Die heutige litauische Hauptstadt Vilnius (dt. Wilna) war nicht nur lange Zeit Teil eines hybriden, polnisch-litauischen Staates, sondern wurde darüber hinaus über Jahrhunderte durch unterschiedlichste Kulturen geprägt. Exemplarisch sichtbar wird dies in ihren Sakralbauten mit ihrem vielfach multiethnischen und multikonfessionellen Charakter.
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Die barocke Sakralarchitektur der litauischen Hauptstadt 
Vilnius
deu. Wilna, rus. Вильнюс, rus. Wilnjus, yid. ווילנע, yid. Wilne, bel. Вільня, bel. Wilnja, pol. Wilno

Vilnius ist die Hauptstadt und bevölkerungsreichste Stadt Litauens. Sie liegt im südöstlichen Teil des Landes an der Mündung der namengebenden Vilnia (auch Vilnelė) in die Neris. Wahrscheinlich bereits in der Steinzeit besiedelt, datiert die erste schriftliche Erwähnung auf 1323; Magdeburger Stadtrecht erhielt Vilnius 1387. Von 1569 bis 1795 war Vilnius Hauptstadt des litauischen Großfürstentums in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Mit der dritten Teilung von Polen-Litauen verlor sie im Russischen Zarenreich diese Funktion. Erst durch die Gründung der Ersten Litauischen Republik 1918 wurde Vilnius kurzzeitig erneut Hauptstadt. Zwischen 1922 und 1940 gehörte Vilnius zur Republik Polen, weshalb Kaunas zur Hauptstadt Litauens ausgebaut wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg war Vilnius bis zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens 1990 Hauptstadt der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

Bereits im Mittelalter galt Vilnius als Zentrum der Toleranz. Insbesondere Juden fanden in Vilnius Zuflucht vor Verfolgung, so dass sich Vilnius bald als "Jerusalem des Nordens" einen Namen machte. Nicht zuletzt mit dem Goan von Wilna, Elijah Ben Salomon Salman (1720-1797), war Vilnius eines der bedeutendsten Zentren jüdischer Bildung und Kultur. Bis zur Jahrhundertwende war die größte Bevölkerungsgruppe die jüdische, während laut der ersten Volkszählung im russischen Zarenreich 1897 lediglich 2% der litauischen Bevölkerungsgruppe angehörten. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden zahlreiche barocke Kirchen, die der Stadt auch den Beinamen "Rom des Ostens" eintrugen und die bis heute das Stadtbild prägen, während die zahlreichen Synagogen der Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Zwischen 1941 und 1944 unterstand die Stadt dem sog. Reichskommissariat Ostland. In dieser Zeit wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet, nur wenige konnten fliehen.

Auch heute noch zeugt die Stadt von einer "phantastische[n] Verschmelzung von Sprachen, Religionen und nationalen Traditionen" (Tomas Venclova) und pflegt ihre vielkulturelle Geschichte und Gegenwart.

 ist ein einzigartiges Phänomen in der Kunst- und Architekturgeschichte Ostmitteleuropas: Sie bildet in besonderer Weise den multiethnischen und multikonfessionellen Charakter (städte)baulich ab. Mit der im Vergleich zu anderen Ländern Ostmitteleuropas frühen Rezeption des westeuropäischen (vorwiegend italienischen) Barock sowie der Ausbildung einer eigenen Architekturschule bietet sich eines der anschaulichsten Beispiele frühneuzeitlichen Kulturtransfers. Der Vilniuser Fotograf Kęstutis Stoškus (geb. 1951) zeigt in seinen Bildern zwei Aspekte: Verfall und Erneuerung der Sakralbauten. Er ist dabei an dem tieferen Sinn, an den poetischen Aspekten der Prozesse interessiert. Gleichzeitig handelt es sich bei den Aufnahmen um eine Dokumentation des Umgangs mit dem kulturellen Erbe in einem Land, das eine äußerst wechselvolle Geschichte durchlebt hat. Für die Rückbesinnung der heutigen Republik Litauen auf das gemeinsame europäische Erbe sind Geistesgeschichte und Kultur von zentraler Bedeutung und die Dokumentation sowie Pflege der Baudenkmäler sichtbarer Ausdruck.
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