Als Maria Zarębska geboren wurde, im Juli 1948, war das Dorf Sztynort vom Krieg gezeichnet. Einige masurische Familien lebten noch dort. Die meisten Bewohner waren – wie Marias Eltern – Neulinge. Alle kämpften ums Überleben, mussten miteinander auskommen, sich im sozialistischen Polen zurechtfinden. Für ein Kind wie Maria war all dies „normal“. Aus dem neugierigen Mädchen wurde später eine aufmerksame Chronistin.
Die Geschichtensammlerin
Text
Maria Zarębska lebt in einem der früheren Leutehäuser Leutehäuser Häuser, in denen die Instleute (landwirtschaftliche Arbeiter mit festem Arbeitsvertrag) des Gutes und Bedienstete der Herrschaft wohnten.   zu Füßen des Lehndorffschen Schlosses, das die Dorfbewohner „Pałac“, „Palast“, nennen. Sie hat sich hier immer wohl gefühlt, nur ein einziges Mal hat sie
Sztynort
deu. Steinort, deu. Groß Steinort

Das Dorf Sztynort liegt im Norden der Masurischen Seenplatte auf der Halbinsel Jez zwischen Jezioro Mamry (Mauersee), Jezioro Dargin (Dargeinensee) und Jezioro Dobskie (Dobensee). Bis 1928 hieß das Dorf Groß Steinort, danach Steinort.

verlassen - davon später.1
 
Gerade hat ihr Sohn auf der Gartenseite ein großes Wohnzimmer angebaut. Bei geöffnetem Fenster kann sie die gutgelaunten Touristen hören, Familien und Grüppchen, die Richtung Hafen ziehen. „Oder zum Schloss. Im Sommer ist Leben da oben.“ Sie erzählt gern und springlebendig.
 
Früher war ihr der Pałac unheimlich – es spukte, und hinter jeder Ecke konnten Hitlerowcy mit Gewehren auftauchen, behaupteten die Erwachsenen. Im Ostflügel befand sich in den 1950er Jahren Marias Kindergarten. In anderen Teilen des Gebäudes waren die Büros der PGR, der Państwowe gospodarstwo rolne (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft/ LPG), in wieder anderen lebten Familien. Der Pałac war Mittelpunkt des Sztynorter Lebens, alltäglich und zugleich voller Geheimnisse.
Text
„Lehndorff, den Namen habe ich oft gehört“, sagt Maria Zarębska. „Er war ein Graf, hieß es, sehr reich, und ihm gehörten viele Menschen.“
Text
Mit solchen Geschichten aus der Vergangenheit des Dorfes wuchs Maria auf – und mit denen ihrer ukrainischen Mutter, die in Gedanken immer noch in Podkarpackie, im
Karpartenvorland
slk. Čelná karpatská priehlbina, ces. Vněkarpatské sníženiny, ukr. Прикарпаття, eng. Outer Subcarpathia, pol. Podkarpacie Zewnętrzne, pol. Podkarpacie

Als Karpatenvorland bezeichnet man das Gebiet an der äußeren Seite des Karpatenbogens. Es ist namensgebend für die polnische Woiwodschaft Podkarpackie.

, weilte. Zuhause, das war ihr Dorf bei Przemysl, wo sie 1919 geboren wurde. Eine ethnisch gemischte Region im Südosten des Landes, in der Polen und Ukrainer lebten, bis Nationalismus und Krieg die historische Nachbarschaft zerstörten. Das Ende war die „Aktion Weichsel“ „Aktion Weichsel“ „Aktion Weichsel“ (polnisch Akcja Wisła) bezeichnet die Zwangsumsiedlung von etwa 150.000 ethnisch ukrainischen, lemkischen und bojkischen Menschen aus den polnischen Ostgebieten in die sog. „Wiedergewonnenen Gebiete“ im Westen des Landes, größtenteils im Zeitraum von April bis Juli 1947 , die Vertreibung der Ukrainer und ihre Neuansiedlung in den „wiedergewonnenen Gebieten“ „wiedergewonnenen Gebieten“ Als „wiedergewonnene Gebiete“ (polnisch Ziemie Odzyskane) bezeichnete man in Polen ab 1945 die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Volksrepublik gekommenen ehemaligen deutschen Ostgebiete einschließlich Danzig. .
 
