Juden in Polen unmittelbar nach dem Holocaust

Eine Nachkriegsgeschichte in Fotografien
Selbstbestimmung und Gewalt, Trauer und Neuanfang, Wiederaufbau und Emigration – Fotografien zeigen die Ambivalenz jüdischen Lebens im Nachkriegspolen. Wie sind diese Bilder entstanden und überliefert worden, welche Leerstellen haben sie?
Ein Schild steht an einer Kreuzung inmitten der Ruinen 
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw, deu. Warszowa, deu. Warszewa, yid. Varše, yid. וואַרשע, rus. Варшава, rus. Varšava, fra. Vaarsovie

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2024: 1.863.845). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

: Die Straßennamen darauf sind den „Ghettohelden“, den Kämpfenden des Warschauer Ghettoaufstands von 1943, sowie Mordechai Anielewicz, einem ihrer Anführer, gewidmet. Das Schild wurde also erst kurz vor der Aufnahme der Fotografie im Jahr 1946 in der „Wüste aus Ziegelsteinen“, wie der polnische Schriftsteller Jerzy Putrament das Areal des ehemaligen Ghettos zu diesem Zeitpunkt beschrieb, aufgestellt. Das Bild ist, wie alle in diesem Beitrag, Teil des Fotoarchivs des Jüdischen Historischen Instituts (JHI) in Warschau.

Geschichten in Fotoalben

Die im Archiv aufbewahrten Fotografien Fotografien Die im Text genannten Fotografien sind bis Anfang 2026 in der Ausstellung “Der bestimmende Blick. Bilder jüdischen Lebens im Nachkriegspolen” im Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow in Leipzig zu sehen. Die Ausstellung entstand in enger Kooperation mit dem Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum. Sie kann im Rahmen von öffentlichen oder gebuchten Führungen besichtigt werden. sind Quellen, die uns einen spezifischen Einblick in die unmittelbaren Nachkriegsjahre in 
Volksrepublik Polen
eng. Polish People’s Republic, pol. Polska Rzeczpospolita Ludowa

Die Volksrepublik Polen war ein von 1944 bis 1989 existierender sozialistischer Staat in der sowjetischen Einflusssphäre. Seine Grenzen entsprechen denen des heutigen Polens. Sozialistische Einheitspartei des Ein-Parteien-Staates war die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR).

 erlauben. Sie sind allerdings keine objektiven, direkten Abbilder ihrer Zeit. Schließlich handelt es sich um Werke mit jeweils spezifischer Urheberschaft und bestimmten Auftraggeber:innen. Motive und Bildzuschnitte sind meist gezielt gewählt, um bestimmte Perspektiven und Deutungen zu vermitteln. Wichtig ist somit ein Blick „hinter die Kamera“: Was wurde für welche Zwecke fotografiert, was unmittelbar in Szene gesetzt, was ist heute nur mit Hintergrundwissen erkennbar? Was bleibt unsichtbar?
Jedoch, da Fotografien in der historischen Forschung sowie innerhalb von Archiven viele Jahrzehnte lang eine nachgeordnete Rolle spielten, sind meist weder Informationen zu Auftraggeber:innen noch zu Fotograf:innen überliefert. Zum Teil wurden Fotos innerhalb von Beständen von Textdokumenten getrennt, mit denen sie einen Zusammenhang bildeten. Einzelne Bilder wurden entfernt oder gingen verloren, ohne dass heute die Hintergründe dafür rekonstruierbar sind. Umso wertvoller ist der Bestand an Alben, den das JHI bewahrt: Darin erscheinen die Fotos als bildliche Erzählungen und vermitteln uns Blickwinkel, die für eine bestimmte Zuschauerschaft bewusst zusammengestellt wurden. Hier ist bekannt, dass sie häufig von Organisationen wie dem  Zentralkomitee der Juden in Polen (CKŻP)
Zentralkomitee der Juden in Polen
Diese wichtigste offizielle jüdische Vertretung in Polen nach dem Holocaust organisierte von 1944 bis 1950 die Unterstützung von überlebenden Jüdinnen und Juden in diversen Lebensbereichen. Das CKŻP förderte Programme, die Unterstützung im Bereich der Versorgung mit Lebensmitteln, Unterkünften, medizinischer Hilfe, Arbeitsvermittlung, aber auch der Organisation von schulischer und beruflicher Ausbildung und kulturelle Aktivitäten ermöglichten. Es koordinierte zudem die Hilfe für aus der Sowjetunion repatriierte Jüdinnen und Juden und half bei der legalen Auswanderung. Die von der polnischen Regierung finanzierte Institution wurde auch vom American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) finanziell unterstützt.
 oder Jugendverbänden angefertigt wurden.

