Über 100 Jahre und noch immer auf Reisen – trotz seines eher schlichten Aussehens kann der braune Plattenkoffer auf eine ansehnliche „Karriere“ zurückblicken. Einst war er Musterkoffer für Wollstoffe, Begleiter auf Ferienreisen, Transportmittel auf der Flucht und Möbelstück im kargen Flüchtlingsheim. Heute ist er als Leihgabe von HAUS SCHLESIEN als Ausstellungsstück im Museum des Lebuser Landes in Grünberg (Muzeum Ziemi Lubuskiej w Zielonej Górze) Zeitzeuge eines ganzen Jahrhunderts.
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Ein Koffer dient per definitionem dazu etwas zu transportieren – dabei denkt man zuallererst an Kleidungsstücke und Reiseutensilien, vielleicht auch an Dokumente oder Warenmuster. Doch verbinden sich mit einem Koffer immer auch Erinnerungen, die mit jeder "Reise" mehr werden. Diese meist sehr persönlichen Erinnerungen beinhalten darüber hinaus oft ein Stück Familien-, Lokal- oder Zeitgeschichte.
Manchmal auch von allem etwas, wie dieser ca. 90 cm breite, braune Plattenkoffer, einst Musterkoffer für Textilien, der seine Besitzerin Ilse von der Kindheit bis ins hohe Alter begleitete und seit einigen Jahren in der Sammlung von HAUS SCHLESIEN aufbewahrt wird. Der Aufdruck „Deutsche Wollenw. Manufaktur A.G. Grünberg i/Schl.“ auf der Innenseite des mit Leinen ausgeschlagenen Kofferdeckels verrät seine ursprüngliche Verwendung als Musterkoffer, der in 
Zielona Góra
deu. Grünberg in Schlesien, ces. Zelená Hora, eng. Zielona Góra

Zielona Góra (dt. Grünberg in Schlesien) liegt in der Woiwodschaft Lubuskie (dt. Lebus) in Westpolen. Die Stadt wird von knapp 140.000 Menschen bewohnt und ist eine der zwei Hauptstädte der Woiwodschaft. Zielona Góra ist ca. 140 km nordwestlich von Wrocław (dt. Breslau) gelegen und gehört zum nördlichen Teil Niederschlesiens.

Historische Orte
Grünberg
 
 angesiedelten Deutschen Wollwaren Manufaktur Aktiengesellschaft. Die Ursprünge dieses seinerzeit zu den größten Fabriken der Streichgarnbranche in Deutschland zählenden Betriebes reichen bis 1878 zurück. Produziert wurden Herren- und Damen-Konfektions- sowie Kleider- und Mützenstoffe. In den 1920er Jahren beschäftigte der Betrieb rund 3.000 Mitarbeiter und exportierte seine Waren nach Großbritannien, Nordeuropa und Amerika.
Wie er in den Besitz von Ilses Familie kam, ist nicht überliefert, doch erinnert diese sich, dass der Koffer „gern für Reisen genutzt [wurde], denn die Kleider ließen sich in ihrer ganzen Länge hineinlegen, ohne beim Auspacken zerdrückt zu werden“. Im Januar 1945, als die Front immer näher rückte, wurden die damals 12jährige Ilse und ihr jüngere Bruder von Grünberg nach Forst (Lausitz) zu den Großeltern gebracht. Am 12. Februar kam auch die Mutter und nur einen Tag später reihten sich die drei in den Flüchtlingsstrom Richtung Westen ein. Auf dem Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde, lag auch der große braune Koffer. Sein Inhalt kam allerdings nie am Ziel an, denn sowjetische Soldaten brachen den Koffer unterwegs auf und plünderten ihn fast vollständig. Er selbst aber blieb und wurde über Jahrzehnte zu Ilses treuem Begleiter.
Zunächst beherbergte er die letzten Habseligkeiten der Flüchtlingsfamilie, dann bewahrte er die handgewebten Wollstoffe vor dem Hunger der Mäuse und schließlich die Schulutensilien von Ilse auf. Im Erwachsenenalter zog Ilse mehrfach um – den Koffer nahm sie jedes Mal mit. Und wann immer sie den Deckel öffnete, waren da die Erinnerung an eine glückliche Kindheit und an „zu Hause“. Vor kurzem hat sich der Koffer erneut auf die Reise begeben – sozusagen zurück zu den Wurzeln. Als Leihgabe ist er an das Museum des Lebuser Landes in Grünberg (Muzeum Ziemi Lubuskiej w Zielonej Górze) gegangen. Dort hat er neben einem klassischen Handwagen, wie ihn viele als einziges Transportmittel für ihr Hab und Gut mit auf die Flucht genommen haben, seinen Platz in der neuen Dauerausstellung zur Nachkriegsgeschichte Grünbergs gefunden und steht symbolisch für den Heimatverlust der Deutschen. Die zuständige Kuratorin schreibt hierzu, dass es ihr sehr wichtig war, „dass die Deutschen auch in der Ausstellung sichtbar sind“.