Polen als Objekt kolonialer Politik hat die jüngere Forschung zum 19. und 20. Jahrhundert viel diskutiert. Aber war Polen in älteren Zeiten selbst eine Kolonialmacht? Diese Möglichkeit prüfen wir anhand zweier Fallbeispiele.
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Polen als Kolonialmacht im östlichen Europa? – Dieser Gedanke mag angesichts der Dominanz der Geschichte des Zweiten Weltkriegs im öffentlichen Gedächtnis Polens abwegig erscheinen. Allerdings attestierte die Literaturwissenschaftlerin Maria Janion der polnischen Gesellschaft schon 2004 eine „paradoxe postkoloniale Mentalität“1, die sich darin äußere, sowohl Objekt als auch Subjekt kolonialer Konstellationen zu sein. Gemeint hat sie damit unterschiedliche Zeitschichten der polnischen Geschichte: Einerseits erlangte die 
Königreich Polen
eng. Kingdom of Poland, pol. Królestwo Polskie, lat. Regnum Poloniae

Die Vorgängerterritorien des Königreichs Polen konstituierten sich bereits im 9. bzw. 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Piasten. Im 10. und 11. Jahrhundert wurde das Königreich christianisiert. Im 11. Jahrhundert verstetigte sich die Monarchie, wobei das Reich im 12. Jahrhundert in mehrere Fürstentümer zerfiel, und seit 1227 hatte das Seniorat nur eine formelle Bedeutung. 1320 vereinigten sich die Fürstentümer wieder zu einem Königreich Polen. Dieses Königreich ging ab 1386 eine Personalunion mit Litauen ein um dann 1569 zur Realunion mit Litauen zu fusionieren.

Im 10. Jahrhundert wird Polen Civitas Schinesghe (etwa "Gnesner Land") genannt. Bis 1025, tlw. im 11-13. Jahrhundert, bezeichnen die Urkunden das Land als Ducatus Poloniae ("Herzogtum Polen"). 1386–1795 wird als Königreich Polen einen Teil der Doppelmonarchie Polen-Litauen bezeichnet.

 in einer spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Phase eine dominante Rolle gegenüber dem 
Großfürstentum Litauen
rus. Velikoe knjažestvo Litovskoe, rus. Великое княжество Литовское, pol. Wielkie Księstwo Litewskie, bel. Vialikaie Kniastva Litoŭskaie, bel. Вялікае Княства Літоўскае, lit. Lietuvos Didžioji Kunigaikštystė, eng. Grand Duchy of Lithuania, lat. Magnus Ducatus Lituania, deu. Grpßfürstentum Litauen, Ruthenien und Schemaitien

Das Gebiet des Großfürstentums Litauen wurde schon im 11. Jahrhundert von baltischen Litauern besiedelt. Diese unterschiedlichen "Stämme" formierten im 13. Jahrhundert das Großfürstentum. Die Expansion des Großfürstentums orientierte sich Größtenteils nach osten, da der Deutsche Orden ab dem 13. Jahrhundert den Zugang zur Ostsee versperrte. 1320 eroberte Großfürst Gediminas Kiew, Ab 1386 befand sich das Großfürstentum unter dem gleichen Herrscher wie das polnische Königreich (Personalunion), auch um sich gegen den erstarkenden Deutschen Orden in der Region behaupten zu können. 1569 wurde Polen und das Großfürstentum Litauen auch eine staatliche Einheit.

 und damit auch über ruthenische (heute ukrainische, belarusische und sogar russische) Gebiete. Andererseits etablierten 
Königreich Preußen
dan. Kongeriget Preussen, pol. Królestwo Prus, eng. Kingdom of Prussia

Das Königreich Preußen bestand von 1701 bis 1918 und wurde von der Dynastie der Hohenzollern regiert. Das Land war von der Gründung bis 1848 eine absolute Monarchie und von 1848 bis zur Auflösung eine konstitutionelle Monarchie. Hauptstadt des Königreiches Preußen war Berlin. Das Land wurde von ungefähr 40 Millionen Menschen bewohnt. Nach der Novemberrevolution 1918 und der Abdankung Wilhelms II. löste sich das Königreich auf und bildete den Freistaat Preußen.

