Der Widerstand des 20. Juli war so ein Thema. In linksliberalen Kreisen galten die Verschwörer als Reaktionäre, dünkelhaft, nationalistisch, demokratiefeindlich, als Vorbild für die Bundesrepublik absolut ungeeignet. Wirkliche Helden, das waren Hans und Sophie Scholl, die Kommunisten der „Roten Kapelle“ oder Georg Elser. Werturteile, die auch Antje Vollmer geprägt haben – ihre Beschäftigung mit Heinrich und Gottliebe von Lehndorff veränderte ihr Denken.
Das Dorf Sztynort liegt im Norden der Masurischen Seenplatte auf der Halbinsel Jez zwischen Jezioro Mamry (Mauersee), Jezioro Dargin (Dargeinensee) und Jezioro Dobskie (Dobensee). Bis 1928 hieß das Dorf Groß Steinort, danach Steinort.
Warschau ist die Hauptstadt Polens und zugleich die größte Stadt des Landes (Bevölkerungszahl 2022: 1.861.975). Sie liegt in der Woiwodschaft Masowien an Polens längstem Fluss, der Weichsel. Warschau wurde erstmals Ende des 16. Jahrhunderts Hauptstadt der polnisch-litauischen Adelsrepublik und löste damit Krakau ab, das zuvor polnische Hauptstadt gewesen war. Im Rahmen der Teilungen Polen-Litauens wurde Warschau mehrfach besetzt und schließlich für elf Jahre Teil der preußischen Provinz Südpreußen. Von 1807 bis 1815 war die Stadt Hauptstadt des Herzogtums Warschau, einem kurzlebigen napoleonischen Satellitenstaat; im Anschluss des Königreichs Polen unter russischer Oberherrschaft (dem sog. Kongresspolen). Erst mit Gründung der Zweiten Polnischen Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs war Warschau wieder Hauptstadt eines unabhängigen polnischen Staates.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Warschau erst nach intensiven Kämpfen und einer mehrwöchigen Belagerung von der Wehrmacht erobert und besetzt. Schon dabei fand eine fünfstellige Zahl an Einwohnern den Tod und wurden Teile der nicht zuletzt für seine zahlreichen barocken Paläste und Parkanlagen bekannten Stadt bereits schwer beschädigt. Im Rahmen der anschließenden Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der polnischen und jüdischen Bevölkerung wurde mit dem Warschauer Ghetto das mit Abstand größte jüdische Ghetto unter deutscher Besatzung errichtet, das als Sammellager für mehrere hunderttausend Menschen aus Stadt, Umland und selbst dem besetzten Ausland diente und zugleich Ausgangspunkt für die Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager war.
Infolge des Aufstandes im Warschauer Ghetto ab dem 18. April 1943 und dessen Niederschlagung Anfang Mai 1943 wurde das Ghettogebiet systematisch zerstört und seine letzten Bewohner verschleppt und ermordet. Im Sommer 1944 folgte der zwei Monate dauernde Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, in dessen Folge fast zweihunderttausend Polen ums Leben kamen und nach dessen Niederschlagung auch das restliche Stadtgebiet Warschaus von deutschen Einheiten weitgehend und planmäßig zerstört wurde.
In der Nachkriegszeit wurden zahlreiche historische Gebäude und Teile der Innenstadt, darunter das Warschauer Königsschloss und die Altstadt, wiederaufgebaut - ein Prozess, der bis heute andauert.
Das Baltikum ist eine Region im Nordosten Europas und setzt sich aus den drei Staaten Estland, Lettland und Litauen zusammen. Das Baltikum wird von knapp 6 Millionen Menschen bewohnt.
Damals, so schreibt die Biografin, ist er „gerade 27 Jahre alt, er liebt diese Landschaft, er liebt diesen Wald, er ist da, wo er immer sein wollte.“
Kaliningrad ist eine Stadt im heutigen Russland. Sie liegt im Oblast Kaliningrad, einer russischen Exklave zwischen Litauen und Polen. Kaliningrad, ehemals Königsberg, gehörte über mehrere Jahrhunderte zu Preußen und war dessen nordöstlichste Großstadt.
Sie waren eine ganze Clique. In den Ferien kamen Vettern und Cousinen nach Preyl, darunter Marion Gräfin Dönhoff.2 Auch die Mädchen genossen das ungebundene, freudige Leben. Als Heinrich mit dreizehn ins Internat, auf die traditionsreiche Klosterschule Roßleben, geschickt wurde, fühlte er sich wie in einem Gefängnis.
„Ein ganz ungewohnter Zwang“, zitiert Antje Vollmer den Schüler. Und das Urteil des Klassenlehrers über ihn: „Er ist voller guter Vorsätze, aber schwach im Halten. Lebensfroh, sorglos, unbekümmert lebt er in den Tag hinein.“
Offenbar entfaltete die Klosterschule erstaunliche pädagogische Wirkung. Aus keiner anderen Schule, stellt Antje Vollmer fest, sind so viele Widerstandskämpfer hervorgegangen. Zwölf zählt sie, fast alle wurden hingerichtet.
