Die ostgalizische Stadt Lemberg hatte im Habsburgerreich eine lebendige Kaffeehauskultur. Hier kamen bei Kaffee und Tee polnische, jüdische und ukrainische Bewohner:innen zusammen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war aber auch an diesem Ort der wachsende Nationalismus zu spüren.
Kaffeehauskultur in Lemberg
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Kaffee ist in Europa seit dem 15. Jahrhundert bekannt und verbreitete sich bald darauf über den ganzen Kontinent. Besonders Wien war im 19. Jahrhundert berühmt für seine Kaffeehäuser. Ihre zahllosen Besucher:innen lasen bei Kaffee oder Tee Zeitung, trafen Freunde, diskutierten mit Unbekannten oder spielten Karten, Billard, Domino oder Schach. Einige verlagerten auch ihr Büro ins Kaffeehaus: Sie arbeiteten von dort, empfingen auch ihre Post und tauschten sich über die neuesten Nachrichten aus.1 
Schnell folgten auch andere Städte dem Beispiel Wiens: Um 1800 gab es in fast jeder größeren Stadt des Habsburgerreiches ähnliche Kaffeehäuser. Dies war auch in
Lwiw
deu. Lemberg, pol. Lwów, eng. Lviv, rus. Lwow, rus. Львов, yid. Lemberg, yid. לעמבערג, ukr. Львів, ukr. L'viv

Lwiw (deutsch Lemberg, ukrainisch Львів, polnisch Lwów) ist eine Stadt in der Westukraine in der gleichnamigen Oblast. Mit knapp 730.000 Einwohner:innen (2015) ist Lwiw eine der größten Städte der Ukraine. Die Stadt gehörte lange zu Polen und Österreich-Ungarn.

Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist es möglich, dass diese Informationen nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen.

der Fall. In der Hauptstadt des Kronlandes Galizien und Lodomerien lebten in dieser Zeit neben großen polnischen, jüdischen und ukrainischen Bevölkerungsteilen Angehörige zahlreicher weiterer Kulturen. Hier eröffnete als erstes 1829 das Wiener Café, das sich schnell großer Beliebtheit erfreute. Im Jahr 1841 notierte der deutsche Reisende Johann Georg Kohl: „Lemberg hat bessere und elegantere Kaffeehäuser als Dresden und manch andere deutsche Stadt von gleicher Größe.“2 
Die exklusiveren Kaffeehäuser zogen vor allem Künstler:innen und die Oberschicht an – Arbeiter:innen konnten sich für gewöhnlich nur die günstigeren Schenken leisten, in denen Getreidekaffee ausgeschenkt wurde. Allgemein passten sich die Kaffeehäuser ihren Besucher:innen an: Cafés, die vor allem von Familien besucht wurden, waren tagsüber geöffnet, während solche für Künstler:innen häufig bis spät in die Nacht offen waren. Für Letztere waren dies wichtige Orte, an dem sie ihren meist ärmlicheren Wohnungen entfliehen konnten. Mit dem Preis eines Kaffees erkauften sie sich eine Umgebung und Atmosphäre, in der sie in Ruhe arbeiten konnten – und in der zahlreiche bedeutende literarische Werke entstanden.
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„Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß das Wiener Kaffeehaus eine Institution besonderer Art darstellt, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.“3

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Um 1900 waren die bekanntesten Kaffeehäuser in Lemberg das Wiener oder das Theater-Café, die den „alten“ Wiener Stil des frühen 19. Jahrhunderts bewahrten. Im moderneren Amerikanischen Café spielte hingegen jeden Abend eine Live-Band. Jedes Kaffeehaus hatte seinen individuellen Stil und zog unterschiedliche Personengruppen an – so war das Kristall zum Beispiel ein Treffpunkt polnischer Politiker linker Parteien. Die ausführlichsten historischen Beschreibungen existieren jedoch über die Kaffeehäuser Schneider, Monopol und Abbazia (bis 1910 Edison). Vor dem Ersten Weltkrieg trafen sich hier jeweils polnische, ukrainische und jüdische Künstler:innen und Intellektuelle. Während viele von ihnen in früheren Jahren noch auf ein friedliches Zusammenleben hinarbeiteten, wurde für sie mit dem Laufe der Zeit die eigene Nationalität aber immer wichtiger – worin auch ein großes Konfliktpotenzial lag. Die Intellektuellen in den Kaffeehäusern griffen diese nationalen Konflikte auf, und vertieften durch ihre hier entstehenden Arbeiten zugleich aber auch die sozialen, politischen und kulturellen Gräben innerhalb der Stadt.
