Warum benötigen wir wissenschaftliche 3D-Rekonstruktionen? Am Beispiel jüdischer Sakralbauten in Ostmitteleuropa wird der Mehrwert schnell deutlich. Gebäude, die bedroht bzw. vollständig oder teilweise verloren sind, können so digital wieder entstehen und als solche virtuell begeh- und begreifbar werden.
Ausgangssituation
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Das Architekturinstitut der Hochschule Mainz (AI MAINZ) beschäftigt sich seit langem mit wissenschaftlich-nachhaltigen digitalen 3D-Rekonstruktionen von historischer Architektur. Durch die Zusammenarbeit der Forschungsstelle Bet Tfila für Jüdische Architektur in Europa an der Technischen Universität Braunschweig und dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg werden so auch jüdische Bauten in Ostmitteleuropa im Rahmen der akademischen Lehre als digitale 3D-Modelle erstellt und der Wissenschaft frei zugänglich gemacht.
Die jüdische Kultur war bis zum Zweiten Weltkrieg ein zentraler Bestandteil Ostmitteleuropas. Eine einfache digitale Abfrage bei Wikidata zeigt, dass es allein auf dem heutigen Gebiet Polens über 1.200 Synagogen gab. Eine vollständige Erschließung des gebauten jüdischen Kulturerbes in Ostmitteleuropa würde daher eine enorme Herausforderung darstellen, die nur kollaborativ zu bewältigen ist.
Diese einfache Art der Kategorisierung, die Objekte nach modernen Staatsgrenzen ordnet und auch von der Denkmalpflege praktiziert wird, ist hilfreich für einen ersten Überblick. Allerdings entspricht sie nicht den realen Bedingungen, unter welchen die Gebäude früher errichtet wurden.1 Denn die Grenzen in Ostmitteleuropa haben sich im Laufe der frühen Neuzeit und erneut nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich verändert. Derartige Grenzverschiebungen rufen auch Fragen der Zuständigkeit auf den Plan, die hier sehr pointiert gestellt werden sollen: Wer ist verantwortlich für das kulturelle Erbe von Gebäuden, die unter einer anderen bzw. früheren Herrschaft oder Verwaltung entstanden sind? Hinzu kommt die Frage, in welchem Bereich des kulturellen Erbes und in welchem wissenschaftlichen bzw. denkmalpflegerischen Kontext sie wahrgenommen und angegliedert werden sollten. Im digitalen Raum lassen sich diese Fragen wesentlich diplomatischer lösen, als dies bei den Bauwerken in situ der Fall ist.2
Problematik
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Alle diese Gebäude haben etwas gemeinsam: Sie müssen genutzt werden, um nicht zu verfallen. Die Herausforderung, die das gebaute jüdische Kulturerbe mit sich bringt, beruht auf dieser Prämisse und läuft letztendlich auf die Frage nach einem funktionsbezogenen Denkmalschutz hinaus, d.h. welche neue Nutzung können ehemalige Synagogenbauten bekommen, um sie vor dem Verfall zu schützen. Denn als direkte Folge der Shoah wurden die Gebäude ihrer eigentlichen Erben und Funktion beraubt und oftmals dem Lauf der Zeit sowie der menschlichen Gleichgültigkeit überlassen.
Bezüglich der jüngeren Nutzungsgeschichte von Gebäuden, die eine zentrale Bedeutung für die damaligen jüdischen Gemeinden hatten, – wie beispielsweise Synagogen, Mikwen Mikwen Als Mikwe oder auch Ritualbad wird in jüdischen Kontexten ein Tauchbad bezeichnet, dessen fließendes Wasser der Erlangung ritueller Reinheit durch Untertauchen dient. In orthodoxen und konservativen Strömungen des Judentums ist der Besuch der Mikwe vorgeschrieben, nachdem eine verheiratete Frau ihre Menstruation hatte oder entbunden hat. Den ersten Besuch in der Mikwe absolviert die Frau meist am Vorabend des Hochzeitstages. Diese Gebote werden heute v.a. von orthodoxen Jüdinnen befolgt. Das Untertauchen in der Mikwe ist für eine Konversion zum Judentum der orthodoxen, konservativen und liberalen Richtung sowohl für Männer als auch für Frauen Bedingung. Auch Geschirr wird in einem gesonderten Becken der Mikwe gereinigt, bevor es in koscheren Haushalten verwendet wird. , Bestattungshallen, Schächter- und Badehäuser – lassen sich fünf Szenarien unterscheiden:
  1. Ihre eigentliche Verwendung wurde fortgesetzt. So ist die Synagoge in 
    Dzierżoniów
    deu. Reichenbach (Eulengebirge), pol. Drobniszew, deu. Reichenbach im Eulengebirge, deu. Reichenbach am Eulengebirge, deu. Reychenbach, pol. Rychbach, pol. Rychonek, deu. Reichenbach unter der Eule

    Dzierżoniów (Bevölkerung 2023: 30.614) ist eine Kreisstadt im Südwesten Polens, in der Woiwodschaft Niederschlesien. Dzierżoniów liegt am östlichen Rand des Eulengebirges (Góry Sowie) am Fluss Peilau (Piława) und gehört zu den ältesten Städten Niederschlesiens. Die Stadtrechte erhielt sie wahrscheinlich um 1250. Bis 1945 war die Stadt unter dem deutschen Namen Reichenbach bekannt, der zunächst in Rychbach umbenannt wurde. Der heutigen Namen erhielt sie 1946 zum Gedenken an Pfarrer Jan Dzierżoń (Johann Dzierzon) - einen herausragenden schlesischen Bienenforscher.

     weiterhin in ihrem ursprünglichen Kontext als Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde des Ortes in Gebrauch.
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  1. Sie fanden eine Umnutzung, welche ihren kulturellen und ästhetischen Wert beibehielt. So ist das ehemalige Tahara-Haus Tahara-Haus Tahara bezeichnet im Judentum den Zustand der rituellen Reinheit. Leichen z.B. gelten im Judentum als rituell unrein (Tuma). Taharahäuser sind spezielle Häuser, die auf jüdischen Friedhöfen zu finden sind, in denen rituelle Leichenwaschungen an verstorbenen Juden vorgenommen werden, um die Toten vor ihrer Bestattung wieder in den Zustand ritueller Reinheit zu versetzen. in 
    Olsztyn
    deu. Allenstein, lat. Holstin, lat. Allenstenium

    Das heutige Stadt Allenstein/Olsztyn (Bevölkerungszahl 2022: 168.212) wurde 1353 als „Allensteyn“ an der Allna gegründet. Allenstein ist die größte Stadt Ermlands und der Sitz der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Die Stadt ist Mitglied der Europäische Route der Backsteingotik, insbesondere aufgrund seines Altstadtrings und der Burg Allenstein.

