Die Auseinandersetzung mit Kopernikus war in den vergangenen zwei Jahrhunderten ein zentrales Spielfeld deutsch-polnischer Beziehungen. Kristallisationspunkte bildeten dabei Gedenkjahre zu Geburts- und Todestagen des Astronomen.
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Als Polen und Deutsche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kopernikus als zentrale Figur ihres kulturellen Erbes entdeckten, wurden die Grundlagen für konkurrierende nationale Erinnerungskulturen gelegt. Es entstand eine erste Welle von Kopernikus-Denkmälern, mit denen Kopernikus in der Regel exklusiv für die deutsche oder polnische Geschichte in Anspruch genommen wurde. Die zur gleichen Zeit einsetzende Forschung zu Kopernikus’ Leben, seinen kirchlichen Ämtern und seiner astronomischen Lehre war ebenfalls mehr oder weniger stark von nationalen Sichtweisen geprägt. Darüber hinaus entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den Kopernikus-Biografien des deutschen Gymnasiallehrers Leopold Prowe sowie des polnischen Wissenschaftshistorikers Ludwik Antoni Birkenmajer Studien, die bis heute als Standardwerke gelten.
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Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erreichte laut der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Ritter „die Auseinandersetzung um Kopernikus ihren Höhepunkt“.1 Das nationalsozialistische Deutschland zelebrierte 1939 mittels einer Kant-Kopernikus-Woche in Königsberg das vermeintliche Deutschtum des Astronomen. Populäre Romane verorteten Kopernikus gleichfalls in einem „deutschen Osten“. Für die polnische Bevölkerung dagegen hatte der Widerstand gegen die deutschnationale Umdeutung polnischer Kopernikus-Denkmäler eine hohe symbolische Bedeutung. Zum 400. Todestag von Copernicus am 24. Mai 1943 fand in der New Yorker Carnegie Hall eine Gala statt, die von einer polnischen Stiftung initiiert worden war und die zugleich als Solidaritätskundgebung für das besetzte Polen angelegt war. Unmittelbar nach Kriegsende wurde in Kopernikus’ Geburtsstadt Toruń die neugegründete polnische Universität nach ihm benannt. Das Jahr 1953 wurde von der kommunistischen Parteiführung dann zum Kopernikusjahr erklärt, um die 1943 wegen des Zweiten Weltkrieges ausgefallenen polnischen Gedenkfeiern nachholen zu können.
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Für die neuere Rezeptionsgeschichte von Nikolaus Kopernikus stellt das Jahr 1973 einen Kristallisationspunkt dar: Die UNESCO erklärte dieses anlässlich des 500. Geburtstages von Kopernicus zum internationalen Gedenkjahr. Dieser internationale Rahmen wurde mit vielfältigen Inhalten und Aktionen gefüllt: „Von Chicago bis Tokyo, von Santiago in Chile bis Kalkutta begehen daher Menschen festlich das Gedenken an Kopernikus, werden Kongresse gehalten, Ausstellungen gezeigt, Filme gedreht, Münzen geschlagen und Briefmarken gedruckt“2, wie in einem Rückblick zum Ende des Kopernikus-Jahres festgehalten wurde. In der Wissenschaft nahmen Langzeitprojekte und akademische Karrieren hier ihren Ausgang: Owen Gingerich, heute einer der angesehensten Kopernikus-Spezialisten, wurde laut eigenen Aussagen angeregt durch das bevorstehende Jubiläum, sich als junger Astrophysiker Anfang der 1970er Jahre zum Historiker der Astronomie zu entwickeln..
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Im Gedenkjahr 1973 zeigten sich noch einmal konkurrierende Interpretationen der historischen Figur Kopernikus. Deutlich wird das insbesondere mit dem Blick auf die Feierlichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und in Polen. Dabei spielten sowohl die aus dem 19. Jahrhundert überlieferten nationalen Deutungsmuster wie auch die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West eine Rolle. Doch zugleich ergaben sich auch einige Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Wissenschaftlern und es entstanden erste Ansätze zur Deutung von Kopernikus als „Europäer“ bzw. „europäisches Erbe“. Heute zeugt u.a. die Benennung des von Satellitendaten wie auch bodengebundenen Messstationen gespeisten Europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus vom Erfolg dieses Interpretationsrahmens: Kopernikus ist, wie Elisabeth Ritter ironisch angemerkt hat, geradezu zum „Übereuropäer“3  stilisiert worden.

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