Der „Glanz“ der Befreiung

Sexuelle Gewalt durch die Rote Armee in der Slowakei am Ende des Zweiten Weltkriegs
Die Slowak:innen empfanden aufrichtige Freude über die Befreiung von der deutschen Okkupation durch die Rote Armee. Das zeigen jubelnde Menschenmassen, die die Straßen säumen, und Frauen, die Lebensmittel, Alkohol und Blumen zum Dank anboten. Dem stand das kriminelle Verhalten der Roten Armee – bis hin zu sexueller Gewalt – gegenüber.

An den Rändern der Geschichte

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs kam es massenhaft zu sexueller Gewalt durch alliierte Soldaten. Bis heute ist nur schwer zu schätzen, wie viele Personen davon betroffen waren. Allein für Deutschland gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Die Forschung geht davon aus, dass mindestens Hunderttausende und bis zu zwei Millionen Frauen von britischen, französischen, sowjetischen und US-amerikanischen Truppen vergewaltigt wurden.1 Obwohl sich Soldaten aller alliierten Armeen an solchen Taten beteiligten, liegt der Fokus der Öffentlichkeit und der Wissenschaft vor allem auf der Roten Armee. Dies ist auf deren schiere Größe zurückzuführen sowie darauf, dass sie in weiten Teilen Europas bei Kriegsende präsent war. Eine Rolle spielen zudem das Erbe der nationalsozialistischen Propaganda, die entmenschlichende Stereotype wie die „Horden mongolischer Wilder“ verwendete, sowie ferner die Rhetorik des Kalten Krieges, die sowjetische Verbrechen stark hervorhob, während sie jene der westlichen Alliierten herunterspielte.2 
Als die sowjetischen Soldaten in Länder wie 
Ungarn
hun. Magyarország, eng. Hungary

Ungarn ist ein Staat in Mitteleuropa, dessen Hauptstadt Budapest ist. Das Land wird von ungefähr 10 Millionen Menschen bewohnt und war für mehrere Jahrhunderte Teil des sogenannten Habsburgerreich. Ungarn gehört seit dem 01.05.2004 der Europäischen Union an. Der größte Fluss des Landes ist die Donau.

 oder 
Österreich
eng. Republic of Austria, eng. Austria, deu. Republik Österreich, slv. Avstrija, slv. Republika Avstrija, hrv. Republika Austrija, hrv. Austrija, hun. Ausztria, hun. Osztrák Köztársaság

Österreich ist ein von ungefähr 8,9 Millionen Einwohner:innen bewohntes Land in Mitteleuropa. Hauptstadt des Landes ist Wien.

 einmarschierten, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten, sehnten sich viele von ihnen nach Rache für die Gräueltaten der deutschen Truppen, deren Zeuge sie geworden waren. Über mehrere Jahre hatten sich diese Erfahrungen festgesetzt. Zudem fehlten den Rotarmisten im Gegensatz etwa zu den US-Truppen die finanziellen Mittel für sexuelle Tauschgeschäfte. Alkoholmissbrauch und Gruppenzwänge wirkten als Katalysatoren auf Soldaten, die jahrelang die Erfahrung gemacht hatten, ungestraft davonzukommen.3
Im Gegensatz zu Deutschland nahm die Rote Armee die 
Slowakei
slk. Slovensko, eng. Slovakia

Die Slowakei ist ein Staat in Ostmitteleuropa, der von ca. 5,5 Millionen Menschen bewohnt wird. Die Hauptstadt des Landes ist Bratislava (Pressburg). Die Slowakei ist seit 1993 unabhängig.