    Das Bild zeigt eine Stadtansicht von Olsztyn /Allenstein auf einer Postkarte von vor 1945.

     zwar nicht mehr als solches in Gebrauch, besteht aber weiterhin als ein Zentrum interkulturellen Dialogs („Mendelsohn Haus“) und ist dadurch weiterhin Teil des Stadtbildes.
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  1. Sie wurden ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Zweck umgenutzt. Als Beispiel kann hier die ehemalige Synagoge in 
    Działdowo
    deu. Soldau, deu. Soldov, deu. Soldav, . Saldawa

    Das heutige Działdowo ist eine Kreisstadt (Bevölkerung 2022: 20.367) in der Woiwodschaft Ermland-Masuren im Nordosten Polens. Soldau entstand im Zuge der Kolonisierung der Landschaft Sassen, wo der Deutschen Orden im 14. Jahrhundert nahe der Grenze zu Masowien eine Burg errichtete. 1344 erhielt der in der Nähe gelegene Ort Soldav Stadtrechte. 1466 fand sich die Stadt im polnischen Lehnsgebiet wieder. 1525 wurde sie zur Kreisstadt. In Preußen verlor sie die Kreisfunktion, die sie erst nach der erneuten Eingliederung in den polnischen Staat 1920 wiedererlangte. Während der deutschen Besatzung 1939-1945 wurde hier das Konzentrationslager Soldau errichtet.
    Heute ist die Stadt ein wichtiger Verkehrsknoten und ein regionaler Kulturstandort.

     dienen, die unter der nationalsozialistischen Besatzung in ein Lichtspielhaus umgebaut wurde und mittlerweile als Geschäftsgebäude genutzt wird.
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  1. Sie stehen leer und werden – in den meisten Fällen – zunehmend baufällig oder zu Ruinen. Von den zahlreichen möglichen Beispielen, soll hier die ehemalige Synagoge in 
    Kwidzyn
    deu. Marienwerder, lat. Insula Sanctae Mariae, lat. Quedin, lat. Queden, . Kwēdina, pol. Kwidzyń

    Die Kreisstadt Kwidzyn liegt in der Woiwodschaft Pommern im Norden Polens. Historisch gesehen liegt sie auf dem Gebiet der historischen Landschaft Pomesanien. Noch vor seiner endgültigen Kolonisation durch den Deutschordensstaat wurden die ersten Vorläufer von Kwidzyn zerstört. 1336 wurden die Stadtrechte der nun als Residenz der pomesanischen Bischöfe dienenden Stadt bestätigt. In den nächsten Jahrhunderten stand die Stadt zeitweise unter polnischer, brandenburgischer, preußischer und zeitweise auch schwedischer und russischer Herrschaft. Nach der ersten Teilung Polens 1772 wurde Kwidzyn zu einer westpreußischen Grenzstadt an der Grenze zu Russland (später zu Polen). Nach 1945 hat sich die Stadt als eins der wichtigsten Zentren der polnischen Papierindustrie etabliert.

     angeführt sein.
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  1. Die vollkommene, bewusst eingesetzte Zerstörung. So sind beispielsweise die in traditioneller Holzbauweise ausgeführten Synagogen ausnahmslos und vorsätzlich zerstört worden. Als eines von zahlreichen möglichen Beispielen dient hier die hölzerne Synagoge in 
    Voŭpa
    pol. Wołpa, rus. Volpa, rus. Волпа, bel. Воўпа

    Das heutige weißrussische Dorf Voŭpa (Bevölkerung 2019: 639) im Bezirk Vaŭkavysk wurde erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt. Im 17. Jahrhundert war es eine Königliche Freistadt in der Polnisch-Litauischen Doppelmonarchie. Mit der Dritten Teilung Polen-Litauens 1795 fiel Voŭpa an Russland und verlor 1831 die Stadtrechte. Die stark jüdische Prägung des Dorfes im 19. Jahrhundert endete mit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Bekannt war der Ort wegen seiner Holzsynagoge aus dem 16.-17. Jahrhundert, die jedoch während der deutschen Besatzung zerstört wurde.

    . Die Synagoge wurde zwar in 
    Biłgoraj
    yid. בילגוריי, ukr. Bìlg̀oraj, ukr. Bìlgoraj, rus. Bilgoraj, ukr. Білґорай, ukr. Білгорай, rus. Билгорай, yid. Bilgoray, pol. Biłgora, rus. Bilgorai

    Biłgoraj (Bevölkerungszahl 2023: 18.064) ist eine Kreisstadt in der Woiwodschaft Lublin im Osten Polens. Sie wurde 1578 als Verwaltungszentrum in einem damals dünn besiedelten Teil von Kleinpolen als Privatstadt der Familie Gorajski gegründet. Bis zum 17. Jahrhundert war Biłgoraj ein Zentrum des Calvinismus, eine katholische Kirche wurde hier erst im 18. Jahrhundert gebaut. Seit dem 17. Jahrhundert durften sich Juden in der Stadt niederlassen, die später die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Mit der dritten Teilung Polens gehörte Biłgoraj zu Österreich, dann 1809-1815 zum Herzogtum Polen, und anschließend zu Russland (Königreich Polen). Angesichts der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verlor die stark vom Handwerk dominierte Stadt an Bedeutung. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde Biłgoraj weitgehend zerstört. Von den deutschen Besatzern wurde die Stadt am 28. September für fünf Tage an die Sowjetunion übergeben, und nach einer Korrektur des Grenzverlaufs wieder von den Deutschen übernommen. 1940-1942 wurde hier ein Ghetto betrieben, dessen Überlebende ins nahe Vernichtungslager Belzec abgeschoben und dort umgebracht wurden. In den 1960er und 1970er Jahren stieg Biłgoraj zu einem regionalen Industriezentrum auf.

     für touristische Zwecke wieder aufgebaut, von dem ursprünglichen Gebäude findet sich aber in dem heute belarussischen Dorf keine Spur mehr.
Projekte
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Für die verlorenen Gebäude des Szenarios 5 bleibt nur mehr die Aufrechterhaltung der Erinnerung an ihre Existenz. Um zu verhindern, dass sich die Situation insbesondere von Gebäuden der Szenarien 3 und 4 verschlechtert, ist es wichtig, auch diese bekannter zu machen und die Aufmerksamkeit der Wissenschaft und Öffentlichkeit auf sie zu lenken. Für die Beispiele dieser drei Szenarien besteht der erste Schritt darin, die Gebäude so umfassend wie möglich zu dokumentieren, um somit den verlorenen, aber auch den noch vorhandenen und bedrohten Bestand zu sichern. Ein weiterer Schritt, um die Aufmerksamkeit auf die bedrohten Gebäude zu lenken, besteht in der Hervorhebung der außergewöhnlichen Reichhaltigkeit des gebauten jüdischen Kulturerbes dieser Regionen insgesamt.
 