, das 
Russländisches Kaiserreich
rus. Росси́йская импе́рия, rus. Rossijskaja imperija, eng. Russian Empire, deu. Russisches Kaiserreich, deu. Russländisches Reich

Das Russische Kaiserreich (auch Russländisches Kaiserreich, Russisches Reich oder Kaiserreich Russland) war ein von 1721 bis 1917 existierender Staat in Osteuropa, Zentralasien und Nordamerika. Das Land war Mitte des 19. Jahrhunderts das größte zusammenhängende Reich der Neuzeit. Es wurde nach der Februarrevolution im Jahr 1917 aufgelöst. Der Staat galt als autokratisch regiert und wurde von ungefähr 181 Millionen Einwohner:innen bewohnt.

 und das 
Habsburgerreich
eng. Habsburg Empire, deu. Habsburgermonarchie, deu. Donaumonarchie, eng. Habsburg Realm, eng. Habsburg monarchy

Als Habsburgerreich (auch Habsburgermonarchie oder Donaumonarchie) werden die Territorien und Länder bezeichnet, die von den Herrschern und Herrscherinnen aus dem Haus Habsburg bzw. Habsburg-Lothringen vom Mittelalter bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Personalunion regiert wurden – jedoch lange keinen zusammengehörigen Staat im engeren Sinne bildeten. Erst 1804 wurde das Kaisertum Österreich als ein solcher gegründet, aus dem 1867 Österreich-Ungarn bzw. die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie hervorging.

Zum Habsburgerreich gehörten eine Vielzahl von kleineren und größeren Ländern und Territorien, die überwiegend zu mehreren größeren Gruppen zusammengefasst wurden. Dazu gehörten neben dem Erzherzogtum Österreich und seinen Nebenländern (darunter etwa die Herzogtümer Kärnten, Krain, Salzburg und weitere) vor allem die sog. „Länder der Böhmischen Krone“ sowie die „Länder der ungarischen Krone“. Hinzu kommen zahlreiche weitere Territorien und Landesteile, nicht zuletzt und angesichts der Expansionspolitik des 19. Jahrhunderts auch auf dem Balkan (u. a. Bosnien und Herzegowina). Angesichts der zahlreichen Grenzverschiebungen, territorialer Neuordnungen sowie auch nur zeitweiliger territorialer Gewinne und Verluste war das Habsburgerreich praktisch durchgängig Grenz- und Gebietsänderungen unterworfen.

Seit dem späten 18. Jahrhundert bildeten die meisten Teilstaaten des Habsburgerreiches die sog. Kronländer, die später eigene Landesordnungen erhielten. Mit der Umwandlung des Kaisertums in einen österreichisch-ungarischen Doppelstaat (Doppelmonarchie) schieden das Königreich Ungarn und die weiteren Länder der ungarischen Krone auch aus dem Kreis der Kronländer aus. Im Anschluss wurden sie im behördlichen Sprachgebrauch auch als Transleithanien bezeichnet, alle weiteren (ohne Bosnien und die Herzegowina) als Cisleithanien.

 seit den Teilungen 
Polen-Litauen
eng. Polish–Lithuanian Commonwealth, lit. Abiejų Tautų Respublika, pol. Rzeczpospolita Obojga Narodów, deu. Erste Polnische Republik, lat. Respublica Poloniae, pol. Korona Polska i Wielkie Księstwo Litewskie, lat. Res Publica Utriusque Nationis, deu. Republik beider Völker

Bereits 1386 wurden das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen durch eine Personalunion verbunden. Polen-Litauen bestand als multiethnisches Staatsgebilde und Großmacht im östlichen Europa von 1569 bis 1795. In dem auch Rzeczpospolita genannten Staat wurde der König von den Adeligen gewählt.

