Durch das Wiener Volksgruppenabkommen vom 26. August 1940, das die ungehinderte Ausbreitung des Nationalsozialismus in Ungarn ermöglichte, konnte die nunmehr gleichgeschaltete deutsche „Volksgruppe“ in Ungarn eigene Schulen und Erziehungsstätten eröffnen, die die Jugend weltanschaulich, in Anlehnung an das nationalsozialistische „Dritte Reich“ prägen sollten. Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in den Schulalltag in Budapest zwischen 1940 und 1944.
Das Wiener Volksgruppenabkommen und seine Folgen
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Im September 1940 wurde in 
Budapest

Budapest ist die Hauptstadt Ungarns und mit ca. 1,7 Millionen Einwohner:innen die größte Stadt des Landes. Sie liegt in Mittelungarn an der Donau. Budapest ist 1873 durch die Zusammenlegung der Städte Buda und Pest entstanden.

 „als erstes volksdeutsches Gymnasium im damaligen 
Königreich Ungarn
hun. Magyar Királyság, eng. Kingdom of Hungary

Das Königreich Ungarn wurde 1920 wiedererrichtet, kurz nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn im Zusammenhang mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg und im Anschluss an zwei nur kurzlebige Nachfolgestaaten, der Ersten ungarischen Republik 1918 sowie einer kommunistischen Räterepublik im Anschluss. Da die Staaten der siegreich aus dem Krieg ausgegangenen Entente die erneute Einsetzung eines habsburgischen Monarchen ablehnten, wurde an seiner Stelle Miklós Horthy (1868–1957) vom Parlament als provisorischer Reichsverweser berufen. Dieser verhinderte die Rückkehr eines königlichen habsburgischen Staatsoberhauptes endgültig, und Ende 1921 setzte das Parlament die Habsburger als ungarisches Königshaus ab, ohne eine Nachfolge festzulegen, sodass der Thron bis zum Ende des Königreichs vakant blieb.

Der konservativ-nationalistische Führungsstil Horthys und seiner Premierminister mit starken antikommunistischen Zügen sowie die Hoffnung auf die Wiederherstellung des großungarischen Reichs, das durch die Trianon-Verträge nach dem Ersten Weltkrieg in mehrere Staaten aufgeteilt worden war, brachten Ungarn in die Nähe der faschistischen Regime in Deutschland und Italien. Diese Hoffnung ging im Zusammenhang mit dem Münchner Abkommen und der folgenden Zerschlagung der Tschechoslowakei teilweise auf. Ungarn besetzte infolge des völkerrechtlich widrigen Ersten Wiener Schiedsspruchs südliche Gebiete der Slowakei sowie Transkarpatien mit einer mehrheitlich ungarischen Bevölkerung. Im Gegenzug für die Unterstützung der ungarischen Gebietsansprüche akzeptierte das Königreich Ungarn eigene Rassengesetze, die an die des Deutschen Reiches angelehnt waren. Ein beträchtlicher Teil der jüdischen Bevölkerung Ungarns wurde in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs erlaubte das Königreich Ungarn den deutschen allerdings nicht, von seinem Gebiet aus Polen anzugreifen, sondern gewährte Angehörigen der polnischen Bevölkerung sogar die Einreise. 1941 schloss es sich dann allerdings der deutschen Invasion in Jugoslawien an. Noch vor dem Eintritt des Königreichs in den Zweiten Weltkrieg profitierte Ungarn weiterhin von der Nähe zu den Achsenmächten, u. a. im Rahmen der Einverleibung rumänischer Gebiete. Zwischen 1920 und 1941 hat sich die Fläche des Königreichs Ungarn von 92.833 km² auf 17.149 km² sowie seine Bevölkerungszahl von 7,98 Mio. auf 14,67 Mio. beinahe verdoppelt.

1941 schloss sich das Königreich zunächst dem deutschen Krieg gegen die Sowjetunion an. Auf die Einsetzung einer gemäßigten Regierung und Plänen zum Kriegsaustritt reagierte das Deutsche Reich mit der Besetzung Ungarns. Am 16. Oktober 1944 wurden Horthy und seine Regierung durch eine deutschlandfreundliche Regierung des als Führer eingesetzten Ferenc Szálasi (1897–1946) ersetzt. Der Hohe Nationalrat der am 21. Dezember 1944 in Debrecen aufgesetzten Interimsregierung mit Béla Miklós (1890–1948) an der Spitze setzte sich jedoch bereits im März 1945 mit Unterstützung der Sowjetunion durch und konnte die Macht übernehmen. Am 2. Februar 1945 wurde das Königreich Ungarn durch die Zweite Ungarische Republik ersetzt. Die während der Zeit des Königreichs einverleibten Gebiete der Tschechoslowakei und Rumäniens wurden noch 1944 von oder mithilfe der Sowjetunion besetzt und formell von Ungarn im Mai 1945 wieder abgetrennt.