Eine wichtige Voraussetzung ist dabei die internationale Zusammenarbeit verschiedener Forschungsstellen, da das Thema unterschiedliche Forschungsdisziplinen, Kulturkreise und Verwaltungsorgane betrifft.3
Zwei wichtige Methoden stellen dabei die digitale Dokumentation und die digitale 3D-Rekonstruktion von historischer Architektur dar. Bei einer digitalen Dokumentation handelt es sich um die moderne Form der klassischen Bauaufnahme. Mittels eines terrestrischen Laserscanners (TLS) und wahlweise weiteren Vermessungsmethoden wird dabei idealerweise ein vollständiger Datensatz in Form einer Punktwolke des Gebäudes aufgenommen. 
Die digitale 3D-Rekonstruktion stellt die Überführung von Quellenmaterial – welches auch die vollständige Punktwolke der digitalen Dokumentation sein kann – in ein abstraktes digitales 3D-Modell dar.
Im Zuge des sog. Spatial Turns Spatial Turns Als „Spatial Turn“ oder topologische Wende wird die verstärkte Beschäftigung mit (geographischen) Raum in den Geschichts- und Kulturwissenschaften seit den 1980er Jahre verstanden. Angeregt wurde diese Wende durch die Arbeiten von Michel Foucault, für die osteuropäische Geschichte war insbesondere Karl Schlögels Buch „Im Raume lesen wir die Zeit“ (2003) wegweisend. in den Geschichtswissenschaften sowie verwandten Disziplinen hat sich die digitale 3D-Rekonstruktion als legitime Methode mit eigenen wissenschaftlichen Grundprinzipien etabliert. Die am AI MAINZ entwickelte und praktizierte Methodik der dokumentierten und nachvollziehbaren digitalen 3D-Rekonstruktion kann sich je nach Anwendungsfall an die Aufgaben- bzw. Fragestellung anpassen.4 Unterscheiden lassen sich dabei (1) die umfangreiche 3D-Rekonstruktion, (2) die 3D-Bestandaufnahme und die hypothetische 3D-Rekonstruktion (3).
(1) Die umfangreiche 3D-Rekonstruktion erfasst und dokumentiert ein historisches Bauwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit in einer BIM (Building Information Modelling) konformen Modellierungssoftware. Diese Art der Rekonstruktion wurde beispielsweise im Projekt der Neuen Synagoge in 
Wrocław
deu. Breslau, lat. Wratislavia, lat. Vratislavia, ces. Vratislav, deu. Breslaw, deu. Bresslau, deu. Wreczelaw, deu. Wrezlaue, lat. Vuartizlau, lat. Wrotizlaensem, lat. Wortizlava, deu. Brassel

Wrocław (dt. Breslau) ist eine der größten Städte in Polen (Bevölkerungszahl 2022: 674.079). Sie liegt in der Woiwodschaft Niederschlesien im Südwesten des Landes.
Zunächst unter böhmischer, piastischer und zeitweise ungarischer Herrschaft übernahmen 1526 die Habsburger die schlesischen Erblande und damit auch Breslau. Einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte der Stadt stellte die Besetzung Breslaus durch die preußischen Truppen 1741 und die anschließende Einverleibung eines Großteil Schlesiens in das Königreich Preußen dar.
Die rapide Bevölkerungszunahme und Industrialisierung führte zur sprunghaften Urbanisierung der Vorstädte und ihrer Eingemeindung, was mit der Schleifung der Stadtmauer Anfang des 19. Jahrhunderts einherging. Bereits 1840 wuchs Breslau mit 100.000 Einwohnern zur Großstadt heran. Am Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das häufig noch mittelalterlich geprägte Stadtbild hin zur Großstadt wilhelminischer Prägung. Höhepunkt der Stadtentwicklung noch vor dem Ersten Weltkrieg war die Anlage des Ausstellungsparks als neuer Mittelpunkt der gewerblichen Zukunft Breslaus mit der Jahrhunderthalle von 1913, die seit 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
In den 1920er und 30er Jahren erfolgte die Eingemeindung von 36 Ortschaften und der Bau von Wohnsiedlungen am Stadtrand. Um der großen Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu begegnen, wurden auch Wohngenossenschaften mit Siedlungsbau beauftragt.
Noch 1944 zur Festung erklärt, wurde Breslau während der folgenden Kampfhandlungen in der ersten Hälfte 1945 nahezu vollständig zerstört. Der Wiederaufbau der nun Polnisch gewordenen Stadt dauerte bis in die 1960er Jahre.
Von der etwa 20.000 Personen zählender jüdischen Bevölkerung fanden sich nach dem Zweiten Weltkrieg nur 160 Personen in der Stadt wieder. 1945–1947 wurde die nach dem Kriegsende verbliebene bzw. zurückgekehrte - deutsche - Bevölkerung der Stadt zur Auswanderung größtenteils gezwungen, an ihre Stelle wurden Menschen aus dem Gebiet des polnischen Vorkriegsstaats angesiedelt, darunter aus den an die Sowjetunion verlorenen Gebiete.
Nach dem politischen Umbruch von 1989 erhob sich die Stadt zu neuer, beeindruckender Blüte. Der Transformationsprozess und seine raumwirksamen Folgen sorgten für einen rasanten Aufschwung Breslaus, unterstützt durch den Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004. Heute ist Breslau eine der am besten prosperierenden Städte Polens.