 im späten 18. Jahrhundert ihre imperiale Herrschaft über die zuvor polnisch-litauischen Territorien. Diese wurde im Zweiten Weltkrieg durch die 
Deutsches Reich
eng. German Reich

Das Deutsche Reich war ein von 1871 bis 1945 existierender Staat in Zentraleuropa. Die Zeit von der Gründung bis 1918 wird als Deutsches Kaiserreich bezeichnet, dann folgte die Zeit der Weimarer Republik (1918/1919-1933) und die des Nationalsozialismus (sogenanntes Drittes Reich) von 1933 bis 1945. Als Tag der Reichsgründung gilt der 01.01.1871.

 und 
Sowjetunion
eng. Soviet Union, deu. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз, . Совет Ушем, . Советонь Соткс, rus. Sovetskij Soûz, . Советий Союз, yid. ראַטן־פֿאַרבאַנד, yid. סאוועטן פארבאנד, yid. sovətn farband, yid. sovʿtn-farband, yid. sovətn-farband, . Советтер Союзу, . Совет Союзы, deu. Советий Союз, . Советон Цæдис, . Совет Эвилели

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.

Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.

 Besatzung erneuert und reichte im sowjetischen Fall bis 1989.2 In diesem Essay konzentrieren wir uns auf die Phase polnischer Dominanz in der Vormoderne und diskutieren anhand zweier Prüfsteine die Frage, ob sie mit Konzepten der postkolonialen Theorie zutreffend beschrieben werden kann.
Begriffe und Kategorien postkolonialer Theorie
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Ein Aspekt von Kolonialismus, der in aller Regel mit den maritimen Imperien Westeuropas seit dem 16. Jahrhundert assoziiert wird, ist die Zuschreibung von „kolonialer Differenz“. Diese bedeutet, dass zwischen vermeintlich fort- und rückschrittlichen Gesellschaften unterschieden und ersteren eine Zivilisierungsmission zugeschrieben wird. Nach Homi K. Bhabha ist diese aber ambivalent: Die vollkommene ›Zivilisierung‹ im Sinne einer Angleichung an den Status der Kolonisierenden sei weder möglich noch gewünscht, da diese Differenz letztlich die kolonialen Machtverhältnisse sichere.3 In extremer Ausprägung wurde der indigenen Bevölkerung jeglicher Anspruch auf das zu kolonisierende Land abgesprochen und der Raum – etwa im Falle Nordamerikas oder Südwestafrikas – als menschenleer, chaotisch und gefährlich beschrieben.4
Wissenschaftler:innen, die versuchen, dieser kolonialen Differenz methodisch beizukommen, zitieren oftmals Gayatri Chakravorty Spivaks provokante Frage: „Can the Subaltern Speak?“5 Angesichts der kolonialen, machtbasierten Produktion von Schriftlichkeit plädiert sie dafür, auch mündliche Traditionen der Kolonisierten ausfindig zu machen. Spivak hat damit den Kolonisierten die Fähigkeit, eigenmächtig zu handeln – in der postkolonialen Theorie Agency –, zugeschrieben und sie somit als aktive Subjekte identifiziert. Die Subalternen sind für sie nicht einfach Kolonisierte, die von der Partizipation am gesellschaftlichen Leben ganz oder teilweise ausgeschlossen sind, sondern eine gesellschaftliche Konstruktion, die darauf angelegt ist, ihren Objektstatus durchzusetzen.
Im Hinblick auf die ruthenische, litauische und auch die jüdische Bevölkerung im polnischen Herrschaftskontext der Vormoderne stellt sich nun die Frage, ob sie von der polnischen Elite aufgrund bestimmter kultureller Merkmale als minderzivilisiert betrachtet und somit zum Objekt von Kolonialismus wurden.
Die polnische Eroberung der Halyčer Rus’
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„Mit Gottes Hilfe, doch nicht ohne große Verluste“ sei es Kasimir III. gelungen, das Fürstentum der ungläubigen Ruthenen zu erobern. Sieben Bistümer und ein Erzbistum könnten nun gegründet werden, jedoch würde dies durch Einfälle der Tataren und Litauer gefährdet. So wurde die polnische Eroberung des ehemaligen Fürstentums Halyč-Volyn’ im Frühjahr 1351 in einem Schreiben an die päpstliche Kurie geschildert.6 Mit der Aussicht auf die missionarische Erschließung sollte finanzielle Unterstützung für Kasimirs Feldzüge gewonnen werden. Während die polnische Historiographie in der Tradition der Romantik diese Expansion zur nationalen ›Sternstunde‹ stilisierte, sah sie die entstehende ukrainische Historiographie um 1900 als koloniale Unterdrückung ruthenischer (gemeint: ukrainischer) Staatlichkeit.7 Jüngere Forschungen haben diesen Gegensatz relativiert. Von einer kolonialen Überlegenheit kann bei näherer Betrachtung keine Rede sein. Gerade in den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung war die Reichweite des polnischen Königtums sehr begrenzt. Kasimir und seine Nachfolger:innen waren vielmehr auf die Kooperation mit regionalen Eliten angewiesen. Deren wichtigsten Vertretern, etwa Dmytro von Goraj, gelang der Aufstieg bis in die höchsten Ämter des Königreichs. In den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts waren es dann ruthenische Adlige, die für die rechtliche Gleichstellung mit ihren polnischen Standesgenossen stritten. Diese Forderung wurde schließlich in der Übertragung des polnischen Rechts 1430/1434 realisiert.
Dennoch kam es im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts zu einer Machtakkumulation polnischer Magnatenfamilien. Allerdings verliefen die Konfliktlinien keineswegs zwischen ‚Kolonisatoren‘ und ‚Kolonisierten‘. Als sich ruthenische Adlige in der sogenannten Konföderation von L’viv gegen die Dominanz der polnischen Familie Odrowąż zur Wehr setzten, fanden sie einen wichtigen Verbündeten in der polnischen Krone, der ebenfalls an einer Begrenzung der Macht dieser Familie gelegen war.
Zwischen den verschiedenen rechtlich-religiösen Gemeinschaften in den Städten lassen sich ähnlich situative Konstellationen beobachten. In L’viv errang die polnisch-deutsch geprägte lateinische Stadtnation nach Sächsisch-magdeburgischem Recht im Verlauf des 15. Jahrhunderts eine dominante Position.8 Als sie im Kontext sich verschärfender wirtschaftlicher Konkurrenz 1489 ein königliches Schiedsgericht gegen jüdische Tuchhändler anstrebte, urteilte dieses aber zugunsten der letzteren.9
 
