Im Ersten Kapitel steht die Entstehung der jüdischen Turnbewegung und ihre Verbindung zur
zionistischen Bewegung im Vordergrund. Die Geschichte der jüdischen Turnerbewegung
nimmt zumindest auf den ersten Blick ihren Anfang bei der Ausgrenzung von Juden aus der
deutschen und zunehmend deutschnationalen Turnerbewegung, die gegen Ende des 19.
Jahrhunderts immer mehr Anhänger gewann.
Istanbul (Bevölkerungszahl 2022: 15.244.936), vormals Byzanz, später auch Konstantinopel, liegt am Bosporus, der Meerenge die das Schwarze mit dem Marmarameer verbindet und eine Grenze zwischen Europa und Asien darstellt.
Die heutige Megastadt entwickelte sich aus der Koloniestadt Byzantion, die ca. 660 v.u.Z. von dorischer Griechen am südwestlichen Ufer des Bosporus gegründet wurde. Kaiser Konstantin I. ließ sie ausbauen und zur neuen Hauptstadt des Römischen Reiches erheben. Nach der Reichsteilung von 395 war Byzanz die Hauptstadt des Oströmischen Reiches. Nach ihrer Eroberung duch die Osmanen 1453 wurde sie - zunächst als Konstantinopel - zur Hauptstadt des Osmanischen Reichs.
Im Verlauf ihrer wechselhaften Geschichte und aufgrund der Lage zwischen den Meeren und Kontinenten lebten in der Stadt Menschen muslimischer, christlicher und jüdischer Religion, wobei sie auch einige der größten Wellen der Vertreibungen erlebt hatte, insbesondere der Nichtmuslime armenischer und griechischen Abstammung im 20. Jahrhundert. Heute ist Istanbul die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei und eine der größten der Welt.
eng. Ottoman Empire, tur. Osmanlı İmparatorluğu, deu. Ottomanisches Reich
Das Osmanische Reich war der Staat der osmanischen Dynastie von ca. 1299 bis 1922. Der Name leitet sich vom Gründer der Dynastie, Osman I., ab. Der Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs ist die Republik Türkei.
, sondern an die aschkenasischen deutschsprachigen Juden, die aus Gründen des zunehmenden Antisemitismus aus dem deutschen Turnverein hinausgedrängt wurden. Damit folgten die Juden in Konstantinopel dem
Wien ist die Bundeshauptstadt und politisches, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Österreichs. Allein im Stadtgebiet leben rund 1,9 Millionen Einwohner:innen und damit ein Fünftel der Landesbevölkerung, im Großraum insgesamt sogar ein Drittel aller Österreicher:innen. Historisch bedeutend ist Wien insbesondere als Hauptstadt und mit Abstand wichtigste Residenzstadt der ehemaligen Habsburgermonarchie.
Vorbild, wo 1887 der „deutsch-österreichische Turnverein“ von Juden gegründet wurde, weil der Erste Wiener Turnverein Juden von der Teilnahme ausschloss.1 Noch bevor der berühmte Bar Kochba Verein in Berlin im Oktober 1898 gegründet wurde, folgten allerdings die sephardischen Juden im heutigen Plowdiw dem Vorbild der bulgarischen Sokol-Bewegung2 und gründeten den Verein Makkabi Philippopel.3
Für diese ersten Gründungen sind also nationale Bewegungen, sowohl die deutsche und die bulgarische, als auch die zionistische Bewegung selbst, von besonderer Bedeutung. In den Sportvereinen war nationale Zugehörigkeit in dieser Phase oftmals weniger entscheidend und vor allem in Deutschland trieb die große Mehrheit der jüdischen Athletinnen und Athleten Sport in nicht-jüdischen Vereinen. Vor allem Fußballvereine können hier als Beispiel dienen. Die Abbildung zeigt den Deutschen Fußballmeister des Jahres 1910, den Karlsruher Fußball Verein. In der Mannschaft spielten die beiden berühmten Nationalspieler
Gottfried Fuchs
Gottfried Fuchs
(1899–1972) war deutscher Fußballnationalspieler und Rekordtorschütze. Er wurde mit dem KFV 1910 Deutscher Fußballmeister. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung musste er 1937 aus Deutschland fliehen und emigrierte nach Kanada, wo er 1972 starb.
und
Julius Hirsch
Julius Hirsch
(1892–1943) war ein deutscher Fußballnationalspieler. Er wurde zweimal Deutscher Fußballmeister, einmal 1910 mit dem KFV Karlsruhe und 1914 mit der Spielvereinigung Fürth. Seit 1933 wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung verfolgt, 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
, die beide jüdische Deutsche waren. Gottfried Hirsch ist Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft. 1937 reiste er über die Schweiz nach Kanada aus, wo er 1972 starb. Julius Hirsch wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihre Lebensgeschichten umspannen die verschiedenen Phasen der jüdischen Sportgeschichte und die Herausdrängung von jüdischen Deutschen aus den allgemeinen Vereinen ist vor allem Teil der späteren Epochen. Vor allem in Deutschland war es bis 1933 allerdings eher die Regel als die Ausnahme, dass jüdische Sportler in allgemeinen Vereinen Sport trieben.