 angewendet, einem Bauwerk Erwin Opplers (1831–1880), das 1872 fertiggestellt und 1938 vollständig zerstört wurde. Ziel dieses groß angelegten Forschungsprojektes war es einen historischen Bauzustand der Synagoge in ein möglichst standardisiertes 3D-Modell zu überführen, um den in der Bauwirtschaft angewandten ISO-Standard (IFC) für historische Gebäude anzuwenden, zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Darüber hinaus wurden die historischen Quellen sowie deren kritische Interpretation zusammen mit den 3D-Modellen in einer virtuellen Forschungsumgebung erfasst.
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(2) Ein Anwendungsfall, bei dem die 3D-Bastandsaufnahme zum Einsatz kam, stellt die Synagoge in 
Przysucha
rus. Pšisuha, rus. Пшисуха, rus. Pschisucha, rus. Pšysucha, rus. Pschisukha

Die heutige Kreisstadt Przysucha (Bevölkerungszahl 2022: 5.393) liegt heute in der Woiwodschaft Masowien, historisch allerdings auf dem Gebiet von Kleinpolen. Der seit dem 15. Jahrhundert bekannte Ort erhielt 1715 im Zusammenhang mit der Ansiedlung der Industrie Stadtrechte. Die junge Stadt zog deutsche, polnische und jüdische Siedler an, die sich jeweils in einem eigenen Stadtteil niederließen, wodurch sich das untypische Bild einer Kleinstadt mit drei Märkten erklärt. Im 19. Jahrhundert verlor die dominierende Metallindustrie an Bedeutung. Przysucha verlor 1869 Stadtrechte, welche 1958 wiedererlangt wurden.

 dar. Hier sollte eine präzise digitale 3D-Dokumentation (Bestandserfassung) eines historischen Gebäudes in ein digitales 3D-Modell überführt werden, um als Grundlage für Umbaumaßnahmen zu dienen. Nach einer vollständigen digitalen Bauaufnahme der baufälligen Synagoge wurde diese Datengrundlage dafür benutzt, ein einheitliches 3D-Modell im Austauschformat (IFC) in ein nachnutzbares Ergebnis für Forschung und die Denkmalbehörde zu überführen.
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(3) Die hypothetische 3D-Rekonstruktion wird am AI MAINZ am Beispiel bedrohter und/oder zerstörter Synagogen auch in der Lehre eingesetzt. Hierbei wird das Konzept Scientific Reference Model (SFM) angewendet, bei dem sich die Studierenden vertiefend mit der webbasierten Dokumentation und Publikation ihrer 3D-Modelle beschäftigen. Im Zentrum steht der freie Zugang zu den 3D-Daten unter Anwendung standardisierter 3D-Austauschformate (IFC). In der Lehrveranstaltung werden Studierende der Fachrichtung Architektur in einer BIM-konformen Modellierungssoftware anhand von historischen Bauaufnahmen teilweise zerstörter Synagogen aus Osteuropa unterrichtet. Als Grundlage dienen historische Bauaufnahmen, die den Vorkriegszustand der Gebäude zu Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Ergebnis dieser Kurse, die teilweise auch an den Partneruniversitäten in 
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw, deu. Warszowa, deu. Warszewa, yid. Varše, yid. וואַרשע, rus. Варшава, rus. Varšava

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2022: 1.861.975). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

 und 
Łódź
deu. Lodz, deu. Litzmannstadt, deu. Lodsch, yid. Lodž, yid. לאָדזש, pol. Łodzia, deu. Lodsch

Die Kreisfreie Stadt Łódź (Bevölkerung 2022: 658.444) liegt in der gleichnamigen Woiwodschaft in der Mitte Polens. Die bis in die 1820er Jahre unbedeutende Kleinstadt erfuhr einen enormen Aufschwung nach dem Ausbau zum führenden Industriezentrum in autonomen Königreich Polen und einem der wichtigsten Industriezentren im gesamten Zarenreich. Wegen der dominierenden Textilindustrie, die mit deutschem, jüdischem, polnischem und russischem Kapital aufgebaut wurde, erhielt die Stadt den Beinamen "Manchester Polens". Allerdings hielt der Wohnungsbau und der Ausbau der Infrastruktur dem Ausbau der Industrie nicht Schritt, sodass in der Stadt neben prunkvollen Palästen breite Teile der Stadtbevölkerung in prekären Verhältnissen, oft ohne Kanalisation und ohne Zugang zu Bildung, lebten.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs gehörte Łódź zum wiederhergestellten polnischen Staat. Neben dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Industrie wurde auch verstärkt in die Verbesserung der Lebensbedingungen der Stadtbevölkerung investiert. Nach dem Deutschen Überfall auf Polen im September 1939 wurde die Stadt ins Deutsche Reich eingegliedert und ihr offizieller Name zunächst in Lodsch, dann in Litzmannstadt geändert. 1940-1944 existierte in der Stadt eins der größten Ghettos im Reichsgebiet, in dem neben der beinahe gesamten örtlichen jüdischen Bevölkerung (mit ca. 220.000 etwa ein Drittel der Stadteinwohnerschaft) auch jüdische Bevölkerungsteile aus anderen Gebieten Polens und des Auslands sowie Sinti und Roma auf kleinstem Raum interniert waren. Nur wenige Menschen haben das Ghetto bzw. den Ort der anschließenden Verschleppung überlebt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 stellte Łódź eine intakte Stadt dar. Als die zu diesem Zeitpunkt größte Stadt Polens und wegen ihrer Nähe zur formellen, aber fast komplett zerstörten Hauptstadt Warschau, fungierte sie für drei Jahre als Regierungssitz.
Die Krise der Textilindustrie begann in den 1980er Jahren, um kurz nach Beginn der politischen Transformation Anfang der 1990er Jahre zusammenzubrechen. Die Stadt stürzte in eine tiefe Krise, in deren Folge ihre Bevölkerung zwischen 1989 und 2022 um 200.000 Einwohner sank. Vom zweiten Platz im Ranking der größten Städte des Landes ist Łódź an die vierte Stelle nach Krakau und Breslau zurückgefallen. Die Investitionen in die Sanierung, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und den Kultursektor trugen im 21. Jahrhundert zu einem deutlich besseren Image der Stadt bei, die heute als einer der wichtigsten Standorte für Bildung, Kultur, die Designbranche und Filmindustrie in Polen gilt.

 angeboten werden, sind digitale 3D-Modelle von Synagogen, die unter Creative Commens Lizenzen (CC-BY) zur freien Nachnutzung innerhalb eines 3D-Repositoriums zugänglich sind.
Gründe
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Eine digitale 3D-Rekonstruktion einer teilweise erhaltenen, umgenutzten oder vollständig zerstörten Synagoge besitzt unabhängig von der Art ihrer Rekonstruktion einen klaren dokumentarischen Wert. Aber aus welchen anderen Gründen verdient sie eine erhöhte Aufmerksamkeit als Forschungsmethode? Obwohl sich das Original nicht durch ein Modell ersetzen lässt, stellt sie eine Form der Annäherung dar, deren Nutzen nur schwerlich in Abrede gestellt werden kann.
 
