Das Aufwachsen in Zeiten bewaffneter Konflikte birgt für Kinder und Jugendliche oft einen Verlust der Unschuld und andere vielschichtige Probleme. Im Zweiten Weltkrieg ändert sich die Situation von polnischen Jugendlichen in Oberschlesien schlagartig. Oft bedeutet dies den Verzicht auf eine Ausbildung und die Notwendigkeit, die Ernährerrolle in der Familie zu übernehmen.
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Als der Krieg ausbricht, ist Danuta K. ein 12-jähriges Mädchen.1 Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder in 
Dąbrowa Górnicza
rus. Dombrova, pol. Koniecpolska Wola, pol. Koniecwola, rus. Домброва, deu. Dombrowa, deu. Redenberg, yid. dʾmbrʾvh, yid. dombrovh, yid. דאמבראווה

Dąbrowa Górnicza (Bevölkerungszahl 2023: 113.460) ist eine Großstadt in der Woiwodschaft Schlesien, im Osten des Oberschlesischen Industriegebiets. Historisch gehört sie zu Kleinpolen. Der spätere Ort Dąbrowa wurde ca. 1652 gegründet und war zuerst als Koniecpolska Wola (Koniecwola) bekannt. Sein Aufstieg begann, als während der preußischen Besatzung (1795-1807) nach der Dritten Teilung Polens vor Ort Steinkohle entdeckt wurde. 1807-1813 gehörte Dąbrowa zum Herzogtum Warschau, nach der Besatzung durch Russland befand sich der Ort ab 1815 im zunächst autonomen Königreich Polen. Im 19. Jahrhundert etablierte sich Dąbrowa als eines der größten Industriegebiete im gesamten Russländischen Reich. Erst in der Zeit der österreichischen Besatzung während des Ersten Weltkriegs erlangte Dąbrowa 1916 Stadtrechte. 1918, schon im freien Polen, erhielt die Stadt ihren heutigen Namen, der allerdings bereits im 19. Jahrhundert verwendet wurde, nachdem Dąbrowa zum Hauptort der Gemeinde Gorna (“Bergbaugemeinde”) gewählt wurde. Der nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 vorgesehene Name Redenberg wurde bis zur Wiederherstellung des polnischen Staates 1945 nicht offiziell eingeführt. 1972-1976 wurde in Dąbrowa Górnicza das seinerzeit größte Hüttenwerk Europas “Huta Katowice“ errichtet. Während der Transformationsperiode in Polen ab 1989 verlor die stark von der strukturell überkommenen Schwerindustrie abhängige Stadt allmählich an Bedeutung.

, einer Industriestadt etwa 85 Kilometer von 
Kraków
deu. Krakau

Krakau ist die zweitgrößte Stadt Polens und liegt in der Woiwodschaft Kleinpolen im Süden des Landes. In der Stadt an der Weichsel wohnen ungefähr 775.000 Menschen. Die Stadt ist bekannt für den Hauptmarkt mit den Tuchhallen und der Wawel-Burg in der Altstadt Krakaus, welche seit 1978 zum UNESO-Welterbe gehört. In Krakau liegt die älteste Universität Polens, die Jagiellonen-Universität.

 und 16 Kilometer von 
Katowice
deu. Kattowitz, pol. Stalinogród, deu. Katowicze

Kattowitz (Bevölkerungszahl 2023: 279.190) ist die größte Stadt Oberschlesiens und die Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien im Süden Polens. Das 1598 erstmals erwähnte Dorf Katowice entwickelte sich an einem Hammerwerk. Grundlage für die Entwicklung des Ortes waren Vorkommen von Eisenerz und Steinkohle, den entscheidenden Aufschwung brachte jedoch die 1846 erstellte Eisenbahnverbindung, die zunächst das Oberschlesische Industrierevier über Kattowitz mit Berlin verband und den Transport auch von Kohle und Stahlprodukten aus der Umgebung zu den entfernten Absatzmärkten ermöglichte. Das rasante Bevölkerungswachstum des Ortes führte 1865 zur Verleihung der Stadtrechte.

