Utopie und Tradition im Wiederaufbau Warschaus nach 1945

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Warschau wurde bereits während des Zweiten Weltkrieges zu einem Symbol einer neuartigen systematischen Vernichtung von Menschen und Gebäuden. Der Beitrag zeigt, wie aus Zerstörung die Vision einer neuen Stadt hervorging.
Die geplante Zerstörung von Städten war eines der Kennzeichen des Zweiten Weltkrieges. Zwar lassen sich unzählige historische Beispiele für den Krieg gegen Städte finden. Doch mit dem gezielten Einsatz der Luftwaffen sowie einer in diesem Ausmaß bis dahin nicht gekannten genozidalen Politik gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen auf deutscher Seite erreichte die Vernichtung des Urbanen eine neue Dimension.
Während sich die Bilder zerstörter Städte auf den ersten Blick gleichen, unterschieden sich die Intentionen der kriegführenden Parteien und damit auch die Folgen für die Stadtbevölkerung erheblich. Hier ist zuerst die Entgrenzung nationalsozialistischer Kriegsführung zu nennen. Sie begann, was den Luftkrieg betrifft, schon mit der Vernichtung von  Guernica
Luftangriff auf Guernica
auch:
Luftangriff auf Gernika, Angriff auf Guernica, Bombardierung Guernicas
Bombardierung der Kleinstadt Guernica (Gernika) im Baskenland durch den deutschen Luftwaffen-Verband "Legion Condor" unter Beteiligung von Flugzeugen der italienischen Luftstreitkräfte am 26. April 1937 im Rahmen des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939). Die Opferzahlen sind bis heute umstritten, Schätzungen reichen von wenigen Hundert Toten bis in den vierstelligen Bereich. Die Ereignisse wurden künstlerisch vielfach verarbeitet, am bekanntesten ist Pablo Picassos (1881–1973) im gleichen Jahr entstandenes Monumentalgemälde "Guernica".
 im Spanischen Bürgerkrieg im April 1937 und setzte sich am Morgen des 1. September 1939 mit der im heutigen historischen Gedächtnis kaum präsenten Zerstörung der polnischen Kleinstadt  Wieluń
Luftangriff auf Wieluń
Angriff der deutschen Luftwaffe auf die polnische Kleinstadt Wieluń am frühen Morgen des 1. September 1945, gefolgt von weiteren Bombardements im Tagesverlauf. Die Stadt wurde dabei fast vollständig zerstört. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt, Schätzungen reichen bis in den niedrigen vierstelligen Bereich. Der Luftangriff erfolgte ohne eine vorausgehende Kriegserklärung des Deutschen Reiches, galt keinen militärischen Zielen und begann gemäß Zeitzeugen noch vor dem Beschuss der Westerplatte bei Danzig durch das deutsche Schulschiff Schleswig-Holstein. Damit stellt er die erste Militäroperation und zugleich das erste Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs dar.
 fort. Im Jahr darauf folgten die bekannten Beispiele von  Rotterdam
Bombardierung von Rotterdam
auch:
Bombardierung Rotterdams
Bombardierung der niederländischen Großstadt Rotterdam durch die deutsche Luftwaffe am 14. Mai 1940. Die mittelalterliche Altstadt Rotterdams wurde durch den Luftangriff vollständig zerstört und weitere Teile der Stadt schwer getroffen. Über 800 Einwohner:innen Rotterdams kamen bei den Angriffen ums Leben.
 und  Coventry
Luftangriff auf Coventry
auch:
Unternehmen Mondscheinsonate, Operation Mondscheinsonate
Luftangriff der deutschen Luftwaffe auf die englische Stadt Coventry in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 im Rahmen des sog. "Blitz" bzw. der Luftschlacht um England. Bei dem Luftangriff wurden große Teile der Innenstadt vollständig zerstört, rund zwei Drittel aller Gebäude der Stadt wenigstens beschädigt. Mindestens 568 Menschen kamen in den Angriffen ums Leben. Die ebenfalls fast vollständig zerstörte Kathedrale von Coventry wurde als Mahnmal im Ruinenzustand belassen.
. Die Alliierten antworteten mit der systematischen Zerstörung deutscher Städte aus der Luft. Allerdings lassen sich in der Zerstörungsdynamik erhebliche Ost-West-Unterschiede feststellen. In Westeuropa und vor allem im Westen Deutschlands finden sich Städte, die massiv durch systematische Bombardierungen getroffen waren, sowie Beispiele vor allem kleinerer Städte, die im Zuge von Kampfhandlungen am Boden in den letzten Kriegsmonaten zerstört wurden. Dies gilt etwa für die Ardennenoffensive. Zahlreiche Städte im östlichen Europa und im Osten Deutschlands erfuhren beides, sodass die Vernichtung wesentlich umfassender und folgenschwerer war. Ein Fall wie 
Wolgograd
rus. Stalingrad, rus. Царицын, rus. Сталинград, rus. Волгоград, rus. Zarizyn