  1. Zunächst lässt sich festhalten, dass eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Bauwerken unter Zuhilfenahme der entwickelten SRM-Methodik, die Zugänglichkeit im digitalen Raum vorantreibt. Dies gilt besonders für Bauwerke der Szenarien 3, 4 und 5. Obwohl die Digitalisierung im virtuellen Raum den weiteren Verfall dieser Bauwerke nicht stoppen kann, erhöht sie zumindest ihre Sichtbarkeit. So werden vielversprechende studentische Rekonstruktionen von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen überarbeitet und in Form von Augmented Reality Augmented Reality Als Augmented Reality (AR) (dt. Erweiterte Realität) wird die visuelle Darstellung von computergenerierten Zusatzinformationen in Bildern und Videos bezeichnet. Ein Einsatzbereich ist die Übertragung von Fußballspielen im Fernsehen. Dort wird beispielsweise, um Abseitslinien für Zuschauer:innen deutlich zu machen, eine virtuelle Abseitslinie mithilfe von AR eingeblendet. Postkarten online zur Verfügung gestellt, die die 3D-Modelle in kleinem Maßstab für jedermann erfahrbar werden lassen.
  2. Hinzu kommt ein schnellerer Zugang zur Komplexität der Gebäude, der mit Hilfe der dritten Dimension zu neuen Fragestellungen in der Forschung führen kann. Ein Nebenprodukt dieser Form der Digitalisierung ist der erleichterte Zugang zum Gebäude sowie zu dessen Quellen, da möglicherweise aufgrund praktischer und teilweise politischer Unwegsamkeiten ein Besuch des Originals nicht mehr möglich ist. Durch das erwähnte 3D-Repositorium des AI MAINZ ist dieser Zugang auch ohne Vorkenntnisse in 3D-Modellierung möglich.
  3. Ein ebenso wichtiger Punkt ist die Vergleichbarkeit der Architektur in Volumen, Bauart, Stil und Material, die durch die 3D-Modelle erleichtert wird. Dieser klassische Ansatz der Architekturgeschichte wird in der Zukunft noch durch maschinen-gestützte Abfragen an die 3D-Modelle selbst erweitert werden, was erhebliche Vorteile mit sich bringen wird.
  4. Obwohl eine präzise digitale Dokumentation – wie im Fall der Synagoge in Przysucha – in den meisten Fällen wünschenswert wäre, ist selbst die zuletzt geschilderte Beschäftigung mit den Objekten in der Lehre ein durchaus lohnendes Unterfangen. Schon die Umsetzung zweidimensionaler historischer Bauaufnahmen in ein digitales 3D-Modell kann einen letzten Dokumentationsstand vor einer möglichen vollständigen Zerstörung darstellen. Denn auf Grund der politischen Entwicklungen werden nicht alle jüdischen Bauwerke in Ostmitteleuropa vor Ort erhalten bleiben.
  5. Hinzu kommt noch ein freierer Umgang mit historischer Unschärfe. So hebt die digitale 3D-Rekonstruktion einen hypothetischen Bauzustand aus der Abstraktion in eine konkrete Diskussionsgrundlage und nebenbei wird das Quellenmaterial noch einer genaueren Prüfung durch Vergleich unterzogen.
Beispiel
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Die ehemalige Synagoge in 
Ašmâny
lit. Ašmena, bel. Ашмяны, pol. Oszmiany, pol. Oszmiana, yid. ošmʿnʿ, yid. ošmənə, yid. ošmene, yid. os̀mʿnʿ, bel. Ašmena, bel. Ašmiany, rus. Ošmâny

Aschmjany (Bevölkerungszahl 2023: 16.870), ist eine Stadt in der Region Grodno in Belarus. Sie wurde 1341 ersterwähnt. 1384 wurde sie von den Truppen des Deutschen Ordens zerstört, und war auch später in Konflikte mit dem Deutschen Orden sowie in weitere, innenpolitische Auseinandersetzungen in Litauen involviert. 1566 erhielt Aschmjany das Magdeburger Stadtrecht. Im 16. Jahrhundert gehörte die Stadt zu den wichtigsten Zentren des Calvinismus in Polen-Litauen. Nach der Dritten Teilung Polen-Litauens gehörte die Stadt zu Russland. Während des Novemberaufstands wurden die Russen 1830 aus der Stadt vertrieben, die erst im April 1831 wiedererobert wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Aschmjany überwiegend von Juden bewohnt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Aschmjany zur Kreisstadt in Polen. 1939-1941 wurde die Stadt von der Sowjetunion besetzt. Nach der deutschen Besatzung 1941 wurde in Aschmjany ein Ghetto eingerichtet. 1943 wurde es aufgelöst, und seine Bevölkerung hauptsächlich in Ghettos in heutigem Litauen deportiert oder vor Ort umgebracht. 1945 wurde die Stadt in die Weißrussischen Sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert.

, einer Kleinstadt im Norden des heutigen Belarus, stellt ein Beispiel für die praktische Anwendung des beschriebenen SRM-Konzeptes in der Lehre dar. Zugleich verdeutlicht das Beispiel, wie mittels der digitalen 3D-Rekonstruktion der Wissensstand, die Sichtbarkeit sowie die Zugänglichkeit eines historischen Gebäudes erheblich bereichert werden kann. Die Synagoge wurde zwischen 1908–1910 zur heutigen Form aus- oder umgebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude teilweise zerstört und zweckentfremdet. In der Nachkriegszeit setzte sich der unsachgemäße Umgang mit dem Gebäude fort. So wurde die Synagoge als Bäckerei, deren Einrichtung zu Eingriffen im Dachbereich führte, sowie zeitweise als Spirituosengeschäft, Lagerhaus und später als Autowerkstatt genutzt. In den 1980er Jahren sollte das Gebäude vollständig abgerissen werden und erst jüngste Bestrebungen lassen auf eine Sanierung und Weiternutzung des Gebäudes als Museum bzw. Konferenzzentrum hoffen.5
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Für die digitale 3D-Rekonstruktion der Synagoge wurde hauptsächlich das Planmaterial einer älteren Bauaufnahme von 1929 verwendet. Diese dokumentiert den Zustand der Synagoge vor ihrer teilweisen Zerstörung und wird heute im IS PAN aufbewahrt. Die Rekonstruktion gibt demnach im Wesentlichen den Zustand um 1929 wieder. Zusätzlich wurden moderne und historische Fotografien als Vergleichsmaterial herangezogen. Architektonisch hervorzuheben ist der sich über die beiden Stockwerke des Gebäudes erstreckende Gebetsraum mit seiner hölzernen Kuppel, die weit in den Dachstuhl hineinragt. Über eine Rundbogenstellung war der Gebetsraum auch von dem Frauen-Gebetsraum im 1. Obergeschoss einzusehen.

