Nur vorsichtig und erst im Lauf mehrerer Jahrzehnte verbreitete Nikolaus Kopernikus seine Überzeugung, dass die Sonne im Mittelpunkt der Planetenbahnen steht. Eine große „Wende“ oder „Revolution“ hatte er selbst damit allerdings nicht einleiten wollen – und zunächst wurde seine Lehre so auch gar nicht aufgefasst.
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Nikolaus Kopernikus, der einen tiefgreifenden Wandel in der
Kosmologie
Kosmologie
Stern-, Himmelskunde als exakte Naturwissenschaft
einleiten sollte, nichts weniger als die ‚Vertreibung‘ der Erde aus dem Mittelpunkt der Welt, war nicht in erster Linie Astronom. An der Universität war er formal im Kirchenrecht ausgebildet, nebenbei hatte er auch Medizin studiert. Sein Leben war ausgefüllt von kirchlichen Verwaltungsaufgaben. Schon zu Beginn seiner Studienjahre in Krakau kam Kopernikus aber mit der Astronomie in Kontakt und betrieb sie bis zu seinem Tod intensiv weiter.
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Das um 1500 allgemein gültige Weltbild – sowohl in Europa, als auch bei den arabischen Astronomen – ging zurück auf den griechischen Gelehrten Claudius Ptolemäus, der im zweiten Jahrhundert n. Chr. lebte. Mit seiner Lehre schloss er in den Grundsätzen an Aristoteles an: Die Erde setzte Ptolemäus gleichfalls in den Mittelpunkt des Universums, umkreist von den Planeten. Als sogenannte „Wandelsterne“ sollten sich diese gleichmäßig und kreisförmig um die Erde bewegen, befestigt an kristallenen Schalen. Jenseits davon sollte sich die Sphäre der im Verhältnis zu den Planeten unbeweglichen Fixsterne befinden. Allerdings ließen sich die beobachtbaren Himmelserscheinungen nicht mit dieser einheitlichen Vorstellung zusammenbringen. Insbesondere die sogenannte retrograde Bewegung, nämlich dass die Planeten in manchen Phasen eines Jahres am Himmel zurückzulaufen scheinen, stimmte nicht mit dem aristotelischen Idealbild überein.
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Das Ptolemäische System, wie es in dem für die Astronomie bis ins 16. Jahrhundert grundlegenden Buch Almagest dargestellt war, antwortete auf diese Schwierigkeiten mit einer Reihe von subtilen Korrekturen: Die Planeten vollführten hier bei ihrem Lauf um die Erde noch kleinere kreisförmige Bewegungen um ihre große Kreisbahn herum (die Epizykel). Die Erde war etwas aus dem exakten Zentrum des Systems gerückt und es wurde zusätzlich ein imaginärer Punkt definiert (der Equant), von dem aus alle Bewegungen perfekt gleichmäßig erschienen. Mit diesem geometrischen System konnten die Planetenpositionen für jeden beliebigen Zeitpunkt vorausgesagt werden und zugleich wurden „die Phänomene gerettet“: Die faktischen astronomischen Beobachtungen widersprachen nicht länger den grundsätzlichen Überzeugungen.
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Astronomen aus den Generationen vor Kopernikus erkannten jedoch bereits die Mängel des Ptolemäischen Systems. Stellenweise ließen die Vorhersagen an Genauigkeit zu wünschen übrig und in philosophischer Hinsicht wurde die Vorstellung, dass sich die Planeten auf den Epizykeln nicht ebenfalls mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegten, als unbefriedigend empfunden. Wie Kopernikus wahrscheinlich zwischen 1508 und 1510 zu der Idee gelangte, nun die Sonne in den Mittelpunkt des Planetensystems zu setzen, lässt sich nicht genau rekonstruieren: Keineswegs ging diese Lösung aus zuvor beobachteten Problemen direkt hervor und es ist unklar, ob Kopernikus ältere heliozentrische Theorien (z.B. des antiken Astronomen Aristarch) bekannt waren.
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Für das Jahr 1514 ist dann die Existenz einer Schrift von Kopernikus belegt, der sogenannte Commentariolus (Kleiner Kommentar), von dem allerdings erst in den 1870er Jahren eine Kopie entdeckt wurde. Dieses Traktat wurde von Kopernikus nicht veröffentlicht, sondern wahrscheinlich nur in Abschriften an einige Vertraute und an andere Astronomen weitergegeben. Im Commentariolus erklärt Copernicus, dass „viele unterschiedliche Erscheinungen am Himmel“ nur „von der Erde“ herrührten: „Allein deren Bewegung“ sei als die Ursache anzusehen. „Der Mittelpunkt der Welt“ befinde sich „bei der Sonne“: „So kehrt ja Saturn im 30. Jahr und Jupiter im zwölften, Mars im dritten Jahr und die Erde in einjähriger Umwälzung zur Ausgangsstelle zurück; Venus vollendet im neunten Monat und Merkur im dritten eine Umwälzung.“1 Es war die erste Beschreibung des Sonnensystems.
