Das aschkenasische Judentum ist untrennbar mit dem östlichen Europa verbunden. Hier entstanden eigene jüdische Lebenswelten, die mit der Shoa nahezu vernichtet wurden. Doch die spezifischen Essgewohnheiten in ihrer Mischung aus religiösem Regelwerk und regionalen Einflüssen leben heute in Traditionen und Trends an vielen Orten weltweit weiter.
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Als Joseph Roth (1894–1939) Joseph Roth (1894–1939) Joseph Roth (1894–1939) war ein österreichischer Journalist und Schriftsteller mit jüdisch-galizischen Wurzeln. Er schrieb v.a. für Zeitungen, aber auch mehrere Romane und Novellen, zu seinen bekanntesten Werken zählen <em>Hiob</em>, <em>Radetzkymarsch</em>, <em>Juden auf Wanderschaft</em> und <em>Die Legende vom heiligen Trinker</em>. Roths Bücher, die immer wieder die soziale Situation von Jüdinnen und Juden in der Habsburgermonarchie, aber auch in der Weimarer Republik thematisieren, wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, Roth ins französische Exil gezwungen. 1927 mit seinem Essay „Juden auf Wanderschaft“1  den sogenannten „Ostjuden“ „Ostjuden“ Teils abwertende und stark generalisierende Bezeichnung für osteuropäische Jüdinnen und Juden und solche, die insbesondere zu Beginn bis zum ersten Viertel des 20. Jahrhunderts aus dem östlichen Europa vor der zunehmend judenfeindlichen Politik und gewalttätigen Pogromen in das Deutsche Reich bzw. die Weimarer Republik, hier v.a. nach Berlin, aber auch in andere westeuropäische Städte flüchteten. Diese aschkenasischen, meist orthodoxen und oftmals jiddisch sprechenden Jüdinnen und Juden verband häufig wenig mit ihren akkulturierten, liberalen oder getauften Glaubensbrüdern und -schwestern. Anstatt von Ostjuden und Ostjudentum wird heute wertneutraler von aschkenasischen Jüdinnen und Juden, bzw. von aschkenasischem Judentum gesprochen. ein literarisches Denkmal setzte, war deren Welt im Umbruch begriffen. Die von Roth  porträtierten Aschkenasim Aschkenasim Aschkenasisch beschreibt eine der großen Strömungen innerhalb des (europäischen) Judentums, neben sephardisch und bucharisch. Als Aschkenasim werden ursprünglich in Ost- und Mitteleuropa lebende Jüdinnen und Juden sowie ihre Nachkommen bezeichnet. Heute leben Aschkenasim in ganz Europa, große aschkenasische Communities existieren außerdem in den USA, Kanada und Israel. , Jüdinnen und Juden aus dem östlichen Europa, stellen zwar bis heute weltweit die größte Gruppe innerhalb des Judentums dar, doch ein Großteil der jüdischen Lebenswelten und auch die jiddische Sprache jiddische Sprache Das Mittelhochdeutsche kann als Ausgangspunkt dieser v.a. von aschkenasischen Jüdinnen und Juden gesprochenen Sprache gelten, es wurden jedoch auch Worte und Sprachmelodien der Umgebungsgesellschaft integriert, wobei grob zwischen Ost- und Westjiddisch unterschieden wird. Im Ostjiddischen sind hebräische sowie slawische und deutsche Begriffe und Redewendungen verschmolzen. Während Westjiddisch im 18. Jahrhundert auszusterben begann, blieb Ostjiddisch die Alltagssprache der Mehrheit der Jüdinnen und Juden im östlichen Europa, bis durch die Shoah die jüdischen Zentren Kontinentaleuropas weitestgehend zerstört wurden. Heute wird Jiddisch von Nachfahren osteuropäisch-aschkenasischer, meist ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden gesprochen. Die Zahl der Muttersprachler:innen wird auf maximal eine Million Menschen geschätzt, Zentren liegen in New York City, Amsterdam und Jerusalem. Jiddisch wird wie Hebräisch von rechts nach links sowie mit hebräischen Buchstaben geschrieben. wurden im 20. Jahrhundert vernichtet.
