Die Vorweihnachtszeit ist durch besondere Bräuche und Speisen gekennzeichnet. Gänseschwarzsauer ist eine Suppe mit Gänseblut und getrockneten Früchten, die im Westen Deutschlands erst durch die Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ostpreußen und Pommern bekannt, aber niemals beliebt wurde.
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Die Vorweihnachtszeit ist Gänsezeit, weil Gänse erst zur kälteren Jahreszeit schlachtreif sind und viel Fett liefern, das für die Winterküche von Bedeutung ist. Für zahlreichreiche Flüchtlinge und Vertriebene, die Ostpreußen und Pommern nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg verlassen mussten, ruft diese Zeit auch Erinnerungen an Gänse- oder Entenschwarzsauer bis ins hohe Alter hervor.
Die Bedeutung von Speisen für das individuelle Wohlbefinden umschrieb die aus 
Kaliningrad
deu. Königsberg, rus. Калинингра́д

Kaliningrad ist eine Stadt im heutigen Russland. Sie liegt im Oblast Kaliningrad, einer russischen Exklave zwischen Litauen und Polen. Kaliningrad, ehemals Königsberg, gehörte über mehrere Jahrhunderte zu Preußen und war dessen nordöstlichste Großstadt.

 stammende Dichterin Agnes Miegel damit, dass das Gemüt im Magen säße.1 Speisen regen alle fünf Sinne an und lösen tiefer gehende Wohlgefühle, Erinnerungen, verschiedene Emotionen und vor allem Nostalgie aus, wie die Forschung gezeigt hat.2 Gerade zur Weihnachtszeit werden Erinnerungen an Kindheit und Jugend, aber auch an die verlorene Heimat wach, sodass familiäre und regionale Traditionen gerade in dieser Zeit wieder aufgegriffen werden. Die wichtigen Feste im Jahreslauf sind mit vielen regionalen Bräuchen und Traditionen sowie besonderen Speisen verbunden. Daher wird auch Heimat durch Essen erinnert: Bräuche und traditionelle Rezepte sind ein 'leichtes Gepäck' für Flucht, Vertreibung und Migration, das immer mitgenommen wird. Traditionelle Speisen prägen daher die Identität dieser Personengruppen, aber auch die jeweilige familiäre Erinnerungskultur – sie machen Heimat auch in der Fremde durch Schmecken erlebbar, während materielle Erinnerungsstücke oft kaum vorhanden sind. Speisen wirken somit identitätsbildend und verbindend.
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Die Suppe aus Gänse- oder Entenblut wird daher gerade von der Erlebnisgeneration der aus 
Ostpreußen
pol. Prusy Wschodnie, eng. East Prussia
 und 
Pommern
eng. Pomerania, pol. Pomorze

Pommern ist eine Region im Nordosten Deutschlands (Vorpommern) und im Nordwesten Polens (Hinterpommern/Pomorze Tylne). Der Name leitet sich vom westslawischen 'am Meer' - 'po more/morze' ab. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (Westfälischer Friede 1648) wurde Vorpommern zunächst schwedisch, Hinterpommern fiel an Brandenburg, das 1720 weitere Teile Vorpommerns erwerben konnte. Erst ab 1815 gehörte die gesamte Region als Provinz Pommern zum Königreich Preußen. Die Provinz hatte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand, ihre Hauptstadt war Stettin (heute poln. Szczecin).

 Geflüchteten und Vertriebenen auch gegenwärtig gerne zur Weihnachtszeit gekocht und wird heute wie kein anderes Gericht oder kaum eine andere Tradition mit der ostpreußischen und pommerschen Küche verbunden, auch wenn moderne Kochbücher kaum darüber Auskunft geben. Gänseschwarzsauer kann als deutsche Spezialität bezeichnet werden, während Czernina aus Entenblut die polnische Variante darstellt.
Bereits Theodor Fontane, der Teile seiner Kindheit im pommerschen 
Świnoujście
deu. Swinemünde, pol. Swinoujście