 nicht als feindliches Territorium wahr – obwohl sie nach ihrer Abtrennung durch das Münchener Abkommen 1938 ein Satellitenstaat der Nationalsozialisten gewesen war. Nach der Niederschlagung des  Slowakischen Nationalaufstandes
Slowakischer Nationalaufstand
Der Slowakische Nationalaufstand war ein militärischer Aufstand gegen das Regime des slowakischen Staates und das mit ihm verbündete nationalsozialistische Deutschland, der am 29. August 1944 begann. Er wurde von der slowakischen Widerstandsbewegung organisiert und hauptsächlich von Mitgliedern der Demokratischen Partei, Sozialdemokraten und Kommunisten vertreten. Der Aufstand wurde von den alliierten Mächten unterstützt, insbesondere von der Sowjetunion, den USA und dem Vereinigten Königreich. Darüber hinaus waren insgesamt 33 Nationen und Nationalitäten an den Kämpfen beteiligt. Zu Beginn des Aufstandes kontrollierten die Aufständischen mehr als die Hälfte des slowakischen Territoriums, verloren aber durch den Vormarsch Nazi-Deutschlands, das den Aufstand am 28. Oktober 1944 offiziell niederschlug, schnell an Boden. Die Aufständischen gingen zu einem reinen Partisanenkampf über, der bis zum Ende des Krieges in der Slowakei im April 1945 andauerte. In der Folge beging das deutsche Besatzungsregime Kriegsverbrechen, ermordete Zivilist:innen und setzte die Vernichtung der Juden und Jüdinnen in der Slowakei fort, was zur Deportation oder Ermordung von mehr als 14.000 von ihnen führte. Insgesamt wurden etwa 30.000 slowakische Bürger:innen in deutsche Straf-, Arbeits-, Internierungs- und Konzentrationslager deportiert.
 Ende August 1944 besetzte Deutschland die Slowakei. Die Okkupation war im Oktober 1944 bereits abgeschlossen. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, und mit der Besatzung brachen für die Bevölkerung gefährliche Zeiten an. Erst Anfang 1945 wurde die Slowakei befreit.
Die Slowakei galt als Verbündeter, daher wurden Frauen nicht als legitime Ziele von Gewalt, um Vergeltung zu üben; stattdessen galt die lokale Bevölkerung als Sympathisantin der alliierten Sache.4 Allerdings verfolgten die sowjetischen Soldaten weder in besonderem Maße die internationale Politik, noch hielten sie sich immer an politische Abmachungen. Auch Frauen aus alliierten Ländern oder solche, die die Konzentrationslager der Nazis überleben, waren vor sexueller Gewalt durch einige Angehörige der sowjetischen Truppen nicht sicher.5 Dies war auch in der Slowakei der Fall, trotz des Narrativs von der brüderlichen Befreiung der Slawen,6 das zur Festigung der Beziehungen zwischen der 
Sowjetunion
eng. Soviet Union, deu. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз, . Совет Ушем, . Советонь Соткс, rus. Sovetskij Soûz, . Советий Союз, yid. ראַטן־פֿאַרבאַנד, yid. סאוועטן פארבאנד, yid. sovətn farband, yid. sovʿtn-farband, yid. sovətn-farband, . Советтер Союзу, . Совет Союзы, deu. Советий Союз, . Советон Цæдис, . Совет Эвилели

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.

Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.

 und den künftigen sozialistischen Republiken (wie 
Volksrepublik Polen
eng. Polish People’s Republic, pol. Polska Rzeczpospolita Ludowa

Die Volksrepublik Polen war ein von 1944 bis 1989 existierender sozialistischer Staat in der sowjetischen Einflusssphäre. Seine Grenzen entsprechen denen des heutigen Polens. Sozialistische Einheitspartei des Ein-Parteien-Staates war die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR).

Volksrepublik Bulgarien
eng. People's Republic of Bulgaria, bul. Народна република България

Die Volksrepublik Bulgarien war ein sozialistischer Staat im Südosten Europas, der von 1946 bis 1990 bestand. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs versuchte Bulgarien politische Neutralität zu wahren, wurde 1941 jedoch von deutschen Truppen besetzt, und vom nationalsozialistischen Deutschland zum Kriegseintritt an der Seite der Achsenmächte gedrängt. 1944 besetzte die Sowjetunion Bulgarien. Am 9.10.1944 kam es zu einem mit der Sowjetunion abgestimmten Putsch der kommunistischen Kräfte mit Kimon Georgiev an der Spitze.