Auch aufgrund der Lage in der Nähe der Grenzen Preußens zu Russland und Österreich-Ungarn entwickelte sich Kattowitz schnell zu einem internationalen Verkehrskoten. Nach der Teilung Oberschlesiens zwischen Deutschland und dem wiederhergestellten polnischen Staat stieg Kattowitz 1922 zur Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien auf. Sie galt als ein wichtiges Zentrum der deutschen Kultur im polnischen Ostoberschlesien, und gleichzeitig als Stätte des Aufbaus einer polnischen Kulturtradition mit modernen Tendenzen, die sich auch im Städtebau manifestierten. Nach dem deutschen Überfall 1939 wurde Kattowitz 1941 Hauptstadt des neugegründeten Gaus Oberschlesien. 1945 wurde ein wesentlicher Teil des Stadtzentrums zerstört, hauptsächlich im Zuge der Befreiungsaktion der sowjetischen Truppen. Nach dem Krieg wurden von den polnischen Behörden die meisten Einwohner:innen nach Deutschland vertrieben, die keinen Nachweis über ihre polnische Herkunft erbringen konnten. Kattowitz baute seine Rolle als multifunktionales Zentrum weiter aus, wobei vor allem die 1970er Jahre ausschlaggebend waren.

 entfernt.  In den ersten Septembertagen 1939 beobachtet sie die Ströme müder Flüchtlinge und die langen Schlangen von hastig mit Möbeln und anderen Habseligkeiten beladener Karren. Trotz ihres jungen Alters hört sie die Gerüchte und Nachrichten über die herannahenden Soldaten der feindlichen Armee und begreift den Sinn hinter den vorbeiziehenden Menschenmassen. Obwohl sich ihre Eltern Mühe geben, die Auswirkungen des Krieges auf ihren Alltag so gering wie möglich zu halten, sind ihr die drastischen Veränderungen klar, die sich anbahnen. Das greifbarste Zeichen der deutschen Invasion erblickt Danuta in der Nähe der ländlichen Mühle, in der Eltern ihre Kinder in Sicherheit bringen. Wie sie sich in ihren nach Kriegsende verfassten Memoiren erinnert, waren die im Fluss treibenden Leichen ein unheilvolles Zeichen des herannahenden Schreckens, der bald Teil ihrer täglichen Erfahrung werden sollte.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bedeutet für polnische Schulkinder Chaos und tief greifende Veränderungen in ihrem bisher so sorglosen Leben. Anstatt am 1. September das neue Schuljahr zu feiern, müssen sie ihren Eltern beim Packen helfen, Fluchtpläne schmieden, Nachrichten sammeln und sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Sie sind zu jung, um sich an den Ersten Weltkrieg zu erinnern, und wissen daher nicht, wie sie sich verhalten sollen. Die dramatischsten Veränderungen erlbene jüdische Kinder, die systematisch ihrer Rechte beraubt werden. Mit dem Verlust ihrer Verwandten und ihrer Freiheit verlieren sie auch ihre Kindheit.
Jugend unter dem Schwarzen Adler
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Die allgegenwärtige und repressive nationalsozialistische Politik des Deutschen Reichs geht auch an den Jüngsten nicht vorbei. Seit Jahrhunderten ist die Region 
Oberschlesien
eng. Upper Silesia, pol. Górny Śląsk

Oberschlesien (polnisch Górny Śląsk, tschechisch Horní Slezsko) ist der südöstliche Teil Schlesiens im heutigen Polen und Tschechien. Die Region liegt an der Oder und einem Teil des östlichen Sudetengebirges. Als historische Hauptstadt Oberschlesiens gilt Oppeln (poln. Opole).

 Gegenstand von Kämpfen um Vorherrschaft und Unabhängigkeit. Als Grenzland, das reich an Bodenschätzen ist und über eine Vielzahl von Industrieanlagen verfügt, ist es seit vielen Jahrzehnte für Politiker und Monarchen in Mitteleuropa von Interesse. Die westlichen Teile Oberschlesiens gehören bereits vor 1939 zum Deutschen Reich, so dass die von Bismarck betriebene Germanisierungspolitik bereits ihren Tribut bei den jüngsten Generationen der dortigen Polen gefordert hatte. Die östlichen Gebiete hingegen gehören bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu 
Kongresspolen
eng. Kingdom of Poland, eng. Congress Poland, deu. Königreich Polen, pol. Królestwo Polskie

Kongresspolen ist die Bezeichnung für das von 1815 bis 1916 unter russischer Oberherrschaft stehende Königreich Polen. Nach den drei Teilungen und der endgültigen Auflösung der alten Adelsrepublik Polen-Litauen (1772, 1793, 1795) hatte zunächst kein polnischer Staat mehr existiert, bis 1807-1815 der napoleonische Satellitenstaat des Herzogtums Warschau eingerichtet wurde. Im Rahmen des Wiener Kongresses (1815) wurde zwar wieder ein polnisches Königreich errichtet. Polnischer König war allerdings in Personalunion der russische Zar und Kaiser.