Świnoujście (Bevölkerungszahl 2023: 38.904) ist eine Kreisfreie Stadt im äußersten Nordwesten Polens, direkt an der Grenze zu Deutschland. Sie liegt an der Ostseeküste der historischen Landschaft Pommern. Das Stadtgebiet ist über insgesamt 44 Inseln verteilt, wobei der Stadtkern im Ostteil von Usedom an der Mündung des Meeresarms Swine liegt. Świnoujście ist eine relativ junge Stadt, die im Zusammenhang mit der Schiffbarmachung der Swine entstand, als nach dem Nordischen Krieg (1700-1721) Schweden die seit 1630 besetzten Inseln Usedom und Wollin für eine hohe Geldsumme an Preußen abtrat. Da die bisher wichtigsten Ostseehäfen weiterhin in schwedischer Hand blieben, wurde 1729 der Bau eines neuen Hafens an der Swine beschlossen. Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten, wurde der Hafen schließlich 1746 fertiggestellt, und 1763 erhielt die Hafensiedlung Stadtrechte. Die Hafenanlagen der Stadt wurden bald ausgebaut und schon früh nicht nur für den Handel, sondern auch für das Militär und als Passagierhafen von Bedeutung. Im Zweiten Weltkrieg stationierte die U-Bootflotte der Wehrmacht auf der Insel Kaseburg (Karsibór). Dieses Gelände und weitere Gebiete in der Stadt unterstanden anschließend bis 1957 der sowjetischen Militärverwaltung, während die sonstigen Gebiete am 6. Oktober 1945 der polnischen Zivilverwaltung übergeben wurden. Świnoujście ist heute eins der wichtigsten polnischen Häfen. Tourismus stellt eine weitere wichtige Einnahmequelle für den anerkannten Kur- und Badeort dar.

Historische Orte
Usedom-Wollin
 
, heute Świnoujście, verbrachte, schildert in seinen Kindheitserinnerungen die Suppe aus Gänseblut und hebt so die Bedeutung dieses Gerichts für die Küche in den Monaten von Martini bis Weihnachten hervor. „Diese Schlachtzeit war nämlich zugleich auch die Zeit, wo das aus Gänseblut zubereitete „Schwarzsauer“ tagtäglich auf unseren Tisch kam, ein Gericht, das, nach pommerscher Anschauung, alles andere aus dem Felde schlägt.“3 Fontane beschreibt auch, dass vor allem die Einlagen ein besonderes Interesse bei seinem Vater hervorriefen: „Er selber aber suchte sich, gerade so wie wir, das Backobst und die Mandelklöße heraus und überließ die Kraftbrühe der Gesindeschaft draußen.“ Fontanes Schilderung unterscheidet sich wenig von der Erinnerung eines Liebhabers von Gänseschwarzsauer in einem Interview mit der Autorin im Jahr 2022: Er berichtet, dass seine Familie in Ostpreußen einen kleinen Hof mit zwei Kühen, zwei Schweinen, drei Schafen und ca. 15 Gänsen und 15 Enten sowie Hühner gehabt habe. Blut sei bei jeder Schlachtung aufgefangen und mit Essig verquirlt worden, um die Gerinnung zu stoppen. Schweineblut sei aber nicht für Schwarzsauer, sondern für die Herstellung von Blut- und für Grützwurst verwendet worden. Im Herbst wurden die ersten Gänse und Enten vom Vater geschlachtet, weil sich das sonst niemand auf dem Hof zutraute. Später wurde eine kräftige Brühe gekocht und abschließend mit Blut vermischt. Zur Brühe wurden Kartoffeln, Nudeln oder auch Klöße serviert, es habe aber kein Fleisch dazu gegeben. „Gänse – eine Herde Gänse gehörte auf jeden Bauernhof“4, stellt die Preußische Allgemeine fest. Der Artikel schildert noch mehr Details.

Von der Gans wurde alles verwertet: Gänsebraten, Gänseklein, geräucherte Brust, vom Flomen gab es Gänseschmalz, die Federn – das Blut wurde zu Schwarzsauer verarbeitet, der Kopf gespalten und das Hirn – eine Delikatesse – gewickelte Gänsepfoten (die gesäuberten und gebrühten Pfoten wurden mit gereinigten Därmen umwickelt – brrr brrr ...)

