Die kulturelle Vielfalt Siebenbürgens zeigt sich auch in der kulinarischen Kultur der Region, die von unterschiedlichsten Einflüssen, Bevölkerungsgruppen und deren wechselvoller Geschichte geprägt wurde. Ein spannendes Beispiel dafür ist ein Hefefladen namens „Hanklich“.
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Die Esskulturen 
Siebenbürgen
eng. Transylvania, deu. Transsylvanien, deu. Transsilvanien, ron. Transilvania, ron. Ardeal

Siebenbürgen ist eine historische Landschaft im heutigen Rumänien. Sie liegt im Zentrum des Landes und wird von ca. 6,8 Millionen Menschen bewohnt. Die größte Stadt Siebenbürgens ist Cluj-Napoca. In Siebenbürgen lebten einst deutschsprachige Minderheiten.

 zeichnen sich durch ihren Reichtum und ihre Vielfalt aus. So ist zum einen eine Vielzahl unterschiedlichster kulinarischer Kulturen präsent – analog zu den zahlreichen Bevölkerungsgruppen Siebenbürgens, die hier lebten und leben, und ihren jeweiligen nationalen und kulturellen Hintergründen. Zum anderen gründet sich dieser Reichtum gerade auch auf den kulturellen Austausch, der sich seit jeher auch auf der kulinarischen Ebene vollzieht. Durch die wechselnde politische Zugehörigkeit der Region im 
Karpaten
srp. Karpati, hun. Kárpátok, ron. Carpați, ukr. Karpaty, ces. Karpaty, pol. Karpaty, slk. Karpaty, deu. Karpathen, deu. Karpatenbogen, eng. Carpathians

Die Karpaten, ein europäisches Hochgebirge, umschließen die ungarische Tiefebene mit dem sogenannten Karpatenbogen. Sie besitzen Ausläufer nach Österreich, Tschechien, Ungarn und Serbien. Die Hauptanteile der karpaten liegen in Polen, der Slowakei, der Ukraine und in Rumänien. Geografisch haben die Karpaten den gleichen Ursprung wie die Alpen.

 kamen im Laufe der Jahrhunderte weitere Einflüsse hinzu. Über die Vermittlung rumänischer Essgewohnheiten beispielsweise kamen türkische und griechische Speisen ins Land – wie Sarmale, einer Art Kohlroulade.  Die Siebenbürger Sachsen und Ungarn orientierten sich vor allem im Bereich der Mehlspeisen an 
Wien
eng. Vienna

Wien ist die Bundeshauptstadt und politisches, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Österreichs. Allein im Stadtgebiet leben rund 1,9 Millionen Einwohner:innen und damit ein Fünftel der Landesbevölkerung, im Großraum insgesamt sogar ein Drittel aller Österreicher:innen. Historisch bedeutend ist Wien insbesondere als Hauptstadt und mit Abstand wichtigste Residenzstadt der ehemaligen Habsburgermonarchie.

, wodurch auch Striezel, Faumrollen und Linzer Torte fortan zur siebenbürgischen Küche gehörten.
Zu den ältesten Gebäckarten gehört bei den Siebenbürger Sachsen ein Hefegebäck mit einem Eier- und Butterguss, nämlich die – manchmal auch der – Hanklich. Er kommt auf den Tisch in unzähligen örtlichen Varianten bei Taufen und Hochzeiten sowie bei den christlichen Hochfesten im Jahreslauf – Ostern, Pfingsten, Weihnachten. Die Hanklich, mundartlich auch de Hunklich, ist der Inbegriff siebenbürgisch-sächsischer Backkultur überhaupt und wurde jeweils am Freitag vor dem Fest auf dem Herd des großen Backofens gebacken, der ausnahmslos zu jedem ländlichen Anwesen in Siebenbürgen gehört.
Der Name ist ebenso alt wie das Rezept dieses Fladengebäcks. Eine überzeugende Erklärung seines Namens ist bis heute nicht gefunden worden. Der Verweis auf „handlich“, bezüglich einer Ursprungsgröße, die sich an einer „Handbreit“ orientiert, überzeugt nicht. Die älteste schriftliche Quelle stammt aus dem Jahr 1541 aus 
Brașov
deu. Kronstadt, deu. Krunen, lat. Corona, deu. Cronstadt, deu. Stephanopolis, ron. Orașul Stalin, hun. Brassó

Brașov liegt in der historischen Region Siebenbürgen im Zentrum Rumäniens und ist eine Großstadt mit knapp 250.000 Einwohnern. Brașov war eines der Siedlungszentren der Siebenbürger Sachsen.

 und zählte eine „hantlich“ in einer Reihe mit Brotsorten auf. Im Laufe der Jahrhunderte mehren sich die Erwähnungen, aus denen immer deutlicher hervorgeht, welche Rolle der Feiertagsfladen für ritualisierte Handlungen spielte: 1621 war es im Dorf
Șieu
deu. Schogen, hun. Nagysajó, deu. Großschogen, eng. Şieu

Schogen (rumänisch: Şieu) ist ein Dorf am Ufer des gleichnamigen Flusses in Transsilvanien.

