Eine blau-weiß gestreifte Tasche mit weißen Henkeln – auf den ersten Blick eine unscheinbare Strandtasche. Doch sie erzählt die bewegende Fluchtgeschichte der damals 33-jährigen Edina Rizvanović aus dem heutigen Bosnien und Herzegowina nach Ulm.
Text
Die blau-weiß gestreifte Tasche ist ein Geschenk von Edinas Mann. Er bringt sie von einer Geschäftsreise in Österreich mit nach 
Prijedor
srp. Приједор

Prijedor (Serbisch: Приједор) ist eine Stadt in der Entität Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina. Sie wird von ca. 90.000 Menschen bewohnt und liegt im Norden des Landes in der Region Bosanska Krajina.

 (damals 
Jugoslawien
srp. Југославија, hrv. Jugoslavija, eng. Yugoslavia, slv. Jugoslavija, sqi. Jugosllavia

Jugoslawien war ein südosteuropäischer Staat, der mit Unterbrechungen und in leicht wechselnden Grenzen von 1918 bis 1992 bzw. 2003 existierte. Hauptstadt und größte Stadt des Landes war Belgrad. Historisch unterscheidet man insbesondere zwischen der Zeit des Königreichs Jugoslawien von 1918 bis 1941 (auch 'Erstes Jugoslawien' genannt) und dem kommunistischen Jugoslawien ab 1945 (das sog. 'Zweite Jugoslawien') unter dem diktatorisch regierenden Staatschef Josip Broz Tito (1892-1980). Der Zerfall Jugoslawiens ab 1991 und die Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Landesteile mündeten schließlich in die Jugoslawienkriege (auch Balkankriege oder postjugoslawische Kriege genannt). Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind heute Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, der Kosovo und Bosnien und Herzegowina.

, heute
Bosnien und Herzegowina
srp. Босна и Херцеговина, srp. Bosna i Hercegovina, bos. Bosna i Hercegovina, hrv. Bosna i Hercegovina, eng. Bosnia–Herzegovina, eng. Bosnia and Herzegovina

Bosnien und Herzegowina ist ein Bundesstaat im südöstlichen Europa. Das Land wird von rund 3 Millionen Menschen bewohnt (2022: 3,23 Mio.) und setzt sich aus den politischen Teilgebieten Republika Srpska, der Föderation Bosnien und Herzegowina und dem Distrikt Brčko zusammen. Bosnien und Herzegowinas Hauptstadt ist Sarajevo. Das Land wird der Balkanhalbinsel zugeordnet und grenzt ans Adriatische Meer. Die Bosnien stellen neben den Serben und Kroaten die größte Bevölkerungsgruppe.

Geografisch setzt sich das Land zusammen aus den historischen Regionen Bosnien und der Herzegowina, deren wechselhafte politische Geschichte in engem Zusammenhang mit den jeweiligen historischen Nachbarstaaten und der Lage auf dem Balkan steht. Bereits seit dem 15. Jahrhundert gehörten die südlichere Herzegowina und große Teile Bosniens zum Osmanischen Reich, das hier an das nördlich gelegene, christlich geprägte Habsburgerreich grenzte. Ende des 19. Jahrhunderts kamen beide Regionen zunächst unter österreichisch-ungarische Finanzverwaltung, 1908 folgte schließlich die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn, was zu einer politischen Krise führte. 1914 waren regionale Freiheitsbewegungen wie „Mlada Bosna“ („Junges Bosnien“) am Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand (1863–1914) beteiligt, das in letzter Konsequenz zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914–1918) und schließlich zum Zusammenbruch Österreich-Ungarns führte.

Ab 1918 gehörten Bosnien und die Herzegowina zum neu errichteten „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (1918–1929), das ab 1929 als „Königreich Jugoslawien“ firmierte, jedoch bereits 1941 infolge deutscher Eroberung im Zweiten Weltkrieg unterging. Ab 1945 war die sozialistische Republik Bosnien und Herzegowina Teil des wiedererrichteten, nun kommunistischen Jugoslawiens. Vor dem Hintergrund des zunehmend kriegerischen Zerfalls des Landes im Rahmen der Jugoslawienkriege (1991–2001) konnte Bosnien-Herzegowina seine 1992 erklärte Unabhängigkeit erst infolge des opferreichen dreijährigen Bosnienkriegs (1992–1995) durchsetzen.