Die polnische Eroberung der Rus’ lässt sich daher nicht als koloniale Expansion begreifen. Dafür waren die Reichweite der polnischen Königsherrschaft zu begrenzt und die Rechtsräume in den eroberten Gebieten zu vielfältig. Um das Handeln der Akteure angemessen beschreiben zu können, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass Konfliktkonstellationen zwischen einzelnen Akteursgruppen sehr wechselhaft sein konnten. Zwar waren unterschiedliche ethnisch-religiöse Gruppen beteiligt, aber die konkreten Konflikte waren überwiegend politisch und sozial motiviert.
Die polnisch-litauische Union
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Die 1569 gegründete Union von Lublin folgte der dynastischen Heiratsverbindung zwischen der Krone Polens und dem Großfürstentum Litauen im  Vertrag von Krewo/Kreva
Vertrag von Krewo
auch:
Übereinkunft von Kreva, Übereinkunft von Krewo, Vertrag von Kreva
Übereinkunft zwischen dem Großfürsten von Litauen, Jogaila, und den polnischen Großen. Jogaila versprach darin, dass er sich im Falle der Krönung zum polnischen König und des Eheschlusses mit der polnischen Königin Jadwiga zum lateinchristlichen Glauben bekennen würde und seine litauischen Länder mit der polnischen Krone vereinigen würde. Wenige Monate später erfolgte in Vaŭkaýsk die Einwilligung der kleinpolnischen Großen. Beide Dokumente stehen am Beginn der Entwicklung hin zur polnisch-litauischen Union.
 von 1385 und anderen polnisch-litauischen Verträgen. Die Union von Lublin verwandelte die 1385 etablierte Personalunion mittelfristig in eine Realunion, das heißt, in eine Föderation zweier Staaten, denen König, Parlament (Sejm) und Außenpolitik gemeinsam war. Wie im späten 14. Jahrhundert fehlte der herrschenden Dynastie der Krone Polen ein männlicher Nachfolger; unter größerem Druck stand aber das Großfürstentum Litauen, dessen Großmachtstellung durch die Expansion des Moskauer Reichs bedroht war.10 Sigismund II. August, der letzte Jagiellonenkönig, befürwortete deshalb 156411 den „Zusammenschluss von zwei Nationen zu einer einheitlichen und unzertrennlichen Einheit“ und bemühte die Metapher des einen Körpers. Allerdings gestand er der polnischen und der litauischen Nation jeweils „eigene Gebräuche, gerichtliche Rechte und Privilegien“ zu.12 Das in mühsamen Verhandlungen, Entwürfen und Gegenentwürfen ausgehandelte Kompromissdokument vom Juli 1569 definierte den neuen Bundesstaat zwar auch als „untrennbaren und unteilbaren Körper“; im Widerspruch dazu standen aber der Begriff „doppelte Nation“ und die Garantie alter litauischer Ämter, Rechte und Freiheiten.13 Beim Titel des künftigen, gemeinsamen Königs bestand die Einigung in der Reihung in Form von „König von Polen und Großfürst von Litauen, 
Ruthenien