Café Schneider
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Eines der bekanntesten Kaffeehäuser der Zeit war das Café Schneider, das sich mit der Hausnummer 7 in der Ulica Akademicka (Akademie-Straße) befand, einer alleeartig angelegten Prachtstraße südlich der historischen Altstadt. Eröffnet im Jahr 1879, war es, so notierte die liberale polnischsprachige Tageszeitung Kurjer Lwowski (Lemberger Kurier) im Jahr 1900, „aktuell in Mode.“4  Das Café bot täglich knapp 100 nationale und internationale Zeitungen an und besaß drei Billardtische. Ab März 1912 erfolgte ein größerer Umbau des Gebäudes, was eine zwischenzeitliche Schließung zur Folge hatte.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert trafen sich hier vor allem polnische Künstler:innen. Aber auch lokale Organisationen wie der Lemberger Fahrradclub oder die Lemberger Gesellschaft für Fotografie nutzten die Räumlichkeiten für ihre Versammlungen. Das Café engagierte sich auch sozial und sammelte unter anderem Spenden für polnische Emigrant:innen aus Preußen. Auch in anderer Hinsicht kam man seinen wichtigsten Gästen entgegen: Da das Café ein beliebter Aufenthaltsort polnischer Offiziere wurde, unter denen das Deutsche Reich nicht eben gut gelitten war, reagierte der neue Besitzer Jakób Rollauer 1901 und bestellte alle Berliner Zeitungen ab.
Bis spätestens 1897 besuchte auch der ukrainische Schriftsteller Ivan Franko häufig das Café. Franko, der sowohl auf Ukrainisch, Polnisch als auch Deutsch publizierte, schrieb zu diesem Zeitpunkt für den Kurjer Lwowski. Da das Büro der Redaktion nahe lag, verbrachten die Mitarbeiter hier regelmäßig ihre Pausen. Sie hatten sogar einen eigens für sie reservierten Raum. Hier kam es zu gelegentlichen Treffen Frankos mit dem polnischen Schriftsteller Jan Kasprowicz – zugleich ein Freund und Kollege beim Kurjer – sowie Vasyl’ Ščurats, einem ukrainischen Professor für Literatur. Man diskutierte nicht nur ausführlich über verschiedene Themen, sondern korrigierte sich auch gegenseitig die neuesten Texte. Von Zeit zu Zeit beteiligten sich auch andere polnische Schriftsteller:innen an diesen Debatten. Außer Kasprowicz nahmen jedoch die wenigsten polnischen Intellektuellen Anteil an ukrainischer Literatur und Kultur, weswegen auch Franko meist abseits von seinen Kollegen saß.
Dies galt auch im übertragenen Sinne und nicht zuletzt hinsichtlich der vertretenen politischen Positionen: Franko war in dieser Zeit überzeugter Sozialist und schrieb als Ukrainer für ein Publikum, das sich ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Nationen in Galizien wünschte. Ab den 1890er Jahren – und zum Leidwesen Frankos auch in der Redaktion des Kurjer Lwowski – dominierten aber bald die nationalen Tendenzen und Antagonismen. Nachdem er öffentlich darüber protestierte, dass die lokalen polnischen Eliten zwar von der Regierung in Wien mehr Freiheiten forderten, gleichzeitig aber den Ukrainer:innen in Stadt und Region jedoch ähnliche Rechte und Freiheiten verweigerten, musste Franko die Zeitung verlassen. In den kommenden Jahren vertrat dann auch Franko immer nationalistischere Positionen und identifizierte auch er sich in erster Linie als Ukrainer – mit der Folge, dass sich nicht nur die Wege von ihm und Jan Kasprowicz trennten, sondern Franko auch das Café Schneider und den Kontakt zu seinen früheren Kollegen mied.