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Dieses Modell verfeinerte Kopernikus in den folgenden zwei Jahrzehnten. Er arbeitete an einem großen zusammenfassenden Buch unter dem Titel De Revolutionibus, unternahm aber keine Schritte zu dessen Publikation. Als Grund dafür wird heute angenommen, dass er sich vor den Gelehrten zu blamieren fürchtete, weniger ein möglicher Widerstand der katholischen Kirche, wie man aus der späteren Gegnerschaft Roms zur kopernikanischen Lehre schließen könnte. Auch als Kopernikus’ einziger Schüler Georg Joachim Rheticus im Jahr 1540 einen ersten Bericht über das heliozentrische Modell, die Narratio prima, in Danzig drucken ließ, verursachte das keine Unruhe. Dank intensiver Mithilfe von Rheticus konnte 1543, erst kurz vor dem Tod von Kopernikus, sein Hauptwerk herausgebracht werden, das unter dem von Kopernikus so nicht autorisierten Titel De revolutionibus orbium coelestium libri sex (Sechs Bücher über die himmlischen Umschwünge) erschien. Andreas Osiander, der Bearbeiter, der diese Veränderung vorgenommen hatte, ergänzte auf dem Titelblatt auch einen Kommentar, der den Inhalt des Buches als bloße Hypothese und astronomische Rechenhilfe darstellte.
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Wie der amerikanische Astronomie-Historiker Owen Gingerich nachgewiesen hat, wurde bereits die erste Auflage von De Revolutionibus von vielen Gelehrten gelesen, zum Beispiel von dem vatikanischen Astronomen Christoph Clavius. Doch in der Regel wurde die Schrift als ein „Rezeptbuch“2 für die astronomische Praxis behandelt, so wie es der Kommentar von Osiander nahegelegt hatte, obwohl das Buch eine beeindruckende grafische Darstellung des Sonnensystems enthielt. Laut Gingerich dachte die Mehrheit der Astronomen des 16. Jahrhunderts, dass allein die Abschaffung des Equanten die große Errungenschaft von Kopernikus gewesen sei. Vermutlich war es für die Zeitgenossen ungeheuer schwierig, sich die Erde, auf der sie sich befanden, als einen bewegten Himmelskörper vorzustellen, wo doch von dieser Bewegung nichts zu spüren war. Dieser Gedanke widersprach auch der Bibel, denn in Psalm 104,5 heißt es: „Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet, in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken“.
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Kopernikus und Rheticus verstanden das neue Bild des Planetensystems aber als durchaus real. Dennoch sah sich Kopernikus nicht als fundamentaler Erneuerer. Im Gegensatz zu späteren Interpretationen seiner Lehre formulierte er selbst nicht bewusst einen Widerspruch gegenüber der Theologie. Darauf hat erst vor Kurzem der Philosoph Jürgen Habermas in seinem umfangreichen Werk Auch eine Geschichte der Philosophie hingewiesen, das sich mit dem Verhältnis von Religion und Philosophie befasst. Mit Blick auf Kopernikus, aber auch auf die Astronomen Galileo Galilei und Johannes Kepler, die später an ihn anschlossen, schreibt Habermas: „Die mithilfe von induktivem Verfahren und Experiment gewonnenen, mathematisch formulierten Naturgesetze drängen sich uns aus dem Rückblick als die markante Neuerung auf.“3 Das „philosophische Selbstverständnis der großen Forscher und Entdecker“ habe sich aber „noch im Horizont der Überlieferung“4 bewegt: „Gläubige Christen waren sie alle. […] Diese Forscher machten keinen Versuch, die neue Konzeption der Naturgesetze vom christlichen Hintergrund ihres Weltverständnisses abzulösen.“5
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Andreas Kühne, Wissenschaftshistoriker und Mitherausgeber der 2019 abgeschlossenen Münchener Kopernikus-Gesamtausgabe, sagt, Copernicus sei ein konservativer Revolutionär gewesen, denn er habe das heliozentrische Weltbild eben nicht mit „Implikationen für den Status des Menschen in der Gesellschaft und der Welt“ aufgeladen. In diesem Sinne sei Copernicus selbst noch „kein Kopernikaner“ gewesen.6