) – als Strandtasche für den Urlaub am Meer. Doch dann kommt alles anders: Die Unabängigkeitsbestrebungen einiger Bevölkerungsgruppen führen in Jugoslawien 1991 erstmals zum Krieg. Statt in den Urlaub zu fahren, muss Edina mit ihren zwei Söhnen flüchten. Ihren Mann muss sie zurücklassen, nur Frauen und Kinder dürfen die Stadt verlassen.
Auf ihre Flucht nimmt Edina keinen Koffer mit, sondern ihre Strandtasche, weil sie diese über die Schulter hängen kann, sodass sie die Hände für ihre beiden Söhne frei hat. Die Strandtasche ist nicht groß – gerade einmal 50 cm x 35 cm – doch in ihr steckt alles, was Edina aus ihrem bisherigen Leben in Bosnien mitnehmen kann. Der Verlust liegt über allem: Der Verlust von materiellen Dingen, an die wertvolle Erinnerungen geknüpft sind; der Verlust der Heimat, in der Edina glückliche Zeiten verbracht hat, und die Ungewissheit, ob sie jemals zurückkommen wird. 
Paramilitärs, die schwer bewaffnet in den Bus kommen, der Edina und die anderen aus der Stadt wegbringen soll, nehmen den Flüchtenden Geld und Wertsachen ab. Aber der Inhalt von Edinas Strandtasche ist für sie scheinbar nicht interessant, sie sehen nur ein Kinderbuch, eine Kinderdecke und Windeln. Doch zwischen den Buchseiten stecken 50 Mark, in den Saum der Kinderdecke waren 50 Mark eingenäht und ihren Geldbeutel hat Edina in einer Windel versteckt. Mit dem Bus, voll mit weinenden Kindern und Frauen, kommen Edina und ihre Söhne von Prijedor (Bosnien und Herzegowina) nach 
Novi Sad
deu. Neusatz, hun. Újvidék, srp. Нови Сад, slk. Nový Sad

Novi Sad (deutsch: Neusatz) ist eine Großstadt im Norden Serbiens. In der Stadt wohnen 230.000 Menschen, somit ist Novi Sad die zweitgrößte Stadt des Landes. Sie ist die Hauptstadt der Region Vojvodina und liegt an der Mündung des Kleine Batschka-Kanals in die Donau.

 (Serbien). Unter vielen Beleidigungen und Beschimpfungen können sie dort den Bus verlassen und mit dem Zug über
Ungarn
hun. Magyarország, eng. Hungary

Ungarn ist ein Staat in Mitteleuropa, dessen Hauptstadt Budapest ist. Das Land wird von ungefähr 10 Millionen Menschen bewohnt und war für mehrere Jahrhunderte Teil des sogenannten Habsburgerreich. Ungarn gehört seit dem 01.05.2004 der Europäischen Union an. Der größte Fluss des Landes ist die Donau.

nach
Österreich
eng. Austria

Österreich ist ein von ungefähr 8,9 Millionen Einwohner:innen bewohntes Land in Mitteleuropa. Hauptstadt des Landes ist Wien.

fahren. 
Dort findet Edinas Flucht ein abruptes Ende: Die Polizei holt sie und ihre beiden Söhne aus dem Zug, denn sie haben kein Visum für Deutschland. Nach einigen Tagen Aufenthalt nimmt Edina ihre Strandtasche wieder auf die Schultern und ihre Söhne an die Hand und macht sich erneut auf nach Deutschland. Den kompletten Weg über weinen Edina und ihre Söhne, denn sie haben Angst um ihren Mann und Vater. In Ulm angekommen müssen sie sechs Monate warten, bis er endlich zu ihnen kommen kann. Seitdem sind sie unzertrennlich.
Ulm wird für Edina und ihre Familie zur neuen Heimat. Aber am Anfang ist es für alle schwer, sehr schwer. Edina und ihr Mann arbeiten vom ersten Tag an, obwohl sie beide noch kein Deutsch sprechen. Ihre beiden Söhne nutzen die Möglichkeit, einen guten Schulabschluss zu machen und haben heute beide ein Studium abgeschlossen. Ihre Strandtasche behält Edina über all die Jahre. Sie ist für sie wie ihre treueste Freundin: Die Standtasche hat sie auf der Flucht und durch ganz schwere Zeiten begleitet und ist auch jetzt, in der schönen Zeit, bei ihr. Endlich kann die blau-weiß gestreifte Tasche als Strandtasche dienen, wenn Edina mit ihrem Mann, ihren beiden Söhnen, den Schwiegertöchtern und der Enkelin Ausflüge an die Ufer der Donau macht.
Die Geschichte von Edinas Strandtasche ist Teil des (Ausstellungs-)Projekts „Koffer-Geschichten. Migration verbindet“ am Donauschwäbischen Zentralmuseum – ein Projekt des Internationalen DZM-Forums „Migration verbindet“ .

Siehe auch