 
Im Mittelalter lagen ihre Siedlungen noch auf dem Gebiet der heutigen Länder Frankreich und Deutschland, doch Pogrome und Vertreibungen drängten sie nach und nach gen Osten, wo sich ihre Lebenswelt in die lokalen Bedingungen eingliederte. Das östliche Europa wurde zur Wiege jüdisch-aschkenasischer Kultur. Mit der Zeit entstanden autochthone Siedlungseinheiten, die Shtetlach Shtetlach Shtetl (auch Schtetl, oder Stetl, Plural Shtetlach) ist eine jiddische Bezeichnung für Siedlungen mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil im östlichen Europa. Das Shtetl prägte jüdische Lebenswelten des Ostens bis zur Shoa. Meist handelte es sich um Dörfer oder Kleinstädte, manchmal auch um Stadtteile, wo zwischen 1.000 und 20.000 Jüdinnen und Juden lebten. Geographischer Verbreitungsschwerpunkt der Shtetlach war das östliche Polen – vor allem Galizien – aber auch das Gebiet der heutigen Ukraine, Weißrusslands und Litauens. , mit überwiegend jüdischer Bevölkerung. Hier bildeten sich kulturelle Muster heraus, die sich aus jüdischen Traditionen und Austauschprozessen mit der Umgebung speisten. Die aus den agrarischen Gegebenheiten und der religiösen (Speise-)Gesetzgebung des Judentums, der Kaschrut Kaschrut Hebräisch für „rituelle Eignung“, bezeichnet eine Sammlung religiöser Gesetze, u.a. die jüdischen Speisegesetze. Diese Speisegesetze legen u.a. fest welche Lebensmittel koscher (erlaubt), treif (nicht erlaubt) oder parve (neutral) sind. Ein zentrales Gebot ist die Trennung von Milch und Fleisch. Lebensmittel, die parve sind – dazu zählen u.a. Fisch, Eier, Früchte, Gemüse, Nüsse, Getreide und Hülsenfrüchte – dürfen sowohl mit milchigen als auch mit fleischigen Speisen kombiniert werden.  Zudem enthält die Kaschrut Vorschriften zur Schlachtung, Zubereitung, Herstellung und Lagerung von Nahrungsmitteln sowie Ge- und Verbote für religiöse Feiertage. , hervorgehende Esskultur Esskultur Der Mensch akzeptiert weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart alles biologisch Essbare als Nahrung. Als Kulturwesen, das mit Sozialisations- und Enkulturationsprozessen konfrontiert ist, ist dem Menschen bereits in jungen Jahren klar, was gegessen und getrunken werden darf, und was nicht. Eine bedeutende Rolle bei diesen Aushandlungsprozessen spielen religiöse Vorschriften, die insbesondere in jüdische Ess- und Trinkkulturen eingeschrieben sind. Bewusst wird hier nicht von der jüdischen Ess- und Trinkkultur gesprochen, da diese ebenso vielfältig ist wie jüdische Lebenswelten im Allgemeinen. Esskultur beinhaltet nicht nur die Getränke und Mahlzeiten an sich und deren stoffliche Komponenten, sondern auch Herstellung, Einkauf und Zubereitung sowie rituelle, emotionale, symbolische und soziale Funktionen von Speisen. Esskultur ist raum-, zeit-, alters-, gender-, religions- und milieugebunden. ist einer der wesentlichen Bausteine aschkenasischer Lebenswelten. Dabei ist die aschkenasische Esskultur eher zusammenfassende Konstruktion denn eindimensionale Realität und dennoch ein identitätsstiftender, emotional aufgeladener Faktor jüdischer Lebenswelten. Sie besteht aus einem Kanon an Gerichten, der Religionszugehörigkeit und sozialen Status ebenso spiegelt wie Ernte- und Jahreszeiten und ist lokal verwurzelt. Daher ist jüdische Esskultur am besten in ihrer Vielfalt aus religiösen und regionalen Essstilen zu verstehen – im Plural als Esskulturen. Ihre Verbindung mit zahlreichen Feldern des Alltags lässt einen Blick in religiöses und säkulares jüdisches Leben einst und heute zu2  – und zeigt außerdem den großen Anteil jüdischer Kultur auf, der die Region formte und weiterhin nachwirkt.
Das östliche Europa und seine jüdischen Traditionen
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Das östliche Europa ist seit jeher geprägt von sich verschiebenden Grenzverläufen. Die hier lange Zeit bestimmenden Großreiche – seien es das Osmanische, das der Habsburger und das Zarenreich, später jedoch auch der Staatssozialismus – und ihre jeweiligen Leitlinien haben über die Region und ihre Menschen bestimmt und ihnen sowohl zerstörerische Kriege als auch Modernisierungsschübe gebracht. Jüdinnen und Juden waren auf der osteuropäischen ethno-religiösen Landkarte stets eine Minderheit, die – neben allgemeinen Widrigkeiten wie Kriegen und Hunger – immer wieder antijüdischen Ressentiments antijüdischen Ressentiments Antijudaismus bezeichnet christlich geprägte Judenfeindlichkeit, die v.a. mit dem Vorwurf operiert, Juden seien „Christusmörder“, was mit der historischen Realität nicht übereinstimmt. Während des Mittelalters entstanden feststehende Topoi und Stereotype, wie etwa die sog. „Ritualmord“-Anschuldigung, welche Jüdinnen und Juden unterstellte, Kinder zu töten und mit ihrem Blut religiöse Riten durchzuführen. Oder auch der Vorwurf der sog. „Hostienschändung“, der Jüdinnen und Juden Hostienfrevel nachsagte, woraufhin sie in einigen Städten und Regionen die ihnen zugewiesenen Ghettos, Straßen bzw. ihre Wohnungen an christlichen Feiertagen nicht mehr verlassen durften. Wie der Antisemitismus förderte auch der Antijudaismus gewalttätige Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden, in Europa v.a. während der Kreuzzüge zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert, während der Pestepidemie 1348/49, während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-48) oder auch während der sog. „Hep-Hep“-Ausschreitungen im 19. Jahrhundert. Während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der tradierte Antijudaismus mit der neuen pseudowissenschaftlichen sog. „Rassenlehre“, die von vermeintlich höher und weniger weit entwickelten „Menschenrassen“ ausging, vermischt. Als Antisemitismus werden heute alle Formen von pauschalem Judenhass, pauschaler Judenfeindlichkeit oder -feindschaft bezeichnet. Der Ausdruck Antisemitismus wurde 1879 im Umfeld des antisemitischen Journalisten Wilhelm Marr geprägt und entwickelte sich seit der Shoah zum Oberbegriff