Die Redaktion des Kurjers war jedoch nicht die einzige mit Sonderrechten im Café Schneider, dasselbe galt für die Redaktion der nationalistischen Zeitung Słowo Polskie (Das polnische Wort), für die auch Kasprowicz schrieb, der weiterhin täglich Gast war. Weil die Redaktion des Słowo zudem eine Begeisterung für Domino entwickelt hatte, wurde sie auch spöttisch „Klub der Dominikaner“ genannt. Mit zunehmender Radikalisierung wuchsen allerdings auch die – publizistisch ausgetragenen – Spannungen unter den Redakteuren beider Zeitungen.
Dennoch war das Schneider mitnichten nur unumstrittener, geschweige denn alleiniger Versammlungspunkt der polnischsprachigen Presse. Ganz im Gegenteil bemühte sich eine andere polnische Zeitung, der Goniec Polski (Polnischer Bote), sogar nach Kräften, das Kaffeehaus möglichst schlecht darzustellen. Für die Redakteure war das Café ein Ort der Trunkenheit und fehlenden Moral, weswegen sie über die Gäste schrieben: „Langhaarige Poeten, bärtige Maler, grauhaarige Rezensenten, alles trinkt, als gäbe es kein Morgen.“5
Café Monopol
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Ein weiteres bekanntes Kaffeehaus war zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Café Monopol, das sich mit Hausnummer acht am Marienplatz oder Plac Mariacki befand, dem heutigen Mickiewicz-Platz (Ploshcha Mitskevycha), einer der besten Adressen der Stadt, am Ende eines großen Boulevards am unmittelbaren südwestlichen Ende der Altstadt.
 
Im Vergleich zum Café Schneider, existierte das Café Monopol nur für eine recht kurze Zeit (1902–1912), nahm aber einen wichtigen Platz im Leben seiner Stammgäste ein. Die Einrichtung war nicht so luxuriös wie in anderen Cafés, bot dafür aber niedrige, warme und gemütliche Räume, deren Luft dick vom Rauch der Zigaretten war. Es war „nach europäischem Vorbild“ eingerichtet, bot eine große Zahl an Zeitungen, drei Billard-Tische und war bis um 3 Uhr in der Nacht geöffnet. Die Atmosphäre war familiär, auch wenn Zeitvertreibe wie das Kartenspiel weniger üblich waren als anderswo.
Im Vergleich zum Schneider war das Publikum auch deutlich gemischter. Unter den Stammgästen waren, neben älteren Herren, liberale polnische Politiker, Militärs, aber auch Künstler:innen. Es war auch bei Sprach-Lern-Gruppen wie dem Polnisch-Italienischen, Polnisch-Ungarischen oder Polnisch-Tschechischen Club beliebt. Sogar die Lemberger Briefmarkensammler:innen kamen her, um mit ihren Sammlungen zu handeln.
Nachdem er seine Nachmittage erst im Schneider und später im Wiener Café verbracht hatte, kam auch Ivan Franko regelmäßig ins Monopol. Aus dem ehemals überzeugten Sozialisten wurde nun der ukrainische Nationaldichter, der nun für ein überwiegend ukrainisches Publikum schrieb. Jetzt suchten ihn hier regelmäßig junge ukrainische Autor:innen und Student:innen auf, um sich von ihm beraten zu lassen oder ihn nach seiner Meinung zu ihren eigenen Arbeiten zu befragen.
