Rezepte erzählen Geschichte(n) – sei(en) es jene der eigenen Familie, sozialer Gruppen, Regionen, ganzer Imperien oder Nationalstaaten. So ist jede Speise immer ein Symbol und Ausdruck kultureller Konzepte. Eine von Studierenden der Universität Bamberg erarbeitete Broschüre hat „Kulinarische Streifzüge durch das östliche Europa“ unternommen und dabei eine Reihe kulturhistorisch interessanter Kochrezepte aufgeschrieben und eingeordnet. Hier ist eine besonders leckere Kostprobe.
Mini-Napoleons – ein Klassiker neu interpretiert
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Die Mini–Napoleons sind eine kleine Abwandlung der eigentlichen Torte Napoleon, die heute zu den beliebtesten Nachspeisen Russlands zählt. Die Torte besteht aus vielen Blätterteigschichten, die von einer leckeren Buttercreme durchzogen werden. Sie wird besonders gerne zu festlichen Anlässen wie Hochzeiten, Geburtstagen, Jahrestagen oder auch zum Neujahrsfest serviert. Seit mehr als 200 Jahren existieren ähnliche Rezepte für Blätterteigtorten im westlichen Europa. Die ältesten stammen aus Frankreich, wo die Torten bekannt sind unter dem Namen Mille-feuille, was übersetzt „Tausend-Blatt“ bedeutet. Auch in Polen gehören Variationen der Torte zu den beliebtesten Kuchen, die ebenfalls als Napoleonka bezeichnet werden können. Hier bildet der Blätterteig die obersten und untersten Lagen des Kuchens, mit einer dicken Schicht Buttercreme in der Mitte.
Die französische Küche hatte einen erheblichen Einfluss auf die russische Koch- und Esskultur, der sogar öffentlich zelebriert wurde. Zwischen 1862 und 1912 fand so etwa in einem Turnus von zehn Jahren die „Woche der französischen kulinarischen Kunst“ statt, womit zugleich der russisch-französische Friedensschluss von 1812 gefeiert wurde. Das Publikum dieser besonderen Woche der Kulinarik war teils hochprominent. Zu den Gästen zählten nicht zuletzt bedeutende Intellektuelle der Zeit, etwa die beiden Schriftsteller Iwan Turgenew (1818–1883) und Anton Tschechow (1860–1904).
Warum Napoleon? Der Russlandfeldzug 1812 unter Napoleon Bonaparte
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Die Torte Napoleon wie auch die kulinarische Festwoche gedenken des wichtigsten militärischen und politischen Erfolgs des  Russländischen Kaiserreiches Russländischen Kaiserreiches Nach Ende des Großen Nordischen Krieges im Jahr 1721 wurde das Zarentum Moskau durch Peter I. (1672–1725) zum Kaiserreich erhoben, das bis zur Februarrevolution 1917 existierte. Während im Deutschen bislang überwiegend vom „Russischen Kaiserreich“ gesprochen wurde, setzt sich aktuell in der Forschung vermehrt die Bezeichnung „Russländisches Kaiserreich“ durch. Sie übersetzt den offiziellen russischen Namen „Rossijskaja Imperija“ präziser, da sich das Adjektiv „rossijskij“ auf die Landesbezeichnung „Rossija“ („Russland“) bezieht - im Gegensatz zum Adjektiv „russkij“, das sich auf ‚ethnisch‘ russische Gegenstände (Sprache, Kultur) beziehen würde. Mit der Bezeichnung des Reiches als „Russländisches Kaiserreich“ wird damit auch verstärkt berücksichtigt, dass es sich um einen kulturell vielfältigen imperialen Staat handelte, der seine Herrschaft über eine Vielzahl unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen ausübte. zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der zu einem festen Bestandteil in dessen Erinnerungskultur wurde: Den Sieg über die französische Armee unter Kaiser Napoleon (1769–1821) und das Scheitern von dessen Russlandfeldzug.
Beide Länder hatten eigentlich bereits 1807 den Frieden von Tilsit geschlossen, in dem ihre jeweiligen Herrscher, Kaiser Napoleon wie auch Kaiser Alexander I. (1777–1825), eigene Interessen durchsetzen hatten können und weitere Geheimabsprachen getroffen worden waren. Diese sollten allerdings nicht lange Bestand haben. So war eine der zentralen Vertragsbedingungen die Beteiligung Russlands an der Kontinentalsperre gegen Großbritannien gewesen, bei der es sich um eine großangelegte Wirtschaftsblockade zu Lande und zu See handelte, die im gesamten französischen Einflussbereich durchgesetzt werden sollte. Jedoch traf das Vorgehen im Russländischen Reich auf wenig Gegenliebe, löste Widerstand in der Bevölkerung und wirtschaftliche Probleme aus. Russland nahm die Handelsbeziehungen mit Großbritannien schon 1811 wieder auf. Auch auf politischer Ebene näherten sich die eigentlich miteinander im Krieg befindlichen Länder wieder an, während der Konflikt zwischen Frankreich und Russland neu entflammte. Der französische Kaiser entschloss sich zu einer Invasion des Zarenreiches. Nachdem sich 1812 bereits ganz Kontinentaleuropa unter Napoleons Kontrolle befand, leitete er mit dem 24. Juni 1812 einen neuen Krieg ein, in der Hoffnung, mit seiner gewaltigen Armee schnell erfolgreich zu sein. Nach anfänglichen Erfolgen seitens der Franzosen endete der Feldzug in einer großen militärischen Katastrophe: Unzählige Soldaten der Grande Armée kamen ums Leben, die schließlich vollständig aus dem russischen Territorium vertrieben werden konnte.