Ruthenien ist die latinisierte deutsche Bezeichnung für die Rus’, also grob alle Gebiete des östlichen Europa, die ehemals zum Territorium der Kyjiver Rus’ gehörten und/oder eine rus’ische (ostslavische und orthodoxe) Bevölkerungsmehrheit hatten. Durch die Expansionen des Königreich Polens und des Großfürstentum Litauens im 14. Jahrhundert kamen viele dieser Gebiete unter polnische bzw. litauische Herrschaft. „Ruthenien“ bzw. „die ruthenischen Länder“ sind somit auch ein Begriff zur Abgrenzung dieser Gebiete von denen unter moskovitischer Herrschaft.

Preußen
eng. Prussia

Die historische Region ist benannt nach dem baltischen Volksstamm der Prußen. Im Zuge der Etablierung des Deutschen Ordens wurde dieser Stamm unterworfen, der Name der Region blieb allerdings erhalten. Der 1440 gegründete, aus sowohl Adligen wie Städten bestehende Preußische Bund scherte aus dem Deutschordensverband aus und unterwarf sich dem polnischen König. Das Gebiet des Bundes ist seitdem auch als Königlich Preußen bekannt. Der verbliebene Teil des ehemaligen Deutschordensgebiets wurde 1525 schließlich in das Herzogtum Preußen überführt aus dem das spätere Königreich Preußen hervorging.

Masowien
eng. Mazovia, pol. Mazowsze

Die historische Landschaft Masowien liegt um Warschau herum an Weichsel und Bug. Im Mittelalter zunächst Teil des piastischen Polens, war es seit dem 12. Jahrhundert als Herzogtum zeitweise nur als Lehen mit Polen verbunden. Im 16. Jahrhundert wurde Masowien wieder dem Königreich einverleibt und in drei Woiwodschaften unterteilt. Auch im heutigen Polen gibt es eine Woiwodschaft Masowien.

Samogitien
eng. Samogitia, yid. Zámet, lit. Žemaitija, deu. Schamaiten, deu. Niederlitauen

Samogitien ist eine historische Region im heutigen Westen Litauens. Ursprünglich von baltischen Stämmen besiedelt wurde die Region bereits seit dem 13. Jahrhundert zum Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfürstentum Litauen. Nach den militärischen Niederlagen des Ordens zu Beginn des 15. Jahrhunderts trat dieser die Region an das Großfürstentum Litauen ab. Es verblieb als solcher bis zu den Teilungen Polen-Litauens im ausgehenden 18. Jahrhundert.

