Das Forschungsprojekt untersucht den Einfluss kultureller Faktoren wie Nation, Sprache und Konfession, des Ausbildungsortes und der Gesellschaft auf Erfindungen und die Entwicklung bestimmter Denkweisen polnischer Wissenschaftler im 20. Jahrhundert, die nicht in Polen ausgebildet wurden.
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Im Zentrum der Untersuchung stehen die Lebensläufe von polnischen Wissenschaftlern und Experten, die vor 1918 in nicht-polnischen Strukturen West- oder Osteuropas ausgebildet worden sind und dort begonnen hatten, in ein universitäres oder industrielles Arbeitsleben einzutreten. Nach 1918 kehrten sie in das wieder erstandene Polen zurück, ein Land, das mit der Wiedergründung nach dem Ersten Weltkrieg technologisches und wirtschaftliches Expertenwissen benötigte und neue Funktionseliten ausbildete. Dazu gehörten zum Beispiel der Chemiker und Metallforscher Jan Czochralski, der maßgeblich an der Erfindung einer Methode zur Siliziumgewinnung beteiligt war genauso wie der Mikrobiologe und Serologe Ludwik Hirszfeld, auf den unter anderem die Einteilung der Blutgruppen zurückgeht.
Anhand solcher Biographien soll inhaltlich und methodologisch nach dem – für die Ausbildung ihrer Expertise oftmals unentbehrlichen – Wissenstransfer durch Migration oder andere Bewegung von Menschen über Grenzen hinweg gefragt werden. Dies beinhaltet, der transnationalen Wissenskommunikation und ihrer Auswirkung auf technologische Innovation oder medizinischen Fortschritt sowie dem Spannungsverhältnisses zwischen Nationalismus und dem universalen Ethos der Natur- und Technikwissenschaften nachzugehen. Anhand der nicht linearen und von Brüchen gekennzeichneten Biographien dieser Wissenschaftler, die oftmals in zwei bzw. mehreren Wissenschaftskulturen zu Hause waren, soll herausgefunden werden, aufgrund welcher Erfahrungen, warum und wie bestimmte Fortschritte, Denkstile bzw. Erfindungen entstanden sind und welchen Einfluss Faktoren wie Nation, Sprache, aber auch Konfession, der Ort der Ausbildung und die umgebende Gesellschaft sowie ihre Kultur darauf ausgeübt haben. 
Die Träger neuer Erkenntnisse gewannen dabei im 20. Jahrhundert im Zuge der zunehmenden Verwissenschaftlichung von Wirtschaft, Gesellschaft und auch Politik zunehmend an Bedeutung. In einer immer komplexeren Welt mussten Entscheidungen durch qualifiziertes Personal abgesichert werden, wiewohl dieses Personal die Probleme, die dann Entscheidungen erzwingen sollen, gelegentlich selbst erst generierte, um die entsprechende Expertise bereitstellen zu können. Ein „Experte“ ist daher immer auch ein Produkt von kulturellen Zuschreibungen, kommunikativen Aushandlungen und politischen Faktoren. Expertenwissen wird nicht völlig getrennt von gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten geschaffen und erst im Anschluss öffentlich, sondern hier ist von komplexen, wechselseitigen Verflechtungs- und Aushandlungsprozessen auszugehen. Für die Mobilisierung von Expertenwissen waren jeweils spezifische Konstellationen, Strukturen und Dispositionen vonnöten, in denen ein Experte in der Lage sein konnte, seiner Expertise den Status eines universalen und allgemeinen Wissens zu geben. Auch diesen Kontexten möchte das Forschungsprojekt nachgehen, indem es danach fragt, warum bestimmte Experten zu bestimmten Zeiten erfolgreich oder eben auch weniger erfolgreich waren. 
Solche Fragestellungen sind von hoher Relevanz für das Verständnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Umbrüche zur Moderne. Da es in dem Projekt immer wieder um die jeweiligen Kontakte zu Westeuropa gehen wird (ohne davon auszugehen, dass die westliche Erfahrung von Modernisierungsgeschichte den entscheidenden Maßstab für die Klassifizierung einer angenommenen Rückständigkeit in Osteuropa bildet) sind Ergebnisse zu erwarten, die sich auf gesamteuropäische Entwicklungen beziehen und mit den Themenkomplexen „Wissenstransfer“ und „Transnationalität“ Ansätze berühren, denen in der heutigen historischen Forschung sowohl inhaltlich als auch methodologisch große Bedeutung eingeräumt wird, deren empirische Ausgestaltung in der konkreten Forschung bislang aber noch zu kurz gekommen ist. Zum Abbau dieses Defizits möchte dieses Forschungsprojekt einen Beitrag leisten. 
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