1946 wurde schließlich die Volksrepublik ausgerufen. Die ersten Jahre waren von politischen Säuberungsaktionen und der Umstellung der nationalen Wirtschaft geprägt. Die voranschreitende Industrialisierung brachte zunächst Erfolge, zumal Bulgarien bei der UdSSR, die gleichzeitig der bei Weitem größte Absatzmarkt war, Rohstoffe vergünstigt beziehen und billige Kredite bzw. Finanzhilfen erhalten konnte. Diese enge Abhängigkeit von der UdSSR führte in den 1980er Jahren zu einer tiefgreifenden Krise. Ein Versuch, von dieser abzulenken, waren die im Rahmen der sogenannten Nationalen Wiedergeburt eingeführten Repressalien gegen die muslimische und die türkische Minderheiten, welche zur Abwanderung von ca. 300.000 Personen in die Türkei führte, kurz bevor sich die Volksrepublik auflöste. 1990 fanden erstmals freie Wahlen statt, in deren Folge eine demokratische Verfassung entwickelt wurde.

 oder 
Jugoslawien
srp. Југославија, hrv. Jugoslavija, eng. Yugoslavia, slv. Jugoslavija, sqi. Jugosllavia

Jugoslawien war ein südosteuropäischer Staat, der mit Unterbrechungen und in leicht wechselnden Grenzen von 1918 bis 1992 bzw. 2003 existierte. Hauptstadt und größte Stadt des Landes war Belgrad. Historisch unterscheidet man insbesondere zwischen der Zeit des Königreichs Jugoslawien von 1918 bis 1941 (auch 'Erstes Jugoslawien' genannt) und dem kommunistischen Jugoslawien ab 1945 (das sog. 'Zweite Jugoslawien') unter dem diktatorisch regierenden Staatschef Josip Broz Tito (1892-1980). Der Zerfall Jugoslawiens ab 1991 und die Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Landesteile mündeten schließlich in die Jugoslawienkriege (auch Balkankriege oder postjugoslawische Kriege genannt). Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind heute Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, der Kosovo und Bosnien und Herzegowina.

) propagiert wurde.7 
Das Ausmaß dieser sexuellen Gewalt durch die Sowjetarmee nach Kriegsende genau zu beziffern, wird durch zahlreiche Hindernisse erschwert. Es mangelt an zuverlässigen Quellen, und das mit sexueller Gewalt verbundene soziale Stigma brachte viele Opfer zum Schweigen. Die politischen Agenden, die die Geschichtsschreibung prägen, wollten von dem Thema häufig nichts wissen. Aufzeichnungen wurden zerstört oder unterdrückt. Doch bereits die vorhandenen, oftmals mangelhaft ausgewerteten Quellen wie polizeiliche Ermittlungen,8 regionale Berichte,9 Bevölkerungsstatistiken10 und Berichte von Frauen11 weisen auf ein hohes Maß an sexueller Gewalt durch Soldaten der Roten Armee hin. Die Behörden waren mit Tausenden von Vergewaltigungsopfern konfrontiert. Sie mussten sich mit unzähligen Fällen von sexuell übertragbaren Infektionen, ungewollten Schwangerschaften, Abtreibungen, Kindstötungen und aus Vergewaltigungen hervorgegangenen Kindern auseinandersetzen.12
In diesem Beitrag untersuche ich Berichte von Frauen, um das potenzielle Ausmaß sexueller Gewalt durch Sowjettruppen besonders in der Slowakei zu veranschaulichen und aufzuzeigen, wie sich die späteren Beziehungen zur Sowjetunion auf die kollektive Erinnerung an sexuelle Gewalt in der Slowakei auswirkten.