Die kulturell deutsche zionistische Turnerbewegung verbreitete sich rasch unter den Juden Mittel- und Ostmitteleuropas. Die Kreise der jüdischen Turnerschaft umfassten neben dem Deutschen Reich auch Ostmittel- und Südosteuropa und richteten sich vor allem an alle Juden „deutscher Zunge“, womit neben der deutschen auch die jiddische Sprache gemeint war.4 Dem Turnen trat der englische Sport und die schwedische Gymnastik an die Seite. Im deutschnationalen Kontext wurde diese Konkurrenz als massive Bedrohung erlebt, jenseits davon entfaltete der „Kulturkampf“5 zwischen Turnen und Sport jedoch kaum eine Ausstrahlung. Jüdische Turner nahmen diese konkurrierenden Formen viel stärker als Bereicherung war. Bereits in der Denkschrift der Gründer der jüdischen Studentenverbindung Viadrina in Breslau strebten die Aktiven neben dem Turnen auch Sportarten wie „Fechten, Rudern, Schwimmen“ an. Zugleich galt unter den osteuropäischen jüdischen Turnen der Sport häufig als Alternative zum Turnen, die leichter anzubieten und durchzuführen war, weil nur in geringem Maße Ausrüstung nötig war. Deshalb konterkariert die rasche Adaption von sportlichen Praktiken gerade im östlichen Europa unter den vermeintlich „rückständigen“ jiddischsprachigen Juden die Vorstellung von englischem Sport als „moderne Praxis“, die sich entlang der imaginierten Linien der „Modernisierung“ verbreitete.6
Jüdische Turnvereine, die die kulturellen Markierungen des Zionismus trugen und verbreiteten, waren im östlichen Europa keineswegs durchgehend bürgerlich und zionistisch. Vielmehr boten sie häufig lediglich Orte und Gelegenheiten, um Turnen oder Sport zu treiben. Bei den Vereinsgründungen wurde aber häufig um die Art der Zugehörigkeit, die im Verein gepflegt werden sollte, gerungen.7 Im östlichen Europa waren die Bedingungen für Turnen, Sport und schwedische Gymnastik häufig prekär und vom Mangel an Orten und Materialien geprägt.8 Auch die Materialgeschichte des jüdischen Sports kann dementsprechend Aufschluss über die vielfältige jüdische Erfahrung im östlichen Europa in der Moderne geben.
In dieser von Mangel an Gelegenheiten geprägten Umgebung fand jüdischer Sport keineswegs nur in Vereinen statt. Im Gegenteil waren es meistens Schulen, in denen junge Menschen mit Sport in Berührung kamen und die schulischen Sportanlagen boten auch anderen Athleten die Möglichkeit zur körperlichen Betätigung.
Deutsche Turnzeitung (1887), Nr. 35, S. 529; (vgl. auch Quelle 2) Alexis Hofmeister: Autoemancipation durch Muskelkraft: Vergleichende Überlegungen zur Bedeutung jüdischer Sportvereine im ausgehenden Zarenreich. In: Sport zwischen Ost und West. Beiträge zur Sportgeschichte Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Arié Malz, Stefan Rohdewald u. Stefan Wiederkehr. Osnabrück 2007, S. 171–189, hier: S. 180. ^
2.
Vgl. zum bulgarischen Sokol: Losan Mitev: Die Entwicklung der Turngesellschaften „Sokol“ und „Junak“ in Bulgarien bis zum Jahr 1914. In: Die slawische Sokolbewegung. Beiträge zur Geschichte von Sport und Nationalismus in Osteuropa. Hrsg. v. Diethelm Blecking. Dortmund 1991, S. 75–81; zur Ausbreitung der ursprünglich tschechischen Sokol-Bewegung in Osteuropa: Diethelm Blecking: Sport und „national revival“ in Osteuropa. Die tschechische Sokolbewegung als Modell. In: Sport – Ethnie – Nation. Zur Geschichte und Soziologie des Sports in Nationalitätenkonflikten und bei Minoritäten. Hrsg. v. Diethelm Blecking u. Marek Waic. Baltmannsweiler 2008, S. 12–22, hier: S. 18. ^
3.
Daniel Wildmann: Der veränderbare Körper. Jüdische Turner, Männlichkeit und das Wiedergewinnen von Geschichte in Deutschland um 1900. Tübingen 2009, S. 18, Anm. 1; Avi Mathis-Masury: Gefangen zwischen Hora und Tora. Körperlichkeit bei orthodoxen Juden in Israel, unv. Diss., Universität Tübingen 2004, S. 119, Anm. 138. ^
4.
Joachim Doron, Gan Shmuel: „Der Geist ist es, der sich den Körper schafft!“: Soziale Probleme in der jüdischen Turnbewegung (1896–1914). In: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 20 (1991), S. 237–258, hier: S. 246f. ^
5.
Vgl. dazu: Eisenberg, „English sports“, S. 250–261. ^
6.
Vgl. dazu: Anke Hilbrenner, Ostjüdische Fußballer. ^
7.
Anke Hilbrenner: Die Wurzeln des jüdischen Sports in Polen. Die Gründung jüdischer Turnvereine in Galizien und im russischen Teilungsgebiet vor dem Ersten Weltkrieg. In: „Dieser Vergleich ist unvergleichbar“. Zur Geschichte des Sports im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Anke Hilbrenner u. Dittmar Dahlmann. Essen 2014, S. 79–96. ^
8.
Diethelm Blecking: Marxismus versus Muskeljudentum. Die jüdische Sportbewegung in Polen von den Anfängen bis nach dem Zweiten Weltkrieg. In: SportZeit 1 (2001), Heft 2, S. 39–52, hier: S. 37; Hilbrenner, Ostjüdische Fußballer, S. 209f. ^
Anke Hilbrenner (2023-06-22): Die Anfänge der jüdischen Turn- und Sportbewegung in Deutschland und Ostmitteleuopa. In: Copernico. Geschichte und kulturelles Erbe im östlichen Europa. URL: https://www.copernico.eu/de/link/6493f7f71b4995.58182389 (08-10-2024)
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