Schwarzmeerdeutsche erleben im Zweiten Weltkrieg zwei Diktaturen: die sowjetische und die nationalsozialistische. In der einen werden sie „als Feinde des Volkes“ verfolgt, in der anderen gelten sie als „Volksgenossen“. Das Regionalhistorische Museum Odessa und das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte beleuchten in einer gemeinsamen Ausstellung erstmals die Erfahrungen der Schwarzmeerdeutschen innerhalb der beiden Regime.
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Nach der Gründung der Sowjetunion werden Russlanddeutsche auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen diskriminiert. Beispielsweise zwingt der Staat ab 1930 Großbauern, sogenannte “Kulaken“ “Kulaken“ Kulak ist eine russischsprachige Bezeichnung für einen Großbauern, die in der Sowjetunion abwertend belegt, aber nie klar definiert war. Viele vergleichsweise wohlhabende oder auch nur selbstständige Bauern wurden im Stalinismus als Kulaken und somit „Klassenfeinde“ ermordet oder in Straflager verschleppt. , ihren Besitz an Gemeinschaftsbetriebe abzugeben. Im Schwarzmeergebiet stellen die Deutschen auf Grund ihrer Geschichte als bäuerliche Kolonisten zwar nur 2 Prozent der Bevölkerung, aber 15 Prozent aller Kulaken. Wenn sich die Bauern weigern, ihren Besitz abzugeben, werden sie in Arbeitslager deportiert. Die Enteignung führt 1932/1933 zu einer Hungersnot, infolge derer zum Beispiel im schwarzmeerdeutschen Kandel 300 Personen – und damit 16 Prozent der Dorfbewohner – verhungern.

Im Anschluss an die Machtergreifung Hitlers 1933 geraten die deutschen Sowjetbürger als Volksgruppe verstärkt in den Fokus stalinistischen Terrors und werden überdurchschnittlich als sogenannte „Feinde des Volkes“ verfolgt. Die nationalsozialistische Ideologie einer angeblich überlegenen „germanischen Rasse“ führt dazu, dass die sowjetische Regierung Russlanddeutsche als Gefahr wahrnimmt. Ab 1938 werden vor allem Russlanddeutsche zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert. Zwischen 1924 und 1939 sterben etwa 90.000 Schwarzmeerdeutsche an Hunger, werden exekutiert, verbannt oder verlassen ihre Heimat freiwillig.

Als am 22. Juni 1941 auf Befehl Hitlers der Krieg gegen die Sowjetunion beginnt, bewegt sich die deutsche Wehrmacht in den folgenden Wochen schnell ostwärts. Deshalb ordnet Stalin die Deportation von Sowjetbürgern deutscher Herkunft in den Osten der UdSSR an. Über 100.000 Schwarzmeerdeutsche werden nach Sibirien und Kasachstan deportiert, bevor die Wehrmacht eintrifft. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Ukraine kehrt sich die gesellschaftliche Stellung der etwa 420.000 verbleibenden Schwarzmeerdeutschen dort jedoch vollständig um. In der NS-Ideologie als Volksgenossen anerkannt, gehören sie nun zur vermeintlichen „Herrenrasse“. Die Schwarzmeerdeutschen werden bevorzugt behandelt: So bemühen sich die Besatzer beispielsweise um den Schutz ihres Eigentums und ihrer Person, erlauben die Ausübung von Religion und fördern deutschen Schulunterricht. Parallel dazu stellt die SS in deutschen Dörfern den sogenannten „Selbstschutz“ aus volljährigen Männern auf, dessen Mitglieder zum Teil als Täter in den nationalsozialistischen Völkermord integriert werden.

Doch schon 1943 muss sich die Wehrmacht aus der Ukraine zurückziehen. Die Angst vor erneuter Repression treibt die Schwarzmeerdeutschen zu einer hastigen Flucht, bei der viele hinter der Wehrmacht zurückbleiben und der Roten Armee ausgeliefert sind. Einigen gelingt jedoch die Flucht in die Besatzungszonen der Amerikaner oder Briten. Nach Kriegsende beschließen die Alliierten die „Repatriierung“ von Kriegsgefangenen und Zivilisten in das Land, in dem sie vor Kriegsbeginn ihren Wohnsitz hatten. In der Sowjetunion drohen ihnen jedoch aufgrund des Generalverdachts, das Deutsche Reich im Krieg unterstützt zu haben Deportation und Strafarbeit. Erst ab 1956 ist es Russlanddeutschen erlaubt, ihre Verbannungsgebiete zu verlassen – in ihre alte Heimat zurückkehren dürfen sie dennoch nicht.
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