Displaced Persons zwischen Befreiung und Neuanfang

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Über elf Millionen Menschen galten 1945 als Displaced Persons. Diejenigen, die zunächst nicht zurückkehrten, lebten vor allem in DP-Camps in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs. Wie erfuhren sie diese Zeit der Ungewissheit?

Enttäuscht in unseren Träumen und Hoffnungen und zu weiterem Umherirren außerhalb der Grenzen des eigenen Vaterlandes verurteilt, müssen wir uns unter fremden und uns nicht wohlgesonnenen Menschen aufhalten (…).1

So beschreibt Antoni Żok im Mai 1946 in seinem Tagebuch den ersten Jahrestag seiner Befreiung aus dem KZ-Außenlager Linz III durch US-Truppen. Der damals 35-jährige Pole aus 
Toruń
deu. Thorn, lat. Thorunia, lat. Torunium, deu. Thoren

Toruń ist eine polnische Groß- und Universitätsstadt mit fast 200.000 Einwohner:innen und neben Bydgoszcz (deutsch Bromberg) eine der zwei Hauptstädte der polnischen Woiwodschaft Kujawien-Pommern (poln. województwo kujawsko-pomorskie).

Toruń liegt in der historischen Landschaft des Kulmerlands. Gegründet im Hochmittelalter unter dem Deutschen Orden trat die Stadt im 14. Jahrhundert der Hanse bei. Im 15. Jahrhundert fiel die Stadt wie das weitere Kulmerland, Pommerellen oder auch das Ermland an das Königreich Polen. Im Zuge der ersten Teilung Polen-Litauens 1772 kam Toruń zu Brandenburg-Preußen und war bis ins 20. Jahrhundert Teil der preußischen Provinz Westpreußen.

Nikolaus Kopernikus (1473-1543, eig. Niklas Koppernigk) wurde hier geboren.

, ein gelernter Vermessungstechniker, gehörte bei Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs zu den etwa elf Millionen Menschen weltweit, die als Displaced Persons galten.

Was sind Displaced Persons?

Die Bezeichnung „Displaced Persons“ war eine Verwaltungskategorie für Menschen, die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs außerhalb ihrer Herkunftsregionen befanden und für die sich die Alliierten, also vor allem die USA, Großbritannien und die 
Sowjetunion
eng. Soviet Union, deu. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз, . Совет Ушем, . Советонь Соткс, rus. Sovetskij Soûz, . Советий Союз, yid. ראַטן־פֿאַרבאַנד, yid. סאוועטן פארבאנד, yid. sovətn farband, yid. sovʿtn-farband, yid. sovətn-farband, . Советтер Союзу, . Совет Союзы, deu. Советий Союз, . Советон Цæдис, . Совет Эвилели

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.

Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.

 als Gegner von NS-Deutschland und seiner Verbündeten, verantwortlich fühlten. Diese Kategorie bezog sich explizit nicht auf Deutsche. Für Letztere sollten deutsche Behörden zuständig sein. Mit der neugeschaffenen Kategorie „Displaced Person“ versuchten die Alliierten, eine zutiefst heterogene Gruppe von Menschen zusammenzufassen. Auch Displaced Persons mit gleicher Staatsbürgerschaft, etwa der polnischen oder litauischen, waren intern divers und politisch oft zerstritten. Ebenso hatten sie den Krieg sehr unterschiedlich erlebt: Unter ihnen befanden sich befreite Zwangsarbeiter:innen, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene, Geflüchtete, Antikommunist:innen sowie Mittäter:innen an NS-Verbrechen.
Die Alliierten planten, Displaced Persons schnellstmöglich in ihre Herkunftsländer zu repatriieren.2 Doch es kam anders. Das zeigt auch das Beispiel des polnischen KZ-Überlebenden Antoni Żok. Am 5. Mai 1946 schrieb er in sein Tagebuch:

Wahrhaft traurig und beklagenswert ist die Tatsache, dass wir zwölf Monate nach Beendigung der Kriegshandlungen in Europa von Lager zu Lager verschoben werden, wo wir weiterhin mit Abscheu auf den uns umschließenden Stacheldraht schauen müssen, auf die löchrigen und übelriechenden Baracken der früheren Lager, von denen wir uns mit solcher Freude trennten und die wir nie wieder sehen wollten.3