für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund ihrer angenommenen oder realen Zugehörigkeit zur Gruppe „der Juden“ negative Eigenschaften unterstellen. Damit werden Ausgrenzung, Abwertung, Diskriminierung, Unterdrückung, Verfolgung, Vertreibung bis hin zur Ermordung jüdischer Minderheiten (Völkermord) gefördert, vorbereitet und/oder zu „rechtfertigen“ gesucht. Der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno schrieb dazu in seinen Minima Moralia (1951): „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“. sowie Pogromen Pogromen Der russische Begriff (Pogrom) bedeutet so viel wie Zerstörung oder Verwüstung und beschreibt gewaltsame Ausschreitungen gegen Menschen, die entweder einer abgrenzbaren gesellschaftlichen Gruppe angehören oder von den Täter:innen einer realen bzw. vermeintlichen gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden. Im Regelfall handelt es sich dabei um ethnische, politische oder religiöse Minderheiten. Seit den blutigen Angriffen auf jüdische Gemeinden im russischen Zarenreich in den 1880er Jahren wird der Begriff Pogrom insbesondere für die Beschreibung von gewalttätigen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden verwendet. ausgesetzt war. Dabei sind nur wenige Gegenden so stark von (ost-)jüdischer Kultur geprägt wie die Bukowina Bukowina Die Bukowina ist eine historische Landschaft im Grenzraum zwischen Mittel-, Südost- und Osteuropa mit der Hauptstadt Czernowitz. Der nördliche Teil gehört heute zur Ukraine, die südliche Hälfte zu Rumänien. Die Bukowina war, wie das östlich gelegene Bessarabien, jahrhundertelang ein Teil des historischen Fürstentums Moldau, von 1775 bis 1918 gehörte das Gebiet mit seiner multiethnischen, multireligiösen und multilingualen Bevölkerung zur Habsburgermonarchie. Nordwestlich der Bukowina liegt Ostgalizien, südwestlich Siebenbürgen. Rose Ausländer widmete dieser, ihrer Heimatregion ebenso wie Paul Celan zahlreiche Gedichte. oder Galizien Galizien Galizien ist eine historische Landschaft im heutigen Südpolen und der Westukraine. 1772, mit der ersten Teilung Polens, gelangten Gebiete, die zuvor zu Polen-Litauen gehört hatten an die Habsburger und wurden 1804 als Königreich Galizien und Lodomerien dem Österreichischen Kaisertum angegliedert. Ähnlich wie in der Bukowina war die Bevölkerung Galiziens multiethnisch, multilingual und multireligiös. Joseph Roth, der selbst aus Brody in Ostgalizien stammte, thematisierte das Leben in Galizien in vielen seiner Werke, darunter Hiob, Radetzkymarsch und Juden auf Wanderschaft. – zwei Landstriche in der Ukraine und im Osten Polens, die heute kaum mehr unter diesen Namen bekannt sind, jedoch für zahlreiche Jüdinnen und Juden Heimat bedeuteten und im 19. und 20. Jahrhundert auch Eingang in Lyrik und Literatur fanden. So schrieb Paul Celan (1920–1970) Paul Celan (1920–1970) Paul Celan (1920–1970) bürgerlich Paul Antschel, gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er wurde in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren. Sein Werk ist geprägt von der Reflexion menschlicher Grenzerfahrungen und der Shoah. Eines seiner bekanntesten Gedichte ist die Todesfuge. Beide Eltern wurden während der Shoah ermordet, Celan lebte ab 1948 im französischen Exil. wehmütig von seiner Bukowina als einer „der Geschichtslosigkeit anheimgefallenen Provinz der Habsburgermonarchie“.3
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Bis ins 20. Jahrhundert stellten insbesondere Ostpolen, Litauen, Weißrussland und die Westukraine die Herzkammer ostjüdischer Kultur dar. Vor allem die Shtetlach waren Fixpunkte jüdischer Lebenswelten4; hier lebten Jüdinnen und Juden in kompakten, ländlichen oder kleinstädtischen Verhältnissen und schufen die wesentliche Infrastruktur, wie eine mit den Regeln der Kaschrut vertraute Schlachterei und Synagogen, Bethäuser, Religionsschulen sowie Mikwen Mikwen  Als Mikwe oder auch Ritualbad wird in jüdischen Kontexten ein Tauchbad bezeichnet, dessen fließendes Wasser der Erlangung ritueller Reinheit durch Untertauchen dient. In orthodoxen und konservativen Strömungen des Judentums ist der Besuch der Mikwe vorgeschrieben, nachdem eine verheiratete Frau ihre Menstruation hatte oder entbunden hat. Den ersten Besuch in der Mikwe absolviert die Frau meist am Vorabend des Hochzeitstages. Diese Gebote werden heute v.a. von orthodoxen Jüdinnen befolgt. Das Untertauchen in der Mikwe ist für eine Konversion zum Judentum der orthodoxen, konservativen und liberalen Richtung sowohl für Männer als auch für Frauen Bedingung. Auch Geschirr wird in einem gesonderten Becken der Mikwe gereinigt, bevor es in koscheren Haushalten verwendet wird. . Das orthodoxe Leben blühte, war es im Shtetl doch nicht so von außen reglementiert wie im abgeschlossenen innerstädtischen Ghetto Ghetto Begriff aus dem Italienischen, abgeleitet vom Ghetto Nuovo, einem Stadtviertel Venedigs, in welchem Jüdinnen und Juden seit dem 16. Jahrhundert zu leben gezwungen wurden. Der Name des Ghetto Nuovo ist wiederum abgeleitet vom italienischen Begriff Gietto, dem Viertel der Zinngießer. Ghetto bezeichnet heute allgemein einen abgegrenzten Wohnbereich innerhalb einer Stadt – etwa einen Straßenzug – in welchem Jüdinnen und Juden zwangsweise in oftmals sehr beengten Verhältnissen lebten. Ein frühes Ghetto im deutschen Sprachraum wurde 1462 mit der sog. Judengasse in Frankfurt am Main eingerichtet. Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) wurden von den Nationalsozialist:innen für deportierte Jüdinnen und Juden Ghettos im okkupierten Polen und im annektierten Tschechien eingerichtet. Diese Haftlager waren Übergangsstationen vor dem Transport der Menschen in Arbeits- und/oder Vernichtungslager. . Dabei war jüdisches Leben jedoch keineswegs homogen, sodass selbst die Prägung jüdisch-orthodox, neben zahlreichen weiteren Interpretationen jüdischen Glaubens, lokal und sozial verschiedene Formen und Lebensweisen annehmen konnte – und bis heute kann.