Nie hat Marias Mutter das Trauma überwunden, jenen April 1947, als ihr Elternhaus zerstört, die Familie in einen Viehwaggon geprügelt wurde. Destination: Masuren. Maria Oryńczak, wie sie mit Mädchennamen hieß, sehnte sich zeitlebens nach den Wäldern und Bergen ihrer alten Heimat.
Text
Von ihrem Vater weiß Maria Zarębska wenig. Er war ein Pole aus
Kraków
deu. Krakau

Krakau ist die zweitgrößte Stadt Polens und liegt in der Woiwodschaft Kleinpolen im Süden des Landes. In der Stadt an der Weichsel wohnen ungefähr 775.000 Menschen. Die Stadt ist bekannt für den Hauptmarkt mit den Tuchhallen und der Wawel-Burg in der Altstadt Krakaus, welche seit 1978 zum UNESO-Welterbe gehört. In Krakau liegt die älteste Universität Polens, die Jagiellonen-Universität.

, Traktorist in der PGR und kam im Mai 1950 bei einem Arbeitsunfall ums Leben.
 
Trotz allem war Marias Kindheit und die ihrer jüngeren Schwester Stefania behütet. Mit den Mädchen und Buben aus der Nachbarschaft kamen sie gut aus.
 
Besonders beliebt war das Spiel „Polen erklärt den Krieg gegen…“. Jedes Kind wählte ein Land, und wer siegte, durfte dem Besiegten ein Stück wegnehmen. Vielerorts im traumatisierten Europa wurde es damals so oder ähnlich gespielt.
Sztynort – Sprachen, Religionen, Bräuche
Text
„Zwischen uns Kindern war kein Hass“. Anscheinend bewegten sie sich weitgehend unbefangen zwischen den verschiedenen Gruppen im Dorf, anders als die Erwachsenen, die sich privat an ihresgleichen hielten.
Text
Wie überall in der Wojewodschaft Olsztynskie war Sztynorts Bevölkerung bunt gemischt: Es gab die alteingesessenen Masuren, die das kommunistische Regime als verirrte Polen ansah und die sich größtenteils als Deutsche verstanden. Dann die Polen, die aus umliegenden Kreisen zugezogen waren, sowie die polnischen „Repatrianten“ aus den an die
Sowjetunion
eng. Soviet Union, rus. Sovetskiy Soyuz, rus. Советский Союз

Die Sowjetunion (SU oder UdSSR, Russisch: Союз Советских Социалистических Республик (СССР) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Die UdSSR wurde von ungefähr 290 Millionen Menschen bewohnt und bildete mit ca. 22,5 Millionen Quadratkilometern den größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem.

verlorenen Ostgebieten, die man je nach Herkunftsregion „Belarusen“ oder „Litauer“ nannte. Und zwangsumgesiedelte Ukrainer wie Marias Mutter; sie machten etwa 10 % der Gesamtbevölkerung der Wojewodschaft aus.
 
Ihre Mutter, beobachtete die kleine Maria, trug das Kopftuch anders als die Litauerinnen. Und die alte Masurin, die alle mit „Oma“ anredeten, kreuzte die Schürzenbänder am Rücken. Diese Frau Kielbasa sprach kaum Polnisch, auch Frau Bartnik, die Witwe des letzten gräflichen Kutschers, tat sich schwer damit. Maria fiel ein Junge namens Stefan Tymiec auf, „weil er besonders höflich war.“
Text
Sprachen und Dialekte, verschiedene Konfessionen und Bräuche – Sztynort war multikulturell. Realistisch, wie sie war, wählte Mutter Zarębskadas Polnische als Familiensprache. Ihr Chachłacki, die ukrainische Mundart aus dem Karpatenvorland, hatte keine Zukunft.
 
Selbst griechisch-katholisch, überließ sie die Töchter der römisch-katholischen Kirche. Diese hatte nach 1945 schnell und machtbewusst die meisten evangelischen Gotteshäuser Masurens erobert, prägte mit Wegkreuzen und Marienaltären die spröde Landschaft. Maria und Stefania feierten ihre erste heilige Kommunion in
Radzieje
deu. Rosengarten

Radzieje, 1417 als „Rosengarten“ gegründet, ist ein Kirchdorf in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren. Radzieje hatte im Jahr 2006 noch 510 Einwohner:innen.

, der ehemaligen Patronatskirche der Lehndorffs.
Text
Wie zu deutscher Zeit war Masuren Peripherie – „polnisch Sibirien“, an der Grenze zum russischen
rus. Kaliningradskaja Oblast, deu. Kaliningrader Gebiet, deu. Oblast Kaliningrad, rus. Калининградская область

Die Oblast Kaliningrad (rus. Калининградская область) liegt zwischen Polen und Litauen an der Ostsee. Die Oblast ist der westlichste Teil Russlands und wird von ungefähr 1 Million Menschen bewohnt. Die Hauptstadt der Oblast ist Kaliningrad (dt. Königsberg).

, fernab der Städte. In der kleinen Welt des volkseigenen Gutes waren die Möglichkeiten äußerst begrenzt. Ein Alltag zwischen Acker und Stall, unter der Regie der PGR. Ein eigener Gemüsegarten, eine Kuh, Hühner… Dem zu entfliehen, war lange Zeit kaum möglich.
 