Bei den Verhandlungen der Alliierten zu Displaced Persons hatte die Sowjetunion durchgesetzt, dass – ob gewünscht oder nicht – sowjetische Bürger:innen prioritär rückgeführt wurden, auch unter Zwang.4 Trotz der Bemühungen der Alliierten um zügige Repatriierung befanden sich zur Jahreswende 1945/46 noch mehr als 735.000 Displaced Persons in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und 
Österreich
eng. Republic of Austria, eng. Austria, deu. Republik Österreich, slv. Avstrija, slv. Republika Avstrija, hrv. Republika Austrija, hrv. Austrija, hun. Ausztria, hun. Osztrák Köztársaság

Österreich ist ein von ungefähr 8,9 Millionen Einwohner:innen bewohntes Land in Mitteleuropa. Hauptstadt des Landes ist Wien.

. Nicht alle hielten sich in DP-Camps auf, je nach Zeitpunkt galten zwischen 30 und 40 Prozent von ihnen als free living. Ein Grund, der die Rückkehr erschwerte, war die kriegszerstörte Infrastruktur. Besonders Bahnlinien, Straßen und Brücken ins östliche Europa waren zerstört. Zudem fehlten Transportmittel und Treibstoffe. Hinzu kam: Viele konnten und wollten sich nicht repatriieren lassen.

Warum kehrten Displaced Persons nicht zurück?

Bei einigen, wie dem Tagebuchschreiber Żok, war die Repatriierung zunächst aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Ein erheblicher Teil der Displaced Persons hatte zudem aufgrund der NS-Besatzungspolitik und/oder von Grenzverschiebungen ihren Besitz verloren. Viele hatten keinen Kontakt zu Angehörigen, sofern diese noch lebten. Somit stellte sich für sie die Frage, wohin sie eigentlich zurückkehren sollten. Für Jüdinnen und Juden sprachen anhaltender Antisemitismus und oft der Wunsch nach einem jüdischen Staat gegen eine Rückkehr ins Herkunftsland.5
Der von den Alliierten zunächst als kurze Übergangszeit verstandene Aufenthalt in DP-Camps wurde somit zu einem andauernden Zustand. In den Camps übernahmen gewählte wie selbsternannte Eliten Aufgaben in der Selbstverwaltung. Viele förderten das jeweilige Nationalbewusstsein, verstanden sich als Antikommunist:innen und stilisierten sich und ihre Landsleute in den DP-Camps als die wahren Repräsentant:innen ihres Landes. Sie verstanden ihre Heimat, beispielsweise die 
Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik
ukr. Ukrayinsʹka Sotsialistychna Radyansʹka Respublika, ukr. Українська Соціалістична Радянська Республіка, rus. Ukrainskaya Sovetskaya Sotsialisticheskaya Respublika, rus. Украинская Советская Социалистическая Республика, ukr. Ukrayinsʹka Radyansʹka Sotsialistychna Respublika, ukr. Українська Радянська Соціалістична Республіка, eng. Ukrainian Soviet Socialist Republic

Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (kurz USSR, auch UkrSSR, Ukrainisch: Українська Радянська Соціалістична Республіка) war von 1922 bis 1991 eine Unionsrepublik der Sowjetunion (UdSSR). Gegründet wurde die USSR 1919, Hauptstadt war bis 1934 Charkiw (russ. Charkow), im Anschluss und bis zum Ende (1991) der UdSSR Kiew. In der USSR lebten gegen Ende (1989) rund 51,7 Millionen Menschen.

, als von den Sowjets besetzt und propagierten einen Kampf gegen die Etablierung sowjettreuer Regime, was die Einstellung gegen Repatriierungen verstärkte.6
Zahlreiche Displaced Persons waren zudem von den Kriegszerstörungen, fehlenden wirtschaftlichen Aussichten und politischen Entwicklungen verunsichert. Sie glaubten an einen erneuten Krieg, diesmal zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion. Besonders die polnischen Staatsbürger:innen, die zur Jahreswende 1945/1946 rund 60 Prozent der Displaced Persons ausmachten,7 befanden sich im Zentrum ideologischer Auseinandersetzungen und des beginnenden Kalten Krieges.8 Das kulturelle, moralische wie auch finanzielle „Rückgrat“ polnischer Displaced Persons war die polnische Exilarmee, die auf der Seite der Westalliierten nicht nur gegen den Terror der Nationalsozialisten gekämpft hatte, sondern auch gegen den der Sowjets. Ihr Einsatz galt einem unabhängigen 
Republik Polen
eng. Second Polish Republic, deu. Zweite Polnische Republik, pol. II. Rzeczpospolita, pol. II Rzeczpospolita

Zweite Polnische Republik (Polnisch: II. Rzeczpospolita) ist die gängige Bezeichnung für den wiedererrichteten polnischen Staat (Republik Polen), der am 11.11.1918, nach Ende des Ersten Weltkriegs und 123jähriger Teilungszeit, seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Seine Ausdehnung vor allem nach Osten war wesentlich kleiner als zur Zeit der sogenannten 1. Republik (Adelsrepublik), die 1795 mit der dritten Teilung Polens zwischen der Habsburgermonarchie, Preußen und Russland zu existieren aufgehört hatte.