“,1 das Jakob-Bleyer-Gymnasium Jakob-Bleyer-Gymnasium Benannt wurde das Gymnasium nach Jakob Bleyer (1894–1933), auf den sich die „deutsche Bewegung“ im Trianon-Ungarn aufbaute. eröffnet.2 Sein erster und einziger Direktor, Johann Weidlein (1905–1994) Johann Weidlein (1905–1994) Johann Weidlein war „Volkstumsforscher“ und Historiker. Charakteristisch für seine späteren Arbeiten in der BRD sind ein apologetisches Geschichtsbild und die Relativierung der „Volksbund“-Zeit mit der Betonung der „Opferrolle“ der Deutschen in Ungarn gegenüber dem magyarischen „Rassennationalismus“. ,3 bezeichnete dies als „Wendepunkt in der Geschichte des ungarländisch-deutschen Schulwesens und zugleich auch in der Geschichte des deutschen Volkes in Ungarn“.4
Möglich wurde die Eröffnung des Jakob-Bleyer-Gymnasiums durch das Wiener Volksgruppenabkommen5 zwischen dem „Dritten Reich“ und Ungarn vom 26. August 1940. Seine Bestimmungen ermöglichten den Deutschen in Ungarn nicht nur das uneingeschränkte Bekenntnis zum Nationalsozialismus und seinen ideologischen Grundsätzen, sondern auch den lang ersehnten politisch-ideologischen Zugriff auf die „deutsche“ Jugend.6 Der im Herbst 1938 als Folge des ersten Wiener Schiedsspruchs gegründete Volksbund der Deutschen in Ungarn (VDU), der nunmehr die einzig offiziell anerkannte Vertretung der deutschen „Volksgruppe“ in Ungarn war, entwickelte sich sukzessive zu einer „Volksgruppenorganisation“ nach Reichsvorbild.7 Die „Volksgruppenführung“ unter Franz Basch (1901–1946) Franz Basch (1901–1946) Franz Anton Basch (1901–1946) war ein nationalsozialistischer Politiker Banater Herkunft, der in Ungarn tätig und u. a. ab 1938 Leiter des „Volksbundes der Deutschen in Ungarn“ war. 1940 ernannte Adolf Hitler Basch zum „Volksgruppenführer“ der Deutschen in Ungarn. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtete Basch zunächst ins Deutsche Reich, wurde nach Kriegsende jedoch nach Ungarn ausgeliefert und dort 1946 hingerichtet.  bemühte sich ab 1940 all das „nachzuholen“, was vor dem Hintergrund der  Magyarisierungsbestrebungen
Magyarisierung
Da im Ungarn nach dem Friedensvertrag von Trianon die Nationalitäten für den Zerfall des historischen Königreichs Ungarn verantwortlich gemacht wurden, zielte die ungarische Nationalitätenpolitik auf die Assimilierung der im Land lebenden Minderheiten ab. Dies erfolgte in unterschiedlichster Art und Weise und betraf insbesondere den Gebrauch der Muttersprache und den Zugang zum Unterricht in der Muttersprache. Ferner war die Magyarisierung „deutscher“ Namen eine notwendige Voraussetzung für einen sozialen und beruflichen Aufstieg.
 der ungarischen Regierungen im Bereich der Jugendarbeit zuvor nicht möglich gewesen war: Um die Erfassung der Jugendlichen zu verhindern, setzte die ungarische Regierung die Altersgrenze für den Eintritt in den im Jahr 1923 von Jakob Bleyer gegründeten Ungarländisch-Deutschen Volksbildungsverein (UDV) Ungarländisch-Deutschen Volksbildungsverein (UDV) Der „Ungarländisch-Deutsche Volksbildungsverein“ (UDV) entstand bereits 1923, wurde formell jedoch erst 1924 gegründet und staatlich anerkannt. Ziele waren vor allem die Förderung von Kultur und Sprachpflege der Deutschen in Ungarn, wobei sich der UDV stark im Bereich des deutschen Schulwesens engagierte. Gründer, Geschäftsführer und zentrale Figur war bis 1933 Jakob Bleyer, erster Vorsitzender jedoch der Publizist Gusztáv Gratz (1875–1946). Informelles Sprachrohr des UDV war das 1921 ebenfalls durch Bleyer gegründete „Sonntagsblatt. Wochenzeitung für das deutsche Volk in Ungarn“ (ab 1935: „Neues Sonntagsblatt“). Nach Bleyers Tod intensivierte sich der Richtungsstreit um den UDV und dessen mögliche Rolle als auch politische Vertretungsinstanz und eine verstärkt völkische Ausrichtung; die Konflikte mündeten 1938 in die Gründung des „Volksbundes der Deutschen in Ungarn“ durch Franz Anton Basch. Der UDV wiederum wurde bereits 1940 aufgelöst. auf 24 Jahre fest;8 die Studierendenverbindungen, wie zum Beispiel die im Jahr 1923 gegründete Suevia, durften sich nur aus Universitätsstudierenden rekrutieren.9 Die Schul- und Jugendpolitik Trianon-Ungarns, die in der auf die ethnische Homogenisierung zielenden Politik des Landes wurzelte, wurde dabei auch für den zahlenmäßigen Rückgang der Deutschen in Ungarn und das Fehlen einer gebildeten Führungsschicht verantwortlich gemacht.10
Um nun endlich Zugriff auf die „deutsche“ Jugend zu erhalten, sie geschlossen ansprechen, zusammenführen und in die Arbeit der „deutschen Bewegung“ einbinden zu können, wurden zwei wesentliche Maßnahmen ergriffen: Die Schaffung eines deutschsprachigen Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Mittelschule und die Gründung einer deutschen Jugendorganisation.11 Während erstere unmittelbar nach dem Wiener Volksgruppenabkommen in Angriff genommen wurde, erfolgte die offizielle Gründung der Deutschen Jugend (DJ) Deutschen Jugend (DJ) Die „Deutsche Jugend“ (DJ) war die Jugendorganisation der Deutschen in Ungarn. Als Vorbild für die im Frühjahr 1941 genehmigte Organisation galt der „Hitlerjugend“ (HJ). erst am 29. Juni 1941 auf dem Landesjugendtag in 
Mágocs
hrv. Magoč, deu. Magotsch