Erinnerungen an Begegnungen mit der Roten Armee

Das gesellschaftliche Stigma, das Vergewaltigungen anhaftete, zwang zahlreiche Überlebende dazu, über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu schweigen. Stattdessen berichteten sie von Vergewaltigungen Dritter, deren Augenzeuge sie geworden waren, von der Angst, vom Gefühl der Bedrohung durch sowjetische Soldaten oder von den Strategien, die sie anwandten, um der Vergewaltigung zu entgehen: Sie versteckten sich oder verkleideten sich als alte Frauen..
Verschiedene Oral-History-Archive, die überwiegend aus Interviews mit Holocaust-Überlebenden bestehen, enthalten zahlreiche Berichte über die Befreiung und ihre Erfahrungen mit der Roten Armee. Lilly Selby, eine Jüdin, die 36-jährig den Krieg überlebte, indem sie in 
Trnava
deu. Tyrnau, lat. Tyrnavia, hun. Nagyszombat, hun. Sumbot, lat. Tirnauia, lat. Turnaw, lat. Dyrna, lat. Tyrna, hun. Szombat, lat. Zumbothel

Trnava (Bevölkerungszahl 2024: 63.180) ist Verwaltungssitz und Kreisstadt im Westen der Slowakei. Die Stadt gehört zu den größten Städten und wichtigsten Industriestandorten der Slowakei. Auf dem Gebiet der heutigen Stadt befand sich bereits zur Zeit des Großmährischen Reiches eine Siedlung. Im 13. Jahrhundert siedelten sich hier Deutsche an, die neben der überwiegend slawischen Bevölkerung des damals ungarischen Ortes lebten. Der älteste bekannte Name ist Sumbot aus dem Jahre 1211, was auf die Marktrechte und den Markttag hinweist (szombot = ungarisch ˏSamstag'). 1238 erhielt Trnava als erste Stadt in der heutigen Slowakei den Titel einer königlichen Stadt. In den Jahren 1418-1425 wurde die Stadt von den Hussiten besetzt. Im Jahre 1543 wurde sie zum wichtigsten kirchlichen Zentrum des ungarischen Königreichs. Obwohl die 1635 gegründete Universität 1777 nach Ofen verlegt wurde, blieb Trnava vor allem für die slowakische Bevölkerung ein wichtiges Bildungszentrum. 1918 kam die Stadt zur Tschechoslowakei und ist seit 1992, wie schon 1939-1945, Teil der unabhängigen Slowakei.

 untertauchte, als die Rote Armee in die Stadt einrückte. Lilly Selby berichtet über die Zeit in ihrem Unterschlupf: „Wir haben uns vor den Russen versteckt. Jede Frau wurde von den Russen vergewaltigt. Jede Frau.“13 Sie fügt hinzu, was sie über die Verbrechen der Soldaten der Roten Armee in Trnava weiß: „Im Kirchenkeller versteckten sich über tausend [slowakische] Frauen. Sie wurden alle vergewaltigt [...] die Russen waren schrecklich...schrecklich...“ Der Interviewer fragt, ob sie von den Soldaten verschont geblieben sei, weil sie Jüdin ist. Lilly Selby antwortet: „Es war ihnen egal, ob sie Slowaken, Tschechen oder Deutsche waren. Sie haben alle vergewaltigt.“14
 
Eva Freedman, eine weitere jüdische Überlebende, die erst elf Jahre alt ist, als die Rote Armee nach 
Neutra
eng. Nitra, hun. Nyitra, lat. Nithria, lat. Nitria, lat. Nitrava, pol. Nitra, ces. Nitra, tur. لـ يترا, yid. neyyṭrʾ, yid. nejṭrʾ, yid. nejṭra, yid. neytra, yid. nejtra, yid. נייטרא, tur. Litra, lat. Nitrawa