Nur die Masuren konnten es, wie die Familie des höflichen Jungen Stefan Tymiec, dessen Mutter Deutsche war. Fast alle stellten nach und nach Anträge auf Ausreise in den Westen. Bis zur ersehnten Genehmigung blieben sie meist unter sich. Ihr stiller Exodus zog sich bis in die 1970er Jahre hin.
Text
Maria Zarębska vermisste die Masuren. Für sie selbst war Dableiben das Richtige. In den 1960er Jahren, in der Ära Gomulka, kam frischer Wind ins Dorf: Ein neuer Direktor, Władysław Kotulak, übernahm die Leitung der PGR. „Er hat hier Kultur eingeführt. Und den schlechten Ruf der PGR widerlegt, dass dort nur Taugenichtse arbeiten.“
Text
Damals bekamen die Leutehäuser fließend Wasser und ein Dach aus Eternit. Im Pałac entstand ein Club-Café - Tanzabende, jede Woche Kino, „zum Beispiel Kreuzritterfilme“. Ausflüge wurden angeboten, sogar nach
Warszawa
deu. Warschau, eng. Warsaw

Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2022: 1.861.975). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.

Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.

In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.

, ins Operettentheater. Kotulak warb für Bildung und zog gegen die Trunksucht zu Felde. „Goldene Jahre“, schwärmt Maria Zarębska. Auf Initiative des guten Direktors wurde ein kleiner Segelhafen gebaut. Für die Hiesigen - Wassersport für jedermann!
Text
Marias Mutter drängte darauf, dass die Töchter einen Mittelschulabschluss machten. Dazu mussten sie nach
Olsztyn
deu. Allenstein, lat. Holstin, lat. Allenstenium

Das heutige Stadt Allenstein/Olsztyn (Bevölkerungszahl 2022: 168.212) wurde 1353 als „Allensteyn“ an der Allna gegründet. Allenstein ist die größte Stadt Ermlands und der Sitz der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Die Stadt ist Mitglied der Europäische Route der Backsteingotik, insbesondere aufgrund seines Altstadtrings und der Burg Allenstein.

Das Bild zeigt eine Stadtansicht von Olsztyn /Allenstein auf einer Postkarte von vor 1945.

und
Węgorzewo
deu. Angerburg

Angerburg ist eine Stadt im Nordosten Polens in der Woiwodschaft Ermland-Masuren (Warmińsko-Mazurskie). Sie wird von ca. 11.000 Menschen bewohnt und liegt unweit der Grenze Polens zu Russland.

. Eigentlich wollte Maria danach ein Fernstudium der Psychologie und Pädagogik beginnen, landete jedoch im neugegründeten Institut für Agrarökonomie, mit Sitz in Sztynort.
 
Später leitete sie den Szytnorter Kindergarten, machte die Buchhaltung der PGR, mal Bankgeschäfte in Wegorzewo, was sich gerade anbot und vereinbar war mit ihrem privaten Leben. Ihre kranke Mutter brauchte sie.
 
Und Piotr, ihr Sohn, der 1980 zur Welt kam. In ihm erfüllte sich ihr sehnlichster Wunsch. Einen Mann brauchte sie nicht, sie war eine stolze ledige Mutter – ziemlich ungewöhnlich damals.
Text
Beruflich hatte sie flüchtige Kontakte zu ausländischen Touristen, die seit den 1970er Jahren kamen: Angler und Segler aus der Schweiz vor allem und aus der Bundesrepublik, darunter viele alte Masuren und zur Freude von Maria Zarębska ehemalige Steinorter.
 
Unvergesslich ist ihr der Sommer 1977, damals war sie Sekretärin des Wassersportzentrums. Gottliebe Gräfin Lehndorff kam zu Besuch mit ihrer Tochter Gabriele. Offenbar wollten sie im Schloss übernachten, „wir hatten ja Hotelzimmer hier“, und der Leiter verweigerte dies. In Frau Zarębskas Erinnerung weinte die Gräfin. Im Nachhinein machte sie sich Vorwürfe, weil sie den hohen Gästen nicht selbst ein Bett angeboten hat.
Text
In einem Brief von Gottliebe Lehndorff vom August 1977 ist diese Geschichte so überliefert: ORBIS in
Kętrzyn
deu. Rastenburg

Kętrzyn ist eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren.
1329 vom Deutschen Orden als Festung errichtet, wurde die im Deutschen namensgebende Rastenburg mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Zu preußischer Zeit war Rastenburg eine wohlhabende Garnisonsstadt. Nachdem der südliche Teil Ostpreußens nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu Polen gekommen war, erfolgte 1946 die Umbenennung in Kętrzyn. 2020 hatte Kętrzyn knapp 26.800 Einwohner:innen.

