Das Bukowina-Institut an der Universität Augsburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Bukowina und ihrer Bewohner:Innen zu bewahren. Untrennbar damit verbunden sind Erzählungen von Um- und Ansiedlung, von Flucht und Vertreibung sowie zu Integrationsprozessen in die spätere Bundesrepublik, die DDR und Österreich.
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Die sogenannten Bukowina-Deutschen haben sich – ebenso wie andere deutschsprachige Siedlergruppen in anderen Teilen Ostmittel- und Südosteuropas – lange nicht als eigene und distinkte Gruppe verstanden. Erst in der Zwischenkriegszeit wurde, unter dem Druck der Rumänisierung und vor dem Hintergrund allgemeiner völkisch-nationaler Umtriebe, das Verbindende der deutschen Siedlergruppen stärker betont. Auch der Begriff der Bukowina-Deutschen verfestigte sich erst zum Ende der 1920er Jahre: In den 1910er und 1920er Jahren findet sich wiederkehrend die Formulierung des „Deutschtum[s] in der Bukowina“ oder „Bukowiner Deutschtum[s]“. Zugespitzt lässt sich sagen, dass erst unter dem weiteren Eindruck der NS-Volksgruppenrhetorik und vor allem durch die Erfahrungen von Umsiedlung und Heimatverlust viele Bukowiner Deutsche zu einem dauerhaften Selbstverständnis als Bukowina-Deutsche kamen.
Diese These steht im Zentrum des Projekts Bukowina-Deutsche: Erfindungen, Erfahrungen und Erzählungen einer (imaginierten) Gemeinschaft. Umfänglich gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) umfasst es zwei Teilbereiche:
·        Erstens die Publikation eines Bandes der Reihe „Danubiana Carpathica. Jahrbuch für Geschichte und Kultur in den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropa“ (Hg. von Maren Röger und Alexander Weidle).
·        Zweitens ein Interviewprojekt mit Bukowina-Deutschen und deren Nachfahren (Projektleitung Alexander Weidle).
Publikation
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Seitdem das Habsburger Reich die Bukowina übernommen hatte, förderte es den Zuzug aus deutschsprachigen Landen. Zu „Bukowina-Deutschen“ bzw. „Buchenlanddeutschen“' wurden die Zugewanderten erst (gemacht) – durch das Agieren ethnopolitischer Unternehmer seit dem 19. Jahrhundert, unter dem Druck der Rumänisierung in der Zwischenkriegszeit, durch Angebote der völkisch-deutschnationalen Bewegung und die Folgen der Umsiedlung 1940/41. Der Band geht auf die Phasen, das Ausmaß und die Grenzen der Gruppenidentitätsstiftung(en) ein.
 
Damit zielt er im Kern auf die Genese der Gruppenidentität der christlichen Deutsch(sprachig)en und umfasst Aufsätze ausgewiesener Bukowina-Forscher:Innen ebenso wie Arbeiten junger Historiker:Innen. Zweitere entstanden im Wesentlichen im Rahmen universitärer Qualifikationsarbeiten an der Augsburger Juniorprofessur für Transnationale Wechselbeziehungen: Deutschland und das östliche Europa (seit 2021 mit der Denomination „Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa“; Maren Röger). Dabei beziehen sie mehrfach bislang unbearbeitete Archivalien aus dem 2019 neu eröffneten Archiv des Bukowina-Instituts mit ein.
Interview-Projekt
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Das intergenerative Interviewprojekt möchte in mehreren Dimensionen der Frage nachgehen, wie die Gemeinschaft der „Bukowina-Deutschen“ gestiftet, erlebt und heutzutage erzählt wird. Bis April 2021 konnten in Deutschland, Österreich und Rumänien rund 140 Interviews geführt werden, in denen Gesprächspartner:innen über ihr Leben in der Bukowina, über Um-, Ansiedlung und Flucht sowie über ihren späteren Lebensweg berichten konnten. Angesichts des zunehmenden Sterbens der Erlebnisgeneration ist dies eine unglaubliche und in vielen Fällen letztmalige Chance, diese Berichte für die Nachwelt zu sichern. Zugleich richtet sich das intergenerative Projekt auch an Nachgeborene und Eheparter:innen sogenannter Bukowina-Deutscher. Besonders vielversprechend scheint dabei, dass die Befragten heterogene Hintergründe haben: Ihre Lebensgeschichten zeugen davon, dass ethnische Zugehörigkeit bei weitem nicht so eindeutig war, wie sie im Zuge der nationalistisch-völkischen, später rassistischen Aufladung proklamiert wurde. Zugleich bilden die Erzählungen ein komplexes Bild von Umsiedlungs-, Ansiedlungs- und Integrationsprozessen in die spätere Bundesrepublik, in die DDR oder Österreich. Neben denjenigen, die sich (bzw. deren Vorfahren sich) als deutsche Umsiedler:innen in Landsmannschaften engagierten bzw. dort nie vertreten waren, finden sich im Projekt auch französischsprachige Gesprächspartner:innen deutschen und jüdischen Hintergrunds oder anerkannte und nicht anerkannte Spätaussiedler:innen, die sich selbst bzw. ihre Familien als eher rumänisch denn als deutsch bezeichnen.
Praktisches Vorgehen und Ausblick
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Die Interviews werden doppelt gesichert aufgezeichnet und orientieren sich am in der Oral-History verbreiteten dreihebigen Verfahren: Ein erster Teil, der nicht durch Rückfragen unterbrochen wird, ermöglicht den Befragten die Erzählung ihrer Lebensgeschichte. Dieses Vorgehen zielt auf eine zusammenhängende Narration ab. Im zweiten Teil werden Rückfragen zur Lebenserzählung gestellt, ehe der dritte Teil sich anhand eines umfänglichen Fragebogens bzw. Leitfadens orientiert.
In einem zusätzlichen Schritt werden schließlich Fotografien bzw. materielles Gut einbezogen. Deren Beschreibung wird ebenfalls aufgezeichnet; die Quellen abfotografiert bzw. gescannt. Sowohl Tonspuren als auch Fotografien werden im Archiv des Bukowina-Instituts abgelegt und umfänglich nachbereitet: So entstehen Gedächtnisprotokolle, Schlagwortverzeichnisse und Volltranskriptionen.
Nach Abschluss des Projektes sollen die geführten Interviews gemeinsam mit weiteren Gesprächen, die in umfänglicher Sammlung vorliegen, in einem Interviewarchiv am Bukowina-Institut zugänglich gemacht werden.
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Siehe auch