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Ehemalige Synagoge in Aschmjany, Belarus. Digitale 3D-Rekonstruktion, Schnitt, 2023 AI MAINZ/T. Jalili, CC BY-NC-SA 4.0
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An den Fassaden der Synagoge lassen sich heute noch zahlreiche Umbaumaßnahmen ablesen. Zunächst lassen die heutigen Fotografien, ebenso wie die historischen Abbildungen, keinen Grund für die Annahme einer vollständig verputzten Fassade zu. Die Zierelemente der Obergeschossfenster der Westfassade wie auch das umlaufende Gesims über den äußeren Pilastern Pilastern Wandpfeiler mit Basis und Kapitell. mit schräggestellten Backsteinen sprechen eher für ein vollständig backsteinsichtiges Gebäude.
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An der westlich gelegenen Hauptfassade befand sich ein hölzerner Portalvorbau, der sich nicht erhalten hat. Aufgeteilt ist die symmetrische Fassade durch vier gleich breite Backsteinpilaster; zwei über Eck geführte und zwei weitere neben dem Hauptportal, die sich bis zum umlaufenden Gesims ziehen. Während sich die großen, fast bodentiefen und rundbogigen Fenster des Obergeschosses symmetrisch in die Fassade einfügen, lässt sich für das Erdgeschoss folgender Befund beobachten. Am äußersten Bereich zwischen den beiden Pilastern befindet sich noch ein Sturz Sturz Als Sturz wird in der Architektur ein waagerechter Träger genannt, der sich über einer Wandöffnung, wie einer Fenster- oder Türöffnung befindet. Sie ist das oberste Element eines Türrahmens und dient dazu, das über der Wandöffnung befindliche Mauerwerk abzustützen und den Mauerwerksdruck abzuleiten. , der auf ein zugemauertes drittes Fenster hinweist. Zwischen den beiden vorhandenen Fenstern befindet sich noch ein weiterer Rundbogenrest, der möglicherweise für ein weiteres Portal in der Mitte der linken Fassadenhälfte steht. Die Gewände der Erdgeschossfenster sind im Vergleich zu den aus einem segmentierten Backsteinprofil gezierten Obergeschossfenster, mit einem glatten Putzgewände versehen. Das Hauptportal hinter dem ehemaligen hölzernen Vorbau, besteht aus einer tiefen Segmentbogennische mit einer einfachen hölzernen Doppelflügeltür. In der Nachkriegszeit befand sich – vermutlich anstelle des hölzernen Vorbaus – ein niedriger gemauerter Vorbau an der Westfassade. Auch dieser zweite Vorbau existiert heutzutage nicht mehr.
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Die Ostfassade weist im heutigen Zustand ebenfalls einige Veränderungen im Baubestand auf. Besonders der Bereich des Erdgeschosses dürfte wesentliche Veränderungen, vermutlich nach 1929, erfahren haben. Ursprünglich müsste dieser Bereich der Fassade, ebenso wie an der Nord- und der Südfassade, aus durchgängigen Wandzonen ohne Öffnungen zwischen den Pilastern bestanden haben. Nachträglich wurde der obere Wandteil durch massive rechteckige Gewände abgestützt, um neue Öffnungen im Erdgeschoss als zusätzliche Zugänge für den Hauptraum zu schaffen. Dieser hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seine sakrale Funktion verloren. In der Mitte der Ostfassade, an der Stelle, an welcher sich heutzutage eine rechteckige Tür befindet, müsste sich eine Nische für den Toraschrein befunden haben. Auf dem Erdgeschossgrundriss von 1929 ist von einer solchen Nische allerdings nichts zu sehen, weshalb der Abbruch des Toraschreins an der Ostwand des Gebetsraums auch bereits vor 1929 erfolgt sein könnte. Oberhalb des ehemaligen Toraschreins befindet sich heute noch ein Misrah-Fenster Misrah-Fenster Mizrah (Mizrach, Misrach, Mizrekh) ist die hebräische Bezeichnung für den geographischen Osten (hebr. מזרח). Im Synagogenbau werden Synagogen immer in die Richtung des Jerusalemer Tempelbergs, d.h. in Richtung Osten gebaut. Das Fenster, das in Richtung Osten steht, wird als Misrah-Fenster bezeichnet. , das ebenso wie die Obergeschossfenster der Hauptfassade mit einem Backsteingewände eingefasst ist. Wie an der Hauptfassade ist der mittlere Bereich um das Misrah-Fenster von zwei breiten Pilastern gerahmt. In den beiden Wandzonen neben den mittleren Pilastern befinden sich zentral zwei weitere breite Segmentbogenfenster wie in der Nord- und der Südfassade. Diese beiden Fenster des Gebetsraumes wurden durch den radikalen Umbau der Ostfassade angeschnitten und verkürzt. Ursprünglich dürften diese ebenso wie die restlichen Hauptfenster des Gebetsraumes ausgebildet gewesen sein. Wann sich dieser massive Eingriff vollzogen hat, ist derzeit noch nicht eindeutig belegt.
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Die Dachkonstruktion der Synagoge mit ihren hölzernen Dekorationen stellt das herausragende architektonische Element des Gebäudes – zumindest im Vergleich zur schlichten Backsteinfassade – dar. Es handelt sich dabei um ein zweifach gebrochenes Walmdach Walmdach Als Walmdach wird ein Dach bezeichnet, das vier geneigte Dachflächen besitzt. mit breitem Holzgesims, das mit einem weiteren Satteldachaufbau zu einer insgesamt dreischichtigen Dachkonstruktion führt. Ursprünglich war das Dach bis mindestens 1925 mit Schindeln Schindeln Als Schindel wird ein Material zumeist aus Holz bestehendes Material bezeichnet, das zur Dachabdeckung mitunter auch zur Fassadenabdeckung verwendet wird. bedeckt. Zwischenzeitlich (vermutlich erst nach 1945) wurde es ein erstes Mal neu mit Blech- oder Kupferplatten belegt. Im Dreiecksgiebel Dreiecksgiebel Als Dreiecksgiebel wird der dreieckige obere Teil einer Wand an der Schmalseite eines Gebäudes bezeichnet. Er grenzt sich an beiden Seiten vom Dach ab. des Satteldaches befinden sich an der Westseite aufwändig geschnitzte Löwen-Reliefs, schlanke Holzstützen und ein oktogonales Dachfenster. An der Ostseite fehlen diese Zierelemente. Diese Schnitzarbeiten stellen den einzigen erhaltenen figuralen Schmuck an der Außenseite der Synagoge dar.