Pflicht, an Ortsfesten dem evangelischen Pfarrer seitens der Kirchengemeinde „Klotsch und Hanklich“ unter feierlicher Ansprache zu übergeben, wobei mit „Klotsch“ eine Kolatsche, gemeint war, ein etwas einfacheres Hefeteiggebäck. Rund hundertdreißig Jahre später, 1750, wurde in 
Pianu de Jos
deu. Deutsch-Pien, deu. Pien

Pianu de Jos ist ein Dorf in Siebenbürgen und gehört zur Gemeinde Pianu. Es liegt am Ufer des gleichnamigen Flusses.

 im 
Zekesch-Hochland
ron. Podișul Secașelor, eng. Secașelor highlands

Das Zekesch-Hochland wird durch das Einzugsgebiet der beiden Zekesch-Flüsse beschrieben. Es erstreckt sich in den rumänischen Kreisen Alba und Sibiu. In seinem Zentrum ist es von Wäldern dominiert, an den Rändern von Weide- und Steppenflächen.

 das Geschenk festgeschrieben, das dem örtlichen Schulrektor anlässlich seiner Heirat seitens der Gemeinde zustand – nämlich „eine Hanklich“. Die allgemeine Beliebtheit des Hanklich-Fladens ließ ihn unter besonderen Umständen gar zur Werteinheit avancieren. So vermerken die Quellen der Stadt Kronstadt: „Anno 1603 […] war eine so große Teuerung […], dass […] für ein Stück Ackerland eine trockene Hanklich gegeben wurde.“
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Die Zutaten für den Hanklich-Teig mögen sich im Laufe der Generationen geändert haben, die Grundelemente – ein Hefeteig mit „Geschmiersel“, also dem Guss – sind bis heute die gleichen geblieben. Auch hat er nicht an Beliebtheit verloren, so dass nach der Aussiedlung der Sachsen auch die rumänische Bevölkerung in Südsiebenbürgen die Hanklich backt. Dann heißt der Fladen, rumänisch eingelautet, „henkliş“, auch „henkleş“.
Die Beliebtheit zeigt sich auch an den kaum überschaubaren Rezepten und Hanklich-Varianten, die seit dem 18. Jahrhundert und bis heute gebacken wurden und werden: Rahm-Gries-, Pflaumen-, Apfel-, Kürbis-, Zwiebel-, Zimt-, Grieben-Hanklich und noch andere mehr.
Die älteste und am häufigsten gebackene Hanklich ist dabei ein Eierkuchen, der dann auch Eier-Hanklich oder Ochenhunklich (im Raum Alzen) genannt wird. Diese Variante gibt es in einfacher oder „gefaltener“, blätterteigartiger Form. Das Rezept für die „Hanklich mit Eierguss (Geschmiersel)“ – mit dem Zusatz „eine sächsische Bäckerei“ – findet sich auch im ehedem beliebtesten Kochbuch der Siebenbürgerinnen, in Christine Schusters „Küche und Haushalt“ (1904) wieder:


„Ein Dampfel von 5 Dkgr. Germ, 1 L. Milch, 6 Eier, 2 dl. Butter, etwas Salz, Mehl nach Bedarf (…) Es wird aus obigen Bestandteilen ein ziemlich fester Hefenteig sehr gut gearbeitet, bis er Blasen hat und sich von den Händen und dem Molterchen [Trog] gut löst; dann schlägt man ihn zusammen, streut Mehl darüber und lässt ihn aufgehen.

Man breitet ein reines Tischtuch auf einen Tisch, streut Mehl darauf und walkt den aufgegangenen Teig von der Mitte aus nach allen 4 Seiten ½ cm dick aus […9 Danach gießt man den später angegebenen Eierguss darüber und verstreicht ihn, dass er den Teig überall strohhalmdick bedeckt. Nun zieht man mit dem Zeige- und Mittelfinger kreuzweise Linien darüber, um das Ganze in 18 – 20 cm lange quadratische Tafeln zu teilen, deren Rand durch das Streichen den Guss verliert; nun schneidet man mit einem glühenden Messer diese Tafeln auseinander […] Jede einzelne Tafel wird auf ein ebenso großes, mit Fett geschmiertes Papier gehoben, womit 2 Personen nötig sind, damit die Hanklich nicht verzogen wird und der Guss nicht abrinnt, und bäckt sie dann direkt auf dem Herd des Backofens. Die Hanklich soll in einem gut geheizten Backofen zirka 10 Minuten backen¸ der Guss soll goldgelb und die untere Seite des Teiges wohl ausgebacken, aber noch weiß sein.

