrift“ ausgelegt wurden.10 Auch die Tatsache, dass Küppers neben den Sammeltätigkeiten Fingerabdrücke der lokalen Bevölkerung für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Eugenik anfertigte und seine Reisen durch das Propagandaministerium gefördert wurden, machen seine spätere Behauptung von einer klaren Regimegegnerschaft wenig glaubhaft.
Küppers hielt mithilfe eines Phonografen auch das lokale Liedgut fest, Abb. in: Gustav-Adolf Küppers Sonnenberg, Einbeiner am Steuer. Eine Balkanfahrt, Hannover 1937, S. 20. Hanomag, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Küppers hielt mithilfe eines Phonografen auch das lokale Liedgut fest, Abb. in: Gustav-Adolf Küppers Sonnenberg, Einbeiner am Steuer. Eine Balkanfahrt, Hannover 1937, S. 20. Hanomag, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Küppers Reisebegleitung, seine Tochter Heimtraut und ihre Freundin bei der Anfertigung daktyloskopischer Aufnahmen, Abb. in: Gustav-Adolf Küppers Sonnenberg, Einbeiner am Steuer. Eine Balkanfahrt, Hannover 1937, S. 34. Hanomag, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Küppers Reisebegleitung, seine Tochter Heimtraut und ihre Freundin bei der Anfertigung daktyloskopischer Aufnahmen, Abb. in: Gustav-Adolf Küppers Sonnenberg, Einbeiner am Steuer. Eine Balkanfahrt, Hannover 1937, S. 34. Hanomag, Rechte vorbehalten - freier Zugang
In den Balkan
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Wann genau Küppers‘ Pläne für eine Sammelreise in den Balkan Gestalt annahmen, ist anhand der Quellen nicht eindeutig zu klären.11 Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Sozialisation im jugendbewegten Alternativmilieu der 1920er Jahre eine maßgebliche Rolle spielte. Vor allem seine dezidiert modernefeindlichen und kulturpessimistischen Positionen, womöglich auch ein spiritueller Drang, abseits von Urbanisierung und gesellschaftlicher Vermassung zum ursprünglichen ‚Kern‘ des Lebens vorzudringen, dürften zu einem stark verklärten Blick auf die vermeintlich primitiven ‚Ränder‘ des Kontinents beigetragen haben.12 Sein nachträglich protokolliertes Streben, bei seinen Reisen „die vom Kulturzusammenstoß bedrohte untergehende Welt alter, bodenständiger Volkskultur noch einzufangen“, scheint dabei geradezu exemplarisch für jenen Balkandiskurs zu sein, der von der Historikerin Maria Todorova als „Balkanismus“ bezeichnet wurde: Die Darstellung des Balkans als Ort des Primitiven und Unzivilisierten, auf der Schwelle zwischen Orient und Okzident.