Mágocs (Bevölkerungszahl 2023: 2.122) ist eine Kleinstadt im ungarischen Komitat Baranya im Süden des Landes. In dem ethnisch gemischten Dorf machen die deutsche Bevölkerung bis heute 8 % und Roma 6 % der Einwohner:innen aus (2021).

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Alle Kinder der Angehörigen der Volksgruppe sollen die Möglichkeit haben, unter den gleichen Bedingungen, wie sie für die ungarischen Schulen gelten, eine Erziehung auf volksdeutschen Schulen zu erhalten, und zwar auf Höheren, Mittleren und Grundschulen sowie auf Fachschulen.12

„Volksgruppenpolitik“ in Anlehnung an das „Dritte Reich“
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Konnte zwar eine vollständige Nazifizierung der deutschen „Volksgruppe“ in Ungarn im Zeitraum von 1940 bis 1944 nicht erreicht werden, war dennoch eine Radikalisierung und allmähliche Aneignung des NS-Vorbildes zu beobachten. Der Rassengedanke und das Konzept der deutschen „Volksgemeinschaft“ verbreiteten sich in Ungarn vor allem gegen Ende des Jahres 1940 zunehmend.13 Insbesondere war dies für die Jugendleitung charakteristisch, die deutlich mehr nationalsozialistisch und „führergetreu“ eingestellt war als die eigentliche VDU-Führung.14 Dies lässt sich darauf zurückführen, dass „Volksgruppenführer“ Basch in der Jugend das „Allerheiligste eines Volkes“ sah und ihr eine besondere Aufgabe zuwies.15 Denn, so wie Weidlein formulierte, die „im Geiste der Ahnen, also in unbedingter Treue zur Heimat und zum angestammten Volkstum“ erzogene Jugend sollte künftig „für ihr eigenes Volk arbeiten“.16 So stand die ersehnte Kaderbildung innerhalb der „deutschen Bewegung“ ab 1940 stark unter nationalsozialistischen Vorzeichen.17
Nationalsozialistische Indoktrination in den NS-Erziehungsstätten
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„Am stärksten und effektivsten wurde die nationalsozialistische Indoktrination in den so genannten nationalsozialistischen Erziehungsheimen umgesetzt“, resümiert Zsolt Vitári.18 Denn für die VDU-Schulen, so auch für das Jakob-Bleyer-Gymnasium, war der staatliche ungarische Lehrplan verbindlich, der für die ungarische Regierung die vaterländische Erziehung der „deutschen“ Jugend sicherstellen sollte. Was im Sinne des Lehrplans nicht möglich war, wurde in NS-Erziehungsstätten NS-Erziehungsstätten Die NS-Erziehungsheime und NS-Erziehungsanstalten waren die ungarischen Äquivalente zu den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napola) und die Adolf-Hitler-Schulen im Deutschen Reich. Ähnlich wie ihre Vorbilder waren sie Eliteeinrichtungen und förderten primär die Ausbildung einer gebildeten Führerschicht innerhalb der „Volksgruppe“. 19 nachgeholt, die ergänzend zu den Schulen „wertvollste eigene Erziehungsarbeit leiste[te]n“.20 Dazu bedurfe es einer engen Zusammenarbeit der DJ mit den VDU-Schulen und den NS-Erziehungsstätten.21 Während die „wissenschaftlich-geistige Erziehung“ in den Schulen erfolgte, waren für die „körperliche Ertüchtigung und mannschaftliche Erziehung“, sowie „charakterlich moralische Erziehung und weltanschauliche Schulung“ die NS-Erziehungsheime und -anstalten zuständig.22 Der Unterschied zwischen den beiden letztgenannten bestand darin, dass die NS-Erziehungsanstalten dazu vorgesehen waren, den eigentlichen „Führernachwuchs“ herauszubilden23 und somit höhere Zulassungsanforderungen stellten:24 Hier musste man „rassisch wertvoll“ sein, um eine Aufnahme zu finden.25
 