Nach der Reifeprüfung 1928 folgten Lehr- und Wanderjahre: landwirtschaftliche Praxis, Wehrdienst, zwei Jahre Frankfurt, wo er Vorlesungen in Jura und Betriebswirtschaft besuchte, liberale Ideen kennenlernte. Und wo er wieder auf Marion Dönhoff traf, sie beide die Leidenschaft für schnelle Autos entdeckten.
Zerbrechlich war Gottliebe, dickköpfig, wollte unbedingt Abitur machen. Als Gymnasiastin in Dresden lernte sie Bogislav Krahmer kennen, ihre erste große Liebe. Er war Tierarzt - und er war Jude, in den Augen ihres Standes eine Mesalliance. Kurzerhand ließ die Mutter Gottliebe auf ein Schiff nach Kolumbien verfrachten.
In Bogotà – ihr Stiefvater besaß dort ein Kaffeeunternehmen - versank sie in Trauer. 1934 kämpfte sie sich frei, zog nach Berlin und nahm eine Stelle als Bibliothekarin an. Endlich durfte sie eine emanzipierte Frau sein.
Bei ihrem Ostpreußenbesuch, 1935, begegneten sich die beiden auf der Königsberger Rennbahn. Spontan lud Heinrich von Lehndorff sie nach Preyl ein. Im August 1936, während der Olympischen Spiele in Berlin, wo Gottliebe als Hostess für die spanischen Sportler arbeitete, fing er sie buchstäblich ein, setzte sie in sein Cabrio. Ziel Steinort. Im Februar 1937 feierten sie Hochzeit in Graditz. Der befreundete Pastor, der sie traute, war Martin Niemöller, ein führender Vertreter der Bekennenden Kirche.
Kurz danach, am 1. Mai 1937, wurde Heinrich von Lehndorff in die NSDAP aufgenommen. Seine Biografin Antje Vollmer stellt dazu ausführliche Überlegungen an. Immerhin waren Teile des Adels, etwa ein Zweig der Familie Dohna, Anhänger Hitlers. Vielleicht trat der junge Gutsherr von Steinort – wie sein Schwager Dietrich Dönhoff – in die Partei ein, weil es für die Zukunft der Güter „nützlich und opportun“ erschien? „Wir wissen es nicht“, resümiert Vollmer.
Im November 1937 wurde Marie Eleonore (genannt „Nona“) geboren, im Mai 1939 Vera. Als erster sah Heinrichs jüngerer Bruder Ahasverus das Unheil kommen, er war bereits mit Hitlergegnern in Verbindung. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde Heinrich von Lehndorff zum Einsatz befohlen. „Ohne militärische Ambitionen“, heißt es bei Antje Vollmer, diente er vorübergehend als Ordonanzoffizier bei General Fedor von Bock. Weil Gut Steinort zur Versorgung von Armee und Bevölkerung äußerst wichtig war, würde er den größten Teil des Krieges hier verbringen.
Und dieses Gut rückte, plötzlich und schicksalhaft, aus dem Abseits ins Zentrum der militärischen Macht.
Die Sowjetunion (SU oder UdSSR) war ein von 1922 bis 1991 bestehender Staat in Osteuropa, Zentral- und Nordasien. Sie ist aus dem sog. Sowjetrussland hervorgegangen, dem Nachfolgestaat des Russländischen Kaiserreichs. Den Kern der Union und zugleich ihren größten Teil bildete die Russische Sowjetrepublik, hinzu kamen weitere Teilrepubliken. Ihre Zahl variiert über die Zeit hinweg und steht im Zusammenhang mit der Besatzung anderer Länder (Estland, Lettland, Litauen), nur kurzzeitig bestehenden Sowjetrepubliken (Karelo-Finnland) oder mit der Teilung bzw. Zusammenlegung von Sowjetrepubliken. Zusätzlich gab es zahlreiche autonome Republiken oder sonstige Gebietseinheiten mit einem Autonomiestatus, der sich im Wesentlichen auf eine sprachliche Autonomie der Minderheiten beschränkte.
Die UdSSR bestand vor ihrer formellen Auflösung aus 15 Sowjetrepubliken mit einer Bevölkerung von ungefähr 290 Millionen Menschen. Mit ca. 22,4 Millionen km² bildete sie den damals größten Flächenstaat der Welt. Die Sowjetunion war eine sozialistische Räterepublik mit einem Einparteiensystem und einer fehlenden Gewaltenteilung.
