Das Russische Kaiserreich (auch Russländisches Kaiserreich, Russisches Reich oder Kaiserreich Russland) war ein von 1721 bis 1917 existierender Staat in Osteuropa, Zentralasien und Nordamerika. Das Land war Mitte des 19. Jahrhunderts das größte zusammenhängende Reich der Neuzeit. Es wurde nach der Februarrevolution im Jahr 1917 aufgelöst. Der Staat galt als autokratisch regiert und wurde von ungefähr 181 Millionen Einwohner:innen bewohnt.
Er war ungehorsam. Seine Mutter hat ihm nicht verziehen, er hat wieder die Rute bekommen.3
Er hatte seine Launen und Wutanfälle während derer er mich schlug. Er hat die Peitsche bekommen. Diese Bestrafung hat großen Eindruck bei ihm hinterlassen: er gestand ein: ‚Ich hätte nicht gedacht‘, sagte er, ‚dass die Peitsche so schmerzhaft ist‘4
Beim Spiel hat er seine Schwester geschlagen und erhielt von seinem Papa die gleiche Anzahl an Ohrfeigen, die er gegeben hat, zurück.5
Auf den ersten Blick schienen die Samarins zu den russischen Adligen zu zählen, die aufgrund ihres ausländisch geprägten Lebensstils auch als „Fremde im eigenen Land“ bezeichnet wurden. Die Frage nach der Verortung Russlands im Zusammenhang mit der Europäisierung der Oberschichten stellte sich verstärkt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert.
Gerade weil er nicht genug Russisch spricht, weil er nicht ausreichend viel Zeit mit seinem Russischlehrer verbringt, wurde beschlossen, dass für einige Monate meine Präsenz in seiner [Jurijs, KK] Nähe vom Aufstehen bis zum Schlafengehen durch M. Nadejedine ersetzt wird. In der Konsequenz bedeutet dies, dass M. Nadejedine sich bei ihm niederlassen wird.8
Dennoch belegt das Tagebuch die stetigen Bemühungen in der Familie, ihre Kinder in der russischen Sprache und Kultur zu beheimaten, bei alltäglicher Nutzung des Französischen. Damit waren sie wie viele russische adlige Familien von einem unkomplizierten „kulturellen Bilingualismus“ gekennzeichnet. Diesen Begriff hat die amerikanische Historikerin Michelle Marrese geprägt und festgestellt, dass die „Vertrautheit mit russischen und westlichen Lebensstilen es den Adligen ermöglichte, in variierender Intensität an der Europäischen Kultur teilzuhaben, ohne sich dem Gefühl, zu Russland zu gehören, zu entziehen […].“10 In diesem Kontext lässt sich auch Jurijs Kindheit und die anderer seines Standes besser verorten. Sie bestand nicht, wie man zunächst meinen könnte, aus zwei Welten, einer russischen und einer „fremden“, sondern war ein Raum, in dem verschiedene kulturelle Parameter zu dem verschmolzen, was adlige russische Kindheit ausmachte. Für Jurij war es alltäglich, sprachliche und kulturelle Kontexte zu wechseln; das heißt, sich vormittags mit französischer Lektüre und lateinischen Übersetzungen zu befassen und nachmittags mit der Mutter russische Texte zu lesen und die Freiheiten des Landlebens in der russischen Provinz zu genießen. Seine Kindheit lässt sich als transnational und verflochten kategorisieren und zeigt, dass vermeintliche Gegensätze sich bei genauem Hinsehen in einer Synthese auflösen können.