Was verbirgt sich hinter dem Schlagwort „Kunstschutz“ im Ersten Weltkrieg? Inwiefern waren Kunsthistoriker und weitere Geisteswissenschaftler in die Kriegstaktik miteinbezogen? Das Forschungsprojekt „Kunsthistoriker der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg“ untersucht komparatistisch das Vorgehen und die Forschungsinteressen der beteiligten Wissenschaftler an den verschiedenen Kriegsschauplätzen.
Kunsthistoriker der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg - Apologeten der Vernichtung oder "Kunstschützer"?
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Bereits in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs kam es an den Fronten zu großen Verlusten an Bausubstanz und Kunstdenkmälern. Deutsche Truppen waren verantwortlich für die Zerstörung der historischen Zentren von Ypern in Belgien und von 
Kalisz
deu. Kalisch

Die polnische Kreisstadt Kalisz wurde erstmals um 150 n. Chr. in Urkunden erwähnt und wird daher als älteste Stadt Polens bezeichnet. Sie liegt im Tal der Prosna in der Woiwodschaft Großpolen. Im 16. und 17. Jahrhundert galt Kalisz als eine der bedeutendsten Städte des Königreiches. 1793 wurde Kalisz im Zuge der zweiten Teilung Polen-Litauens Teil Preußens. Zwischen 1807 und 1815 gehörte Kalisch zum napoleonischen Herzogtum Warschau, dessen Gebiete 1815 an das Russische Reich fielen. Kalisch wurde Teil des sog. Kongresspolens und erlebte in den folgenden Jahren eine wirtschaftliche Blüte. Im Ersten Weltkrieg wurde die Stadt fast gänzlich durch deutsche Truppen zerstört. In den 1920er und 1930er Jahren wurden große Teile der Stadt wiederaufgebaut.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt Teil des sog. Warthelandes und war der rigorosen Germanisierungspolitik des nationalsozialistischen Deutschen Reiches ausgesetzt. Zum einen wurde die jüdische Bevölkerung, die bis dahin nicht Opfer von Erschießungen oder Deportationen in Konzentrations- oder Vernichtungslager geworden war, ghettoisiert, später - nach Auflösung des Ghettos 1942 - ins Ghetto Litzmannstadt verbracht. Zum anderem wurden große Teile der polnischen Bevölkerung deportiert, um Platz für die in "Heim ins Reich"-Aktionen aus dem Baltikum, Siebenbürgen oder der Bukowina hier anzusiedelnde deutsche Bevölkerung zu machen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Kalisz zur Volksrepublik Polen, seit 1990 zur 3. polnischen Republik.

 im russischen Teilungsgebiet Polens sowie für die Beschießung der Kathedrale von Reims. Russische Offensiven verwüsteten Kleinstädte und Dörfer in 
Ostpreußen
eng. East Prussia, pol. Prusy Wschodnie, lit. Rytų Prūsija, rus. Восто́чная Пру́ссия, rus. Vostóchnaia Prússiia

Ostpreußen ist der Name der ehemaligen, bis 1945 bestehenden östlichsten preußischen Provinz, deren Ausdehnung (ungeachtet historisch leicht wechselnder Grenzverläufe) ungefähr der historischen Landschaft Preußen entspricht. Die Bezeichnung kam erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch, als neben dem 1701 zum Königreich erhobenen Herzogtum Preußen mit seiner Hauptstadt Königsberg weitere, zuvor polnische Gebiete im Westen (beispielsweise das sog. Preußen Königlichen Anteils mit dem Ermland und Pommerellen) zu Brandenburg-Preußen kamen und die neue Provinz Westpreußen bildeten.
Heutzutage gehört das Gebiet der ehemaligen preußischen Provinz überwiegend zu Russland (Oblast Kaliningrad) und Polen (Woiwodschaft Ermland-Masuren). Das ehemalige sog. Memelland (auch Memelgebiet, lit. Klaipėdos kraštas) kam erstmals 1920 und erneut ab 1945 zu Litauen.

 und in 
Galizien
yid. גאַליציע‎, yid. Galitsiye, ron. Halici, ron. Galiția, hun. Halics, hun. Gácsország, hun. Kaliz, hun. Galícia, ces. Halič, slk. Halič, eng. Galicia, rus. Галиция, rus. Galizija, ukr. Галичина, ukr. Halytschyna, pol. Galicja

Galizien ist eine historische Landschaft, die sich heute nahezu vollständig auf dem Gebiet Polens und der Ukraine befindet. Der heute südostpolnische Teil wird dabei üblicherweise als Westgalizien, der westukrainische als Ostgalizien bezeichnet. Vor 1772 gehörte Galizien über Jahrhunderte zur polnisch-litauischen Adelsrepublik, im Anschluss und bis 1918 - als Teil des Kronlandes "Königreich Galizien und Lodomerien" - zum Habsburgerreich.