Der Eierguss zur Hanklich besteht aus einer Creme von Eiern und Fett, und zwar werden sie zu gleichen Teilen gemessen. Für obigen Teig rechnet man 1 Liter Eier, ½ Liter Butter und ½ Liter Speckfett. […] Dann seiht man das Fett ab und gibt es zur Butter und lässt beides heiß werden; währenddessen sprudelt man in einem irdenen Topf die abgemessenen Eier, gießt dann das siedende Fett unter beständigem rühren löffelweise ein, bis es anfängt dicklich zu werden.“

Die „gefaltete Hanklich“ ist der eigentliche Hochzeits- und Festtagskuchen:

„Der Teig wird, wie vorher angegeben, bereitet, und wenn er aufgegangen ist, auf dem bemehlten Tuch ausgewalkt. Man bestreicht in der Mitte [der Fläche] eine quadratische Form mit zerlassener, warmer Butter, schneidet von dem Teig ein Viereck ab, legt es auf das erste, streicht wieder Butter und fährt so fort, bis der Teig in etwa neun Platten aufgearbeitet ist. Die letzte Platte […] dehnt man ein wenig aus, damit auch die Seitenflächen damit überdeckt seien. Nun hebt man den gefalteten Teig auf ein bemehltes Brett, deckt ihn mit einem Tuch gut zu und lässt ihn an einem kühlen Ort eine Stunde rasten. […] 16 – 20 Stück können aus dieser Masse gemacht werden“.

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Die ausführliche Beschreibung des „Hanklich“-Backens offenbart einen wichtigen sozial-kommunikativen Aspekt der Herstellung dieses Gebäckes. Denn es waren stets mehrere Personen erforderlich, um die angemessene Anzahl an „Hanklich“-Fladen zu backen – erst recht, ging es um die Mengen, die etwa zu einem Hochzeitsessen gebraucht wurden. Auch war das Backen nur wirtschaftlich, wenn man in größeren Mengen buk, da das Heizen des Backofens in der großen Backstube, die noch bis spät ins 20. Jahrhundert hinein in keinem ländlichen Anwesen fehlen durfte, viel Holz und Arbeitskraft erforderte.
Auch die traditionelle Art, den Guss auf den Teig aufzutragen, verlangte viele flinke Frauenhände. Es galt, beim „Aufschütten“ der Eiermasse im Wechsel mit der heißen, „gebratenen“ Butter direkt auf die Teigfläche, die Zutaten in knapper Zeit zum Guss zu vermengen, die Hanklich damit flächendeckend über die ganze Tischplatte hinweg zu „schmieren“ bis das cremige Gemisch „stockte“ und keine Gefahr mehr bestand, dass der Guss am Hanklich-Rand über die Tischkante hinunterlaufen konnte. Dem Backen der Hanklich wurde daher für gewöhnlich ein ganzer Tag gewidmet. Das „Große Backen“, bei dem alle in der Großfamilie oder der Nachbarschaft sich zusammentaten, fand stets am Freitag vor einem der Feiertage statt. Nicht selten stand dieses „Große Hanklichbacken“ im Mittelpunkt von Festen und ritualisierten Bräuchen.
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Letzteres soll hier am Beispiel des Überbringens der „Brauthanklich“ in 
Alțâna
deu. Alzen, hun. Alcina, ron. Alțîna

Alzen (rumänisch: Alțâna) ist eine Gemeinde in Rumänien, die erstmals 1291 urkundlich erwähnt wurde. Alzen liegt in Transsilvanien (historisch: Siebenbürgen) im Harbachtal. Seit der Gründung gab es eine kleine jüdische Bevölkerungsgruppe. Der jüdische Friedhof wurde jedoch überbaut, nachdem die letzten jüdischen Familien den Ort verließen.

 im 
Harbachtal
hun. Hortobágy völgye, eng. Hârtibaciu Valley, deu. Haferland

Das Harbachtal in Siebenbürgen (Rumänien), auch Haferland genannt, wird von dem namengebenden Harbach (rum. Hârtibaciu) durchflossen. Es teilt sich in das obere und das untere Harbachtal. Im Zentrum liegt die Stadt Agnita (Agnetheln).