Ähnliche eigens jüdische Lebenswelten, jedoch in urbanen Verhältnissen, herrschten in Vierteln wie dem Krakauer Kazimierz, der Moldavanka in Odessa und rund um die Krochmalna-Straße in Warschau. Hier schufen sich Jüdinnen und Juden Nischen, wo ihre Religion und die damit zusammenhängende Lebenswelt stattfinden konnte und durfte. Die Ausdrucksformen jüdischen Lebens und damit auch jüdische Esskulturen waren dabei keinesfalls homogen, sondern je nach regionalem Kontext höchst unterschiedlich.
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Besonders das Einhalten des Schabbats Schabbats auch Shabbat oder Sabbat, jiddisch Shabbes, vom hebräischen schewa, sieben, abgeleitet. Wöchentlicher jüdischer Feier- und Ruhetag am siebten Tag der Woche, der am Freitag mit dem Sonnenuntergang beginnt und am Samstag mit dem Sonnenuntergang endet. Kennzeichnend sind das Arbeitsverbot, sowie im Freundes- und/oder Familienkreis eingenommene festliche Mahlzeiten, verbunden mit verschiedenen Bräuchen und Ritualen, wie dem Kiddusch, dem Segen über Wein und Schabbatbrot Challah. Gläubige Jüdinnen und Juden besuchen Synagoge oder Tempel. In ultraorthodoxen, orthodoxen, konservativen, liberalen und säkularen Kreisen wird das Schabbatgebot unterschiedlich strikt ausgelegt und eingehalten. , der Arbeitsruhe am Eingang des Wochenendes, zeichnete und zeichnet die Zeitstruktur jüdischen Lebens aus. Challah Challah Plural Challot, im Jiddischen Challes. Hefezopf bzw. Hefebrot, das v.a. an Schabbat und an anderen religiösen Feiertagen außer zu Pessach gegessen wird. Vor dem Verzehr wird der entsprechende Segen (Kiddusch) über den Hefezopf gesprochen und dieser mit Salz bestreut. Die Challah hat je nach Form unterschiedliche symbolische Bedeutungen, am jüdischen Neujahrsfest Rosch haSchana wird die Challah z.B. in eine runde Form gebracht, da das neue Jahr rund, im Sinne von gut und gelungen werden soll. Der Begriff Challah bezeichnet außerdem den Teil des Challah-Teiges, der in observanten Haushalten als Opfergabe abgetrennt und anschließend verbrannt wird. und Salz gehören in fast immer dazu5, und auch der Wein ist schwer vom Schabbat zu trennen. Viele aschkenasische Familien aßen und essen zu dieser Gelegenheit Goldene Joich – Hühnersuppe mit Einlage – und im Anschluss ein Gericht, in dem das Suppenfleisch Verwendung findet. Daneben gibt es eine Reihe von Speisen, die eigens für Tage wie das Wochenfest zubereitet werden: Der Gefilte Fisch – denn „[o]hne Fisch gibt es keinen Sabbat“6  – mit seinem aufwendigen Kochprozess muss vor dem Entzünden des Schabbatlichts fertig sein. Etwas einfacher ist der Tscholent Tscholent auch Tschulent oder Chalent. Über die Wortherkunft besteht Uneinigkeit, Tscholent könnte vom französischen Wort „chaud“ für heiß und „lent“ für langsam abgeleitet sein. Oft an Schabbat gereichtes Eintopfgericht, das aus Fleisch, Kartoffeln, Bohnen, Graupen und Gemüse besteht, wobei die Rezepte variieren. Wird meist über Nacht im Ofen langsam gegart und warmgehalten, da am Schabbat jegliches Arbeiten und Kochen verboten ist. aus Bohnen und Graupen, von Heinrich Heine (1797-1856) als „koscheres Ambrosia“7  gepriesen, der über Nacht langsam zu einem saftigen sättigenden Schmortopf köchelt und dabei – je nach finanzieller Situation der Köchin – denn Kochen ist in traditionellen Familien Aufgabe der Hausfrau – mit Gänse-, Enten- oder Rindfleisch angereichert wird. In den Shtetlach, wo vor dem Zweiten Weltkrieg bei Weitem nicht jede Familie einen eigenen Ofen besaß, kam diese Aufgabe oft dem örtlichen Bäcker zu. Örtliche Gegebenheiten und religiöse Pflichten gingen hier Hand in Hand. So verwundert es wenig, dass die jüdische Küche trotz aller Gebote anpassungsfähig gegenüber ihrer Nachbarschaft ist und sich nicht nur wohlhabendere jüdische Familien im Habsburgerreich die österreich-ungarische Küche mit Tafelspitz und Mehlspeisen auf ihre koschere koschere Koscher, abgeleitet vom Hebräischen kascher – „erlaubt“ und „rein“ – bezeichnet u.a. die in der Tora dem Menschen zum Verzehr erlaubten Tiere und Nahrungsmittel sowie deren Zubereitungsarten. Der Begriff ist nicht auf den Bereich der Küche beschränkt, sondern kann sich auch auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Jüdinnen und Juden beziehen. Das Gegenteil von koscher ist treif. Die Befolgung der Speisegesetze wird als Koscherhalten bezeichnet. Weise zu eigen machen konnten. So ersetzte etwa Gänseschmalz in Fleischgerichten die als Milchprodukt in diesem Fall verbotene Butter. Nicht zu vernachlässigen ist hier jedoch, dass ein Unsichtbarmachen der eigenen Religion und Kultur oft unter Assimilationsdrang oder -druck geschah und die Anpassung an lokale Gegebenheiten daher in einem komplizierten Kontext aus freiwilligem Austausch und notgedrungener Angleichung entstand. 