Jüdisches Leben im Nachkriegspolen

Jüdisches Leben in Polen unmittelbar nach dem Holocaust war voller widersprüchlicher Erfahrungen. Orte, in denen es bis zum Krieg große jüdische Gemeinschaften gegeben hatte, waren nun geprägt von Zerstörung, Verlust und Leere. Die Ruinenlandschaft im Zentrum Warschaus auf dem Gebiet des ehemaligen Ghettos wurde hierfür zum Sinnbild.
In 
Niederschlesien
eng. Lower Silesia, pol. Dolny Śląsk, . Dolny Ślōnsk, . Dolny Ślůnsk, lat. Silesia Inferior, ces. Dolní Slezsko

Niederschlesien ist ein Teil der historischen Region Schlesiens, der im heutigen Polen, Deutschland und Tschechien liegt. Ihre Grenzen decken sich etwa mit der ehemaligen preußischen Provinz Niederschlesien mit weiteren Gebieten im Nordwesten (Teile der Oberlausitz) und Süden, die zeitweise auch zu Schlesien gehörten, sowie ein Teil der Woiwodschaft Oppeln, die ehemals zum Herzogtum Neisse gehörte. Ihre historische Hauptstadt ist Breslau.

, auf ehemals deutschem Gebiet, erfuhr jüdisches Leben für einige Jahre eine kurze Blüte. Jüdinnen und Juden, die in Polen überlebten, vor den Deutschen in die 
Sowjetunion
eng. Soviet Union, deu. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз, . Совет Ушем, . Советонь Соткс, rus. Sovetskij Soûz, . Советий Союз, yid. ראַטן־פֿאַרבאַנד, yid. סאוועטן פארבאנד, yid. sovətn farband, yid. sovʿtn-farband, yid. sovətn-farband, . Советтер Союзу, . Совет Союзы, deu. Советий Союз, . Советон Цæдис, . Совет Эвилели

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.

Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.

 geflohen oder dorthin von den sowjetischen Besatzern deportiert worden waren und nun zurückkehrten, siedelten sich hier an. Die polnische Regierung lenkte diese Menschen gezielt in die Region. Zeitgleich fanden Übergriffe auf Jüdinnen und Juden statt. Der größte war das Pogrom von 
Kielce

Kielce ist eine Großstadt im Südosten Polens und zugleich Hauptstadt der Woiwodschaft Heiligkreuz (województwo świętokrzyskie). Die Stadt hat mehr als 190.000 Einwohner, ist eine wichtige Industrie- und Handelsstadt und Sitz mehrerer Hochschulen.

 im Sommer 1946: Einwohner:innen der Stadt ermordeten dort mehr als 40 polnische Jüdinnen und Juden, etwa 80 wurden teils schwer verletzt.
Für die Mehrheit der Holocaustüberlebenden ähnelte Polen einem gigantischen Friedhof, einem Ort, an dem Millionen von den deutschen Besatzern ermordeter Jüdinnen und Juden begraben lagen. Diese Erfahrung sowie die Eskalation der Gewalt auch nach dem Krieg waren die Hauptgründe, warum ein großer Teil der Überlebenden bis Ende des Jahrzehnts emigrierte.

Visionen für die Zukunft: Gehen oder Bleiben?