Die Grenzen der Zweiten Polnischen Republik zu den Nachbarstaaten wurden erst 1921 und infolge bewaffneter Konflikte festgelegt, wobei sie auch im Nachgang (und teils während der gesamten Existenz der Zweiten Polnischen Republik) umstritten bleiben konnten. Dem deutschen Angriff auf Polen am 1.9.1939 und dem sowjetischen Einmarsch in Polen am 17.9.1939 folgte am 28.9.1939 die Kapitulation in Warschau, was dem funktionalen Ende der Zweiten Republik gleichkam. Als ihr formelles Ende wird oft die Rücknahme der Anerkennung der polnischen Exilregierung durch die britischen und US-amerikanischen Regierungen am 5.7.1945 angesehen, allerdings wurden die Organe der späteren Volksrepublik Polen von der Sowjetunion bereits am 24.6.1944 als offizielle Vertretung Polens anerkannt. Der Präsident der polnischen Exilregierung in London, Ryszard Kaczorowski, übergab am 22.12.1990 als letztem, symbolischem Akt der Zweiten Polnischen Republik deren Insignien an den damaligen polnischen Präsidenten in Warschau, Lech Wałęsa.

 in den Vorkriegsgrenzen und richtete sich auch gegen den Bolschewismus.9
Zu diesen Exilsoldaten zählte beispielsweise Alfons Borowski. Er hatte vor dem Krieg in Ostpolen gelebt, das  1939 von der Sowjetunion besetzt
Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt
auch:
Hitler-Stalin-Pakt, Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Molotow-Ribbentrop-Pakt
Der Hitler-Stalin-Pakt, auch Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt, wurde 1939 geschlossen und teilte Europa in zwei „Interessensphären“ ein - vereinfacht gesagt teilten das Deutsche Reich und die Sowjetunion Europa untereinander in Gebiete auf, die sie erobern oder dem jeweils anderen überlassen wollten. Der Vertrag sah unter anderem eine Teilung Polens vor und stellte somit die Grundlage für den deutschen Überfall auf Polen dar.
 worden war. Borowski war daraufhin nach 
Sibirien
rus. Sibir, rus. Сибирь, eng. Siberia

Sibirien erstreckt sich über eine Fläche von 12,8 Mio. Quadratkilometern zwischen dem Ural, dem Pazifik, dem Nordpolaarmeer, China und der Mongolei. 1581/82 begann die russische Eroberung Sibiriens. Zur Zeit der Aufklärung vor allem Rohstoffquelle und Raum für den Handel mit Asien, gewann Sibirien ab dem 19. Jahrhundert Bedeutung als Ort für Strafkolonien und Verbannte. Mit der Erschließung durch die transsibirische Eisenbahn und der Dampfschifffahrt am Ende des 19. Jahrhunderts kamen Industrialisierung und damit neue Siedler nach Sibirien. Weitere Industrialisierung unter Stalin wurde vor allem mit der Arbeitskraft von Gulag-Häftlingen und Kriegsgefangenen umgesetzt.

Die Karte zeigt Nordasien, zentral gelegen Sibirien. CIA World Factbook, bearbeitet von Veliath (2006) und Ulamm (2008). CC0 1.0.

 verschleppt worden. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion meldete er sich 1941 zu den in der Sowjetunion aufgestellten polnischen Militäreinheiten um General Władysław Anders und durfte als einer von 70.000 polnischen Staatsbürger:innen die Sowjetunion verlassen. Borowski, nunmehr Soldat der Exilarmee 2. Polnisches Corps, nahm 1944 mit den Westalliierten am Feldzug in Italien teil. Seine Militäreinheit war mit der polnischen Exilregierung in London verbunden. Borowski lernte schließlich seine Partnerin Stanisława in einem DP-Camp in Österreich kennen und blieb bei ihr. Somit wurde auch er als Displaced Person gezählt.

