Eine Vielzahl von Feierstunden und Festempfängen prägte das Bild des Copernicus-Jubiläums in der DDR. Mit ihnen sollte die deutsch-polnische Freundschaft betont werden, Kopernikus selbst wurde als Wegbereiter der Weltanschauung des sozialistischen Staates inszeniert.
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Während die Copernicus-Feierlichkeiten des Jahres 1973 in der Bundesrepublik noch ein Spannungsfeld zwischen verschiedenen Bemühungen um ein aktualisiertes Kopernikus-Bild einerseits und der speziellen Rolle von Kopernikus als Repräsentant des ehemaligen „deutschen Ostens“ andererseits erkennen ließen, war diese Frage in der DDR politisch geklärt: Weil der sozialistische Bruderstaat Polen nicht durch einen Verweis auf die auch deutsch geprägte Vergangenheit des Preußenlandes infrage gestellt werden sollte, erschien Kopernikus hier durchweg als ein großer polnischer Astronom und Universalgelehrter, gelegentlich wurde deshalb auch die polnische Namensvariante Mikołaj Kopernik benutzt. Gefeiert wurde das Jubiläum, wie es Herbert Weiz, der stellvertretende Vorsitzende des DDR-Ministerrates, bei einer Festsitzung der Akademie der Wissenschaften ausdrückte, „gemeinsam mit der Volksrepublik Polen und der ganzen fortschrittlichen Menschheit“1  – womit die sozialistischen Staaten gemeint waren.
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Das kurze Zitat von Weiz, der ab 1974 und bis zum Wendejahr 1989 als Minister für Wissenschaft und Technik der DDR amtierte, verweist zugleich auf den Zuschnitt der Feierlichkeiten und ihren ideologischen Gehalt. Während das Jubiläum in der Bundesrepublik von unterschiedlichen Organisationen mitgetragen und ausgestaltet wurde, nicht zuletzt von den „ostdeutschen“ Landsmannschaften, scheint das Programm des Copernicus-Jahres in der DDR mangels eigenständiger zivilgesellschaftlicher Akteure stark durch einen Top-Down-Charakter geprägt worden zu sein. Auch in der DDR existierte ein Komitee zur Vorbereitung des Jubiläumsjahres. Anders als bei dem Pendant in der Bundesrepublik handelte es sich hier aber nicht um einen freien Zusammenschluss verschiedener Organisationen, sondern um ein Gremium bei der Akademie der Wissenschaften. Da das „revolutionierende Werk des Copernicus [...] den Werktätigen und vor allem der Jugend nahegebracht“2  werden sollte, gab es einige für eine breitere Öffentlichkeit konzipierte Angebote, darunter eine Ausstellung der Staatsbibliothek Berlin und eine von Radio DDR II zusammen mit der Bildungsorganisation Urania bereits 1972 ausgestrahlte Sendereihe. Ansonsten dominierten offizielle Anlässe wie Feierstunden an Universitäten und Empfänge für Delegationen aus Polen.
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Im Druck erschienene Festreden lassen erkennen, dass die Auseinandersetzung mit Kopernikus inhaltlich von dem Versuch geprägt war, den Astronomen als Teil jener „fortschrittlichen Traditionen“ zu deuten, die seit den 1970er Jahren in der DDR und anderen Ländern des Ostblocks verstärkt als historische Legitimation des Sozialismus herangezogen wurden. Einen Ausgangspunkt dafür bildete ein in vielen Reden und Artikeln angeführtes Zitat von Friedrich Engels, der Copernicus zu den „Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit“3 gezählt hatte, von denen in der Weltgeschichte fortschrittliche Impulse ausgegangen seien. Oft wurde dabei so argumentiert, dass Copernicus zum Vorläufer der eigenen Weltanschauung erklärt werden konnte. So äußerte etwa der Mittelalterhistoriker Hans-Joachim Bartmuß in einem Festvortrag an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: „Dieses Copernicanische Weltbild mußte in seiner philosophischen Endkonsequenz unvermeidlich zu der materialistischen Auffassung führen […], deren geschichtlicher Höhepunkt die Weltanschauung der Arbeiterklasse, der sozialistischen Gesellschaft ist.“4 Der „bürgerlichen“ Wissenschaft westlicher Länder warf er vor, die revolutionäre Tat von Kopernikus kleinzureden. Copernicus sei schließlich „ein echter Umsturzmann“5 gewesen, er habe „allen ferneren und anderweitigen Revolutionen der Erde Tür und Tor geöffnet“.6 Die „sozialistischen Nationalkulturen“ könnten für sich dagegen in Anspruch nehmen, dieses „Copernicanische Erbe treu bewahrt“7 zu haben.
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Der revolutionäre Geist des Kopernikus manifestierte sich für Bartmuß darin, dass er „dem phantastisch-despotischen dominium mundi des Mittelalters […] für immer das Garaus gemacht“8  habe und durch seine astronomischen Forschungen „dem gesunden Menschenverstand Eingang selbst in den Himmel verschafft“,9 also der katholischen Kirche ihre Deutungshoheit entzogen habe. Diese „Bedeutung der Lehre des Kopernikus für die materialistische Philosophie und für einen wissenschaftlich begründeten Atheismus“10 wurde auch vom Philosophen Helmut Mielke hervorgehoben. Widersprüchlich daran ist, dass Kopernikus als vermeintlicher Überwinder eines spekulativen, christlich-mittelalterlichen Weltbildes selbst im Dienst der Kirche stand und es auch keine Belege für seine angebliche kritische Haltung gegenüber kirchlicher Autorität gibt. Diesen Widerspruch erklärte Mielke durch eine in der marxistisch-leninistischer Theorie oft bemühten Unterscheidung zwischen einer nur sekundären Oberflächenstruktur und den darunterliegenden historischen Gesetzmäßigkeiten, die es als primäre Wirkkräfte anzusehen gelte: „Obwohl Copernicus persönlich als Kanonikus Angehöriger der hohen Geistlichkeit war und auf diese Weise an den feudal-klerikalen Privilegien teilhatte, diente sein Werk objektiv den Interessen der aufsteigenden bürgerlichen Klasse.“11
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Während es in den 1970er Jahren bereits verschiedentlich zur Zusammenarbeit von polnischen Wissenschaftlern mit Kollegen aus der Bundesrepublik Deutschland oder den USA kam, sind für deutsch-deutsche Kontakte zum Thema Kopernikus kaum Belege greifbar. Die DDR-Wissenschaft erteilte auch der in der Bundesrepublik aufkommenden Interpretation von Kopernikus als einer Figur einer europäischen Geschichte, die über nationale Kategorien hinausgeht, eine Absage: Dies sei als Symptom einer „reaktionären Europa-Ideologie“12  zu verstehen, mit der die „bürgerliche“ Wissenschaft die in der DDR erarbeiteten historisch-materialistischen Deutungen abzuwehren versuche.

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