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Während Festtagsgerichte der weniger Betuchten, zum Beispiel Gehackte Leber Gehackte Leber Geflügelleber, etwa Hühner- oder Gänseleber, wird mit Zwiebeln angebraten, mit Salz, Pfeffer und Kräutern wie Petersilie gewürzt, fein gehackt und als Brotaufstrich verzehrt. Die Bestandteile und Gewürze sind regional verschieden, Rezepte werden oftmals in der Familie tradiert. und andere Fleischstücke des unteren Preissegments, nach und nach vom Speiseplan einer Gesellschaft verschwanden, in der die Tierhaltung eine immer geringere Rolle spielte, überdauerte die Mazzebällchensuppe Mazzebällchensuppe Mazze, auch Matze oder Mazza, hebräisch Matza, Plural Mazzen oder Mazzot, bezeichnet das ungesäuerte Brot, das an Pessach in Erinnerung an den Auszug der Israelit:innen aus Ägypten gegessen wird. Bei ihrer eiligen Flucht blieb den Israelit:innen keine Zeit, den Teig säuern zu lassen, daher ist observanten Jüdinnen und Juden während Pessach der Verzehr von gesäuertem Brot, aber auch von Nudeln und Hülsenfrüchten verboten. Mazzen werden in Form von sehr dünnen Fladen gebacken, deren Zubereitung 18 Minuten nicht überschreiten darf, da nach dieser Zeitspanne der Gärprozess von Mehl, Wasser und Sauerstoff beginnt oder beginnen kann. Aus zerriebenen Mazzen wird das Mazzemehl hergestellt, das während Pessach anstelle von herkömmlichem Mehl unter anderem zur Zubereitung von Mazzebällchen genutzt wird. Mazzebällchen, Mazzeklößchen oder Mazzeknödel (jiddisch Knaidlech, Singular Knaidl) sind eine besonders bei aschkenasischen Jüdinnen und Juden beliebte Suppeneinlage. Mazzebällchen werden aus Mazzemehl hergestellt und kommen insbesondere zu Pessach, aber auch an anderen Feiertagen und an Schabbat auf den Tisch. In den USA sind Mazzebällchen als Matzah Balls und die klare Suppe mit Fleisch- und/oder Gemüseeinlage als Matzah Ball Soup allgemein bekannt, beides wird insbesondere in Delis angeboten. die Zeit. Süßspeisen wie die Hörnchen Rugelach Rugelach teils auch Rogelach oder Rogalach. Süß gefüllte Hörnchen aus der traditionellen aschkenasischen Küche. Rugelach haben meist eine Nuss-, Pflaumenmus-, Schokoladen-, Zimt-Zucker-, Trockenfrüchte- oder Mohnfüllung. Entsprechend der jüdischen Speisegesetze gibt es Rugelach in zwei Varianten: entweder parve (neutral) oder milchig, mit Butter, Milch und Sauerrahm im Teig oder der Füllung. Rugelach sind an den jüdischen Feiertagen Chanukka und Schawuot beliebt und werden von observanten Jüdinnen und Juden in der neutralen Version nach Fleisch- und Milchspeisen, in der milchigen Version nur nach Milchgerichten verzehrt. oder der Schichtkuchen Flodni Flodni Der auch als Fächer- oder Fladentorte bekannte, zumeist als eckiges Stück servierte Kuchen besteht aus mehreren Lagen Mürbeteig und ist mit Äpfeln, Walnüssen, Mohn und Pflaumenmus gefüllt. Die Füllungen können je nach Region und Jahreszeit in ihrer Zusammensetzung und Würzung leicht variieren. blieben ebenso populär und etablierten sich überregional und transreligiös.
Auch außerhalb von Festtagen sind aschkenasische Küchen prägnant und weisen einige Gemeinsamkeiten mit der sie umgebenden Küche auf. Häufig wird mit viel Kohl und Kartoffeln gearbeitet, die etwa zu den ausgebackenen Latkes Latkes Aus rohen, geriebenen Kartoffeln in heißem Fett ausgebackene kleine Fladen, Reibekuchen oder Kartoffelpuffern ähnlich. Werden vor allem an Chanukka gereicht, um an das Wunder des, anstatt für einen Tag auszureichen, acht Tage lang brennenden Öls im Tempel von Jerusalem zu erinnern. Latkes werden oft entweder herzhaft (z.B. mit Frischkäse und Räucherlachs), oder süß (mit Apfelmus) serviert. oder zur Füllung von Teigtaschen, Kreplach genannt, verwendet werden. Besonders haltbare Lebensmittel wie das geräucherte Fleisch Pastrami Pastrami Pastrami bezeichnet gepökeltes, gewürztes, geräuchertes, dünn geschnittenes Rindfleisch. Pastrami gelangte wohl mit den großen Migrationswellen Ende des 19. Jahrhunderts über die aschkenasisch-rumänisch-jüdische Küche in die USA. Pastramisandwiches aus Weißbrot, neben den Rindfleischscheiben meist mit Gewürzgurken belegt und mit Senf bestrichen, sind in den USA populär und erfreuen sich auch in Europa zunehmend größerer Beliebtheit. und Hering oder eingelegtes Gemüse spielten und spielen eine zentrale Rolle. Die Küche im observanten Aschkenas verzichtet unter Berufung auf die Speisegesetze auf das Mischen von Fleisch und Milch8  und auf Schweinefleisch, sodass das Koscherhalten einen markanten Unterschied zu den Küchen der Region darstellt.