Kyjiw
deu. Kiew, eng. Kiev, eng. Kyiv, pol. Kijów

Kiew liegt am Fluss Dnepr und ist seit 1991 Hauptstadt der Ukraine. Nach der ältesten russischen Chronik, der Nestorchronik, wurde Kiew erstmals 862 erwähnt. Es war Hauptsiedlungsort der Kiewer Rus‘, bis es 1362 an das Großfürstentum Litauen fiel, das 1569 Teil der polnisch-litauischen Adelsrepublik wurde. 1667 kam Kiew nach dem Aufstand unter Kosakenführer Bogdan Chmel'nyc'kyj und dem darauf folgenden polnisch-russischen Krieg zu Russland. 1917 wurde Kiew Hauptstadt der Ukrainischen Volksrepublik, 1918 der Ukrainischen Nationalrepublik und 1934 der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.
Bezeichnet wurde Kiew auch als „Mutter aller russischen Städte“, „Jerusalem des Ostens“, „Hauptstadt der goldenen Kuppeln“ und „Herz der Ukraine“.
Im russisch-ukrainischen Krieg ist Kiew stark umkämpft.

Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist es möglich, dass diese Informationen nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen.

Wolhynien
eng. Volhynia, pol. Wolyń, ukr. Воли́нь, ukr. Wolyn, deu. Wolynien, lit. Voluinė, rus. Волы́нь, rus. Wolyn

Die historische Landschaft Wolhynien liegt in der nordwestlichen Ukraine an der Grenze zu Polen und Belarus. Bereits im Spätmittelalter fiel die Region an das Großfürstentum Litauen und gehörte ab 1569 für mehr als zwei Jahrhunderte zur vereinigten polnisch-litauischen Adelsrepublik. Nach den Teilungen Polen-Litauens Ende des 18. Jahrhunderts kam die Region zum Russischen Reich und wurde namensgebend für das Gouvernement Wolhynien, das bis ins frühe 20. Jahrhundert Bestand hatte. In die russische Zeit fällt auch die Einwanderung deutschsprachiger Bevölkerungsteile (der sog. Wolhyniendeutschen), die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fand. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Wolhynien zwischen Polen und der ukrainischen Sowjetrepublik aufgeteilt, ab 1939, infolge des Hitler-Stalin-Paktes, vollständig sowjetisch und bereits 1941 von der Wehrmacht besetzt. Unter deutscher Besatzung kommt es zur systematischen Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung sowie weiterer Bevölkerungsgruppen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Wolhynien erneut zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik und seit 1992 zur Ukraine. Die Landschaft ist namensgebend für die - räumlich nicht exakt deckungsgleiche - heutige ukrainische Oblast mit der Hauptstadt Luzk (ukr. Луцьк).

Podlachien
eng. Podlachia, lat. Podlachia, ukr. Підлісся, ukr. Pidlissja, bel. Падляшша, bel. Padljašša, lit. Palenkė, pol. Podlasie, deu. Podlasien

Podlachien befindet sich im Osten Polens und wird von den Flüssen Bug und Memel begrenzt. Das Gebiet wurde 1569 durch Eroberung erst in das polnische Königreich und später in die polnisch-litauische Union eingegliedert.

 und 
Livland
eng. Livonia, est. Liivimaa, lav. Livonija

Livland (lett. Livonija, estn. Liivimaa) ist eine historische Landschaft im Baltikum. Sie umfasst den südlichen Teil des heutigen Estlands und den nördlich des Flusses Düne gelegenen Teil des heutigen Lettlands. Benannt wurde die Landschaft nach der heute kaum noch existenten Bevölkerungsgruppe der Liven (auch: Livonen/Livonier).

Historisch kann sich der Name Livland auf weitere, unterschiedliche Zusammenhänge beziehen. Prägend für das heutige Verständnis der historischen Region ist vor allem das gleichnamige Gouvernement, das eines der drei Ostseegouvernements des Russländischen Reiches war. Es bestand seit Beginn des 18. Jahrhunderts und insgesamt bis 1918. Hauptstadt war das an der Dünamündung gelegene Riga.