Nitra (Bevölkerungszahl 2024: 75.945) ist ein Verwaltungszentrum im Westen der Slowakei. Schon im 9. Jahrhundert war Nitra der Hauptort des gleichnamigen Fürstentums, das zum Großmährischen Reich gehörte. Ca. 830 entstand hier die erste bekannte Kirche in der Slowakei, und das 880 gegründete Bistum Nitra ist das älteste der Slowakei. Ende des 10. Jahrhunderts gehörte Nitra kurzfristig zu Böhmen und zu Beginn des 11. Jahrhunderts zu Polen. Im späten Mittelalter und in der Neuzeit wurde die Stadt mehrfach erobert, u. a. 1663-1664 durch das Osmanische Reich, das Nitra zum Verwaltungssitz eines Sandschaks machte. Der barocke Wiederaufbau im 18. Jahrhundert prägt das Stadtbild bis heute. 1918 wehrte sich die überwiegend ungarische bzw. magyarisierte Bevölkerung der Stadt bis zum Einmarsch der Armee gegen die Eingliederung in die gerade entstandene Tschechoslowakei. Seit 1992 ist Nitra, wie schon 1939-1945, Teil der unabhängigen Slowakei. Im Zweiten Weltkrieg wurde die jüdische Bevölkerung fast vollständig ermordet. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt 1945 von der sowjetischen Luftwaffe bombardiert.

 kommt, beschreibt, dass die Gefahr nicht nur für Frauen besteht, sondern auch für Kinder wie sie: „Es war sehr, sehr gefährlich, das Haus zu verlassen, denn praktisch jede Frau, ob jung oder alt, wurde vergewaltigt.“ Eva Freedman erläutert die Folgen der Vergewaltigungen: „Neun Monate danach war es eine unglaubliche Stadt. Fast alle waren schwanger.“15
Magdaléna Pribylincová war 21 Jahre alt, als die Rote Armee in ihre Stadt 
Poprad
deu. Deutschendorf, hun. Poprád, eng. Poprad, pol. Poprad, lat. Villa Theutonicalis

Poprad (Bevölkerungszahl 2024: 48.352) ist eine Kreisstadt am Fluss Popper (Slowakisch: Poprad) im westslowakischen Bezirk Prešov. Sie liegt in einem Talkessel am Südrand der Hohen Tatra. Poprad ist die größte Stadt der historischen Region Zips, um die in der Vergangenheit die polnischen und ungarische Könige konkurrierten. Die Stadt wurde erstmals 1256 erwähnt. Im 13. Jahrhundert siedelten sich hier Deutsche an, die bald die Mehrheit bildeten. Im Jahre 1918 kam die Stadt zur Tschechoslowakei und seit 1992 ist sie, wie schon 1939-1945, Teil der unabhängigen Slowakei. Heute spielt Poprad eine wichtige Rolle für den Tourismus, vor allem als Ausgangspunkt für Ausflüge in das Tatra-Gebirge, und ist ein bedeutender Industriestandort.

 einmarschierte. Sie beschreibt nicht nur, wie sie sich in einem Schrank verstecken musste, um nicht von einem Soldaten entdeckt zu werden. Auch erinnert sie, wie die örtlichen Behörden mit den aus Vergewaltigungen resultierenden Schwangerschaften umgingen. In einer Durchsage des Stadtradios in Poprad hieß es: „Wer von russischen Soldaten vergewaltigt wurde, soll sich in der Klinik melden. Ungewollte Kinder werden dort entfernt [abgetrieben].“16
Dutzende weiterer Zeugenaussagen von Frauen wie Männern in unterschiedlichen nationalen und internationalen Archiven berichten von Vergewaltigungen in der Slowakei gegen Ende des Krieges. Einige beschreiben die sowjetischen Soldaten als rücksichtslos, andere betonen ausdrücklich das Strafregime einiger sowjetischer Offiziere gegenüber Soldaten, die sich einer Vergewaltigung oder eines Versuchs derselben schuldig machten.