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Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass die Alltagsküche bis weit in die Moderne häufig von Mangel geprägt war und besonders außerhalb der Anbau- und Erntezeiten eine Arme-Leute-Küche aus fleischlosen Breigerichten und gekochtem Getreide die Hauptnahrungsquelle bildete – wie dem bis heute beliebten Kasha, einem Brei aus Buchweizen. Ebenso muss im Blick behalten werden, dass Nationalküchen auf gerade diese notwendigerweise einfachen Gerichte zurückgehen und sich ihre vermeintlich lange Geschichte bei genauerer Betrachtung als nicht allzu einheitlich herausstellt.9  Von einer einzigen osteuropäischen oder aschkenasischen Küche kann kaum gesprochen werden. Angesichts vereinender Elemente und Gemeinsamkeiten ist die Verallgemeinerung zwar üblich, aber es gibt eben keine allgültige Blaupause für (ost-)jüdische Esskulturen.
Vernichtung, Migration – und Neubeginn
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Die Betrachtung jüdischer Esskulturen wird durch die vielfach dünne Quellenlage erschwert – mit der Vertreibung und Ermordung von Jüdinnen und Juden in den „Bloodlands“10  zwischen Russland und Deutschland im Zuge der Shoah wurde ihre Lebenswelt mit Rezepten, Sitten und Bräuchen in weiten Teilen vernichtet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trug dann die religionsfeindliche Haltung der Sowjetunion dazu bei, dass jüdische Traditionen nicht beibehalten und weitergegeben wurden und die jüdische Religion und ihre Kultur in der Region heute eher im Verborgenen lebt oder gar nur noch als mahnende Erinnerung existiert. In den sozialistisch-kollektivistischen Gesellschaften konnte sich kaum ein widerstandsfähiges Judentum bilden; unter anderem das Koscherhalten war zu schwer durchführbar. 
 
Durch das Ende der Sowjetunion bekamen zahlreiche dort lebende Jüdinnen und Juden die Möglichkeit, als sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ „Kontingentflüchtlinge“ Als „Kontingentflüchtlinge“ werden Menschen bezeichnet, die in festgelegter Anzahl nach Deutschland übersiedeln dürfen. Sie erhalten eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Zwischen 1991 und 2004 hatten Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten die Möglichkeit, als sog. „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland einzureisen. So sollte jüdisches Leben in Deutschland wiederbelebt werden. Heute machen Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion gut 90% aller in Deutschland lebenden und einer jüdischen Gemeinde zugehörigen Jüdinnen und Juden aus. in die Bundesrepublik überzusiedeln. In Deutschland versprach man sich davon eine (Wieder-)Belebung des Gemeindelebens, das auch in der DDR erheblich gelitten hatte. Doch viele (post-)sowjetische Jüdinnen und Juden hatten ihre Religion unter dem Assimilierungsdruck verlernt und waren stattdessen vom Alltag in der UdSSR geprägt. Sie brachten ganz eigene Esskulturen mit, in der sich Speisen wie der Hering im Pelzmantel – ein kalt geschichteter Salat aus Hering, Eiern und Roter Beete, der einige Ähnlichkeit zum Gefilte Fisch aufweist – noch einmal mehr als Identitätsanker und stabilisierendes Element im Umbruch der Migration herausstellten. Durch privaten Konsum und ein mittlerweile überschaubares Gastronomieangebot haben aschkenasische Küchen mit sowjetischer Prägung auch außerhalb des östlichen Europas einen Platz gefunden, an dem sie Wertschätzung erfahren. So werden sie etwa im Düsseldorfer Restaurant „Beluga“ oder im Berliner „Pasternak“ als bodenständige Küchen mit modernem Twist präsentiert – die Teigtaschen Wareniki und Pelmeni sind hier ebenso beliebt wie tiefroter Borschtsch und diverse, deftige Fleisch- und Fischgerichte. Koscher zertifiziert ist das nicht, aber ein gewisser kosher-style kosher-style auch koscher-style. Insbesondere in den USA und Kanada existieren zahlreiche Restaurants, die Gerichte kosher-style zubereiten. Jüdisch angehauchte Speisen wie etwa Knisches (Teigpasteten mit einer Füllung aus Kartoffeln, Zwiebeln, Ei und Fleisch), Bagels, Blinis oder Mazzenbällchensuppe werden angeboten. Teils werden traditionelle Rezepte verwendet, aber die Kaschrut dabei nicht oder nur zum Teil eingehalten. Entsprechende Restaurants nennen sich oftmals Delicatessen oder Deli. lässt sich anhand der Speiseauswahl und teilweise durch den Verzicht auf Schweinefleisch nicht leugnen. Doch wenngleich jüdisches Leben in Deutschland zumeist osteuropäisch-sowjetischer Prägung ist, bleibt es in seiner Herkunftsregion als Alltagspraxis rar.
Jüdisches Erbe und seine gegenwärtige Vermarktung
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Als jüdisch oder koscher bezeichnete Gastronomie findet sich in Europa vor allem in urbanen Zentren. Einerseits, weil hier mit größeren jüdischen Gemeinden die potenzielle Zielgruppe beheimatet ist, andererseits wird ein prägender Foodtrend der letzten Jahre, die teils israelisch gelabelte, levantinische Fusionküche, von einem großstädtisch links-liberalen, häufig jungen Milieu getragen. Nicht zuletzt sind Großstädte auch touristische Zentren, die die Bedürfnisse koscher lebender Reisender v.a. aus Amerika und Israel berücksichtigen müssen. Ebenfalls trendy, aber in gänzlich anderer Form, findet sich jüdisch-aschkenasische Küche im Krakauer Stadtteil Kazimierz, wo lange das Zentrum einer vielschichtigen ostjüdischen Küche lag, die im Laufe der Zeit viele Einflüsse der Habsburgermonarchie aufgesogen hat. Im ehemaligen jüdischen Viertel existiert heute eine Vielzahl jüdisch markierter Restaurants: Menorot Menorot Das Wort Menora (Plural Menorot) bedeutet auf Hebräisch schlicht „Leuchter“ oder „Lampe“, zumeist wird damit jedoch der siebenarmige Leuchter, eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums, beschrieben. Auch im Staatswappen Israels ist eine Menora abgebildet. Die Menora symbolisiert die Schöpfung der Welt in sieben Tagen, der siebte Arm steht dabei für den Schabbat. Nicht zu verwechseln ist die siebenarmige Menora mit der acht- oder neunarmigen Chanukkia, dem Leuchter, der am Lichterfest Chanukka verwendet wird. in den Fenstern, Klezmer-Musik, Davidstern-Graffitis und hebräisch anmutende Lettern auf der Speisekarte bilden den Rahmen eines ungezwungenen Spiels mit Symbolen jüdischer (Ess-)Kulturen: Karpfen in Gelee mit Rosinen und Mandeln kündet von der langen Tradition effektiver Teichwirtschaft im Osten Europas, kalt serviert eignet sich das Gericht gut als Schabbat-Speise. Gänsehals, gefüllt mit gehackter Hühnerleber, früher ein Arme-Leute-Essen, wird heute zum touristisch vermarkteten Symbol einer vermeintlich authentischen aschkenasischen Küche und mit einer gänzlich neuen Wertigkeit versehen.