Die NS-Erziehungsstätten waren als Internate nicht den jeweiligen Schulen angegliedert, sondern selbständige Einrichtungen.26 Die Schulen, die NS-Erziehungsstätten und, nach ihrer offiziellen Gründung 1941 die DJ, deren Ziel die nationalsozialistische Erziehung der Jugend war, waren eng miteinander verbunden.27 In Budapest gab es eine NS-Erziehungsanstalt für die „Elite der Elite“28, ein NS-Erziehungsheim für Jungen und ein NS-Erziehungsheim für Mädchen. Ihre „Zöglinge“ besuchten zu einem erheblichen Teil das Jakob-Bleyer-Gymnasium oder andere VDU-Schulen der Hauptstadt. Am Gymnasium wurden Mädchen nur als Privatschülerinnen zugelassen.29 Nur die Kinder von VDU-Mitgliedern durften VDU-Schulen besuchen, alle Schüler:innen mussten zugleich auch der DJ angehören, die als „Garant einer nationalsozialistischen Jugenderziehung“30 galt und „für die völkische, weltanschauliche und körperliche Ertüchtigung der Jugend“ verantwortlich war.31 Insbesondere war für die DJ die „Pflicht zum deutschen Bluterbe“32 eine der Haupttugenden. In einem Aufruf des „Volksgruppenführers“ an die „deutsche“ Jugend hieß es: „Wer deutschen Blutes und volksdeutscher Gesinnung ist, hat sofort unter die Fahnen der D. J. zu eilen.“33
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Der Zweck der NS-Erziehungsanstalten ist: Neben der Erziehung in der Schule den Jungen eine gründliche nationalsozialistische Ausrichtung und Erziehung zu vermitteln.34