Neben diesen ideologischen Dispositionen des Sammlers dürften auch deutlich profanere Gründe für seine Reiseinitiativen vorgelegen haben: Als Vater von sieben Kindern plagten Küppers stets Finanzsorgen.13 Schließlich spielte wohl auch eine gewisse Lust am Unbekannten eine Rolle. Dass er in seinem ersten Antrag auf den „Schuß an Abenteuerblut“ verwies, der für die Reise nötig sei, sollte sich in jedem Fall bewahrheiten: Unterwegs auf unwegsamen Gelände, mit Übernachtungen im Zelt und unter freiem Himmel, chronisch wenig Geld und keinerlei Ortskenntnis waren gerade die ersten Reisen eine echte Herausforderung. In einem Brief an das Museum schrieb sein Reisebegleiter Hannes Rosenberg, der bei der ersten Fahrt im Jahr 1935 dabei war, dass Küppers für die Bewältigung der Reise eine „Über-Energie“ gebraucht habe. Und auch Küppers Tochter Heimtraut, die – gemeinsam mit ihrem Bruder und einer Freundin – den Vater bei seiner letzten Reise 1939 begleitete, beschreibt zum Teil lebensgefährliche Fahrten über verregnete Gebirgskämme und Nächte, die sie aus Mangel an Geld zu viert „mit den kuriosesten Verrenkungen“ im Auto verbringen mussten.14
Bulgarien-Abteilung im Depot des Museums Europäischer Kulturen. Christian Krug / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Bulgarien-Abteilung im Depot des Museums Europäischer Kulturen. Christian Krug / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, Rechte vorbehalten - freier Zugang
Die Abteilung Eurasien am Museum für Völkerkunde in Berlin
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Küppers Objekte kamen dem Berliner Museum für Völkerkunde durchaus gelegen. Bis in die 1930er Jahre hinein waren Alltagsobjekte aus Südosteuropa in Berlin nicht systematisch gesammelt worden. In den Vorläufern des 1935 gegründeten Museums für Volkskunde war man zwar durchaus „einer größeren ethnografischen, integrierten vergleichenden Erforschung nationaler, europäischer und außereuropäischer Kulturphänomene“ verpflichtet gewesen und in der Ausrichtung keinesfalls nur auf „deutsche“ Objekte beschränkt.15 Eine umfassende Sammlung von Alltagsobjekten aus dem europäischen Ausland wurde jedoch erst ab Ende 1934 angestrebt, als im Museum die Abteilung „Eurasien“ unter der Leitung des Afrikanisten Hermann Baumann ins Leben gerufen wurde. Als Küppers Anfang 1935 anbot, sich für das Museum auf eine Erwerbungsreise durch den Balkan zu begeben, sah Baumann eine günstige Gelegenheit, die „zahllosen Lücken unserer Sammlungen“ zu füllen, die „jede auch noch so geringfügige Neuerwerbung notwendig [machen]“.16
2.14.-09122 / Museums für Völkerkunde, 1934, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, CC BY-SA 4.0
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Der Leiter der Abteilung „Eurasien“ Hermann Baumann (2. v.l.) in der Sonderausstellung „Vom Grabstock zum Pflug. Frühformen des Bodenbaues“ Museums für Völkerkunde, 1934
Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, CC BY-SA 4.0
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Magazin der Europasammlung, 1973
Ute Franz Scarciglia / Staatliche Museen zu Berlin Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Das Museum Europäischer Kulturen ging im Jahr 1999 aus der Zusammenlegung der europäischen Sammlung des Museums für Völkerkunde und der Bestände der Volkskundemuseen in Ost- und Westberlin hervor
Von „Archaischen Überbleibseln“ und dem „Neubau des Volkstums“. Ethnografische Schulen und ihr Einfluss auf die Sammlung Küppers
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Wenngleich Küppers als ethnografischer Autodidakt für fachinterne Theoriedebatten nur wenig Interesse aufbrachte, war sein Sammeln geprägt von den ethnografischen Strömungen seiner Zeit: dem
Evolutionismus
Evolutionismus
Evolutionismus ist ein insbesondere in der Ethnologie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickeltes Forschungsparadigma. Aufbauend auf der Evolutionstheorie von Charles Darwin ging der Evolutionismus von verschiedenen Entwicklungsstufen der Menschheit und von einer „psychischen Einheit der Menschheit" (Adolf Bastians) mit verschiedenen materiellen Ausdrucksformen aus.
und dem
Diffusionismus
Diffusionismus
Bei Diffusionismus handelt es sich um ein ethnologisches Forschungsparadigma im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, das davon ausgeht, dass kulturelle Ähnlichkeiten durch Kulturkontakte etwa infolge von Handel, Reisen oder Migration entstehen. Kulturelle Manifestationen werden dabei als „Kulturkomplexe“ (Leo Frobenius) aufgefasst, die in Austausch und Konkurrenz zueinanderstehen. Der Begriff des „Lebensraums“ spielte dabei eine wichtige Rolle und wurde erstmals vom „Diffusionisten“ Friedrich Ratzel verwendet.