 kurz erläutert werden: Die vorindustrielle siebenbürgisch-sächsische Dorflandschaft war traditionell von wirtschaftlicher Autarkie und in deren Folge von Endogamie geprägt, die eine Heirat nur innerhalb der Dorfgrenzen als sozial wünschenswert akzeptierte. Eine Heirat über die Dorfgrenzen hinweg bedeutete immer auch einen sozialen Makel. Wenn also zwei Großfamilien, die sogenannten „Freundschaften“, wie die Verwandtschaften bezeichnet wurden, sich durch die Verheiratung zweier ihrer Mitglieder verbanden, ging es auch darum, „dass sich keine ‚Freundschaft‘ über die andere zu erheben trachte“.1
Als „Mahnung und Dämpfer zu solchem Gehabe“2 wurden also am „Großen Backen“, dass, nach „Freundschaften“ getrennt, sowohl im Elternhaus der Braut als auch im Elternhaus des Bräutigams am Freitag vor der Hochzeit stattfand, knappe Texte („Sprüche“) verfasst. Die nahmen jeweils die konkreten Personen „von der anderen Seite, die sich beim Bräutigam am Großen Backen versammelt hatten“3 ins Visier. Deren physische Eigenschaften, gesellschaftlicher Stand, vor allem aber moralische Schwächen wurden ironisch liebevoll, oft aber auch ungeschminkt derb angesprochen. Die Texte waren auf Papierschleifen geschrieben, die mundartlich als Stropp oder Sträp bezeichnet wurden. Sie wurden zusammen mit der „Brauthanklich“ ins Elternhaus des Bräutigams gebracht und einer dafür bestimmten Frau übergeben. Die im Hause des Bräutigams versammelten Frauen der nächsten Verwandtschaft waren diesbezüglich ebenfalls mit „Sprüchen“ auf weißen Papierstreifen vorbereitet. Das spöttisch-heitere „kleine Dorfgericht“4 konnte somit stattfinden.
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Nach der Übergabe der „schönen Hanklich“ bei launiger Rede und Gegenrede, die wohl auf den kommenden „Spaß“ vorbereiten sollten, nach dem zünftigen Bewirten der Gäste, folgte dann der Austausch der dekorativen Schleifen, die im Einzelnen jeweils ihrer Adressatin angesteckt wurden. Die meist in mehr oder weniger geglückten Reimen gehaltenen Botschaften bezogen sich etwa auf den gesellschaftlichen Status, zumal man in der Dorfgesellschaft den Altenjungfernstand genüsslich sanktionierte, vor allem, wenn sich die Unverheiratete kaum noch Chancen auf eine Heirat machen konnte und nicht mehr als attraktiv galt: „Wandle oft auf Rosen/ auf immergrüner Au,/ Bis einer kommt in Hosen/ Und nimmt dich dann zur Frau“ (1984). Einer stets ungeduldigen und hektischen Familienangehörigen wiederum wurde das Bild eines Schnellzugs assoziiert: „Der Schnellzug kommt so schnell herein,/ rennt sich den Kopf am Backofen ein“ (1979); einer Jungverheirateten, die an Gewicht verloren hatte, wurde geschrieben: „Wenn Du weiter magerst so,/ braucht dein Mann bald Indigo“, womit Kopierpapier gemeint war (1975). Dünkelhaftes Benehmen, eheliche Fehltritte, die in einer geschlossenen Gemeinschaft kaum verborgen bleiben konnten, Tratsch und rüpelhaftes Benehmen kamen ebenso zur Sprache wie Gier und Geiz. Bei einer Familie, deren Huhn durch den Hund des Nachbarn starb, wurde maliziös an die unangemessen hohe Ersatzsumme erinnert, die diese gefordert hatte „da es grad der Zuchthahn war“ (1980). Als sich Mitte der 1980er Jahre am „Großen Hanklichbacken“ bei der Familie einer Braut die Frauen entschlossen hatten, die Schleifen ohne kritischen Text zu überbringen, wurden sie von der Mutter des Bräutigams apostrophiert: „Willkommen, Ihr Lieben!/ Ihr habt uns [auf die Schleifen] nichts geschrieben,/ Habt ihr die Schule gar versäumt,/ Oder seid ihr nur so verträumt?“
Die Hanklich zeigt, wie eng auch in Siebenbürgen kulinarische Kulturen mit dem sozialen und gesellschaftlichen Leben verknüpft waren. Zahlreiche dieser Spruchschleifen, weitere aufgezeichnete Erinnerungen ehemaliger Teilnehmerinnen des „Großen Backens“ und Fotografien dieses für die Dorfgemeinschaft wichtigen Ereignisses werden heute in der Sammlung des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim verwahrt. Auch sie sind ein Teil siebenbürgischer Kultur.

Siehe auch