Polizeiliche Ermittlungen bei Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten

Da weder die slowakischen noch die tschechoslowakischen Behörden über die Befugnisse verfügten, sowjetische Soldaten strafrechtlich zu verfolgen, gab es keine direkten Ermittlungen zu Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten. Stattdessen tauchte sexuelle Gewalt, wenn sie überhaupt in Polizeiberichten Erwähnung fand, nur beiläufig auf. Die seltenen Fälle von polizeilichen Ermittlungen, in denen von Vergewaltigungen die Rede ist, zeigen, dass die Frauen keine Gerechtigkeit zu erwarten hatten. Bei den polizeilichen Ermittlungen versuchte man in der Regel, die Schuld auf das Opfer zu schieben. So wurden die mutmaßlich vergewaltigten Frauen beispielsweise aufgefordert, zu beschreiben, welche Kleidung sie zum Zeitpunkt der Vergewaltigung trugen, ihre sexuelle Vorgeschichte zu schildern und die Gründe zu nennen, warum sie sich nicht gewehrt oder geschrien hätten. Die 23-jährige Olga F. berichtet von einer Vergewaltigung durch vier unbekannte sowjetische Soldaten.17 Anstatt die Täter des Verbrechens zu ermitteln, schoben die Behörden ihr die Verantwortung zu und rügten sie dafür, nachts allein unterwegs gewesen zu sein. Damit leisteten sie der Marginalisierung sexueller Gewalt und „Victim Blaming“ Vorschub. Auch ein anderer Fall deutet das Ausmaß der sexuellen Gewalt in der Slowakei an: Als gegen die 23-jährige Jolana O. in einer anderen Angelegenheit ermittelt wurde, förderte das Gerichtsverfahren die Vergewaltigungserfahrungen in ihrer Familie zutage.18 Sowjetische Soldaten hatten ihre beiden Schwestern vergewaltigt, von denen eine infolge der Vergewaltigung schwanger geworden war.
Es ist nicht möglich, die genaue Zahl der vergewaltigten Mädchen und Frauen zu ermitteln oder allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Dafür ist die Quellenlage zu dürftig, viele Zeug:innen und Opfer hüllten sich in Schweigen. Die Fälle, in denen Frauen tatsächlich aussagten, zeigen allerdings, dass die Gefahr, sowjetischen Soldaten vergewaltigt zu werden, allgegenwärtig war. Sie enthalten Warnungen an Frauen, wie sie sich schützen können, persönliche Berichte über Vergewaltigungen, Zeugenaussagen und Berichte anderer Opfer. Dies deutet darauf hin, dass sexuelle Gewalt durch sowjetische Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eine alltägliche Erfahrung war.

„Bloß eine Bande sowjetischer Deserteure“

Das Verhalten der Sowjetsoldaten in der Slowakei veranlasste den slowakischen Kommunistenführer Vladimír Klementis Vladimír Klementis Vladimír Clementis (20. September 1902 Tisovec, Slowakei [damals Österreich-Ungarn] – 3. Dezember 1952 Prag, Tschechien [damals Tschechoslowakei]) war ein slowakischer und tschechoslowakischer Politiker, Rechtsanwalt, Publizist, Literaturkritiker, Schriftsteller und seit 1924 ein prominentes Mitglied der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei. Bei der Gründung des slowakischen Staates während des Krieges im März 1939 ging er ins Exil. Er kritisierte den Molotow-Ribbentrop-Pakt, die Sowjetunion und die Tschechoslowakische Kommunistische Partei in einer Reihe von Fragen. Daraufhin wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Im Jahr 1945 wurde er wieder in die Kommunistische Partei aufgenommen und Staatssekretär im Außenministerium. Zwischen 1948 und 1950 diente er als Außenminister der Tschechoslowakei. 1952 wurde er während des Slánský-Prozesses des „Titoismus“ und der „nationalen Abweichung“ beschuldigt und hingerichtet. zu einer Beschwerde bei Marschall Ivan Konew. Dieser erwiderte lediglich, dass es sich bei den Hauptschuldigen bloß um eine Bande „sowjetischer Deserteure“ handele.19 Die sowjetischen Militärbehörden neigten dazu, die von den Soldaten der Roten Armee begangenen Verbrechen im Allgemeinen und insbesondere gegenüber den kommunistischen Führern anderer Länder herunterzuspielen.20