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Restaurants voller Reminiszenzen an eine erdachte alte jüdische Welt, die die klassischen Gerichte bemühen: Gefilte Fisch, Kohlrouladen mit Buchweizenfüllung, Hering, Bohnensuppe oder Gänseklein. Dazu Tscholent, Lammbraten, Kalbsschnitzel oder die Forelle im Kräutermantel – alles mit einer süßlichen Gewürznote als spezifisch jüdisch-polnischem Element. Wobei so viel Fleisch bei den durchschnittlichen Bewohner:innen von Kazimierz vor der Shoah allenfalls an Feiertagen auf den Tisch kam. Auch hier also eher eine imaginierte kulinarische Vergangenheit. In Kazimierz lebt Authentizität friedlich neben Schein- und Neo-Authentizität; die Frage, was wahr, echt, original oder ursprünglich ist, interessiert kaum.
 
Koscheres gibt es in Kazimierz nicht, man nennt es mit Augenzwinkern jewish style und erfüllt so offenbar die Nachfrage. Das Jüdische – oder was dafür gehalten wird – bleibt dekoratives Element, eine Kulisse, in der jüdische Vergangenheit präsentiert und oft konstruiert wird, oder schlicht eine Geschäftsidee, die den amerikanischen und europäischen Tourismus bedient.
Esskultur interkulturell
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In den USA hingegen, dem Traumland, in das viele Europäer:innen, darunter natürlich auch Jüdinnen und Juden, vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auswanderten, ist jüdisches Leben durchaus etabliert. Der Protagonist in Isaac Bashevis Singers (1902-1991) Isaac Bashevis Singers (1902-1991) Isaac Bashevis Singer (1902–1991) war ein polnisch-US-amerikanischer Schriftsteller. Er erhielt 1978 als bislang einziger jiddisch-schreibender Autor den Nobelpreis für Literatur. Er wurde im polnischen Leoncin in einer chassidischen Rabbinerfamilie geboren und wuchs in Warschau auf, sein Bruder Israel Joschua Singer war ebenfalls Schriftsteller, der in jiddischer Sprache publizierte und welchem er in die USA folgte. I.B. Singer thematisierte in seinem umfangreichen Werk, u.a. in der Trilogie Die Familie Moschkat, Das Landgut und Das Erbe immer wieder das Leben in polnisch-jüdischen Siedlungen oder die Freuden und Nöte des Alltags in der jüdisch geprägten Krochmalna-Straße in Warschau. „Erbe“11  fand auf den belebten Ladenstraßen New Yorks die „Fässer mit Hering, Essiggemüse und Sauerkraut (…), Challe, Bejgel, Mohnsemmeln“ (275), die er aus seiner osteuropäischen Heimat kannte.
 
Heute erfreuen sich Bagel Bagel Rundes Gebäck mit dem charakteristischen Loch in der Mitte. Es wurde vor allem von osteuropäischen Migrant:innen und aschkenasischen Jüdinnen und Juden Ende des 19. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten und nach Kanada gebracht und wird hier oft in Delis angeboten. Klassisch mit geräuchertem Fleisch, Räucherlachs oder Frischkäse belegt gelten Bagel heute als typisch nordamerikanisches Backwerk, das in der jüngeren Vergangenheit auch einen Transfer nach Europa erfahren hat. mit Frischkäse und Räucherlachs sowie Pastramisandwiches großer Beliebtheit und sind besonders in New York, der ersten Anlaufstelle der Einwanderer:innen, prägender Bestandteil der Delikultur Delikultur Deli, auch Delicatessen. Ursprünglich vor allem in New York City oftmals von jüdischen Emigrant:innen Ende des 19. Jahrhunderts gegründete und betriebene Feinkostgeschäfte, die auch kleine Speisen to go oder in Essbereichen anbieten, ein bekanntes Beispiel ist Katz‘s Delikatessen. Der Name ist abgeleitet vom französischen Begriff „délicatesse“ und dem darauf aufbauenden deutschen Wort „Delikatessen“. Inzwischen sind Delis auch mehr und mehr in Europa zu finden, typisch ist die Verbindung von Lebensmittelgeschäft und Imbiss. Verkauft werden fertig zubereitete Speisen, z.B. Salate, Fingerfood, (Pastrami-)Sandwiches, Bagel, Matzah Ball Soup, Goldene Joich, Rugelach und sonstige Snacks. Oftmals ist das Speisenangebot „koscher style“ und bedient sich insbesondere an aschkenasischen Küchen. geworden. Sie sind aschkenasisch-amerikanische, interkulturelle Produkte mit Breitenwirkung.