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Das Vorgehen in Belgien und Frankreich wurde von den Entente-Staaten als Werk der „deutschen Barbaren“ angeprangert. Unter wachsendem Propagandadruck folgte die Reichsregierung dem maßgeblich von Paul Clemen entwickelten Konzept eines „Kunstschutzes", der das kulturelle Ansehen Deutschlands wiederherstellen sollte: Deutsche Wissenschaftler sollten in den eroberten Gebieten erste Sicherungsmaßnahmen vornehmen, Zerstörungen dokumentieren, Kunstdenkmäler erforschen sowie Planungen zum Wiederaufbau erstellen. Vor allem aber sollten diese Tätigkeiten einer internationalen Öffentlichkeit kommuniziert werden. 
Österreich-Ungarn
deu. Donaumonarchie, deu. Doppelmonarchie, deu. Habsburgerreich, deu. Habsburgisches Reich, deu. Habsburgermonarchie, hun. Osztrák-Magyar Birodalom, eng. Austria-Hungary, eng. Austrian-Hungarian Monarchy, eng. Austrian-Hungarian Empire

Österreich-Ungarn (ung. Osztrák-Magyar Monarchia), auch als k. u. k. Monarchie bekannt, war ein historischer Staat in Mittel- und Südosteuropa, der von 1867 bis 1918 bestand.

 schloss sich diesem Konzept an, auch die beiden anderen Mittelmächte 
Bulgarien
eng. Bulgaria, bul. Bŭlgariya, bul. България

Bulgarien ist ein südosteuropäischer Staat und wird von ungefähr 7 Millionen Menschen bewohnt. Sofia ist die Hauptstadt der Republik und größte Stadt des Landes. Bulgarien liegt am Schwarzen Meer im östlichen Teil der Balkanhalbinsel. Zu den größten Flüssen des Landes gehören die Donau und Mariza.

 und das 
Osmanisches Reich
eng. Ottoman Empire, tur. Osmanlı İmparatorluğu, deu. Ottomanisches Reich

Das Osmanische Reich war der Staat der osmanischen Dynastie von ca. 1299 bis 1922. Der Name leitet sich vom Gründer der Dynastie, Osman I., ab. Der Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs ist die Republik Türkei.

 wirkten an einigen Stellen zusammen.
Forschungslage
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Während zu den Aktivitäten des „Kunstschutzes“ in Belgien und Frankreich bereits fundierte Forschungen vorliegen, fehlen sie für die Regionen Ostmittel- und Südosteuropas fast gänzlich.
An diesem Punkt setzt das in Kooperation mit dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas (GWZO, Leipzig) und internationalen Partnern realisierte Projekt an: Es untersucht in vergleichender Perspektive, welche Forschungsinteressen die Kunsthistoriker auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen leiteten, welche Schutz- und Wiederaufbaumaßnahmen sie tatsächlich initiierten, ob und in welcher Form es zu Kooperationen mit Fachkollegen in den jeweiligen Ländern kam. Zu fragen ist dabei auch nach gegenläufigen Konzepten bzw. Interferenzen mit Wiederaufbauprojekten nach Kriegsende, beispielsweise in 
Polen
eng. Poland, pol. Polska

Polen ist ein Staat in Mittelosteuropa, ein Mitglied der Europäischen Union. Unter dem heutigen Namen ist das Land seit dem 10. Jahrhundert bekannt.

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Die Fragestellungen richten sich zudem auf die Langzeitwirkungen der während des Krieges entwickelten Forschungsprämissen in der Kunsthistoriographie der Zwischenkriegszeit („Ostforschung“). Dabei ist insbesondere auch die Rolle der im Zuge der Forschungskampagnen des Ersten Weltkrieges entstandenen Fotosammlungen zu untersuchen: Die in wissenschaftlichen und populären Bänden publizierten Bilder prägten den Blick der deutschen Öffentlichkeit offenbar nachhaltig.
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