In dieser Zeit wurde das Monopol zu einem Treffpunkt ukrainischer Künstler:innen und Intellektueller, wie den modernistischen Schriftsteller:innen der Jungen Muse Jungen Muse Die Junge Muse – ukr. Молода муза (Moloda musa) – war eine literarische Gruppe der Moderne, die 1906 in Lemberg gegründet wurde und bis 1909 bestand. Wichtige Vertreter und Gründungsmitglieder waren unter anderem Bohdan Lepkyj (1872–1941), Petro Karmanskyj (1878–1956) oder Wassyl Patschowskyj (1878–1942). . Auch die Mitglieder der ukrainischen Wissenschaftlichen Ševčenko-Gesellschaft Wissenschaftlichen Ševčenko-Gesellschaft Die Wissenschaftliche Gesellschaft Schewtschenko ist die älteste wissenschaftliche Gesellschaft der Ukraine und nach Nationaldichter Taras Schewtschenko (1814–1861) benannt. Sie wurde 1873 in Lemberg gegründet und war zunächst der Förderung und Erforschung der ukrainischen Sprache und Literatur verpflichtet, wurde später jedoch nach dem Beispiel anderer europäischer Akademien und Sozietäten um eine historisch-philosophische sowie eine mathematisch-medizinisch-naturwissenschaftliche Abteilung erweitert. kamen oft her. Volodymyr Dorošenko, ein ukrainischer Student aus St. Petersburg, beschrieb die Treffen im Monopol wie folgt:
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„Franko kam hier für Kaffee und Zeitungen her. Außer ihm trafen sich hier [Mychailo] Hruševskyj, [Volodymyr] Hnatiuk, [Fedir] Vovk sowie andere Wissenschaftler, die der Wissenschaftlichen Ševčenko-Gesellschaft nahestanden. Sie hatten einen separaten Tisch für sich selbst und konnten in sich Ruhe in ihrer Gruppe von der Arbeit erholen, die neusten Nachrichten lesen und sich gut unterhalten. Und wenn man sich mit einem von ihnen treffen wollte, dann konnte man hier am Nachmittag gegen fünf Uhr die gesuchte Person finden, ohne in deren Büro oder Zuhause kommen zu müssen.“6

Café Abbazia
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Wie ihre polnischen und ukrainischen Kolleg:innen, waren die jüdischen Künstler:innen und Intellektuellen ebenfalls in den meisten bekannten Kaffeehäusern Lembergs zu finden. Besonders für sie bot die offene Atmosphäre der Kaffeehäuser einen Ort, an dem sie unabhängig von - sichtbaren - religiösen und konfessionellen Schranken am gesellschaftlichen Leben und den Debatten der Zeit teilhaben konnten. Aus diesem Grund hatten Cafés allgemein einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung einer modernen und weltlichen jüdischen Kultur, die sich vom traditionellen Judentum abgrenzte, ohne ihre jüdische Identität aufzugeben.
Es gab aber auch in den fast ausschließlich von Jüd:innen besuchten Kaffeehäusern ein reges Leben. Eines davon war das Edison, das seit 1910/11 den Namen Abbazia trug und sich mit der Hausnummer 33 an der Ulica Karola Ludwika (Karl-Ludwig-Straße) befand, jenem prächtigen Boulevard, der an der westlichen Seite der Altstadt verlief und an dessen südöstlichem Ende wenige Hundert Meter weiter auch das Monopol lag. Es wurde um 1901 herum eröffnet und bestand bis in die 1920er Jahre, erholte sich ökonomisch aber nach seiner Zerstörung im Rahmen eines Pogroms polnischer Soldaten an der jüdischen Bevölkerung Lembergs im Jahre 1918 nie mehr.
Der jüdische Autor Melech Rawitsch beschreibt die Gäste wie folgt:
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„Es gab Schönheiten mit tiefem Decolté, jüdische Schauspielerinnen, die im jiddischen Gimpel Theater aufführten, […] Studenten der Jeschiwa mit ihren langen Bärten, die für eine wissenschaftliche Diskussion mit dem Reb Gerschom Bader kamen, […] Faulenzer, […] deren Mission es war, den ganzen Tag bis um drei in der Nacht Zeitungen zu lesen.“7

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Es wurde Karten, Schach oder Tarot gespielt – wie auch in den anderen Kaffeehäusern der Stadt. Das Abbazia bot aber auch Live-Musik an – der überregional bekannte Sänger und Komponist Khone Wolfsthal hatte hier sogar eine feste Anstellung.