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Bei der Gestaltung der Innenräume des Modells wurde darauf verzichtet, eine zu realistische Anmutung zu erzeugen. Dies ist vor allem dem hypothetischen Charakter der 3D-Rekonstruktion geschuldet. Lediglich ansatzweise konnte sich der Geometrie der wandfesten Ausstattung des Gebetsraumes angenähert werden. Neben den innenliegenden Pilastern sind diese die Bima Bima Als Bima, auch Almemar oder Tewa, wird in einer Synagoge das erhöhte Podium bezeichnet, von dem aus die Thora verlesen wird. Das Podium ist meist über Stufen, die sich auf beiden Seiten befinden, zu erreichen. In vielen sephardischen und orthodoxen aschkenasischen Synagogen befindet sich die Bima noch im Zentrum der Synagoge. In sephardischen Synagogen wird der gesamte Gottesdienst vom Podium aus gehalten. sowie der Toraschreins Toraschreins Als Thoraschrein wird in der Synagoge der Schrein bezeichnet, in dem die Thorarollen aufbewahrt werden. . Allerdings ist lediglich eine historische Abbildung des Innenraums bekannt, die den Gebetsraum nur teilweise wiedergibt und eine akkuratere Rekonstruktion der Bima sowie des Toraschreins nur bedingt zulässt.
Aus der Vorhalle betrat man über ein weiteres Portal und eine hölzerne Doppelflügeltür den tieferliegenden Gebetsraum. Über eine Treppe gelangte man auf das ursprüngliche Bodenniveau, das etwa 1m unter dem heutigen provisorischen Holzboden liegt. Analog zu den Pilastern an den Fassaden befinden sich auch im Innenraum, nahezu an der gleichen Stelle, doppelt verkröpfte verkröpfte Als Verkröpfung wird in der Baukunst das waagerechte Herumziehen eines Bauglieds (z.B. Gesims) um Mauervorsprünge, Säulen oder Pfeiler bezeichnet. Das Herausragen des Gesims dient auch der strukturbezogenen Gestaltung von Wandflächen und Fassaden. Pilaster, über welchen in einer rechteckigen Nische figurale Wandmalereien (Tierkreiszeichen) dargestellt waren. Die Westwand des Gebetsraums hatte oberhalb des durchlaufenden Gesimses fünf weite Rundbogenöffnungen zu dem dahinter liegenden Frauen-Gebetsraum. Die Decke des geschossübergreifenden Raumes besteht aus einer oktogonalen hölzernen Kuppel. An der Süd- und Nordwand ist der restliche Deckenabschnitt mit einer hölzernen Flachdecke geschlossen. Die Decke war insgesamt farbig, mit goldenen Sternen auf hellblauem Grund und weiteren Dekorationen gefasst.
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Der Toraschrein befand sich – wie üblich – in der Ostwand. Über eine Treppe mit hölzernem Gelände gelangte man in etwa auf die Höhe der Pilasterbasis. Er erhob sich über zwei rundbogigen Nischen links und rechts neben einer schmalen Treppe. Zwischen einer schlichten Doppelsäulenstellung mit verkröpftem Gebälk befand sich der Vorhang der dahinter liegenden Nische. Die Form des oberen Abschlusses lässt sich nur vage erahnen. Möglicherweise war der Toraschrein mit einem rundbogigen Tympanon Tympanon Als Tympanon wird in der Architektur ein mit Skulpturen oder hervorgehobenen Figuren oder Ornamenten (Reliefs) geschmücktes Giebelfeld bezeichnet, das sich über dem Türsturz eines Portals befindet. bekrönt. Ebenso ungewiss ist die Form der Bima in der Mitte des Gebetsraums. Auf dem Grundriss des Erdgeschosses von 1929 ist die Bima lediglich als Quadrat mit ca. 3,3m Seitenlänge und zwei Treppenaufgängen an der Nord- und Südseite dargestellt. Die historische Abbildung des Innenraums zeigt die südöstliche Ecke der Bima. Hieraus ist zumindest ansatzweise die geometrische Form dieser Ecke zu erkennen. Demnach war die Bima vermutlich aus Stein gefertigt und hatte keine Stützfunktion für die Decke des Raumes, wie wir sie aus anderen Synagogen kennen.
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Die Lage der Synagoge in Aschmjany ist über das noch erhaltene Gebäude geklärt. Auf drei historischen Karten ist die städtebauliche Situation des Häuserblocks zwischen 1927, 1932 und 1935 nicht eindeutig nachvollziehbar. Auf dem Kartenausschnitt von 1927 ist der Häuserblock vollständig geschwärzt. Bereits zu dieser Zeit befand sich womöglich ein weiteres jüdisches Gebäude, dargestellt durch den Davidstern im Osten der Stadt in der Nähe des Franziskanerklosters. Dieses Indiz würde die Vermutung einer möglichen Auflösung der Synagoge bereits vor 1929 unterstützen, auf die auch das Fehlen des Toraschreins im Grundriss von 1929 hindeutet. Allerdings könnte es sich dabei auch um einen ehemaligen jüdischen Friedhof handeln. Die präziseste Darstellung des Häuserblocks der Synagoge im Stadtkern vor der Zerstörung ist dem Kartenausschnitt von 1932 zu entnehmen. Allerdings scheint zu dieser Zeit das Gebäude absichtlich nicht eingezeichnet worden zu sein. Auch ein ehemaliger Verbindungsbau an der Südfassade mit der Außentreppe in den Frauen-Gebetsraum ist nicht zu identifizieren.
Die Synagoge in Aschmjany diente hier lediglich als eines von zahlreichen Beispielen für diejenigen Vorteile, die 3D-Modelle von vom Denkmalschutz vernachlässigten jüdischen Ritualbauten bieten können. Es sollte deutlich geworden sein, dass die intensive Beschäftigung mit dem Gebäude im virtuellen Raum zumindest den aktuellen Wissensstand konkretisiert und einen anschaulichen Zugang zu seiner historischen Architektur bietet.
Ausblick
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Die von der Bet Tfila Forschungsstelle erforschten Synagogen von 
Elbląg
deu. Elbing, pol. Elbiag, lat. Elbinga, lat. Elbingum, lat. Elbingus