In der Folge kam es mehrfach zu erfolglosen Aufständen der polnischen Bevölkerung und Elite gegen die russische Oberherrschaft (u. a. Novemberaufstand 1830/1831, Januaraufstand 1863/1864), die allerdings nur zu wachsender Repression, massiven Auswanderungs- und Fluchtwellen (Große Emigration/Wielka Emigracja) und schließlich der auch administrativen Eingliederung in den russischen Staat führten.

Das Bild zeigt eine Karte eines 1871 in Braunschweig publizierten Schulatlas. Hervorgehoben sind die preußische Provinz Preußen sowie (blassrot) Kongresspolen (CC 1.0).

 und damit zum 
Russländisches Kaiserreich
rus. Росси́йская импе́рия, rus. Rossijskaja imperija, eng. Russian Empire, deu. Russisches Kaiserreich, deu. Russländisches Reich

Das Russische Kaiserreich (auch Russländisches Kaiserreich, Russisches Reich oder Kaiserreich Russland) war ein von 1721 bis 1917 existierender Staat in Osteuropa, Zentralasien und Nordamerika. Das Land war Mitte des 19. Jahrhunderts das größte zusammenhängende Reich der Neuzeit. Es wurde nach der Februarrevolution im Jahr 1917 aufgelöst. Der Staat galt als autokratisch regiert und wurde von ungefähr 181 Millionen Einwohner:innen bewohnt.