Eine Torte des Sieges
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Der patriotische Versuch, in der folgenden Zeit auch die russische Küche zu neuer Blüte zu führen, glückte leider nicht vollständig. Zu viel Wissen war verloren gegangen, Informationen zu traditionellen russischen Gerichten kaum verfügbar und nur selten dokumentiert. Die Orientierung an der ausländischen Küche, vor allem der französischen, prägte weiterhin die kulinarische Kultur im Land.
Schon unter der Regentschaft von Katharina II. (1729–1796) waren zudem Gerichte entstanden, die zu Ehren oder in Anlehnung an historische Persönlichkeiten benannt worden waren. Dasselbe erfolgte dann auch bei der Torte Napoleon, die der Legende nach 1912, zu Ehren des 100. Jubiläums des Sieges über Napoleon Bonaparte, kreiert wurde. Ursprünglich hatte die Torte die Form eines Dreiecks, die an Napoleons berühmten Zweispitz erinnern sollte.
Zubereitung
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Und so bereitet man sie leicht zu:
Zutaten für 24 Stück: 
  • 16 Blätterteigquadrate
  • 180 g Zucker
  • 500 ml Milch
  • 100 g weiche Butter
  • 3 EL Mehl
  • 2 Eigelbe
  • 2 Pkg. Vanillezucker
     
  1. Zwei Eigelbe in einem Kochtopf, mit einem Handrührgerät fünf Minuten aufschlagen. Nach und nach Zucker unterrühren. Mehl unter ständigem Rühren hinzugeben. In Abständen die Milch hinzufügen.  
  2. Den Topf auf den Herd stellen und weiter mit einem Schneebesen rühren, bis die Masse aufkocht und eine cremige Konsistenz entsteht. Den Topf vom Herd herunternehmen und beiseitestellen, sodass die Masse abkühlen kann, bis sie nur noch lauwarm ist. Alle 15 Minuten muss die Creme umgerührt werden, da ansonsten Klumpen entstehen können.
  3. In der Zwischenzeit den Blätterteig (hier als Tiefkühlpackung) aus dem Kühlschrank nehmen und für zehn Minuten auftauen lassen. Die Blätterteigquadrate halbieren und auf ein Backblech mit genügend Abstand verteilen. Den Blätterteig (ca. zehn Minuten bei Ober- und Unterhitze und 200 Grad) goldbraun backen.
  4. Die weiche Butter und den Vanillezucker zur Creme hinzufügen und gut verrühren. Die Creme komplett abkühlen lassen, die Masse darf nicht warm auf den Blätterteig aufgetragen werden. 
  5. Von den 32 gebackenen Blätterteigrechtecken acht zerbröseln. Die Oberfläche und die Seiten der restlichen Rechtecke mit der Creme bestreichen und die Brösel darauf verteilen. Im Kühlschrank aufbewahren!
Ein Rezept von Familie Hovhannisjan.
Lust auf noch mehr „Kulinarische Streifzüge durch das östliche Europa“?
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Im Rahmen eines Seminars zum Kulturthema „Essen“ hat Magdalena Eriksröd-Burger gemeinsam mit Studierenden am Institut für Slavistik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg eine Broschüre erarbeitet, die der Frage nachgeht: Wie schmecken die slavischen Küchen?
„Deftig. Fettig. Fleischlastig!“, lautete zunächst der Tenor im Seminar. Ganz so simpel ist die Antwort dann allerdings doch nicht. So finden sich in dieser Rezeptsammlung, die vorwiegend aus Familienrezepten der Studierenden besteht, zahlreiche „Klassiker“ der slavischen Küche(n), wie Borschtsch, Pelmeni, Ajvar, Bigos oder Salat Olivier. Aber auch süße Rezepte wie Buchteln, Torte Napoleon, weihnachtliche Pryaniki (Lebkuchen) oder Zwetschkenknödel sind enthalten. Kurze Begleittexte sollen darüber hinaus nicht nur einen Einblick in das breite Themenspektrum der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Esskultur(en) geben. Sie liefern zudem Informationen zum kulturhistorischen Hintergrund der Rezepte – und verkürzen natürlich die eine oder andere Wartezeit beim Kochen. Damit kann gewiss nur eine kleine Kostprobe von der Vielfältigkeit der slavischen Küche(n) präsentiert werden, es soll aber Appetit auf mehr machen. 
Die Rezept-Broschüre ist kostenlos verfügbar unter:
Guten Appetit! Приятного аппетита! Smacznego! Dobrou chut‘! Dobar tek! Пријатно!