Die Stadt an der Wolga hieß bis 1925 Zarizyn, dann bis 1961 Stalingrad. International bekannt ist sie durch die Schlacht von Stalingrad im 2. Weltkrieg, bei der im Winter 1942/43 die Wehrmacht und ihre Verbündeten von der Roten Armee vernichtend geschlagen wurden, und die als psychologischer Wendepunkt im Kriegsgeschehen gilt. Im Rahmen der Entstalinisierung wurde die Stadt 1961 in Wolgograd umbenannt.

 existierte im Westen nicht.
Hinzu kam eine dritte Form der Zerstörung, die sich fast ausschließlich im östlichen Europa findet – der bewusste Krieg gegen die Bevölkerung. Da der Anteil jüdischer Menschen in Polen und der Sowjetunion erheblich höher war als in den Ländern Westeuropas, hatte der Holocaust einen größeren Effekt auf die Städte. Deutschland führte zudem Krieg gegen die nichtjüdische Bevölkerung, die in der rassisch strukturierten Weltsicht des Nationalsozialismus und abhängig vom Kriegsverlauf einer katastrophalen Vernichtungslogik unterworfen war. Wie in einem Brennglas zeigen sich diese Dynamiken am Beispiel Warschaus. Dort lassen sich auch die hohen Erwartungen und Utopien, die sich an den Wiederaufbau der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg knüpften, besonders gut erkennen.

Die Zerstörung Warschaus

Die nahezu vollständige Vernichtung 
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw, deu. Warszowa, deu. Warszewa, yid. Varše, yid. וואַרשע, rus. Варшава, rus. Varšava, fra. Vaarsovie

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2024: 1.863.845). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