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Wie bei anderen regional typischen Gerichten auch, nutzt jede Familie ihr eigenes Rezept, so auch die Familie des Schwarzsauer-Liebhabers, die sich noch heute jährlich Gänseblut in der Adventszeit besorgt: „Also, bei uns wurde der Darm nicht mitgekocht, aber Füße und Kopf schon und auch Innereien wie Magen, Leber und Herz.“ Neben dem so genannten „Gekröse“ wurden noch Gemüse und beispielsweise Rosinen mitgekocht, dann die Suppe mit Roggenmehl angedickt und mit dem Gänseblut verfeinert. Abgeschmeckt wurde nicht nur mit Salz, sondern auch mit Weinessig und Zucker, gegebenenfalls Kümmelkorn. Eine Ostpreußin erinnert sich wie köstlich dies schmeckte: „ … süß-sauer mit lauter aufgequollenen Rosinchen und natürlich mit ‘ner Einbrenne aus gewürfeltem Räucherspeck und gerösteten Zwiebeln.“5 Grundsätzlich sind Gerichte mit Blut in fast allen Kulturen bekannt und stammen aus einer Zeit, in der möglichst viel von geschlachteten Tieren verwertet wurde, gerade in der Küche weniger begüterter Familien. Beim Gänseschwarzsauer bildet der notwendige Einsatz von Essig die Grundlage für die typische säuerliche Geschmacksnote der ostpreußischen wie auch litauischen Küche.
Wie andere ursprüngliche Arme-Leute-Essen, ist Gänseschwarzsauer als regionale Delikatesse zu einem Identitätsmarker geworden, stärker noch als Gänseweißsauer oder auch gewickelte Gänsefüße. Solche regionalen Gerichte werden heute als Spezialitäten – wenn auch verfeinert – angepriesen und auch außerhalb der jeweiligen Region häufig sehr geschätzt. Dies gilt jedoch nicht für Gänseschwarzsauer, das nur innerhalb der aus Ostpreußen und Pommern Vertriebenen als Genuss gilt. So findet sich in modernen Kochbüchern zur ostpreußischen Küche nur sehr selten ein Gänseschwarzsauer-Rezept, vermutlich weil Gänseblut auf den Gänsehöfen nicht mehr aufgefangen wird und sich der heutige Geschmack und die Ästhetik verändert haben.
Wie andere Gerichte auch, kann Gänse-Schwarzsauer als immaterielles Kulturerbe charakterisiert werden, das identitätsstiftend ist. Wie die hier zitierten Erinnerungen und Berichte zeigen, ist Gänseschwarzsauer ein wichtiger Auslöser für Erinnerungen an die verlorene ostpreußisch-pommersche Heimat. Daher erinnert sich gerade die Erlebnisgeneration gerne mit Gänseschwarzsauer an die heimatliche Küche und Traditionen zum Weihnachtsfest.
Rezept
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Das klassische Kochbuch zur ostpreußischen Küche von Magarete und Elisabeth Doennig, Kochbuch, (15. Aufl.) Königsberg i.Pr. 1922 empfiehlt diese Zubereitung:


 1 Gänsegekröse (Gänseklein), 125 g getrocknete Birnen, 125 g getrocknete Äpfel, 125 g getrocknete Pflaumen, Salz, 3 Nelken, Zimt, Apfelsinen- oder Zitronenschale, Zucker, ¼ l Gänseblut, Mehl, Essig, Mehlklöße v. ¼ l Mehl

Das Gekröse wird gewaschen und wie Gekrösesuppe gekocht, nur ohne Hafergrütze. Die Birnen, Äpfel, Pflaumen werden mit Wasser, Zimt, Nelken, Apfelsinenschale kurz eingekocht. Ist dieses weich, kommt ein Theil der Gekrösebrühe und das Blut hinzu, dann wird mit Mehl gebunden, mit Salz, Zucker, wenig Essig abgeschmeckt. In tiefer Schüller wird das Schwarzsauer angerichtet, die Mehlklöße oben aufgelegt. Das Gekröse wird allein dazu gereicht. Die übrige Brühe kocht man mit Hafergrütze und gibt sie als Suppe. Das Schwarzsauer kann auch als ein Gericht gegeben werden; es wird gekocht wie vorher, nur wird alle Brühe vom Gekröse zum Obst gegossen, die Klöße hineingelegt. Das Gekröse wird allein gereicht.

Siehe auch