Im Juni 1941, eine Woche nach dem Überfall, fuhren vor dem Steinorter Schloss zwei Mercedes-Limousinen vor. „Ich erkannte Ribbentrop, dessen Gesicht mir durch die Zeitung bekannt war,“ erinnerte sich Gottliebe später. Joachim von Ribbentrop, Hitlers Außenminister, war auf der Suche nach einem standesgemäßen Quartier in der Nähe des Führers und des OKH. Er beschlagnahmte den linken Schlossflügel und ließ ihn für sich und seine Entourage – Gestapo-Beamte, Köchin, Sekretär, Kammerdiener – umbauen.
Damit lebte die Familie buchstäblich in der „Höhle des Löwen“.
Aus dem lebenslustigen Draufgänger Heinrich von Lehndorff wurde ein ernster Mann. Da war der Schmerz über den Tod des Bruders Ahasverus, der im August 1941 in
Estland ist eine historische Landschaft in Nordosteuropa, die den nördlichen Teil des heutigen estnischen Staates umfasst. Die Region ist weitgehend deckungsgleich mit dem gleichnamigen Ostseegouvernement des Russländischen Kaiserreichs, das bis 1918 bestand - und neben Livland und Kurland eines von insgesamt drei Ostseegouvernements bildete. Im Hoch- und Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit hatten Teile der Region auch unter der Herrschaft finnischer Fürsten, der Rus, Schwedens, Dänemarks und des Deutschen Ordens gestanden. Erst im Zuge des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) kam Estland unter russische Hoheit. Insbesondere seine Stadtbevölkerung war deutschsprachig, wobei die meisten Menschen auf dem Land lebten. Hier bildeten sich neben der estnischen Mehrheit auch russische und schwedische Minderheiten.
Zurück in Steinort weihte er seine Frau ein. Ein „Doppelleben“ begann, eines nach außen hin, zur Tarnung, ein geheimes im Widerstand, im engeren Kreis um Henning von Tresckow.
Über Heinrich von Lehndorffs Rolle wußte man bislang nur wenig. Seine Aufgabe war, weitere Unterstützer zu gewinnen, sowie Kurierdienste zwischen den beiden Zentralen des Widerstands, Stauffenberg in Berlin und Tresckow an der Ostfront. Für das Attentat auf Hitler, den Staatsstreich, der das Regime stürzen und den Krieg beenden sollte, bedurfte es vieler Verbündeter.
Nur die Militärs hatten noch eine Chance, sich Hitler, der sich in der „Wolfsschanze“ verkrochen hatte, zu nähern. Es war Lehndorff, der Stauffenberg, die berühmte Botschaft von Tresckows überbrachte: „Das Attentat muss erfolgen, coute que coute.“
Damals entstand ihre „große Liebe“. In einem Brief an Ricarda Huch, kurz nach dem Krieg, hat Gottliebe von Lehndorff davon erzählt. Dank späterer Niederschriften und eines Gesprächs, das Tochter Vera auf Tonband aufzeichnete, können wir das gefahrvolle Privatleben der Familie nacherleben: Er brennt drauf, dass es endlich geschieht. Sie bangt, wieder schwanger. Beiden ist bewußt, was auf dem Spiel steht.
Am 20. Juli 1944 ist Heinrich von Lehndorff unterwegs nach Königsberg, um dort, wenn das Attentat gelingt, den Umsturz zu organisieren.
Auf Umwegen hören Heinrich und Gottliebe hin und wieder voneinander. Am 23. Juli wird sie aus Schloss Steinort vertrieben, flieht nach Graditz, zu Gottliebes Vater, wo Nona, Vera und Gabriele vorsorglich untergekommen sind.3 Dort wird sie verhaftet und ins Gefängnis Torgau gebracht, bringt am 15. August ihr viertes Kind, Catharina, zur Welt. Während die drei älteren Töchter in ein geheimes Kinderlager nach Bad Sachsa gebracht werden. „Sippenhaft“, die ganze Familie gefangen!
Heinrich von Lehndorff wird am 4. September 1944, einen Tag nach dem Urteil des „Volksgerichtshofs“, in Plötzensee gehenkt. Am Vorabend schreibt er einen Abschiedsbrief, er wird in Antje Vollmers Buch erstmals in voller Länge veröffentlicht. „Mein Geliebtestes auf der Welt!“ beginnt er. Zehn dichtbeschriebene Seiten, ein ganz und gar unheroischer, persönlicher Rückblick.
Inzwischen ist der bewegende Brief, als Teil der umfangreichen Quellensammlung „Lebenswelten Lehndorff“ im Internet zu finden.
In kurzen Zügen skizziert Antje Vollmer, wie die Familiengeschichte weiterging. Ausführlicher hat Vera Lehndorff davon erzählt: vom Leid der Mutter und dem eigenen, der Suche nach Erlösung und einem erfüllten Leben.
Das Lehndorffsche Schloss ist eines der ganz wenigen ostpreußischen Herrenhäuser, das überlebt hat. Sein Verfall konnte mithilfe vieler Enthuasiasten, darunter die Nachkommen von Heinrich und Gottliebe, aufgehalten werden.