. Bei allen weltanschaulichen Unterschieden, die zwischen diesen Denkrichtungen bestanden, einte sie eine Konzeption von Kulturen als in sich geschlossene Untersuchungseinheiten. Durch das Studium bestimmter Formen ließen sich diese differenzieren.17 Ob der Balkan dabei als ein Ort der Auseinandersetzung von Kulturkreisen gesehen wurde, oder als Raum, in dem sich archaische Formen besonders gut hatten erhalten können: ein dem kolonialen Modernediskurs innewohnendes
othering
Othering
„Othering“ (dt. „Anders machen“) beschreibt den Prozess, in dessen Zuge sich eine Gruppe Menschen (‚Wir‘) von einer anderen (‚Sie‘ - die Anderen) abgrenzt. Im Gefolge postkolonialer Theoriebildung wurde der Begriff vor allem herangezogen, um die Konstruktion kollektiver Identitäten in Abgrenzung zu anderen, häufig minderwertig konnotierten ‚Gruppen‘ zu analysieren.
war insgesamt prägend für den ethnografischen Balkan-Blick.18Dies zeigte sich auch im Sammeln von Gustav-Adolf Küppers. Für ihn bot der Balkan gleichsam einen Blick in die eigene Vergangenheit bzw. in eine „abgekapselte, primitive Lebensbasis in fast ursprünglicher Gestalt“, in der die „Vorzeit in reiner Form bis in unsere Tage hinein [lebe]“.19 Küppers war bei seinen Reisen dementsprechend auch stets auf der Suche nach dem „Uralten“ und „Ursprünglichen“. Die „schrecklichen Turnschuhe und Gummiopanken“, die gerade junge Leute zunehmend trugen, wovon seine Tochter in ihrem Tagebuch berichtete, waren in dieser Hinsicht nicht sammlungswürdig.20 Seine an das Museum geschickten Objekte geben denn auch keine Auskunft von der in Südosteuropa sukzessive einsetzenden Urbanisierung und Industrialisierung.21 Stattdessen dienten sie als Zeugnis jener „archaischen Überbleibsel“, die Küppers etwa in der Hirtenkultur oder scheinbar aussterbenden Riten auszumachen glaubte. Es ist nicht überraschend, dass Küppers sich angesichts dieses Fokus‘ auch kaum für Objekte mit muslimischem Bezug interessierte. Ungeachtet der jahrhundertealten Präsenz islamischer Kultur in Südosteuropa war diese Haltung ganz im Einklang mit der Vorstellung vom „türkischen Joch“ und der „osmanischen Fremdherrschaft“ und standen für letztlich „fremde“ Ausdrucksformen.
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Die Konzentration beim Sammeln auf solch vermeintlich „ursprüngliche“, „autochthone“ Objekte wies durchaus Schnittmengen mit den „in die Gegenwart hineinragenden Ruinen vergangener Tage“ auf. Mit dieser Formulierung hatte Adolf Bastians, der große Berliner „Evolutionist“, zum Studium auch der europäischen Kulturen aufgerufen.22 Diese Perspektive war indes einer „diffusionistischen“ Schule mit ihrem Fokus auf miteinander konkurrierende „Kulturkreise“ nicht fremd. Der hierbei häufig gewählte Zugang über das vergleichende Studium der Ornamentik war dabei eine Methode, derer sich auch Küppers verschrieb.23 Diese Faszination schlug sich in seinem Sammeln deutlich nieder. Hiervon zeugen viele Objekte, die sich bis heute in den Sammlungen des MEK befinden.