Ein Ziel der Emigrant:innen war das britische 
Mandatsgebiet Palästina
eng. Mandatory Palestine, heb. המנדט הבריטי מטעם חבר הלאומים על פלשתינה, fra. Palestine mandataire

Das Mandatsgebiet Palästina wurde infolge des Ersten Weltkriegs und der in den Nachkriegsjahren vorgenommenen territorialen Neuordnung der östlichen Mittelmeergebiete (Levante) geschaffen, die zuvor zum unterlegenen Osmanischen Reich gehört hatten. Im Kriegsverlauf waren die Gebiete westlich und östlich des Jordan, die historisch auch als Cis- bzw. Transjordanien bezeichnet wurden und den heutigen Staaten Israel, Jordanien sowie dem Westjordanland und dem Gazastreifen entsprechen, unter britische Herrschaft gekommen. Großbritannien hatte ab 1916 die regionale arabische Unabhängigkeitsbewegung in der Arabischen Revolte (1916–1918) entscheidend unterstützt, die militärisch eroberten Gebiete jedoch im Anschluss zwischen sich und Frankreich aufgeteilt. Noch vor Kriegsende hatte Großbritannien zudem nicht nur der arabischen, sondern auch der jüdischen Bevölkerung der Region Unterstützung in der Erlangung politischer Unabhängigkeit bzw. der Schaffung eigener Staaten zugesichert (Balfour-Erklärung, 1917). Die Konferenz von San Remo, die im April 1920 über die Aufteilung des Osmanischen Reiches entschied, bestätigte die britischen Gebietsansprüche. 1922 erteilte auch der Völkerbund Großbritannien offiziell das Mandat über das Gebiet.
Bereits 1923 teilte Großbritannien dieses erste „Mandatsgebiet Palästina“ in zwei Gebiete auf: „Transjordanien“, das 1946 unabhängig wurde und seit 1950 offiziell den Namen Jordanien trägt; sowie das erneut als Mandatsgebiet „Palästina“ bezeichnete Gebiet, das nun das historische Cisjordanien bzw. den westlich des Jordans gelegenen Teil der historischen Region Palästina und die südlich gelegene Negev-Wüste umfasste und nach wie vor einen Zugang zum Golf von Akaba und damit zum Roten Meer besaß.
Die Zeit des Mandats war von anhaltenden Unruhen zwischen den arabischen und jüdischen Bevölkerungsteilen des Mandatsgebietes geprägt, nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab Großbritannien das Mandat auf und an die Vereinten Nationen (als Nachfolgeeinrichtung des Völkerbundes) zurück, die daraufhin einen Teilungsplan für die Region entwickelten. Zu dessen Implementierung kam es jedoch nie, da die Spannungen im Mandatsgebiet zum Palästinakrieg (1947–1949) eskalierten, in dessen Verlauf Israel seine Unabhängigkeit ausrufen und erfolgreich durchsetzen konnte.

Das Bild zeigt eine Karte des britischen Mandatsgebiets in Palästina zwischen 1945 und 1947. (Public Domain, via Wikimedia Commons)

. Verschiedene Organisationen warben dafür. So erzählt ein Album im Bestand des JHI vom Sommerlager, das die Jugendbewegung  Gordonia Makkabi Hatzair
Gordonia Makkabi Hatzair
auch:
Gordonia
Zionistische Jugendbewegung, die 1923 in Polen entstand und sich zu einer weltweiten Bewegung entwickelte. Benannt nach Aharon David Gordon, dem Vordenker und Begründer einer nicht-marxistischen, sozialistisch-proletarischen Strömung des Zionismus. Wichtige Grundsätze der Bewegung waren der Aufbau eines jüdischen Heimatlandes in Palästina, die Erziehung der Mitglieder zu humanistischen Werten sowie die Wiederbelebung der hebräischen Sprache.
 1947 in 
Łódź
deu. Lodz, deu. Litzmannstadt, deu. Lodsch, yid. Lodž, yid. לאָדזש, pol. Łodzia, deu. Lodsch