Die Großstadt Elbląg (hist. dt. Elbing; Bevölkerung 2023: 112.923) liegt in der nordpolnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren, nur wenige Kilometer südlich des Frischen Haffs und rund 50 Kilometer südöstlich von Danzig. Im Mittelalter war Elbing eine der führenden Hansestädte und einer der Hauptsitze des Deutschen Ordens. Ihre Bedeutung als eins der wichtigsten Häfen der Ostsee ging im 15. Jahrhundert u.a. aufgrund der Versandung verloren.
In der Frühen Neuzeit stand Elbing überwiegend unter polnischer Oberhoheit als Teil des sog. "Preußen Königlichen Anteils". 1772, infolge der ersten Teilung Polen-Litauens, kam die Stadt zur neugegründeten preußischen Provinz Westpreußen, 1945 zur damaligen Volksrepublik Polen.

 (gebaut 1824), 
Szczytno
deu. Ortelsburg

Die Kreisstadt Szczytno (ehemals Ortelsburg, Bevölkerung 2022: 22.081) liegt in der Woiwodschaft Ermland-Masuren im Nordosten Polens. Die Anerkennung von Ortelsburg als vollrechtliche Stadt wurde lange Zeit von der in der Nähe gelegenen Stadt Passenheim (heute Pasym) verhindert. Kurz nach der endgültigen Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1723 wurde in Ortelsburg eine preußische Garnison stationiert. Obwohl die Stadt nach dem Volksentscheid von 1920 in Ostpreußen veblieben ist, blieb sie ein wichtiges Zentrum der polnischen Kultur im Deutschen Reich.
Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg erlitt Ortelsburg starke Zerstörungen. Die Stadt gehört seit 1945 zu Polen. Die in der Stadt angesiedelte, einzige Polizeiakademie des Landes knüpft an die Tradition der Garnisonstadt an.

(gebaut 1924), 
Dąbrówno
deu. Gilgenburg, deu. Ilgenburg, deu. Illenburg, deu. Ylienburg

Das Dorf Dąbrówno (Bevölkerung 2021: 970) ist der Sitz der gleichnamigen Gemeinde im der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen. Die ehemalige Stadt erlangte im Ersten Weltkrieg überregionale Bekanntheit durch den Sieg der deutschen Truppen über die 2. Russische Armee (30. August 1914), was im Dritten Reich propagandistisch als „Schlacht von Tannenberg“ bezeichnet wurde - in Anspielung an die im gleichen Gebiet 1410 ausgefochtene Schlacht, in der der Deutsche Orden eine Niederlage gegen polnisch-litauische Kräfte erlitten hatte. Nach dem Ersten Weltkrieg zeichnete sich jedoch der Niedergang der nun an der Grenze zu Polen liegenden Kleinstadt ab. Als sie 1945 selbst polnisch geworden war, verlor Dąbrówno Stadtrechte.

(gebaut 1912) und Wrocław/Breslau (Synagoge zum Weißen Storch), deren Baupläne den Studierenden an der Hochschule Mainz als Rekonstruktionsgrundlage im Rahmen eines Seminars dienten, stellen eine Reihe unterschiedlicher Typen des Synagogenbaus dar. Am prächtigsten erscheint hier natürlich die neoklassizistische Synagoge zum Weißen Storch in Wrocław/Breslau, gebaut 1827–29 und entworfen von dem prominenten Architekten Carl Ferdinand Langhans. Die Studierenden der TU Braunschweig hatten im Rahmen eines Bet Tfila-Seminars die Baupläne der Synagoge nachgezeichnet und somit die vektorisierte vektorisierte Als Vektorisierung wird im Bereich der Computergrafikverarbeitung die Konvertierung von Rastergrafiken in Vektorgrafiken bezeichnet. Vektorgrafiken bestehen im Gegensatz zu Rastergrafiken, die nur aus Pixeln bestehen, aus Linien, Kreisen, geometrischen Figuren oder Kurven. Wird eine Rastergrafik stark vergrößert, werden ab einer bestimmten Skalierung die Pixel sichtbar. Wird eine Vektorgrafik vergrößert, verändern sich die Bildinformationen nicht. Grundlage für die 3D-Rekonstruktionen geschaffen. Die übrigen Synagogen wurden auf dem ehemaligen Gebiet Ostpreußens errichtet und sind, mit Ausnahme der Synagoge in Dąbrówno, heute vollständig zerstört. Es handelt sich dabei um den Typus kleiner, unbekannter Landsynagogen, die als Objekte jüdischen Kulturerbes besonders von Verfall und Vergessen bedroht sind. Ihre Architektur zeichnet sich meist durch einen provinziellen Charakter aus. Auch die Geschichte ihrer Gemeinden geht in der allgemeinen Geschichtsschreibung meist unter. Dabei waren ländliche Synagogen ein fester Teil der Kulturlandschaft, in welcher sie errichtet wurden. Ihre Erforschung und Dokumentation tragen nicht nur zur Architektur- und Kulturgeschichte bei, sondern ermöglichen auch ein besseres Verständnis der Geschichte dieser Orte.6
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Die Kooperative zwischen den genannten Partnereinrichtungen schenkt solchen Synagogen die fehlende Aufmerksamkeit und bringt sie als Forschungsobjekte jüdischen Kulturerbes zurück in die wissenschaftliche Diskussion und in die Lehre. Für die verfallende Synagoge in Dąbrówno – aber auch für viele andere, die ihr Schicksal teilen – wird das vermutlich die allerletzte Möglichkeit sein, in einstiger Pracht zumindest im virtuellen Raum wieder erscheinen zu können.