Zusammenarbeit der VDU-Schulen und der NS-Erziehungsstätten
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Wie eng die Schulen des VDU und die NS-Erziehungsstätten zusammenarbeiteten, zeigt sich daran, dass die Aufnahmeprüfungen für die Schulen in Kooperation mit den NS-Erziehungsstätten erfolgten.35 Die Leiter der NS-Erziehungsstätten walteten auch dafür, dass die „Zöglinge“ in der Schule gut vorankommen, ansonsten wären diese nicht nur aus der jeweiligen Erziehungsstätte, sondern aus allen anderen dieser Art ausgeschlossen worden.36 Zur Zulassung an den Schulen und NS-Erziehungsstätten bedurfte es neben einer aktiven DJ-Mitgliedschaft auch des Vorlegens eines Empfehlungsbriefes des zuständigen VDU-Gebietsführers sowie eines Ahnennachweises bis zu den Großeltern.37 Um „eine äußere soldatische Haltung zu bekommen“,38 wurde in den NS-Erziehungsstätten ausführlich exerziert. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der vormilitärischen Ausbildung und Prägung insbesondere der Jungen.
Der Landesjugendtag in Mágocs 1941
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Dass die Jugend verstärkt im nationalsozialistischen Sinne erzogen wurde, beziehungsweise dass dies unternommen wurde, zeigt auch der Landesjugendtag in Mágocs am 29. Juni 1941, der zugleich offizielles Gründungsfest der DJ war.39 Am Landesjugendtag sollen 12.000–15.000 Jugendliche teilgenommen haben, auch die Schüler:innen des Jakob-Bleyer-Gymnasiums. Verbunden mit einer Sonnwendfeier stand auch diese Kundgebung unter nationalsozialistischem Vorzeichen.40 „[Die Jugend] hat am 29. Juni 1941 in Mágocs bewiesen, dass sie fähig und bereit ist[,] den Marsch zum Kampf für eine einige nationalsozialistische Volksgruppe anzutreten“, heißt es in einer Propagandaschrift des VDU über das Gründungsfest der DJ.41 Für die offen nationalsozialistische Propaganda am Landesjugendtag zog die VDU-Leitung seitens der ungarischen Regierung starke Kritik auf sich.42
Schwierigkeiten im Schulalltag als Folge der ungelösten Schulfrage
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Bildungslücken vieler Schüler:innen erschwerten den Unterricht im Jakob-Bleyer-Gymnasium, da viele Kinder, insbesondere aus der Umgebung der Hauptstadt, selten Schulunterricht in ihrer Muttersprache erhalten hatten und daher nicht über die nötigen Deutschkenntnisse verfügten.43 Auch ihre geistige Entwicklung soll oft nicht dem erwarteten Niveau einer Gymnasiastin oder eines Gymnasiasten entsprochen haben.44 Der Unterricht fand in deutscher Hochsprache statt, mit Ausnahme von ungarischer Sprache und Literatur, die auf Ungarisch unterrichtet wurden.45 Aufgrund von Defiziten im deutschsprachigen Schulwesen hatten die Schüler:innen sprachliche Schwierigkeiten, in den unteren Klassen oft in beiden Sprachen und in den höheren Klassen im Ungarischen.46 Um Dialektunterschiede zu verringern und Sprachprobleme zu lösen – die meisten Deutschen in Ungarn sprachen überwiegend eine (Orts-)Mundart, kaum welche Hochdeutsch –, wurde eine sogenannte „Spielschar“47 gegründet, in der Sprechchöre, Szenen und Laienspiele einstudiert und aufgeführt wurden.48 Diese „Spielschar“ diente der „Pflege der deutschen Sprache und Literatur“49 und zugleich der „Stärkung des Volkstumsbewusstseins“.50 Die Schüler:innen lernten deutsche Lieder, wodurch die „echte Freude am deutschen Volkslied und an der deutschen Volksmusik“ geweckt worden sein soll.51 Musik wurde als „unmittelbarste Beziehung zur völkischen Erhebung des Nationalsozialismus“52 betrachtet, daher wurde auch auf die musikalische Erziehung viel Wert gelegt. Ziel der regelmäßigen Auftritte der „Spielschar“ auf Feiern und Veranstaltungen des VDU in Budapest und in den umliegenden Gemeinden war auch, Werbung für die DJ zu machen und sich mit der örtlichen VDU-Ortsgruppe zu vernetzen.53 Die „Zöglinge“ der NS-Erziehungsstätten wiederum hielten gewöhnlich Propagandamärsche mit Trommlern und Fanfarenbläsern ab, bei der NS-Marschlieder gesungen wurden; auch in der Hauptstadt Budapest.54
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Die DJ will den neuen deutschen Menschen gestalten. Sie will, daß aus der grauen Masse all der Jugendlichen, die zu uns standen, eine mächtige Organisation werde, berufen und befähigt dazu, Formen und Wege zu suchen und zu finden, die zu diesem neuen deutschen Menschen, dem Nationalsozialisten, hinführen.55

Vernetzung mit den VDU-Ortsgruppen
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Für die DJ war es charakteristisch, dass sie eher Kinder aus ärmeren Schichten für die Jugendarbeit gewinnen konnte.56 Damit sich jedoch auch arme Familien die Internatskosten der NS-Erziehungsstätten leisten konnten, war es möglich, eine Ermäßigung der Gebühren oder ein Studiendarlehen der Deutschen Volkshilfe (DV) Deutschen Volkshilfe (DV) Amt für Sozialwesen des VDU, die ihre Tätigkeit am 1. Januar 1942 begann. zu beantragen.57 Oft übernahm auch die örtliche VDU-Ortsgruppe die Studiengebühren der Kinder aus ihrer Siedlung.58 Ein Beispiel ist Josef Rothausky (1930–2021) aus 
Budaörs
deu. Wudersch

Budaörs (Bevölkerungszahl 2023: 29.398) im ungarischen Komitat Pest schließt westlich an die Landeshauptstadt Budapest. Der Ort existiert mindestens seit dem 13. Jahrhundert. Bis zu ihrer Vertreibung 1946 dominierte die deutschsprachige Bevölkerung in der Stadt, heute bekennen sich lediglich 3 % ihrer Einwohnerschaft zu deutscher Herkunft. Die ursprüngliche schwäbische Siedlungsform blieb in den städtebaulichen Merkmalen von Budaörs erhalten.