Die kreisfreie Stadt Łódź (Bevölkerung 2022: 652.015) liegt in der gleichnamigen Woiwodschaft im Zentrum Polens. Die bis in die 1820er Jahre unbedeutende Kleinstadt erfuhr einen enormen Aufschwung nach dem Ausbau zum führenden Industriezentrum im autonomen Königreich Polen und wurde zu einem der wichtigsten Industriezentren im gesamten Zarenreich. Wegen der dominierenden Textilindustrie, erhielt die Stadt den Beinamen "Manchester Polens". Allerdings hielt der Wohnungsbau und der Ausbau der Infrastruktur dem Ausbau der Industrie nicht Schritt, sodass in der Stadt neben prunkvollen Palästen breite Teile der Stadtbevölkerung in prekären Verhältnissen, oft ohne Kanalisation und ohne Zugang zu Bildung, lebten.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs gehörte Łódź zum wiederhergestellten polnischen Staat. Neben dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Industrie wurde auch verstärkt in die Verbesserung der Lebensbedingungen der Stadtbevölkerung investiert. Nach dem Deutschen Überfall auf Polen im September 1939 wurde die Stadt ins Deutsche Reich eingegliedert und ihr offizieller Name zunächst in Lodsch, dann in Litzmannstadt geändert. 1940-1944 existierte in der Stadt eins der größten Ghettos im Reichsgebiet, in dem neben der beinahe gesamten örtlichen jüdischen Bevölkerung (mit ca. 220.000 etwa ein Drittel der Stadteinwohnerschaft) auch jüdische Bevölkerungsteile aus anderen Gebieten Polens und des Auslands sowie Sinti und Roma auf kleinstem Raum interniert waren. Nur wenige Menschen haben das Ghetto bzw. den Ort der anschließenden Verschleppung überlebt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 stellte Łódź eine intakte Stadt dar. Als die zu diesem Zeitpunkt größte Stadt Polens und wegen ihrer Nähe zur formellen, aber fast komplett zerstörten Hauptstadt Warschau, fungierte sie für drei Jahre als Regierungssitz.
Die Krise der Textilindustrie begann in den 1980er Jahren, um kurz nach Beginn der politischen Transformation Anfang der 1990er Jahre zusammenzubrechen. Die Stadt stürzte in eine tiefe Krise, in deren Folge ihre Bevölkerung zwischen 1989 und 2022 um 200.000 Einwohner sank. Vom zweiten Platz im Ranking der größten Städte des Landes ist Łódź an die vierte Stelle nach Krakau und Breslau zurückgefallen. Die Investitionen in die Sanierung, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und den Kultursektor trugen im 21. Jahrhundert zu einem deutlich besseren Image der Stadt bei, die heute als einer der wichtigsten Standorte für Bildung, Kultur, die Designbranche und Filmindustrie in Polen gilt.

 organisierte. Die bereits in den 1920er Jahren in Polen gegründete und nach dem Krieg reaktivierte zionistische Bewegung bereitete Jugendliche auf eine Auswanderung vor. Das vollständig erhaltene Album in jiddischer und hebräischer Sprache zeigt Jugendliche beim Hebräisch-Unterricht sowie ein Gruppenfoto mit einem Porträt des Namensgebers Aharon David Gordon.
Ein anderes Album entstand auf einem Sommerlager 1946 in Niederschlesien, organisiert von  Tsukunft
Tsukunft
auch:
Zukunft
1913 als sozialistische und nicht-zionistische Jugendorganisation gegründet, seit 1916 offizielle Jugendorganisation des Bund (Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland).
, seit 1916 der offizielle Jugendverband des  Bund
Der Bund
auch:
Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland
Der «Allgemeine jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland» wurde 1897 in Vilnius gegründet und vereinte zahlreiche Sozialisten jüdischer Herkunft. Die Bundisten standen dem Wunsch nach einem jüdischen Staat, wie ihn der Zionismus propagierte, ablehnend entgegen und setzten sich für ausgebaute jüdische Autonomierechte in der Diaspora ein. Während des Zweiten Weltkriegs operierte der polnische Zweig des Bundes im Untergrund weiter und beteiligte sich unter anderem am Warschauer Ghettoaufstand.
. Die wenigen Überlebenden traten für eine jüdische Selbstbestimmung in Polen ein. Das Album zeigt Mitglieder bei militärischen Übungen und ein Gruppenfoto mit Waffen. Im Gegensatz zum Gordonia-Album weist es große Lücken auf, da zahlreiche Fotos entfernt wurden.
Die Alben beider Jugendverbände stehen für die Heterogenität der polnischen Judenheiten und ihre unterschiedlichen Visionen für die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft. Das Album von Tsukunft macht auch deutlich, dass zunächst viele planten, in Polen zu bleiben.