Zuvor war Livland namensgebend für weitere Staaten und Staatenverbünde, allen voran für die Livländische Konföderation, die seit dem Hochmittelalter bestand. Zur Konföderation gehörten der livländische Teil des Deutschordensstaates sowie regionale geistliche Staaten. Die Konföderation umfasste dabei auch große weitere Teile der heutigen Staaten Lettland und Estland. Nach Auflösung der Konföderation wie auch des Deutschordensstaates im 16. Jahrhundert wechselte die Oberhoheit mehrfach. Ohne die südlichen und nördlichen Gebiete kam Livland zunächst unter polnisch-litauische Herrschaft, später auch unter schwedische Oberhoheit, bevor es im Zuge des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) unter russische Herrschaft kam. Prägend für die soziale Binnenorganisation des ländlichen Raumes war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem die zentrale Rolle des landbesitzenden deutschsprachigen Adels.

“. Die Tatsache, dass der polnische Reichstag in 
Lublin
deu. Lublin

Lublin ist eine Großstadt im östlichen Polen. Sie ist Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft und wird von knapp 340.000 Einwohner:innen bewohnt. In Lublin liegt die renommierte Katholische Universität Lublin Johannes Paul II.

 in Abwesenheit der litauischen Abgeordneten die litauischen Wojewodschaften Podlachien, Wolhynien und Kiew in die Krone inkorporierte14, verweist auf die Unterlegenheit des Großfürstentums, aber ebenso auf seine Wahrnehmung als eigenes Staatswesen.
Doch ist das polnisch-litauische Verhältnis 1569 aufgrund des geschilderten Machtgefälles als kolonial zu begreifen? Mehrere Argumente sprechen dagegen: Zum einen finden sich in den Quellen keine Hinweise auf „koloniale Differenz“. Die an der Aushandlung der Union Beteiligten waren auf beiden Seiten allesamt Adlige, deren enge kulturelle Verflechtung sich u. a. in Heiratsverbindungen äußerte. Die litauischen Adligen – auch in den in die Krone inkorporierten ruthenischen Wojewodschaften – behielten ihr Land, wurden also nicht als Subalterne betrachtet, sondern als mit den Polen gleichrangige Akteure. Die Lubliner Unionsakte zielte auf eine staatsrechtliche Regelung zwischen zwei zumindest historisch gleichrangigen Herrschaftssystemen, nicht auf koloniale Ausbeutung der Litauer. Zwar verlor das Großfürstentum Litauen in der Folge an Einfluss innerhalb der Union, dies lag allerdings an der wachsenden Bedrohung durch das Moskauer Reich.
Und wie ist der Status der „ruthenischen Nation“ zu charakterisieren? In der Unionsakte von 1569 steht sie neben den Nationen Litauens, Samogitiens und anderen.15 Aufschlussreich ist das mehrdeutige Verständnis von „Nation“ (naród): Der Begriff konnte im frühneuzeitlichen Polnisch u. a. die regionale oder sprachliche Gemeinschaft meinen, aber auch die politische Nation, das heißt, den politisch relevanten Adel.16 Klarer war die gängige lateinische Formulierung „gente Ruthenus, natione Polonus“, die die regionale, sprachliche und religiöse von der politischen Zugehörigkeit unterschied. Die Unionsakte von 1569 subsummierte die ruthenischen Adligen politisch unter die „Litauer“, weil die Expansion des Großfürstentums in ostslawische Gebiete im 14. Jahrhundert vom Herrschaftssitz Wilna/Vilnius ausgegangen war. Damit waren sie Teil der politischen Union.