 vollzog sich in drei Stufen. Mit dem Beginn der deutschen Invasion Polens wurde die Stadt zunächst Ziel der Luftwaffe, dann ab Mitte September durch die Wehrmacht belagert und schließlich nach erheblichen Kämpfen und massiven Zerstörungen eingenommen. Warschau wurde Teil des von Krakau aus beherrschten Generalgouvernements und damit seiner Hauptstadtfunktion enthoben. Die deutsche Politik zielte auf die Zerstörung Warschaus als moderne Großstadt. Diese war für die nationalsozialistische Vorstellung von einem rassisch minderwertigen und rückständigen Polen eine Provokation. Damit einher ging die Vertreibung und Vernichtung erheblicher Teile der Vorkriegsbevölkerung. Im Holocaust wurden hunderttausende Juden, die in Warschau lebten oder dorthin deportiert worden waren, ermordet. Die zuvor bereits brutalen Repressionen auch gegen die nichtjüdische Zivilbevölkerung kulminierten in der Liquidation von weit über hunderttausend Menschen während der Niederschlagung des Warschauer Aufstands Warschauer Aufstands Erhebung des polnischen militärischen Widerstands in Warschau vom 1. August 1944 bis zum 2. Oktober 1944. Niederschlagung durch deutsche Besatzer mit erheblichen zivilen Opfern.  im August 1944 durch Wehrmacht und SS.
Für die städtische Infrastruktur waren die Folgen einer schrankenlosen Besatzungspolitik dramatisch. Der  Aufstand im Warschauer Ghetto
Aufstand im Warschauer Ghetto
auch:
Warschauer Ghetto, Aufstand, Warschauer Ghettoaufstand, Warschauer Gettoaufstand, Warschauer Aufstand, Warschauer Aufstand <1943>
Der Aufstand im Warschauer Ghetto erfolgte als Reaktion auf die Ankündigung von Heinrich Himmler zur Einleitung der letzten Phase der Auflösung des Ghettos. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich im Ghetto 50.000-60.000 von den 500.000-550.000 Personen, die bis dato insgesamt im Warschauer Ghetto eingeschlossen waren. Der Aufstand dauerte vom 19. April 1943 bis 16. Mai 1943. Es war zugleich die erste Aktion des Widerstands gegen die deutsche Nazi-Herrschaft von diesem Ausmaß auf polnischen Gebieten und der größte jüdische Einzelaufstand während des Zweiten Weltkriegs. Bereits vor dem Aufstand allerdings fand die sogenannte Januar-Aktion als erster Akt des bewaffneten jüdischen Widerstands im Warschauer Ghetto statt. Den bewaffneten Kampf führten vor allem die Mitglieder der zahlenmäßig größten, aber schlecht ausgerüsteten Gruppe der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa – ŻOB), die im Ghetto von Mordechaj Anielewicz angeführt wurde, und des Jüdischen Militärverbands (Żydowski Związek Wojskowy – ŻZW) unter der Führung von Paweł(?) Frenk(e)l an. Schätzungen gehen von bis zu 1.000-1.500 Kämpfenden aus, wobei die Kräfte der ŻOB eher 220-300 und des ŻZW wohl 100-200 Personen umfassten. Ihnen schlossen sich auch andere Gruppen und Einzelpersonen an. An der Beschaffung der Waffen für die Aufständischen beteiligte sich der polnische Widerstand, vor allem die Armia Krajowa (die sog. polnische Heimatarmee), die Gwardia Ludowa (Volksgarde), der Korpus Bezpieczeństwa (Sicherheitscorps) sowie wahrscheinlich der PLAN (Polska Ludowa Akcja Niepodległościowa – Polnische Volksaktion für die Unabhängigkeit). Diese Gruppen standen dem jüdischen Aufstand bzw. seiner Untersützung teils jedoch zwiegespalten gegenüber, nicht zuletzt angesichts der schon knappen Ressourcen für die eigene Tätigkeit. Während des Aufstands selbst führten die Armia Krajowa und die Gwardia Ludowa auch selbst einzelne Militäraktionen durch, die jedoch eine untergeordnete Rolle im Verlauf des Aufstands spielten. Nach dem Ende des Aufstands dauerten vereinzelte Kämpfe bis in den Juni an. Die deutschen Besatzer setzte die Taktik der verbrannten Erde ein. Während des Aufstands bzw. unmittelbar nach seiner Niederschlagung wurden 10.000-13.000 Juden umgebracht, weitere 43.000 wurden im Anschluss in Vernichtungslager deportiert. Während der Kämpfe gelang nur einem kleinen Teil der Ghetto-Bewohner die Flucht. Auf deutscher Seite bekämpften täglich ca. 2.100 bewaffnete Soldaten und Polizisten den Aufstand, darunter auch ukrainische, lettische und litauische Einheiten. Auf der sog. arischen Seite der Ghetto-Mauer patrouillierte die lokale Polizei (d. h. dieehemalige polnische Polizei), um flüchtende Personen zu inhaftieren. Die Schätzungen zu den Verlusten auf Seiten der Deutschen und ihrer Helfer reichen von 16 bis über 100 Personen.
 von 1943 gab den deutschen Besatzern den Vorwand, die innerstädtischen Viertel des Ghettos bis auf den Grund zu zerstören. Während und nach dem Warschauer Aufstand vernichteten sie dann systematisch den größten Teil der noch vorhandenen Stadtstruktur – selbst zulasten der militärischen Logik.