Das Lagerleben zwischen Hoffnung und Monotonie

Das bisher unveröffentlichte Tagebuch von Antoni Żok bietet einen Einblick in die Erfahrungen und Empfindungen der Displaced Persons am Kriegsende. Żok schrieb über das große Glücksgefühl, dass „dieses Zauberwort ‚Freiheit‘ Realität geworden“10 sei. „In den Herzen aller Polen herrscht unermessliche Freude. Nur die Sache mit Polen ist noch nicht klar“, vermerkte er am 8. Mai 1945. Die ungewissen politischen Verhältnisse dort zermürbten ihn: 

Das ist unser schweres Schicksal, das Schicksal der Polen; wir waren unter den ersten, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit verloren haben, und wir werden die letzten sein, die sie wiedererlangen. Ich denke oft an zu Hause, an meine Mutter (…). Ich denke oft darüber nach, ob nach dem Durchzug der deutschen und russischen Armeen durch ganz Polen (…) unsere Gehöfte übriggeblieben sind.11

Żok kam unmittelbar nach seiner Befreiung aus dem KZ Linz III in ein DP-Camp, begleitet von „einem Gefühl echter Zufriedenheit, Freude und Erleichterung“.12 Besonders das Aufeinandertreffen mit anderen Pol:innen bewegte ihn sehr. „Noch einmal, nach so vielen Jahren, polnische Farben, polnische Sprache – man kann einfach nicht glauben, dass dies Realität ist (…). Der bewegendste Moment nach diesen fünf Kriegsjahren war das gemeinsame Singen der Nationalhymne.“13 Mit Tränen in den Augen sang er: „Noch ist Polen nicht verloren.“ Die kommenden Wochen verglich er mit einem Aufenthalt in einem Kurort. Er genoss ausgelassene Tanz- und Revueabende, auch wenn er selbst wegen einer Fußverletzung nicht mittanzen konnte.
Der Besuch einer katholischen Messe, etwa eine Woche nach der Befreiung, hinterließ ebenfalls einen tiefen Eindruck: „Dies ist das erste Mal seit meiner Verhaftung im August ’43, dass ich in der Kirche bin. Für mich ist das ein großer und erhabener Moment. (…) Ich kniete vor dem kleinen Altar im Seitenschiff nieder und versenkte mich in ein inbrünstiges Dankgebet. (…) Die Bestien in Menschengestalt, diese Hyänen des germanischen Stammes, haben mein Blut nicht getrunken. (…) Stattdessen starb der Nazi-Moloch (…).“14 Ende Juni 1945 ging der erste Transport aus Żoks Camp nach Polen ab. Er selbst konnte aufgrund seiner Verletzung nicht mitreisen. „Nach der Abfahrt des gestrigen Transports wurde unser Lager menschenleer (…), Einsamkeit und eine Art unsagbare Sehnsucht überkam mich wie nie zuvor seit dem Verlassen der Heimat. Vorher war überall Bewegung und Geschäftigkeit, Kochen den ganzen Tag bis spät abends in der Kaserne und draußen, Gesang und Musik, jetzt – eine einzige Leere.“15
Die Aufzeichnungen zu den kommenden Monaten sind geprägt von Heimweh. Zudem betrübte Żok die Ungewissheit, was aus seinen Angehörigen geworden sein mochte.16 Offenbar hatte er keinerlei Kontakt nach Hause. Er verbrachte seine Tage zunächst mit Nichtstun, Spazierengehen und Schwimmen.17 Nach einiger Zeit nahm er im DP-Camp eine Arbeit auf. Die Displaced Persons zu beschäftigen und Langeweile vorzubeugen, waren explizite Anliegen der US-Militärregierung und der internationalen Hilfsorganisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration). Letztere war vornehmlich für die Versorgung sowie Rückführung der Displaced Persons zuständig. In einer UNRRA-Zeitung hieß es, dass Arbeit einen wesentlichen Bestandteil des zivilen Neuanfangs der Displaced Persons darstelle: „Sie werden wieder zu Individuen – diese Menschen, die sechs Jahre lang wie Vieh gehütet wurden; allmählich gewöhnen sie sich an ein geordnetes Gemeinschaftsleben, in dem ehrliche Leistung Befriedigung und Belohnung bringt – in dem Essen und Unterkunft ohne Angst geteilt werden können.“18 
UNRRA-Mitarbeiter:innen wie auch die Displaced Persons selbst bemühten sich, das Leben in den Camps angenehmer zu gestalten. Das dauerte jedoch: In Żoks Camp konnten im Frühjahr 1946, neun Monate nach Kriegsende in Österreich, Bretter geliefert werden, die es ermöglichten, die Baracken in kleinere Räume aufzuteilen und mehr Privatsphäre zu schaffen. Neben Reparaturen waren die Lagerbewohner:innen damit beschäftigt, einen neuen Übergangsalltag zu finden: Es entstanden Zeitungen, Freizeitprogramme und Exilgemeinschaften. Viele versuchten, ihre wiedergewonnene Freiheit zu genießen. Trinken und Rauchen im Übermaß sowie Sex wurden bedeutender Teil des Alltags und waren ständige Gesprächsthemen.19 Unter den Displaced Persons entstand zudem ein Heirats- und Babyboom.
Dennoch war das Lagerleben von Unwägbarkeiten geprägt. DP-Camps bestanden nur selten auf Dauer. Nach nicht einmal einem Jahr, im April 1946, wurde auch Żoks Camp verlegt: nach Flossenbürg, in die Baracken eines vormaligen KZs. In Żoks Worten glich die Zeit einem „Umherirren“ von Lager zu Lager. Dazu verbitterte ihn die ungewisse Zukunft: Das Umziehen von einem „Wartesaal“20 in den nächsten zählt zu den Erfahrungen, die viele DPs machten.