„Horden sowjetischer Vergewaltiger“

Die Argumentation von Konew steht in krassem Gegensatz zur slowakischen Kriegspropaganda. Aber auch deren Glaubwürdigkeit war höchst fragwürdig: Sie war stark von der ideologischen Ausrichtung des Regimes auf Nazideutschland beeinflusst. Es galt, durch übertriebene oder erfundene Darstellungen der Roten Armee als „Horden sowjetischer Vergewaltiger, gewalttätiger Barbaren und unkontrollierbarer Trunkenbolde“ Angst zu schüren und die Loyalität zum Regime zu stärken.
Die Zeitung Slovák [Der Slowake] druckt im März 1945 einen Bericht über slowakische Männer aus 
Liptovský Mikuláš
deu. Liptau-Sankt-Nikolaus, lat. Scentmiklos, slk. Liptovský Svätý Mikuláš, hun. Liptószentmiklós, deu. Liptau-Nikolaus, deu. Sankt Nikolaus in der Liptau

Liptovský Mikuláš (Bevölkerungszahl 2024: 29.860) ist eine Kreisstadt sowie der Hauptort der historischen Landschaft Liptau im Norden der Slowakei. Sie wurde 1286 ersterwähnt, 1360 als Markflecken. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert siedelte jüdische Bevölkerung in der Stadt, in der 1865 der erste jüdische Bürgermeister im Königreich Ungarn gewählt wurde. Liptovský Mikuláš spielte eine wichtige Rolle in der slowakischen Nationalbewegung – während der Revolution von 1848/49 war es ein Zentrum des Slowakischen Aufstands. Hier wurden währenddessen die Forderungen der slowakischen Nation an das Königreich Ungarn verkündet. 1918 fand sich die Stadt in der Tschechoslowakei wieder und seit 1992, ähnlich wie 1939-1945, bildet sie einen Teil der unabhängigen Slowakei. 1970 wurde der direkt vor der Stadt der Liptauer Stausee an der Waag errichtet.

Historische Orte
Liptovský Svätý Mikuláš
 
 ab, die angeblich Rotarmisten willkommen geheißen und ein Willkommensfest vorbereitet hätten. Laut des Slovák habe die Feier eine andere Wendung genommen, als die Rotarmisten die Männer hinausgeworfen und begonnen hätten, die Frauen zu vergewaltigen: „Egal, ob sie 12 oder 60 Jahre alt waren. [...] Heute liegen viele im Krankenhaus, denn ein großer Teil der slawischen Befreier trug Geschlechtskrankheiten in sich.“21 Die Zeitung deutet auch an, dass derartige Feiern, die in Vergewaltigungen endeten, keine Ausnahmen bilden, sondern ein allgemeines Merkmal der sowjetischen Präsenz darstellen würden. Die Zeitung stellt außerdem fest, dass die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung die meisten Frauen davon abhalte, Vergewaltigungen zu melden.

Memoiren der Roten Armee aus dem Exil

Ebenso können die Berichte der demokratischen Parteien der Tschechoslowakei über sexuelle Gewalt in der Slowakei können als mindestens politisch aufgeladen betrachtet werden. Der tschechoslowakische Politiker Jan Stránsky Jan Stránsky (3. Dezember 1913 Brünn, Tschechien [damals Österreich-Ungarn] – 11. Februar 1988 Connecticut, USA) war ein tschechischer und tschechoslowakischer Rechtsanwalt, Journalist, Politiker der Tschechoslowakischen Volkssozialistischen Partei und Nachkriegsabgeordneter der Konstituierenden Nationalversammlung [Ústavodárné národní shromáždení]. Nach 1948 lebte er im Exil, zunächst in Deutschland, dann im Vereinigten Königreich und schließlich in den USA. 1951 war er Mitbegründer der tschechischen Sektion des Radiosenders Freies Europa in München. Im Jahr 1952 ging er nach New York, wo er bis zu seiner Pensionierung als Leiter des Pressedienstes und politischer Berater von Free Europe arbeitete. von der Tschechischen Volkssozialistischen Partei [Ceská strana národne sociální] beispielsweise reflektierte im Exil über seine Befreiungserfahrung. In seinem 1950 erschienenen Buch „Ostwind über Prag“ schreibt er über sexuelle Gewalt gegen tschechische und slowakische Frauen: „Das traurigste Kapitel in der Geschichte der sowjetischen Befreiung ist jedoch das der Gewalt gegen Frauen.“
Stránsky beschreibt Dörfer, in denen mehr als die Hälfte aller Frauen Opfer von sexueller Gewalt durch Rotarmisten geworden seien, Hunderte von Frauen, die aufgrund von Verletzungen oder sexuell übertragbaren Infektionen durch sexuell gewalttätige Soldaten ins Krankenhaus eingeliefert worden seien, und auch Kinder und ältere Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden seien. Stránskys Buch zielt eindeutig darauf ab, die Tschechoslowakei als Opfer der sowjetischen Besatzung darzustellen.
Während nun die Zeitungsberichte aus der Kriegszeit zu Propagandazwecken produziert worden sein könnten und Stránskys Nachkriegsmemoiren oft auf Hörensagen beruhten, so scheinen diese Narrative sich dennoch mit der Realität zu decken, da sie durch die vorne zitierten Aussagen und Berichte der Frauen bestätigt werden.

