Im Frühjahr 1991 befand sich die Welt aufgrund der revolutionären Umbrüche im östlichen Europa noch immer im Wanken. Die sozialistischen Regime hielten in einigen Ländern des Ostblocks mit aller Kraft und Gewalt an ihrer Macht fest, während der Ruf nach Unabhängigkeit im östlichen Europa immer lauter wurde. Zum 31. März lösten sich die Militärstrukturen des Warschauer Paktes auf. Länder, wie Lettland oder Georgien, erklärten sich unabhängig, in Rumänien fanden die ersten freien Wahlen nach dem Sturz der Ceauşescus statt, in Jugoslawien wurde der Ausnahmezustand ausgerufen und ein langer Krieg fand seinen Anfang. Der Ruf nach Unabhängigkeit war allerorten gleichermaßen von liberal-demokratischen Reformwünschen wie von nationalistischen Abgrenzungsprozessen geprägt. Neue Grenzen wurden auf der europäischen Landkarte gezogen, nicht selten blutig.
Während all das passierte, traf sich im Mai 1991 eine Gruppe von jungen Studierenden zu einer Sommerschule mit dem Titel „The Process of Global Social Chance and the Historical Experience of Central Europe“. Veranstalter war die „Central European University“, eine 1989 von dem ungarisch-amerikanischen Philanthropen George Soros gegründete und finanzierte Bildungsinitiative, die sich im Verlaufe des Jahres 1991 als ungarisch-amerikanische Universität akkreditieren wird. Die Studierenden des Kurses kamen mehrheitlich aus dem Ostblock und konnten trotz der Aufbruchsstimmung allerorts nur wenig damit anfangen, über Globalisierung zu diskutieren, während in den meisten ihrer Heimatorte Chaos, Krieg und Armut dominierten. Auch Englisch als Wissenschaftssprache der CEU war für viele damals gänzlich fremd und noch kaum zu verstehen. Einer der Kursleiter fragte sich im Nachhinein, ob es nicht hilfreicher gewesen wäre, wenn er einer slawischen Sprache mächtig gewesen oder zumindest anderweitige Regionalkompetenzen gehabt hätte, um wirklich in einen produktiven Dialog treten zu können. Im Abschlussbericht merkten auch die Studierenden kritisch an, dass der Kurs – anders als im Titel angekündigt – sich kaum mit den Problemen in Osteuropa auseinandersetzte, weil nicht nur den Lehrenden das entsprechende Wissen fehlte, sondern auch‚ westliche‘ Globalisierungstheorien, die in diesem Kontext vermittelt wurden, für viele sehr weit weg von der eigenen Lebensrealität waren. In ihren jeweiligen Herkunftsländern war es gerade der Nationalstaat, der sich nach Jahrzehnten sozialistischer Herrschaft erneut oder erstmals Bahn brach.
Um dem Gespenst des Nationalismus mit einem aufgeklärten demokratischen Gegenüber zu begegnen, war Bildung von zentraler Bedeutung. So zumindest lautete die Prämisse der Gründungsdirektoren der CEU und allen voran von George Soros, auf dessen Initiative die Idee einer neuen Universität als Antwort auf die Veränderungsprozesse im östlichen Europa zurückging. Wenngleich Soros anfangs noch stark mit der Idee einer Entrepreneur University, also einer auf praktische unternehmerische Fähigkeiten fokussierten Wissenschaftseinrichtung, liebäugelte, überzeugten ihn seine Mitstreiter:innen, viele von ihnen Intellektuelle und Dissidenten des Kalten Krieges, von der Notwendigkeit einer breiten humanistischen Bildung. Ein „Bologna des Ostens“ sollte die CEU werden und Gemeinschaft und Demokratie stiften über geteilte Inhalte und eine gemeinsame Sprache. Inspiriert von seinem Londoner akademischen Lehrer Karl Popper, postulierte Soros das Konzept der „offenen Gesellschaft“ gegenüber den „geschlossenen Gesellschaften“ des Sozialismus. Die CEU wurde – gemeinsam mit den zahlreichen anderen Initiativen der Open Society Foundation – zum ‚brain center‘ der osteuropäischen Transformationsgesellschaften. Ihr erklärtes Ziel war es, den jungen Menschen im Osten durch ein alternatives sozialwissenschaftliches Set an Methoden Werkzeuge kritischen Denkens zu vermitteln und damit die neuen Demokratien im postsozialistischen Raum aufzubauen und zu konsolidieren.
Dieses Unterfangen stand jedoch, wie das Beispiel der Sommerschule von 1991 zeigt, nicht nur in einem starken Kontrast zu einer Theoriemüdigkeit oder sogar -skepsis vieler osteuropäischer Wissenschaftler:innen nach Jahren der Indoktrination. Es warf eben auch Fragen auf „about the usefulness of studying the West European model“ auf für den (post)sozialistischen Kontext. Der von den Studierenden damals geäußerte Wunsch nach einer konkreten Anwendbarkeit von Theorien, verdeutlicht das starke Bedürfnis insbesondere der ersten akademischen Generation der Umbruchszeit nach ‚praktischen‘ Fähigkeiten. Sie strebten danach, sich Kompetenzen anzueignen, um in dieser neuen Welt navigieren zu können.