Neuanfänge

Das Leben als Displaced Person war immer wieder starkem Druck und Vorurteilen ausgesetzt. Die Sowjetunion beispielsweise diskreditierte Displaced Persons fast ausnahmslos als NS-Kollaborateure, Nationalist:innen, Verbrecher:innen und Verräter:innen. Auch wenn unter Displaced Persons in der Tat Kriegsverbrecher:innen und Helfer:innen der Nationalsozialist:innen waren, so galt dies doch nicht pauschal für alle. Displaced Persons sahen sich mit Anschuldigungen konfrontiert und befürchteten im Falle der Rückkehr politische Verfolgung. Es gab Gerüchte über Deportationen nach Sibirien. Der Verbleib im Westen erschien somit sicher(er). Unter der deutschsprachigen Bevölkerung galten Displaced Persons als kriminelle Ausländer. Die Westalliierten schließlich erhöhten den Repatriierungsdruck vor allem auf nichtjüdische Displaced Persons, um sie zu einer zügigen Rückkehr zu bewegen.
Unter diesen Umständen änderten Displaced Persons oft Angaben zu ihrer Person: manchmal aufgrund von Missverständnissen, teils aber auch bewusst, um sich einen Vorteil zu verschaffen oder der Zwangsrepatriierung in die Sowjetunion zu umgehen.21 Ein Beispiel ist Micha(e)l Tichon: Er wurde im heutigen 
Belarus
bel. Belarus', rus. Белоруссия, deu. Weißrussland, bel. Беларусь, eng. Belarus

Belarus (Bevölkerungszahl 2024: 9.109.280) ist ein Staat im östlichen Europa, der bis 1991 zur Sowjetunion gehörte. Seine Hauptstadt und bevölkerungsreichste Stadt ist Minsk. Belarus grenzt an die Ukraine, Polen, Litauen, Lettland und Russland.

 geboren und gehörte der sowjetischen Armee an, geriet dann in Kriegsgefangenschaft und wurde als Zwangsarbeiter in Österreich eingesetzt. Nach Kriegsende galt er als displaced. Zunächst wurde er als „W. Russian“ kategorisiert (vermutlich die Abkürzung für „White Russian“). Zwei Mal wurde diese Angabe zu unbekannten Zeitpunkten ersetzt, einmal in „Ukrainisch“, ein weiteres Mal in „Polnisch“. 1948 emigrierte Tichon nach Australien. In den dortigen Einwanderungsunterlagen galt er als orthodoxer polnischer Weißruthene.22 
Über eine Million Displaced Persons erhielten ab 1947/48 Visa und emigrierten vor allem in die USA, nach Australien und Kanada.23 Jüdinnen und Juden hatten auch 
Mandatsgebiet Palästina
eng. Mandatory Palestine, heb. המנדט הבריטי מטעם חבר הלאומים על פלשתינה, fra. Palestine mandataire