Gedenken: Jahrestage des Warschauer Ghettoaufstands

Die Gegenwart der Überlebenden war nicht nur vom Blick in sehr unterschiedlich imaginierte Zukünfte bestimmt. Eine bedeutende Rolle spielte auch die Erinnerung an die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und die NS-Vernichtungspolitik. Einen wichtigen mentalen Anker für die jüdischen Gemeinschaften bildete der Aufstand im Warschauer Ghetto: Am 19. April 1943 erhoben sich dort unzureichend bewaffnete Jüdinnen und Juden im Widerstand gegen die weitere Deportation in die Vernichtungslager. Sie lieferten sich mehrere Wochen lange erbitterte Kämpfe mit der deutschen Besatzungsmacht.
Der erste Jahrestag des Aufstands fiel noch in die Zeit der deutschen Besatzung. Teilnehmer:innen des Aufstands und versteckt lebende Jüdinnen und Juden gedachten dieses größten Widerstandsakts während des Holocaust im Geheimen. Zum zweiten Jahrestag am 19. April 1945 trafen sich wenige Personen, darunter Überlebende und ehemalige Kämpfer:innen, aber auch Mitglieder verschiedener jüdischer Parteien, inmitten des Ruinenmeers, in das die Deutschen das Ghettogelände bei der Niederschlagung des Aufstands verwandelt hatten. Die deutschen Truppen waren erst im Januar desselben Jahres aus der Stadt verdrängt worden, noch aber war der Krieg nicht beendet. Die Rückkehr der Warschauer Stadtbevölkerung nach ihrer Deportation im Zuge des Aufstands der polnischen Heimatarmee im August und September 1944 hatte gerade erst begonnen. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt wurde dem gemeinsamen Gedenken an den Aufstand eine derart wichtige Rolle zugewiesen, dass das CKŻP professionelle Fotografen mit der Dokumentation der Zusammenkunft beauftragte. 
Das Album kann auf der Website des JHI vollständig eingesehen werden.
Auch in den folgenden Jahren hielt man die Gedenkfeiern systematisch im Bild fest. Im Jahr 1947 gestaltete das CKŻP zum vierten Jahrestag ein über 70-seitiges Album mit großformatigen Fotografien. Die Bilder wurden zudem an jüdische Medien im Ausland geschickt. Seitdem erfuhren die Feierlichkeiten eine deutliche Ausweitung. Man würdigte den Heldenmut der Kämpfer:innen und verband diesen mit Erzählungen über eine Wiedergeburt und den Aufbau eines neuen Lebens. Dabei kam es zu einer zunehmenden Politisierung und staatlichen Kontrolle der Veranstaltungen seit den 1950er Jahren, deren universalistische Narration sich faktisch auf die polnische Nation konzentrierte und die dadurch jeglicher Hinweise auf die Spezifik der gegen Jüdinnen und Juden gerichteten NS-Vernichtungspolitik beraubt wurden.
Jenseits ihrer politischen Instrumentalisierung hatten die Gedenkveranstaltungen für Jüdinnen und Juden in Polen eine starke soziale Bedeutung, denn sie brachten die Überlebenden des Holocaust zusammen. Die Teilnahme war nicht nur ein öffentliches Zeichen der Solidarität mit der Gemeinschaft, sondern ebenso Beweis für das Fortleben des jüdischen Volkes.