Das Bild zeigt eine im Jahr 1904 versandte Postkarte von der Stadt Kętrzyn/Rastenburg mit Burg.

hätte keine Erlaubnis für die unangemeldete Übernachtung im Schloss erteilt. „Und ich hätte es bestimmt nicht getan“, so die Gräfin, „in meinen eigenen Zimmern zu wohnen. Es ist unbeschreiblich spießig und armselig hergerichtet.“
 
Polen
eng. Poland, pol. Polska

Polen ist ein Staat in Mittelosteuropa, ein Mitglied der Europäischen Union. Unter dem heutigen Namen ist das Land seit dem 10. Jahrhundert bekannt.

steckte schon länger in einer tiefen Wirtschaftskrise. In Sztynort war die sozialistische Landwirtschaft am Ende. Mit der Gründung der Gewerkschaft Solidarność 1980 begann eine Freiheitsbewegung, die auch das Kriegsrecht nur vorübergehend stoppen konnte. Auch das Dorf wurde davon erfasst, Touristen brachten aus den Städten oppositionelle Ideen mit.
1989 - Krise und Aufbruch
Text
Damals wurde der Mauersee zum Zentrum der nationalen Segelkultur. Ferienkolonien, Segelcamps für Jugendliche aus ganz Polen erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Gekocht wurde im Pałac, angeblich war der alte gräfliche Holzherd noch in Betrieb.
 
Dann kam das Jahr 1989, Polen war frei, Europa fand wieder zusammen. Und Maria Zarębska, unternehmungslustig wie sie war, eröffnete einen Lebensmittelladen.
 
Bald wurde im „Geschäft bei Maria“ das Angebot reicher. „Papa, es gibt Chips!“ Riefen die Kinder. Sohn Piotr begeisterte sich für die hübschen deutschen Joghurtbecher. Das Wunder der Konsumgesellschaft! Wieder war sie eine wache Zeitzeugin, und auch von den Schattenseiten des Kapitalismus kann sie ein Lied singen: Im Jahr 2000 ging sie bankrott.
Text
Aufmerksam beobachtete sie, wie Sztynort sich verwandelte. Schwierige Jahre – mit der „Marina“, dem Hafen, ging es bald aufwärts, doch Arbeitsplätze gab es dort allenfalls im Sommer. Das Gemeinschaftsleben starb, der Bus in die Kreisstadt fuhr immer seltener. Und die Jugend ging fort, nach Olsztyn, Warschau, London.
 
Und der Pałac stand leer. Zum zweiten Mal nach 1945 war das Lehndorffsche Schloss verwaist, Plünderungen und Vandalismus ausgesetzt. „In einer Nacht wurde im Ostflügel der grüne Ofen gestohlen“, erinnert sich Maria Zarębska. Niemand mehr pflegte die Rosenbeete und Thujahecken, im Park machte sich Wildnis breit. Was sollte daraus werden? Es verfiel zusehends – ein Bild für die Sorgen und Ängste des Dorfes, und Projektionsfläche neuer Hoffnung.
Text
„Unser Pałac ist ein Juwel“. Als er 2009 in den Besitz der polnisch-deutschen Stiftung überging und der Gedenkstein für Heinrich von Lehndorff errichtet wurde, war Maria Zarębska froh.
 
Nicht alle im Dorf sahen es gern, dass die Nachkommen der Adelsfamilie zu Besuch kamen. Ihr hingegen war es eine Ehre, Gräfin Vera, die berühmte „Veruschka“ bei sich zu empfangen. Zum ersten Mal 2011 oder 2012: „Ich konnte ihr einen Schlüssel aus dem Pałac zurückgeben, und ein paar Münzen, die ich als Kind in einem Graben gefunden hatte.“
Text
„Alles geht viel zu langsam in Sztynort.“ Wir brauchen wieder junge Leute im Dorf, klagt sie. Auch ihr Sohn Piotr ist emigriert, lebt als Bauunternehmer auf Mallorca, baut dort Villen für reiche Engländer und Deutsche. „Er ist so wie ich, ein Raptus, ein Hitzkopf, mit vielen Ideen. Aber er hat mehr Geduld bei der Umsetzung.“ Vor vier Jahren hat sie ihn und seine Frau Justyna - auch sie eine Sztynorterin - besucht. Voller Stolz zeigt sie einen Prospekt der glamourösen Häuser.
 
„Vielleicht kommen die beiden zurück nach Sztynort?“
 
In diesem Sommer jedenfalls sind Sohn und Schwiegertochter bei ihr und helfen beim Einkochen.

Siehe auch