Wiederaufbau und Utopie

Warschaus Zerstörung und die Vernichtung seiner Bevölkerung waren somit phasenweise und mit unterschiedlichen Motivationen erfolgt. Dies bedeutete, dass es den Wiederaufbau im Sinne einer einheitlichen Idee von Planern und Architekten nicht geben konnte. Vielmehr spiegeln die Planungen die verschiedenen Etappen der Zerstörung sowie die politischen Umstände wider, unter denen entworfen, in die Zukunft gedacht und später gebaut werden konnte. Wie komplex die Utopien des Wiederaufbaus waren, zeigt sich gerade bei der Warschauer Altstadt, die seit 1980 als Rekonstruktion UNESCO-Weltkulturerbe ist und weit über Polen hinaus als Symbol und Modell gilt. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Planungen für die Altstadt eingesetzt, damals jedoch noch im Sinne einer Sanierung einer teils als problematisch eingeschätzten historischen Bausubstanz. Für jene sich selbst der Moderne zurechnenden polnischen Architekten der Zwischenkriegszeit spielte die Altstadt als Relikt einer zu überwindenden Zeit eine untergeordnete Rolle. Diese Sicht prägte zunächst auch die Wiederaufbauplanungen, die noch während des Krieges im polnischen Untergrund entstanden. Wie in anderen europäischen Ländern sah man in den Kriegszerstörungen auch eine Chance für die Errichtung einer neuen, modernen Stadt.
Die frühen Visionen der Architekten zum Wiederaufbau Warschaus unterschieden sich zwischen eher traditionellen, am Denkmalswert orientierten Entwürfen und modernistischen Planungen. Letztere orientierten sich am Ideal der funktionellen Stadt. Die noch im Krieg entstehende Wiederaufbauplanung moderner Architekten sah die funktionelle Teilung der Stadt entlang der vermeintlichen Hauptzwecke Wohnen, Verkehr, Arbeit und Erholung vor, aufbauend auf Entwürfen der Vorkriegszeit (Warszawa Funkcjonalna). Als Reaktion auf die Kriegserfahrung waren zudem Planungen vorangeschritten, die die gemeinschaftsstiftende Rolle moderner Wohnsiedlungen betonten. Diese sollten die als dysfunktional betrachtete kapitalistische Stadtstruktur ablösen, der angelastet wurde, Vereinzelung zu befördern.
Der Kriegsverlauf und die bewusste Zerstörung des historischen Stadtzentrums durch die deutschen Besatzer hatten schließlich zur Folge, dass sich die Ideen der traditionell und der eher modernistisch denkenden Architekten annäherten. Es war nach dem Krieg politisch nicht mehr vorstellbar, die Altstadt nicht wieder aufzubauen. Andernfalls hätte man sich mit der bewussten, gegen die nationale Identität gerichteten Zerstörung durch die Deutschen abgefunden, während der kommunistischen Partei gerade daran gelegen war, sich als patriotische Kraft zu zeigen, der es auch um die Bewahrung des nationalen Erbes ging.

Visionen der sozialistischen Musterstadt

Die Zerstörung Warschaus war so dramatisch, dass der Wiederaufbau Dimensionen annehmen musste, für die sich im Rest Europas kaum Entsprechungen finden lassen. Hinzu kam, dass die Kommunisten, die nach dem Krieg die Macht in Polen übernahmen, im Wiederaufbau der Hauptstadt eine wesentliche Legitimationsquelle erkannten und erhebliche Mittel bereitstellten. Hierzu gehörten die Möglichkeiten, die sich aus dem im großen Maßstab verstaatlichten Boden ergaben, aber auch das mit Hunderten von Architekten und Ingenieuren ausgestattete „Büro zum Wiederaufbau der Hauptstadt“ (Biuro Odbudowy Stolicy), das ein genuiner Bestandteil der von den Kommunisten eingeführten Planwirtschaft war.
Nach 1945 eröffneten sich somit erhebliche Möglichkeiten für moderne Architekten. Viele von ihnen hegten große Sympathien für ein sozialistisches System, auch weil die für sie in der Planwirtschaft vorgesehene Rolle ihrem Selbstbild als Gestalter einer neuen Gesellschaft entsprach. In der bereits 1946 organisierten Ausstellung „Warszawa oskarża“ (engl. Ausstellungstitel: Warsaw Accuses, dt.: Warschau klagt an) kommt diese Übereinstimmung deutlich zum Ausdruck. Suggestive Vorher-/Nachher-Bilder stellten die extremen Kriegszerstörungen heraus. Sie zeigten Pläne und erste Aufbauleistungen im Sinne einer modernistischen Musterstadt, die Lehren sowohl aus dem Krieg als auch aus der gescheiterten Vorkriegsarchitektur gezogen habe. Damit schließe man nicht nur an den internationalen Diskurs an, sondern nehme auch eine Vorreiterrolle ein. Diese Botschaft, verbreitet durch moderne Architekten wie das Ehepaar Helena (1900–1982) und Szymon Syrkus (1893–1964) Helena (1900–1982) und Szymon Syrkus (1893–1964) Waren polnische Architekten der modernistischen Strömung. International beachtete Arbeiten vor allem in den 1930er Jahren. Planungen für Warschau vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. , die mit der Ausstellung bis in die USA reisten, fiel auch im Westen auf fruchtbaren Boden.
Das wiederaufgebaute Warschau – etwa die durch das Ehepaar Syrkus entworfene Koło-Siedlung (1947–50) – wurde daher wenige Jahre nach dem Krieg zu einem Symbol für die Katastrophe des Krieges und deren Überwindung. Der Schriftsteller Max Frisch, der auch Architekt war, lobte in einer frühen Phase die urbanistische Leistung für eine neue Stadtgemeinschaft. David Riesman, Autor des einflussreichen Buches „The Lonely Crowd“ (1950), sah Warschau als verwirklichte Utopie einer Architektur, die eine bessere Gesellschaft ermöglichte, auch wenn ihm aus amerikanischer Sicht der weitgehende Verzicht auf Individualverkehr realitätsfremd erschien.