Das Mandatsgebiet Palästina wurde infolge des Ersten Weltkriegs und der in den Nachkriegsjahren vorgenommenen territorialen Neuordnung der östlichen Mittelmeergebiete (Levante) geschaffen, die zuvor zum unterlegenen Osmanischen Reich gehört hatten. Im Kriegsverlauf waren die Gebiete westlich und östlich des Jordan, die historisch auch als Cis- bzw. Transjordanien bezeichnet wurden und den heutigen Staaten Israel, Jordanien sowie dem Westjordanland und dem Gazastreifen entsprechen, unter britische Herrschaft gekommen. Großbritannien hatte ab 1916 die regionale arabische Unabhängigkeitsbewegung in der Arabischen Revolte (1916–1918) entscheidend unterstützt, die militärisch eroberten Gebiete jedoch im Anschluss zwischen sich und Frankreich aufgeteilt. Noch vor Kriegsende hatte Großbritannien zudem nicht nur der arabischen, sondern auch der jüdischen Bevölkerung der Region Unterstützung in der Erlangung politischer Unabhängigkeit bzw. der Schaffung eigener Staaten zugesichert (Balfour-Erklärung, 1917). Die Konferenz von San Remo, die im April 1920 über die Aufteilung des Osmanischen Reiches entschied, bestätigte die britischen Gebietsansprüche. 1922 erteilte auch der Völkerbund Großbritannien offiziell das Mandat über das Gebiet.
Bereits 1923 teilte Großbritannien dieses erste „Mandatsgebiet Palästina“ in zwei Gebiete auf: „Transjordanien“, das 1946 unabhängig wurde und seit 1950 offiziell den Namen Jordanien trägt; sowie das erneut als Mandatsgebiet „Palästina“ bezeichnete Gebiet, das nun das historische Cisjordanien bzw. den westlich des Jordans gelegenen Teil der historischen Region Palästina und die südlich gelegene Negev-Wüste umfasste und nach wie vor einen Zugang zum Golf von Akaba und damit zum Roten Meer besaß.
Die Zeit des Mandats war von anhaltenden Unruhen zwischen den arabischen und jüdischen Bevölkerungsteilen des Mandatsgebietes geprägt, nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab Großbritannien das Mandat auf und an die Vereinten Nationen (als Nachfolgeeinrichtung des Völkerbundes) zurück, die daraufhin einen Teilungsplan für die Region entwickelten. Zu dessen Implementierung kam es jedoch nie, da die Spannungen im Mandatsgebiet zum Palästinakrieg (1947–1949) eskalierten, in dessen Verlauf Israel seine Unabhängigkeit ausrufen und erfolgreich durchsetzen konnte.

Das Bild zeigt eine Karte des britischen Mandatsgebiets in Palästina zwischen 1945 und 1947. (Public Domain, via Wikimedia Commons)

 beziehungsweise ab 1948 Israel zum Ziel. Andere verblieben in Deutschland: Franz L. brach den Kontakt zu seiner Familie in Polen bewusst ab und heiratete eine Deutsche. In der polnischen Familie galt er danach als tot.24 Sein offizieller Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik änderte sich ab 1951. Die Kategorie Displaced Person existierte nicht mehr, nunmehr galt er als „heimatloser Ausländer“.
Antoni Żok lebte zu diesem Zeitpunkt in der 
Volksrepublik Polen
eng. Polish People’s Republic, pol. Polska Rzeczpospolita Ludowa

Die Volksrepublik Polen war ein von 1944 bis 1989 existierender sozialistischer Staat in der sowjetischen Einflusssphäre. Seine Grenzen entsprechen denen des heutigen Polens. Sozialistische Einheitspartei des Ein-Parteien-Staates war die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR).

. Er hatte sich 1947 für die Repatriierung entschieden. Sein Tagebuch führte er weiter. Mit seiner Familie wollte er jedoch nie über seine Erlebnisse sprechen – weder über seine Erfahrungen im KZ noch in den DP-Camps.25
Über dieses Schweigen berichten viele Nachkommen. Besonders ihre Zeit als Displaced Person betrachteten viele Betroffene als eine Zeit des scheinbar unwesentlichen „Danach“ – nach dem Krieg, nach dem Überleben. Zugleich war ihr Wunsch nach einem Neubeginn so groß, dass sie über das Vergangene wenig sprachen. Im östlichen Europa war das Thema Displaced Persons zudem ein politisches Tabu. Vor allem die als unangenehm wahrgenommene Frage, warum man nicht sofort zurückgekehrt war, machte vielen vormaligen Displaced Persons Angst. Es folgte ein oft jahrzehntelanges Schweigen.

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