. Nach 1920 bilden sie eine autonome schlesische Woiwodschaft im wiederhergestellten polnischen Staat, bevor sie 1939 Nazideutschland annektiert. Nach Ausbruch des Krieges wird dieses Gebiet zu einem einzigen Verwaltungsorganismus, der jedoch nicht vollständig durch eine einheitliche Politik vereinheitlicht werden konnte. Die westlichen Teile werden von den Nazi-Machthabern als „altdeutsch“ angesehen und von der „polonisierten“ deutschen Bevölkerung bewohnt. Deshalb beanspruchen sie ein Anrecht auf diese Landesteile und leiten relativ schnell einen Prozess der Germanisierung ein. Die Unterrichtssprache ist Deutsch, der Lehrplan folgt einem deutschen Programm, und die Kinder werden verpflichtet, den Jugendorganisationen der NSDAP wie der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel beizutreten. Die Hitlerjugend ist die am weitesten verbreitete NS-Organisation in Oberschlesien und wahrscheinlich auch eine der größten. Aufgrund organisatorischer und infrastruktureller Schwierigkeiten gilt sie jedoch nicht als attraktive Freizeitbeschäftigung, sondern eher als eine unangenehme Pflicht. Für die deutschen Behörden stellen die in den Strukturen der NS-Aktivitätsgruppe konzentrierten Jugendlichen und Kinder jedoch eine wertvolle Ressource dar, die sie für ihre Zwecke nutzen. Das Sammeln von Metall und Altkleidern für das Winterhilfswerk (WHW) macht die Jugendlichen zu unfreiwilligen Zeugen und aufmerksamen Beobachtern ihrer Mitbürger. Der verbreitete Reimvers: „Grüß Gott, czy niy mocie szmot? Bo jak mocie, a nom niy docie, to powiymy w hajocie, że po polsku godocie!“  (übersetzt: „Grüss Gott, hast du keine alten Lumpen? Wenn du sie hast und sie uns nicht gibst, werden wir der HJ sagen, dass du polnisch sprichst“) ist ein Beispiel für dieses Phänomen des Abhörens und der Erwartung, dass Haushalte denunziert werden, weil sie polnisch sprechen.
Polnisch bleiben: Eine illegale Erziehung
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Der Gebrauch der polnischen Sprache im Unterricht ist verboten. Eine Ausnahme bilden die östlichen Teile des Bezirks Kattowitz, wo der Grundschulunterricht noch in polnischer Sprache stattfindet. In den Augen der Aggressoren brauchen die polnischen Einwohner dieser Region nur grundlegende Fähigkeiten und Kenntnisse, um einfache Arbeiten und manuelle Tätigkeiten auszuführen. Viele Eltern weigern sich, die Bildung ihrer Kinder aufzugeben, und organisierten illegalen Unterricht für sie oder unterrichten sie auf eigene Faust. Unter dem Deckmantel von z. B. Klavierunterricht können Kinder und Jugendliche weiterführende Fächer studieren, in der Hoffnung, ihre Ausbildung nach dem Krieg in einem unabhängigen Polen fortsetzen zu können. Während der deutschen Besatzungszeit entwickelt sich das illegale Schulwesen zu einem strukturierten Netz, das vom Untergrundstaat und seinen lokalen Vertretern verwaltet wird. Mutige Lehrer ergreifen oft die Initiative, Elemente verbotener Fächer wie polnische Literatur und Geschichte in ihren Unterricht aufzunehmen. Wie sich Włodzimierz W. erinnert, nutzt sein Lehrer die regelmäßigen Exkursionen zum Sammeln von Kräutern für die deutschen Soldaten an der Ostfront, um mit seinen Schülern über die Geschichte Polens zu sprechen.  Verbotene Inhalte zirkulieren unter Kindern und Jugendlichen aber nicht nur mündlich. Der polnische Untergrund gibt Kinderzeitschriften heraus, die patriotische Reime und leicht verständliche Erklärungen zu aktuellen Ereignissen enthalten. Eine solche Kinderzeitschrift ist „Biedronka. Wiadomości do opowiadania naszym dzieciom„ (“Marienkäfer. Nachrichten und Geschichten für Kinder“, eine Beilage von ‚Żywia‘, einer Frauenzeitschrift). Die jungen Leser solcher Zeitschriften leben jedoch meist im Generalgouvernement. Es ist daher schwer festzustellen, ob und in welchem Umfang solche Zeitschriften auch Kinder in Kattowitz oder Dąbrowa Górnicza erreichten.
Verbotene polnische Lehrbücher werden von einigen Lehrern weiterhin  verwendet. Als 1941 ein Lehrer der Dorfvolksschule in Rędziny (damals Teil des Generalgouvernements) von der unerwarteten Inspektion seiner Klasse durch deutsche Beamte erfährt, weist er seine Schüler an, ihre Bücher und Hefte schnell in nahe gelegenen Strohhaufen zu verstecken. Der gerissene Inspektor befrag die verängstigten Kinder einzeln darüber, was sie in der Schule lernen und welche Presseerzeugnisse ihre Eltern zu Hause lesen. Dies hätte zur versehentlichen Belastung ihre Eltern führen können. Die  deutschen Beamten bleiben mit ihrer Inspektion in Rędziny aber letzlich erfolglos.
Text
Unbedachte Äußerungen ahnungsloser Kinder können in dieser Zeit  schwerwiegende Folgen für ihre Familien haben. Die deutschen Behörden verwenden sie regelmäßig als Beweismittel gegen einzelne Personen oder gegen ganze Familien. Eine Frau aus 
Cieszyn
lat. Tescin, lat. Tessin, ces. Těšín, deu. Teschen, yid. טעשין, yid. Tešn

Cieszyn ist eine Stadt im Süden Polens an der Grenze zu Tschechien (Bevölkerungszahl 2022: 33.251). Sie liegt im Schlesischen Vorgebirge am Fluss Olsa (poln. Olza) und wurde erstmals 1155 erwähnt. Sie ist heute Teil der polnisch-tschechischen Doppelstadt Cieszyn/Český Těšín.

