Wie heißt der Astronom, der das heliozentrische Weltbild eingeführt hat? Von der Sache her kann es darauf nur eine Antwort geben. Ihr genauer Wortlaut aber, die Schreibweise des Namens Kopernikus, variiert stark, je nachdem wohin man schaut.
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Kopernikus selbst führte, wie es im 16. Jahrhundert noch häufig vorkam, keine einheitliche Schreibweise seines Namens. In Dokumenten und Aufzeichnungen über ihn sind unzählige weitere Schreibweisen zu finden. Dennoch blieb die Wahl einer Namensvariante in der späteren Rezeption von Kopernikus nur selten dem Zufall überlassen: Die Entscheidung für oder gegen eine Schreibweise war oft auch eine Positionsbestimmung in der Frage, wer Kopernikus war und was er repräsentierte.
Niklas Koppernigk
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Koppernigk ist eine der Schreibweisen, die für die deutschsprachige Familie von Kopernikus belegt sind. Er erhielt den Namen seines Vaters, eines Kaufmanns, der um 1455 aus Krakau nach Thorn gezogen war, also Niklas Koppernigk der Jüngere. Mit direktem Bezug auf Kopernikus ist diese Namensform in den Quellen allerdings kaum zu finden. Dennoch wurde sie verwendet, insbesondere von deutschen Kopernikus-Biographen wie Leopold Prowe, wenn es um die Herkunft von Kopernikus aus dem deutsch sprechenden Bürgertum von Thorn ging.
Nicolaus Copernicus
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Mit seinem Studium und seinem Eintreten in akademische und kirchliche Kreise beginnt Kopernikus, eine latinisierte Schreibweise seinen Namens zu verwenden. Für humanistische Gelehrte in der Zeit um 1500 entsprach das einer verbreiteten Praxis.
In der transnationalen Kommunikation der Wissenschaft ist diese Schreibweise heute zum Standard geworden. Für sie spricht nicht nur, dass sie – wenn auch keineswegs als einzige – in eigenhändigen Schriftzügen von Kopernikus überliefert ist. Auch auf dem Titelblatt der 1543 erschienenen, von Kopernikus’ engem Vertrauten Georg Joachim Rheticus betreuten Erstausgabe von De Revolutionibus ist der Autorenname in dieser Form angegeben.
Die Variante „Coppernicus“
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Wie der Kopernikus-Biograph Leopold Prowe nachgewiesen hat, schrieb Kopernikus seinen Namen häufig mit Doppel-P. Das vermeintlich besonders deutsche Erscheinungsbild dieser Variante führte dazu, dass sie zeitweilig im deutsch-nationalen Kontext bevorzugt wurde. Der 1854 gegründete Kopernikus-Verein für Wissenschaft und Kunst zu Thorn übernahm die Schreibweise „Coppernicus“ 1878 in seinem Namen. Noch vor Kopernikus’ 400. Todestag im Jahr 1943 entbrannte zwischen verschiedenen Behörden und Amtsträgern des nationalsozialistischen Deutschland ein Streit um das Für und Wider des Doppel-P.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat diese Namensvariante durch neue Quellenstudien und den internationalen Austausch zusehends in den Hintergrund. Die 1961 in Münster in der Nachfolge des alten Thorner Vereins gegründete Coppernicus-Vereinigung ging Anfang der 1970er Jahre zur Schreibweise „Copernicus“ über.1
Mikołaj Kopernik
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Für das seit 1795 als Staat nicht mehr existierende Polen wurde Kopernikus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ein Symbol nationaler Identität entdeckt. Die in Polen seitdem – und bis heute – bevorzugte Schreibweise Kopernik lässt sich ebenso wie andere Varianten aus den Quellen ableiten, der polnische Vorname Mikołaj trat als eine Neuschöpfung hinzu. In den anderen slawischen Sprachen ist diese Schreibweise übernommen worden.
Eine Abweichung von dieser Schreibweise ist auf dem berühmten Gemälde von Jan Matejko zu finden, das Kopernikus auf dem von ihm bewohnten Turm im Frauenburger Dombezirk zeigt: Die als Bild im Bild zu sehende Darstellung des heliozentrischen Systems ist hier mit „Mikołaj Copernik“ unterzeichnet.
Nikolaus Kopernikus
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Die modernisierte deutsche Schreibweise „Kopernikus“ wurde vermutlich 1776 von Johann Gottfried Herder in der Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ erstmalig verwendet. Als Immanuel Kant in der Vorrede zur 1787 erschienenen zweiten Auflage der Critik der reinen Vernunft seine eigene Weiterentwicklung der Erkenntnistheorie mit Kopernikus’ Übergang zum heliozentrischen Weltbild verglich, benutzte er zwar die Namensvariante mit zwei C, dennoch ist Kants neuer Ansatz in deutschsprachigen Philosophie-Lehrbüchern bis heute als „kopernikanische Wende“ verzeichnet.
Laut der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Ritter stehen „Kopernikus“ und das Adjektiv „kopernikanisch“ heute für ein abstraktes Kulturerbe und ein allgemeines Prinzip, das sich ablöst von der historischen Person des Nikolaus Kopernikus.
Nicolas Copernic, Niccolò Copernico
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Auch in anderen europäischen Sprachen wurden kopernikanische Namensvarianten gebildet. Sie zeigten an – ähnlich wie die Exonyme, mit denen Städte von Außen her belegt wurden (z.B. Munich für München)2 –, dass eine Beziehung zu dem benannten Gegenstand oder der jeweiligen Person bestand. So wurde Kopernikus auch in Frankreich und Italien bereits frühzeitig wenn nicht als Teil der eigenen, dann doch als eine Figur der universellen (Welt-)Geschichte betrachtet.
Im Französischen ist Kopernikus bis heute als Nicolas Copernic bekannt. Diese Schreibweise lässt sich mindestens bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Bemerkenswerterweise erschien „Copernic“ auch in dem auf Französisch unterhaltenen Briefwechsel zwischen dem preußischen König Friedrich II. und dem Schriftsteller Voltaire: In einem Brief vom 12. August 1773, also kurz nach dem Vollzug der ersten Polnischen Teilung, schrieb Friedrich, er wolle „in einer kleinen Stadt im Ermland“ – gemeint ist Frauenburg – „ein Denkmal auf dem Grab des berühmten Copernic errichten“.3
In Italien ist die Schreibweise Niccolò Copernico gebräuchlich. Zu der Etablierung dieser Namensvariante könnte die Tatsache beigetragen haben, dass Kopernikus seine Studienzeit in Italien verbracht hat, was bereits im 19. Jahrhundert u.a. an der Universität Bologna als Teil eines eigenen Erbes wahrgenommen worden ist.