Die „Kampfgemeinschaft“ der Slawen und die unsystematische Verfolgung von sexueller Gewalt

Zunächst hatten viele Slowak:innen die Rote Armee mit Blumen, Umarmungen und Küssen begrüßt und gemeinsam das Ende des Krieges gefeiert.
Bald schon bekamen viele den bitteren, geschlechtsspezifischen Beigeschmack der Befreiung zu spüren. Offenbar verbrüderten sich einige Frauen auch bewusst mit den Soldaten der Befreiungsarmee. Einige suchten das Abenteuer, andere nutzten ihre sexuellen Beziehungen zu Offizieren, um sich vor Vergewaltigungen durch einfache Soldaten zu schützen, während andere ihre sexuellen Dienste feilboten, um in der schwierigen Nachkriegszeit für sich oder ihre Familien zu sorgen.22 
Den allermeisten Mädchen und Frauen, die Opfer von Misshandlungen durch Rotarmisten wurden, blieb kaum eine andere Wahl. Aus bruchstückhaften Quellen geht hervor, dass die Handlungen der Soldaten auf dem Gebiet der Slowakei von ihren Vorgesetzten oft stillschweigend übersehen und als Nebenprodukt des Krieges betrachtet wurden.23 Allerdings kam es in einigen Fällen auch zu sofortigen Hinrichtungen, wenn Vorgesetzte von sexueller Gewalt durch ihre Soldaten erfuhren.24 Dies bestätigen auch einige Frauen in ihren Zeugenaussagen. Stránsky räumt in seinen Memoiren ebenfalls ein, dass einige Offiziere der Roten Armee ihre eigenen Soldaten bestraften und sie wegen sexueller Gewalttaten erschießen ließen. Dies legt ebenfalls eine Reihe von Zeugenaussagen nahe.
Im späteren offiziellen Befreiungsnarrativ des Stalinismus, das die Kameradschaft betont, war kein Platz für die Aufarbeitung der Gewalt, die sowjetische Soldaten an tschechischen und slowakischen Mädchen und Frauen begingen. Die Geschichte der sexuellen Gewalt durch die Rote Armee während der Befreiung der Tschechoslowakei und darüber hinaus hat ihren Platz in der akademischen Forschung gefunden und ist, obwohl oft über sie gesprochen wird, zu einer marginalen Geschichte und einer Art urbanem Mythos geworden.25
Diejenigen, die sexuelle Gewalt durch Soldaten der Roten Armee miterlebten, erinnerten sich an das Ausmaß dieser Gewalt, „vor der das System entweder die Augen verschließt oder mit der es einfach nicht umzugehen weiß“.26 Auch wenn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 80 Jahre vergangen sind, erlaubt uns eine tiefere Analyse der einschlägigen Quellen, die grausame Realität der Befreiung für viele Menschen in ganz Europa näher zu erhellen.

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