Hoffnung und Neubeginn: Jüdisches Leben in Niederschlesien

Ein größerer Bestand an Alben zeigt jüdisches Leben in Niederschlesien. In den vormals deutschen Gebieten entstanden Fotografien, die von Hoffnung und Neubeginn berichten. Auf Anfrage der Abteilung für Kultur und Propaganda des CKŻP stellte das Jüdische Komitee in 
Dzierżoniów
deu. Reichenbach (Eulengebirge), pol. Drobniszew, deu. Reichenbach im Eulengebirge, deu. Reichenbach am Eulengebirge, deu. Reychenbach, pol. Rychbach, pol. Rychonek, deu. Reichenbach unter der Eule

Dzierżoniów (Bevölkerung 2023: 30.614) ist eine Kreisstadt im Südwesten Polens, in der Woiwodschaft Niederschlesien. Dzierżoniów liegt am östlichen Rand des Eulengebirges (Góry Sowie) am Fluss Peilau (Piława) und gehört zu den ältesten Städten Niederschlesiens. Die Stadtrechte erhielt sie wahrscheinlich um 1250. Bis 1945 war die Stadt unter dem deutschen Namen Reichenbach bekannt, der zunächst in Rychbach umbenannt wurde. Den heutigen Namen erhielt sie 1946 zum Gedenken an Pfarrer Jan Dzierżoń (Johann Dzierzon) - einen herausragenden schlesischen Bienenforscher.

, dem heutigen Dzierżoniów, ein Album mit 71 Fotografien zusammen, die den Alltag und die Errungenschaften der neuen Einwohner:innen positiv in Szene setzen sollten. Zu sehen sind ein Auftritt der Kindertanzgruppe, Handwerk und Landwirtschaft, eine Arbeiterkneipe, ein Eisverkäufer sowie der Besuch des amerikanisch-jüdischen Schauspielstars Molly Picon.
Bildunterschriften sind zumeist handschriftlich auf Polnisch ergänzt. Das Titelblatt ist jedoch dreisprachig gestaltet – auf Polnisch, Jiddisch und Englisch – und zeigt, dass sich die Fotografien auch an ein internationales Publikum richteten. Die polnische Regierung nutzte sie, um der internationalen Öffentlichkeit den Neubeginn jüdischen Lebens in Niederschlesien zu zeigen und damit auch die Zugehörigkeit des Gebiets zu Polen nach 1945 zu rechtfertigen.
Polnische Behörden sowie das CKŻP ermutigten Jüdinnen und Juden auch aus einem weiteren Grund dazu, sich in den ehemals deutschen Gebieten niederzulassen: Bei einer Rückkehrer in die früheren Heimatorte wurden Konflikte befürchtet, da sich nichtjüdische Bewohner:innen jüdisches Eigentum angeeignet hatten. Die in den ersten Nachkriegsjahren verbreitete antijüdische Gewalt ist im Album aus Dzierżoniów nur implizit sichtbar: Vor der Eingangstür des Kulturhauses stehen bewaffnete Männer – zwei Mitglieder der jüdischen Selbstverteidigung.