Darüber hinaus spielte das Café eine wichtige Rolle im literarischen Leben der jiddisch- und hebräischsprachigen Schriftsteller:innen und Intellektuellen. Gerschom Bader, ein zionistischer Aktivist und Gründer mehrerer hebräischer und jiddischer Zeitungen und Magazine, der die Rolle eines Mentors für manch jüngere:n Autor:in übernahm, war regelmäßiger Gast. Die jiddischen Zeitungen, deren Artikel hier und in anderen Cafés entstanden, erreichten große Teile der jüdischen Bevölkerung Galiziens und trugen zu ihrer Politisierung und zur Modernisierung der jüdischen Kultur in Galizien bei.
Wie auch in den anderen Kaffeehäusern kamen auch viele Menschen vor allem her, um nach der Arbeit zu entspannen. Melech Rawitsch erinnert sich: „Mein größter Traum war es, nichts zu tun… an einem Kaffee zu nippen, in einen Croissant zu beißen, die hier im Cafe Abbazia ‚Kipferl‘ hießen, und einfach nur aus dem großen Fenster zu schauen…“.8  Seine Ruhe allerdings dürfte nie lange gewährt haben – zu viele Bekannte und Freunde nutzten die Gelegenheit, ihn hier zum Gespräch aufzusuchen und ihn so in das rege Treiben des Kaffeehauses zurückzuholen.
Zentren kulturellen und intellektuellen Lebens
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Die Lemberger Kaffeehäuser vor dem Ersten Weltkrieg waren gut besucht, vor allem von Künstler:innen und Intellektuellen – auf deren Schaffen sie sichtbaren Einfluss nahmen. Darüber hinaus spiegelte die Situation in den Kaffeehäusern jedoch auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Stadt wider. Obwohl die Cafés einen Raum boten, in dem die verschiedenen Gruppen zusammen und in Kontakt kommen konnten, fanden Interaktionen häufig dennoch nur aus Notwendigkeit statt, und schlugen sich die kulturellen und sprachlichen Grenzen eben auch in den Kaffeehäusern nieder – zwischen den einzelnen Cafés, aber selbst in den Gasträumen der einzelnen Häuser.
Jedoch unterschieden sich die Kaffeehäuser in Lemberg in diesem Punkt nicht von denen im restlichen Europa, beispielsweise auch in Prag. Meist gab es separate Räume für verschiedene Zwecke, zum Billardspiel, ungestörten Lesen oder für das gesellige Kartenspiel; wie auch Räume, die explizit für einzelne Gruppen und Gesellschaften reserviert waren. Und selbst wenn sich die Menschen im Hauptraum trafen, wurden die Gäste doch meist von einer unsichtbaren Grenze geteilt, die durch das Café zu verlaufen schien. Entsprechend wussten die Gäste meist, mit wem sie interagieren konnten und mit wem nicht, ein wirklich offener, freier Umgang der unterschiedlichen Gruppen untereinander fand nicht statt
In der Zeit des wachsenden Nationalismus wurde diese Teilung immer größer, wurden soziale und kulturelle Konflikte gelegentlich auch auf die Gastronomie der Stadt projiziert, nicht zuletzt in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Ein Beispiel: Im Jahr 1917 forderte der Geistliche Wasylewicz, dass die Kassiererin eines polnisch geführten Restaurants mit ihm auf Ukrainisch reden solle. Als sie das nicht konnte, ging er. Zwar kam er zurück, um seine Rechnung zu bezahlen, rief aber in der ukrainischen Zeitung Ukrajins’ke Slovo (Ukrainisches Wort) zum Boykott des Restaurants auf. Der Besitzer bezeichnete darauf im Kurjer Lwowski diese Vorwürfe als „unbegründete Infragestellungen des polnischen Charakters der Stadt Lemberg, die aktuell von den Ukrainern geäußert werden.“9
Dennoch verlief der Alltag im Kaffeehaus meist ruhig und konfliktfrei. Denn gerade das war das Ziel der meisten Gäste, die hierher kamen: Der Genuss von Unterhaltung und Gesellschaft abseits der Sorgen des Alltags.

Siehe auch