Kann angesichts der partiellen Unsichtbarkeit der Ruthenen im Diskurs der „Republik der beiden Nationen“ dennoch von „kolonialer Differenz“ gesprochen werden? Auf der sprachlichen Ebene blieb im Großfürstentum bis ins 17. Jahrhundert ungeachtet der zunehmenden Polonisierung das Ruthenische als Kanzleisprache anerkannt. Auf der Ebene des Rechts erfolgte die erste  Kodifikation
Kodifikation
Schriftliche Erfassung der geltenden Rechtsnormen in einem bestimmten Herrschaftsgebiet in Form einer systematischen Ordnung.
 von „litauischem“ Gewohnheitsrecht in Gestalt von drei Redaktionen des Litauischen Statuts (1529, 1566 und 1588) auf Ruthenisch und ging dem polnischen Kodifizierungsprozess voraus.17 Eine Wahrnehmung der Ruthenen als Minderzivilisierte ist deshalb nicht zu verzeichnen. Im Hinblick auf religiöse Differenz fällt die Antwort schwerer. In der Brester Kirchenunion von 1596 zwischen der ruthenischen orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche in Polen-Litauen akzeptierte die Mehrheit der orthodoxen Bischöfe die Autorität des Papstes unter der Bedingung, im Ritus die byzantinische Tradition fortsetzen zu dürfen. Die folgende päpstliche Bulle deutete den Akt jedoch in eine „Rückkehr“ der irrigen Ruthenen zur wahren Kirche um. Aus Sicht der unierten Geistlichkeit war damit der Unionscharakter torpediert. Kolonial war diese religiöse Vereinnahmung aber nicht, weil sie die rituelle Differenz zu nivellieren versuchte, also eine Angleichung und nicht „koloniale Differenz“ zwischen Polen und Ruthenen anstrebte.
Ausblick und Fazit
Text
Im Jahr 1893 veröffentlichte die polnische Dichterin Seweryna Duchińska ihr Album der polnischen Königinnen und Könige. Kasimir III. würdigte sie dabei wie folgt: „Und du schütztest Polen mit gemauerten Zäunen, um die Ausbrüche der tatarischen Wilden aufzuhalten.“18 
Text
Das auf der gegenüberliegenden Seite gedruckte Herrscherporträt von Walery Eljasz-Radzikowski unterstreicht dieses Verständnis Kasimirs als Zivilisationsbringer. Über die Eroberung des ehemaligen ruthenischen Fürstentums findet sich im Gedicht allerdings kein Wort. Vielmehr wird ganz Polen von einer Mauer umgeben. Duchińska veröffentlichte auch diverse Sammlungen polnischer Volkslieder, in die sie litauische und ruthenische einschloss. Diese nationalistische Vereinnahmung Litauens und der Ukraine ist typisch für den polnischen Diskurs um 1900.19
Dazu gesellte sich die Konstruktion einer „kolonialen Differenz“. Aus Sicht des Sprach- und Kulturwissenschaftlers Aleksander Brückner beispielsweise hatte erst die polnische Eroberung des Ostens das „neue Licht“ zu den kulturell minderwertigen Ruthenen bzw. Ukrainern gebracht.20
 
Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte Polen-Litauens war vielfach geprägt von gewaltsamen Eroberungen und Machtgefällen zwischen Krone, Adel und den verschiedenen rechtlich-religiösen Gemeinschaften. Aber erst die Autor:innen des 19. Jahrhundert überformten sie nationalistisch und kolonialistisch.21 Dies ist umso bemerkenswerter, als Polen zu dieser Zeit selbst Objekt imperialer Herrschaften war. Die Denkmuster der Jahrhundertwende wirkten bis in die Zwischenkriegszeit nach, in der die Polnische Republik selbst bestrebt war, zur Kolonialmacht aufzusteigen.22 Außerdem versuchten polnische Aktivisten, Polen eine Zivilisierungsmission gegenüber den Ukrainern zuzuschreiben.23 Teilweise prägen diese Haltungen die Forschung bis heute. So zeugt die Praxis, ostslawische Namen und Orte oft allein in polonisierter Form wiederzugeben, von der Tendenz, das östliche Polen-Litauen (Kresy) mental weiterhin polnisch zu vereinnahmen.

Siehe auch