Konkurrierende Modernen

Doch die Vision einer aus der Asche wiederauferstehenden, radikal erneuerten Stadt konnte den Realitätstest nicht bestehen. Dies war nicht verwunderlich, denn Warschau hatte mit extrem begrenzten materiellen Ressourcen zu kämpfen. So war zum Beispiel kaum möglich, den ‚wilden‘ Siedlungen entgegenzutreten, die als Reaktion auf den schleppenden Wohnungsbau entstanden. Die kommunistische Führung, die den Visionen moderner Architekten so viele Anknüpfungspunkte zu bieten schien, erwies sich letztlich als schwieriger Partner. Bereits 1948 setzte Stalin im gesamten Ostblock den Sozialistischen Realismus durch, der die internationale Moderne zugunsten einer klassischen, an nationalen Traditionen orientierten Architektur, Kunst und Literatur ablehnte. Allerdings begrüßten auch einige polnische Architekten einen nationalen und an den echten oder unterstellten Bedürfnissen der Arbeiter orientierten Baustil. Die Bauten entlang der Marszałkowska-Straße und der Kulturpalast (1952–1955) sind hierfür die bekanntesten Beispiele.
Und schließlich wuchsen mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Planwirtschaft auch die politischen Vorgaben der Partei und der Moskauer Führung. Viele moderne Architekten erfuhren dies alles als desillusionierend. Im Ergebnis war Warschaus Wiederaufbau wenig radikal im modernistischen Sinne. Die ‚neue‘ Altstadt, wenn auch untertunnelt und vom vermeintlichen stilistischen Ballast als weniger wertvoll erachteter historischer Epochen gesäubert, war ein der Verweis auf Geschichte und Nation und nicht auf eine lichte architektonische Moderne. Siedlungen nach den Prinzipien der internationalen Moderne konnten, bis auf wenige Ausnahmen, erst ab den 1960er Jahren im größeren Stil entstehen.
Heute ist es wohl gerade das Nebeneinander einer rekonstruierten, aber lebendigen Altstadt, der verstreuten Überbleibsel Vorkriegswarschaus und der Zeugnisse verschiedener Phasen des sozialistischen Städtebaus, das Warschau auszeichnet. Für die seinerzeit wenigen westlichen Besucher war Warschau bereits vor dem Ende des Kommunismus eine Metropole, die auf anziehende Weise mit dem lange als defizitär wahrgenommenen ‚aseptischen‘ Wiederaufbau vor allem in Westdeutschland kontrastierte. In den Jahrzehnten seit dem Ende des Kommunismus hat sich Warschau zu einer der dynamischsten Städte Europas entwickelt, architektonisch mehr und mehr geprägt durch die kommerziell getriebene Moderne eines globalen Kapitalismus. Aus der Perspektive des Jahres 1945 ist die urbane Dynamik des heutigen Warschau ein überraschender Befund. Sie ist ein Erfolg der vielen Planer und Architekten beim Wiederaufbau der polnischen Hauptstadt, aber auch, wie in vielen Städten im östlichen Europa zu beobachten, der Beharrungskraft der Stadtgesellschaft selbst in der Extremsituation des Krieges.

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