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Esskultur und Ernährungstrends geben Einblick in neue kulturelle Formen, die erst durch Mobilität und Globalisierung hervorgebracht wurden. So ist etwa das bekannte Pastramisandwich ein Produkt der Fusionküche Fusionküche Als Fusionküche wird die Kombination unterschiedlicher Esskulturen und Küchensysteme sowie die Vermischung (vermeintlich) klassischer Regional- und/oder Nationalküchen verstanden. Mittlerweile wird die Bezeichnung auch für die Verarbeitung von scheinbar nicht harmonierenden Zutaten innerhalb eines Gerichts verwendet. Die Fusionküche gilt als ein Signum des Zeitalters der Globalisierung. , die in globalisierten Zeiten immer populärer wird. Die Verbindung diverser Küchensysteme – wie z.B. der deftigen aschkenasischen mit der mediterran-würzigen Levante-Küche Levante-Küche Levante ist die historisch-geografische Bezeichnung für die Länder am östlichen Mittelmeer. Im weiteren Sinn sind damit besonders die griechische Halbinsel und die griechischen Inseln in der Ägäis, die mediterranen Küstengebiete der Türkei, Zypern, der Libanon, Palästina, das historische Syrien und Ägypten bezeichnet. Im engeren Sinn beschränkt sich die Bezeichnung auf die Ostküste des Mittelmeeres und ihr Hinterland, also das Gebiet der heutigen Staaten Syrien, Libanon, Israel, Jordanien sowie der palästinensischen Autonomiegebiete und der türkischen Provinz Hatay. Als Levante-Küche werden die verschiedenen Küchensysteme und Esskulturen des Gebietes der Levante bezeichnet. Kennzeichnend ist eine große Vielfalt kulinarischer Einflüsse und Gewürze (u.a. Kreuzkümmel, Koriander) sowie die Betonung von Gemüse und Hülsenfrüchten (u.a. Bohnen, Kichererbsen). –, schafft hier neue Ausdrucksformen, die ganz dem Geist einer auf Wahlfreiheit und Möglichkeitsvielfalt fokussierten Multioptionsgesellschaft12  entsprechen. Die Versnackung und Vegetarisierung der Essgewohnheiten setzen weitere Trends und schaffen neue Orientierungspunkte für Gastronomie und private Ernährung.
 
Aschkenasische Küchen wie in den Shtetlach des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Berlin oder New York anzutreffen, ist heute eine Illusion – und auch in Kiew oder Warschau orientiert man sich im Marktsinn mehr und mehr an zeitgenössischen Adaptionen bekannter Gerichte sowie globalen Maßstäben. Nicht einmal im historisch unscharf als letztes Shtetl Europas bezeichneten, heute orthodox geprägten Diamantenviertel von Antwerpen, wo Jiddisch noch Alltagsprache ist, kann man sich vor dem Levantetrend verschließen und bietet munter koschere Falafel an.
"Von einer Welt, die nicht mehr ist" (Israel J. Singer)?
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Jüdisch-osteuropäische Ernährungswelten, ihre Entstehung sowie Entwicklung und Aushandlung eröffnen eine Perspektive auf das plurale und doch gemeinsam verwurzelte Aschkenas und seine kulinarischen Ausprägungen. Aschkenasische Lebenswelten und ihr Erbe finden sich heute auf ganz unterschiedliche Weise sowohl im östlichen Europa als auch beispielsweise in Deutschland, Israel und den USA, den primären Migrationszielen zahlreicher Aschkenasim. Transnationale Prozesse und die Diaspora lassen keine eindeutige Verortung, wohl aber ein Nachverfolgen der Traditionslinien zu. In der sich weiter drehenden und immer stärker verzahnenden Welt haben sich diese mit neuen Ausdrucksformen kultureller Eigenheit und Identität vermischt; das Singuläre und Besondere ist attraktiv geworden, das Traditionsreiche wird besonders hervorgehoben.13
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Die Lebenswelt des Shtetls14  mag nicht mehr sein oder nur noch in den ultra-orthodoxen Gemeinden von New York, Antwerpen sowie an einigen Orten in Israel eine ferne Nachfolge in gänzlich anderen sozialen und kulturellen Kontexten gefunden haben. Doch die ideellen Bedeutungsgeflechte, die Ernährung besonders an Festtagen als Mittel der Kohäsion annimmt, existieren fort und finden neue Entsprechungen. So finden sich aschkenasische Esskulturen heute ebenso in den Inszenierungen des jüdischen Kazimierz, auf den Tellern diverser russisch-jüdischer Restaurants in Deutschland sowie mit Bageln in Lunchbags weltweit.
FoodGuide Jüdische Küche
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Jüdische Küche ist heute in aller Munde: Kochbücher, Filme und Szenerestaurants vermitteln ein schillerndes Bild – das aber immer nur einen kleinen Ausschnitt zeigt. Die jüdische Küche ist ebenso alt wie vielfältig, weitverzweigt wie mehrdeutig. Vor der Shoah war sie über fast ganz Europa verbreitet.
Der FoodGuide Jüdische Küche erkundet diesen Kosmos in seiner Verwobenheit mit den jeweiligen nationalen Küchen und zugleich mit der jüdischen Kulturgeschichte und ihren heutigen Trends.
Hier werden koschere und kosher-style Küchen, aschkenasische und sephardische Speisen, die Trends der Levante und die Experimente einer Fusion-Cuisine vorgestellt und natürlich auch gekostet. Dabei schauen die Autor:innen in die Kochtöpfe und sprechen mit Gästen und Köch:innen – eine Einladung, über das Essen die Vielfalt jüdischer Kulturen in Europa zu entdecken.
Gunther Hirschfelder / Jana Stöxen / Markus Schreckhaas / Antonia Reck. FoodGuide Jüdische Küche. Geschichten – Menschen – Orte – Trends. Leipzig 2022.

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