, dessen Schulausbildung ab 1942 finanziell von der Gemeinde unterstützt worden sein soll,59 jedoch wurden seine Schul- und Internatskosten vermutlich von der VDU-Ortsgruppe Budaörs übernommen: Er verdankte dies der engen Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften der Schulen, den NS-Erziehungsstätten und den VDU-Ortsgruppen, zumal die Lehrkräfte auch in der Ortsgruppenarbeit engagiert waren.60 So leitete zum Beispiel Franz Riedl (1910–1984) aus Budaörs nicht nur die NS-Erziehungsanstalt in Budapest, sondern war ab 1942 auch Ortsgruppenführer des VDU in Budaörs.61 Auf seine ausdrückliche Empfehlung hin kam Rothausky ans Jakob-Bleyer-Gymnasium, was die Finanzierung durch die VDU-Ortsgruppe, mit Riedl als Ortsgruppenleiter, ermöglichte.62
Weltanschauliche Bildung am Jakob-Bleyer-Gymnasium
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War die weltanschauliche Bildung in erster Linie Aufgabe der NS-Erziehungsstätten, so wird anhand der Schuljahrbücher der zunehmende nationalsozialistische Einfluss auch auf das Jakob-Bleyer-Gymnasium sichtbar.63 Denn das ideologische Leitbild drückte sich zunehmend in der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts (beispielsweise „Rassenkunde“ als Schulfach) und im außerschulischen Alltag der Jugendlichen (Teilnahme an „Führergeburtstagen“) aus. Aus dem Jahrbuch des zweiten Schuljahres geht hervor, dass die Schüler des Gymnasiums im Rahmen eines Schulprogramms den Geburtstag Adolf Hitlers mit einem Ausflug in die Ofner Berge feierten.64 Auch beim Empfang der HJ auf dem Kossuth Lajos tér, dem symbolträchtigen Paradeplatz vor dem ungarischen Parlament, am 7. Mai war die Schuljugend des Jakob-Bleyer-Gymnasiums anwesend.65 Ebenso fungierten die „Zöglinge“ bei den regelmäßigen Kundgebungen des VDU und bei hochrangigen Besuchen aus dem „Reich“ als Staffage.66
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Auch auf den Straßen der Landeshauptstadt hallt der Marschtritt der Deutschen Jugend. Sie erfüllt das deutsche Leben mit neuem Inhalt.67

Einfluss des Krieges auf den Schulalltag
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Mit dem Fortschreiten des Krieges wurden insbesondere die Schüler immer mehr in paramilitärische Aktivitäten einbezogen und ab dem zweiten Schuljahr nahmen sie immer häufiger an außerschulischen Veranstaltungen mit militärischem Charakter teil. Am 14. Dezember 1941 standen sie auf der Andrássy út, einer Prachtstraße im Zentrum Budapests, Spalier bei der Militärparade anlässlich der Rückkehr der „Honvéd“ „Honvéd“ Königlich Ungarische Armee (Magyar Királyi Honvédség, kurz „Honvéd“), Bezeichnung der ungarischen Streitkräfte zwischen 1922 und 1945. von der Ostfront.68 Am 8. Januar 1942 nahmen sie am Empfang des deutschen Reichsministers des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop (1893–1946) Joachim von Ribbentrop (1893–1946) Joachim Ribbentrop (1893–1946, seit 1925 von Ribbentrop) war ein nationalsozialistischer Politiker und ab Mitte der 1930er Jahre ein zentrales Mitglied der nationalsozialistischen Führung um Adolf Hitler (1889–1945). Ribbentrop hatte mit seinen politischen und gesellschaftlichen Kontakten bereits Hitlers Machtergreifung erheblich unterstützt und stieg binnen weniger Jahre vom außenpolitischen Berater Hitlers und außerordentlichen Botschafter des Deutschen Reiches in London zum „Reichsminister des Auswärtigen“ (ab 1938) auf. Als solcher unterzeichnete Ribbentrop gemeinsam mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow am 23. August 1939 auch den sog. Hitler-Stalin-Pakt in Moskau, der in seinen Zusätzen u. a. die Aufteilung Polens infolge des bereits am 1. September 1939 durch das Deutsche Reich begonnenen Überfalls auf Polen regelte. Ribbentrop wurde 1946 in den Nürnberger Prozessen als einer der Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. teil.69 Die DJ beteiligte sich auch aktiv an der Organisation und Teilnahme an den „Führergeburtstagen“; 1943 organisierte der VDU die „Führergeburtstagsfeier“ in 
Bánd
deu. Bandau