 in 
Schlesien
ces. Slezsko, eng. Silesia, pol. Śląsk

Schlesien (polnisch Śląsk, tschechisch Slezsko) ist eine historische Landschaft, die heute überwiegend im äußersten Südwesten Polens, in Teilen jedoch auch auf dem Gebiet Deutschlands und Tschechiens liegt. Mit Abstand wichtigster Fluss ist die Oder. Nach Süden wird Schlesien vor allem durch die Gebirgsketten der Sudeten und Beskiden eingegrenzt. In Schlesien leben heutzutage knapp 8 Millionen Menschen. Zu den größten Städten der Region zählen Wrocław (hist. dt. Breslau), Opole (Oppeln) und Katowice (Kattowitz). Vor 1945 gehörte die Region zweihundert Jahre lang großteils zu Preußen, vor den Schlesischen Kriegen (ab 1740) fast ebenso lange Zeit zum Habsburgerreich. Schlesien wird in Ober- und Niederschlesien eingeteilt.

 erinnerte sich, dass ein Junge im Kindergarten auf die Bitte der Lehrerin, Adolf Hitler zu beschreiben, antwortet, Hitler sei „früher ein Maler gewesen, jetzt ist er ein Dieb“. Auf die Frage nach der Quelle seines „Wissens“ verweist der Junge auf seinen Vater. Als Folge dieses Gesprächs wird der Junge sofort des Kindergartens verwiesen und sein Vater wird in ein Gefangenenlager geschickt.  Eine Kindheit in Kriegszeiten bedeutet häufig die Abwesenheit von Eltern und älteren Geschwistern, weil diese entweder arbeiten müssen oder wegen illegaler Aktivitäten deportiert oder verhaftet werden. Daher wachsen die Kinder oft in der Obhut ihrer Großeltern oder anderer Verwandter auf. In Haushalten, in denen Polnisch gesprochen und deshalb die Gefahr als zu groß angesehen wird, erwischt zu werden, sprechen die Familien Deutsch. Das hat zur Folge, dass jüngere Kinder leicht „eingedeutscht“ werden können. Ältere Kinder und Jugendliche hingegen unterhalten sich auch weiterhin auf Polnisch.
Die Kindheit bewahren: Kinder in der Rolle von Erwachsenen
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Ein Kind im Zweiten Weltkrieg zu sein, bedeutet in vielen Fällen Verlust, Vertreibung, Hunger und Veränderungen der Familienstrukturen zu ertragen. Angesichts materieller Engpässe, lebensbedrohlicher Situationen und eines starken Kontrollverlusts müssen sich junge Menschen an die neuen Bedingungen anpassen und ihr Erwachsenwerden in einem neuen Umfeld bewältigen. Trotz dieser Widersprüche versuchen  viele von ihnen eine Kindheit mit ihren einfachen, alltäglichen Freuden zu bewahren. Dies ist zum Beispiel bei Rutka Laskier der Fall, einem jüdischen Mädchen im Teenageralter, das mit seiner Familie in 
Będzin
deu. Bendsburg, deu. Bendin, deu. Bandin, rus. Бендзин, yid. Bendin, yid. בענדין, deu. Bendzin

Będzin (Bevölkerungszahl 2022: 54.322) liegt im Nordosten der Metropolregion Kattowitz, im Dombrowaer Kohlenbecken. Obwohl es in der Woiwodschaft Schlesien liegt, ist Będzin eine der ältesten Städte Kleinpolens, zu dem es historisch gehört. Die ursprüngliche Siedlung wurde im 12. Jahrhundert von den Tataren zerstört, der wiederaufgebaute Ort erhielt im 13. Jahrhundert Stadtrechte. Bereits im 16. Jahrhundert etablierte sich hier eine größere jüdische Gemeinde.

Im Rahmen der Dritten Teilung Polen-Litauens 1795 wurde Będzin und die Umgebung als Neuschlesien in Preußen einverleibt. 1807-1815 gehörte die Stadt zum Herzogtum Warschau und nach dem Wiener Kongress lag sie im von Russland abhängigen Königreich Polen.
Durch die Entdeckung von Steinkohle in der Region am Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr die Stadt einen starken Entwicklungsschub, der durch die Zerstörungen des Ersten Weltkriegs ausgebremst wurde. Im wiederhergestellten polnischen Staat knüpfte Będzin jedoch ab 1918 an die frühere Entwicklung an.
Im Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt, deren Bevölkerung zu über 40 % jüdisch war, in das neugeschaffene Ostoberschlesien eingegliedert. Im Ghetto von Będzin wurde auch die jüdische Bevölkerung aus der Umgebung interniert, und später vor allem ins KZ Auschwitz-Birkenau abgeschoben.
In der Nachkriegszeit entstanden in Będzin mehrere Großwohnsiedlungen und neue Fabriken, doch bereits in den 1970er Jahren zeichnete sich der wirtschaftliche Niedergang in der stark vom Bergbau abhängigen Stadt ab.