Auch Küppers starkes Interesse an landwirtschaftlichen Geräten war äußerst anschlussfähig an ein „diffusionistisches“ Diktum von einem kulturellen Primat des Ackerbaus. Auch dieses prägte sein Sammeln, wobei seine ideologischen Präferenzen als Teil der Siedlungsbewegung dabei wesentlich gewesen sein dürften. So war Küppers schon früh zur Überzeugung gelangt, „dass unsere Kultur vor dem sicheren Untergang nur durch Verwurzelung der Intelligenz mit der Scholle [...] gerettet werden“ und nur so die „Grundlage für den Neubau des Volkstums“ gelingen könne.24 Noch drei Jahre nach seiner letzten Reise argumentierte er äußerst engagiert dafür, dass diese „Bindung zur Scholle“ auch museal zu dokumentieren sei. Mit einer durchaus zynischen Argumentation warb er bei mehreren Akteuren für den Erwerb bulgarischer Holzpflüge. Diese werde es angesichts der durch die deutsche Kriegsführung erzwungenen Rationalisierung der örtlichen Wirtschaft nicht mehr lange geben, sodass dieses Gerät von deutschen Museen nun für die Nachwelt zu retten sei.25
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Serie von Spinnrocken (bulg. Хурка/Hurka), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Serie von Spinnrocken (bulg. Хурка/Hurka), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Serie von Spinnrocken (bulg. Хурка/Hurka), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Serie von Spinnrocken (bulg. Хурка/Hurka), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Matthias Thaden / Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen, CC BY-SA 4.0
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Serie von Spinnrocken (bulg. Хурка/Hurka), erworben bei Burgas (Bulgarien), 1939 (zum Objekt in der Datenbank)
Die Sammlung Küppers - Ein klassischer Fall von „Balkanismus“?
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Gustav-Adolf Küppers war von einer Unausweichlichkeit eines Untergangs „traditioneller“ Ausdrucksformen angesichts der Auflösung hergebrachter Vergemeinschaftungsformen überzeugt. Dies war durchaus eine der Grundzutaten klassisch-volkskundlicher Zugänge. Auch in seinem „rettungsethnografischem“ Impetus unterschied sich Küppers in seinem Sammeln kaum von anderen Erwerbungssystematiken. Zugleich liefert die Sammlung Küppers geradezu ein Paradebeispiel für die Resonanz westeuropäischer Balkanbilder in musealen Sammlungen. Ein exotisierender Blick auf das südöstliche Europa als Refugium unverfälschter Ursprünglichkeit war insgesamt prägend für seine Perspektive auf die Region.
Zugleich sind die von ihm gesammelten Objekte komplexer und mehr als ein simpler ‚Niederschlag‘ von Diskursen: So ist vor allem die Fülle an landwirtschaftlichem Gerät in Zusammenhang mit mit generellen ethnografischen Sammlungsinteressen ihrer Zeit zu sehen. Auch die für den klassischen Balkanismus so zentrale Rolle der Gewalt schlägt sich in Küppers Sammlung kaum nieder. Weder als positiv konnotierter Ausdruck des Archaischen – Küppers interessierte sich kaum für Waffen – noch als Ausdruck des interethnischen, vermeintlich ‚uralten‘ Hasses auf dem Balkan war Gewalt für ihn offenbar ein sammlungswürdiges Charakteristikum der Region. Dies verwundert, da er auf viele Spuren der gewaltsamen Vertreibungen nach den Balkankriegen traf, diese jedoch anscheinend nicht weiterverfolgte.26 Vielmehr wurde eine Romantisierung von Land und Leuten durch Küppers‘ siedlungsbewegte Sozialisation und seine durchweg modernefeindliche Haltung noch gestärkt. Eine Ablehnung des Urbanen, der Massengesellschaft und die gleichzeitige Verklärung des Dörflichen, des Autarken und der Bindung zur ‚Scholle‘ formten seinen Blick. In seiner Beschäftigung mit Südosteuropa projizierte Küppers diese Ideologieelemente auf die Region und reproduzierte so balkanistische Diskursmuster, von denen auch sein Sammeln stark geprägt war. So erwarb sich Küppers mit seiner Sammlungstätigkeit ‚Regionalexpertise‘, die er nicht nur dazu nutzte, pseudowissenschaftliche Theorien zur Ausbreitung des Germanentums aufzustellen,27 sondern die ihm von 1939 bis 1945 zu einem Posten als Balkanreferent beim Oberkommando der Wehrmacht verhalf.