Bánd (Bevölkerungszahl 2023: 686) ist ein Dorf im ungarischen Komitat Veszprém in Westen des Landes. Die deutsche Minderheit stellt 27 % der Bevölkerung (2021) dar.

 im Komitat 
Veszprém
deu. Wesprim, deu. Weißbrünn, slk. Besprim, slk. Vesprím, lat. Vesprimi

Veszprém (Bevölkerungszahl 2023: 56.029) ist eine der ältesten Städte Ungarns. Sie liegt im Westen des Landes. Die Grundlage der Stadt bildete eine Festung aus der vorungarischen Zeit. 1009 wurde Veszprém zum ersten Bistum des Landes erhoben (seit 1993 Erzbistum). Den Bischöfen von Veszprém oblag die Krönung der ungarischen Königinnen. Die Stadt gehörte zu den ersten Universitätsstandorten in Ungarn. Auf der Grundlage des Getreidemarkts entwickelte sie sich zu einem bedeutenden Handelszentrum. Im Verlauf der Geschichte wurde Veszprém mehrfach in Kriegen, wie durch die osmanischen Truppen im 16. Jahrhundert oder am Ende des Zweiten Weltkriegs, und durch das Erdbeben 1810 schwer zerstört. Dank einem gelungenen Wiederaufbau der historischen Substanz in den 1940er und 50er Jahren gehört die Stadt zu den beliebtesten touristischen Zielen in Ungarn. 2023 teilte sich Veszprém mit zwei weiteren Städten den Titel Kulturhauptstadt Europas.

. Die „Pimpfe“ der NS-Erziehungsanstalt Budapest trugen mit ihrem Fanfarenzug und Chor zum Festprogramm bei.70
Der Kriegsverlauf blieb nicht ohne Folgen für den Schulalltag, von denen zunächst die männlichen Gymnasiallehrer betroffen waren: Durch Einberufungen zum Militärdienst und der oft bereits zeitnahen Rückkehr zuvor Einberufener kam es zu einer ständigen Fluktuation im Lehrpersonal.71 Dies konnte zunächst durch die Änderung des Lehrplans und durch den Einsatz von Vertretungslehrkräften überbrückt werden.72
Die näher rückende Front brachte auch für die Schüler:innen des Gymnasiums Veränderungen mit sich: Das vierte Schuljahr endete vorzeitig am 1. April 1944.73 Die in Ungarn ab dem Frühjahr 1944 durchgeführten Zwangsrekrutierungen in die Waffen-SS74 betrafen auch die älteren Schüler des Gymnasiums, da die DJ allmählich als „Humanressource“ für die Waffen-SS galt: Immerhin hatte die DJ die Jungen explizit mit dem Ziel erzogen, Soldaten zu werden. Dies zeigt sich auch daran, dass die ab 1940 jedes Jahr veröffentlichte Jahrbuch der deutschen Jugend in Ungarn 1944 in Jugend und Soldaten umbenannt wurde.75 Sein für alle Ausgaben des Jahrbuchs charakteristisches, programmatisches Vorwort an die „deutsche“ Jugend begann der „Volksgruppenführer“ Basch mit folgendem Gedanken: „Heute steht der größte Teil unserer Volksjugend unter den Waffen. Durch ihren Kampfesmut und ihre soldatische Einsatzbereitschaft hat sie unvergänglichen Ruhm geerntet.“76
 