 lebt. Trotz der Einschränkungen und Ausgrenzungen, die die Besatzer den jüdischen Einwohnern der Region regelmäßig auferlegen, nimmt sie weiterhin an gesellschaftlichen Treffen mit Gleichaltrigen teil, tritt mit ihnen in Kontakt und schmiedet Pläne für ihr Leben nach dem Krieg. Auf den Seiten ihres Tagebuchs teilt Rutka ihre Hoffnungen und geheimen Gedanken, ihre jugendlichen Zuneigungen und Gefühle.  Tragischerweise kann sie ihre Träume und Ambitionen jedoch nie verwirklichen: Rutka kommt 1943 zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder in Auschwitz-Birkenau ums Leben.
Einige Teenager und ältere Kinder sind auch im Untergrund aktiv. Pfadfindergruppen aus der Vorkriegszeit organisieren „fliegende Bibliotheken“, verteilen polnische Bücher und ermöglichen den heimlichen Schulbesuch. Politisch aufmerksame Jugendliche versuchen, Nachrichten von den Fronten aus verbotenen Quellen wie dem britischen Radio zu erhalten. Die Arbeitspflicht zwingt Jugendliche im Alter von 14 Jahren, sich beim Arbeitsamt anzumelden und in Werkstätten und Industriebetrieben zumeist harte Arbeit zu verrichten. Ein Schüler der dritten Klasse des Handelsgymnasiums in Dąbrowa Górnicza arbeitet in einem Eisenwerk.  In seinen Nachkriegsmemoiren erinnert er sich, dass er das Familienoberhaupt und der Ernährer seiner Mutter und seiner drei Schwestern war. Es ist das erste mal, dass er körperliche Arbeit verrichtet. Seine Gesundheit leidet: Zwölf-Stunden-Schichten, harte Arbeitsbedingungen mit unzureichender Ernährung und die psychische Belastung sind nur schwer zu ertragen. Seine Arbeitsaufgaben wechseln häufig. Besonders als Kriegsgefangene und Deportierte aus dem Osten eintreffen und Arbeitsplätze in der Industrie annehmen. Nach Kriegsende beginnt der Jugendliche aus Dąbrowa Górnicza, wie viele seiner Altersgenossen, einen neuen Lebensabschnitt, indem er seinem Wunsch nachgeht, an einer Universität zu studieren.
Fazit
Text
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutet für Millionen von Kindern, die unter totalitärer Besatzung gelebt haben, ein Ende der täglichen Gewalt, Entbehrungen und Unterdrückung. Sie haben jedoch weiterhin mit den Auswirkungen des nun vergangenen Konflikts zu kämpfen. Viele von ihnen müssen den Verlust ihrer Verwandten, ihrer Gesundheit, ihrer Identität und ihrer unbeschwerten Kindheit verkraften.
Die Bedeutung Oberschlesiens in den Plänen der Nationalsozialisten zur „Germanisierung“ und Ausbeutung der örtlichen Bodenschätze macht die Kindheit der jüngsten Bewohner dieser Gebiete zu etwas Außerordentlichem. Darüber hinaus ist es dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit nicht zuträglich, dass die Heterogenität der Bevölkerung und das starke Missverhältnis zwischen den sozialen Gruppen zu wechselnden Stimmungen in der Bevölkerung führen.
Die bevorstehenden Nachkriegsjahre bringen einen lang anhaltenden Prozess der Neuformulierung der Identität der Kriegskinder und der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft unter der neuen Verwaltung. Einige von ihnen werden zu Zeitzeugen ihrer Kindheit. Iihre Zeugnisse sind von unschätzbarem Wert für künftige historiografische Studien. Das Thema Kindheit in Zeiten des Krieges hat in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen in der Wissenschaft. Vor allem im Zusammenhang mit den jüngsten und noch andauernden militärischen Konflikten wird deutlich, dass viele Kinder leider immer noch ähnliche Entbehrungen und Schrecken erleben, von denen man einst hoffte, dass sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs nie wieder geschehen mögen.