Das Kielce-Pogrom in den Fotografien Julia Pirottes

Ein anderer Bildbestand aus dem JHI zeigt zwar nicht direkt Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, aber deren Folgen. Auf Fotos, die in den Tagen unmittelbar nach dem Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946 aufgenommen wurden, sind Schwerverletzte und Traumatisierte im Krankenhaus zu sehen, außerdem der mit Särgen der Opfer gefüllte Spitalhof. Im Vordergrund sind mehrere kleinere Särge abgebildet – ein indirekter und beklemmender Hinweis auf die blinde Gewalt der Menschenmenge, die weder Alte, Frauen (darunter eine Hochschwangere) noch Säuglinge und Kleinkinder verschonte.
Diese Aufnahmen stammen von der Fotografin und Journalistin Julia Pirotte, selbst jüdischer Herkunft, die erst wenige Wochen zuvor nach Polen, das Land ihrer Kindheit, zurückgekehrt war. Verlassen hatte sie es 1934 in Richtung Westen, als ihr (erneut) eine Inhaftierung aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der verbotenen Kommunistischen Partei drohte.
Wie Julia Pirotte selbst die verbreitete Gewalt gegen Jüdinnen und Juden in ihrer Heimat wahrnahm, ist nicht überliefert. Als Journalistin des Żołnierz Polski (Polnischer Soldat), der Wochenzeitschrift des polnischen Militärs, war sie jedoch aufmerksame und kritische Beobachterin. Im Auftrag ihrer Redaktion fuhr sie in der Nacht vom 4./5. Juli 1946 nach Kielce, nachdem die Nachrichten vom Pogrom sich verbreitet hatten. In einem Bericht über ihre Erlebnisse bis zur Beerdigung der Getöteten am 8. Juli gibt sie die folgende Aussage einer Betroffenen wieder: „Wir lagen die ganze Nacht neben dem Krankenhaus. Die Ärzte wollten uns nicht aufnehmen. Auch sie glaubten, wir hätten ein polnisches Kind getötet.“1 Der antisemitische Ritualmord-Vorwurf, der das Pogrom ausgelöst hatte, gehörte ebenso wie die anhaltend feindselige Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung den Opfern gegenüber zu den Aspekten, die außerhalb der Fotografien bleiben.
Dennoch sind diese Bilder besondere: Pirotte war eine von nur wenigen Fotojournalist:innen vor Ort. Ihre Aufnahmen, insgesamt drei Filmrollen mit 118 Bildern, wurden zudem unmittelbar danach vom polnischen Sicherheitsdienst beschlagnahmt, der eigene Ermittlungen zum Pogrom durchführte. Aus nur wenigen vorhandenen Kontaktabzügen fertigte Pirotte neue Negative einiger Aufnahmen an. Ein Teil wurde mit einem Bericht zum Pogrom im Żołnierz Polski 1946 veröffentlicht. Die Aufnahmen – ähnlich wie die öffentliche Erinnerung an das Pogrom – verschwanden für die folgenden Jahrzehnte jedoch. Erst zum Jahrestag 1991 brachte die Fotografin die Bilder wieder aus ihrem Privatarchiv an die Öffentlichkeit.

Private Perspektiven, unsichtbare Realitäten

Nicht nur die Zensur beschränkte die Auswahl der Bildmotive, die wir heute kennen. Aufgrund knapper finanzieller wie technischer Ressourcen entstanden im Nachkriegspolen kaum Privatfotografien. Einige der wenigen privaten Fotos befinden sich heute zudem nicht mehr in Polen, sondern verließen mit ihren Besitzer:innen zusammen das Land. Hinzu kommt, dass Bilder aus privaten Beständen häufig nicht – oder noch nicht – über Archive und Datenbanken auffindbar sind. Meist verbleiben sie, eingeklebt in Familienalben, bei Privatpersonen.
Fotos halten Momente fest, die sich rückblickend als flüchtig erweisen. Im Jahr 1947 dokumentierte Julia Pirotte in einer jüdischen Arbeiterkooperative in Warschau ein Banner. Auf Jiddisch ist darauf zu lesen, dass die polnische Volksdemokratie die freie wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung der jüdischen Bevölkerung in Polen garantiere. Nur zwei Jahre später hatte die Regierung allerdings fast alle jüdischen Organisationen in Polen aufgelöst und die meisten Jüdinnen und Juden hatten das Land verlassen.
Die komplexe Situation, in der sich die Schneider:innen befanden, ist nicht sichtbar: Traumatisiert, ihrer Familien beraubt und besitzlos, standen sie vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten und mussten sich in einer Gesellschaft zurechtfinden, die ihnen teils feindselig begegnete. Insofern ist dieses Foto auch ein Beispiel dafür, was Bilder nicht zeigen (können).
Fotografien können somit eine Wirkung haben, die über die ursprüngliche Absicht ihrer Urheber:innen und Auftraggeber:innen hinausgeht. Wenn man bei ihrer Betrachtung die breiteren zeitgenössischen Rahmenbedingungen berücksichtigt, werden auch von den Fotograf:innen unbeabsichtigte Kontexte ebenso wie Leerstellen sichtbar.

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