Für jene Schüler, die bereits die 7. Klasse absolviert hatten und für die Waffen-SS zwangsrekrutiert werden sollten, genehmigte das ungarische Kultusministerium die Abhaltung eines sechswöchigen Maturakurses.77 Am Ende dieses Kurses erhielten die Schüler das Zeugnis der 8. Klasse und wurden zur Matura zugelassen, nach deren Ablegung sie zur Waffen-SS eingezogen wurden. So hat die Schule die Zwangsrekrutierung ihrer Schüler nicht nur befürwortet, sondern mit der Abhaltung vorzeitiger Maturaprüfungen explizit unterstützt und ermöglicht.
Evakuierung und Kriegsende
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Auch für jene Schüler, die zu jung waren, um zur Waffen-SS eingezogen zu werden, sowie für die Schülerinnen, fand der bisherige Schulalltag angesichts der laufenden Kriegsereignisse jedoch bald ein Ende. Im Herbst 1944 versuchte man den Schulbetrieb wieder aufzunehmen, musste aber im Oktober das Schulgebäude verlassen: Mit dem Herannahen der Front ordnete die „Volksgruppenführung“ in Ungarn Ende Oktober die Evakuierung der Schule gemeinsam mit anderen VDU-Schulen und NS-Erziehungsstätten ins „Sudetenland“ nach 
Liberec
deu. Reychinberch, ces. Lychberk, deu. Habersdorf, ces. Liberk, lat. Liber, lat. Libercum, deu. Rychberg, deu. Rychmberg, deu. Reychmberg

Liberec (Bevölkerungszahl 2023: 107.982) ist eine der größten Städten Tschechiens. Sie liegt im Norden des Landes, unweit der Grenzen zu Polen und Deutschland. Der Stadtkern liegt in einem Tal zwischen dem Isergebirge und dem Jeschkengebirge (tschechisch Ještědský hřbet). Der Ort wurde vor 1352 von deutschen Siedlern in einem damals kaum besiedelten Gebiet gegründet. Während der Hussitenkriege (1419-1434) war Liberec ein hussitischer Stützpunkt gegen die katholische Oberlausitz. 1577 erhielt der Ort Stadtrechte. Ihre damalige Entwicklung verdankte die Stadt der Tuchmacherei. Die Textilbranche bildete auch die Grundlage für die im frühen 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung. Durch die Zuwanderung von Arbeitskräften im Zuge der Industrialisierung wuchs der Anteil der tschechischen Bevölkerung in der Stadt, wobei diese auch nach dem Zerfall des Habsburgerreichs und der Gründung der Tschechoslowakei 1918 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs kaum 20 % erreichte. Nach der deutschen Besatzung infolge des Münchner Abkommens 1938 wurde die Stadt ins Deutsche Reich einverleibt. 1945 wurde die deutsche Bevölkerung aus dem nun wieder tschechoslowakischen Liberec größtenteils vertrieben, und an ihrer Stelle siedelten Menschen aus Mittelböhmen und der Slowakei.

 an.78 Dort wurde der Unterricht wieder aufgenommen.79 Nach einer erneuten Evakuierung Ende Februar 1945 erlebten die Schüler:innen das Kriegsende im heutigen Österreich und fanden später in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands eine „neue Heimat“. Diejenige Schüler, die zuvor zur Waffen-SS eingezogen worden waren, erlebten das Kriegsende weit überwiegend nicht: Die meisten von ihnen waren im Herbst und Winter vor Budapest gefallen.80
Fazit
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Ab 1940 wurde das „Deutschsein“ in Ungarn allmählich mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich gleichgesetzt.81 Allerdings lässt sich die sukzessive Ausbreitung der nationalsozialistischen Indoktrination bei den Deutschen in Ungarn nur teilweise auf den Druck des „Dritten Reichs“ zurückführen. Die Mitgliedschaft des VDU war nicht homogen und umfasste ein breites Spektrum von überzeugten Nationalsozialist:innen und engagierten Mitläufer:innen.82 Obwohl die DJ danach strebte, die alle „deutschen“ Jugendlichen zu erfassen,83 konnte dies in den knapp vier Jahren, trotz entsprechender Bestrebungen in den VDU-Schulen und den NS-Erziehungsstätten, nicht vollständig erreicht werden: Es war aus zeitlichen Gründen und der mangelnden (Human-)Ressourcen schlichtweg nicht möglich, alle „deutschen“ Kinder auf eine Schuleinrichtung des VDU zu schicken und diese im Sinne der ideologischen Richtlinien zu erziehen. Dennoch wurden die NS-Erziehungsstätten erfolgreich zu Hochburgen der nationalsozialistischen Ausbildung, Kaderbildung und Mobilisierung. Die NS-Erziehungsstätten und die VDU-Schulen in Ungarn prägten die weltanschauliche und politische Einstellung ihrer Schüler:innen in enger Symbiose mit der nationalsozialistischen Ideologie.84 Da die NS-Ideologie in Budapest deutlich mehr Einfluss auf den Schulalltag hatte als in den anderen VDU-Schulen des Landes,85 erhielt die Schuljugend am Jakob-Bleyer-Gymnasium verstärkt eine entsprechende weltanschauliche Erziehung.

Siehe auch