Der Berliner Jude Samuel Fränkel (1773-1833) ließ sich 1798 als Vertreter einer großen Bank in Warschau nieder. Innerhalb weniger Jahre und über zahlreiche politische Zäsuren hinweg stieg Fränkel zum wichtigsten Bankier des geteilten Polen auf. Dabei griff Fränkel stets erfolgreich auf seine transnationalen Verbindungen zu Juden und Nichtjuden in Preußen, Österreich und Russland zurück.
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Warschau erlebte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zahlreiche politische Veränderungen. Nach der dritten Teilung
Teilungen Polen-Litauens
auch:
Teilung des Doppelstaates Polen-Litauen, Teilungen Polens
Im Zuge dreier Teilungen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurde die Adelsrepublik Polen-Litauen zwischen dem Russländischen Reich, Preußen und der Habsburgermonarchie aufgeteilt und verschwand bis 1918 als souveräner Staat von der politischen Landkarte Europas.
 der 
Polen-Litauen
eng. Polish–Lithuanian Commonwealth, lit. Abiejų Tautų Respublika, pol. Rzeczpospolita Obojga Narodów, deu. Erste Polnische Republik, lat. Respublica Poloniae, pol. Korona Polska i Wielkie Księstwo Litewskie, lat. Res Publica Utriusque Nationis, deu. Republik beider Völker

Bereits 1386 wurden das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen durch eine Personalunion verbunden. Polen-Litauen bestand als multiethnisches Staatsgebilde und Großmacht im östlichen Europa von 1569 bis 1795. In dem auch Rzeczpospolita genannten Staat wurde der König von den Adeligen gewählt.

(1795) begann ein Jahrzehnt preußischer Herrschaft über die Stadt. Im Zuge seines Feldzugs in Richtung Osten eroberte Napoleon Warschau und machte es zur Hauptstadt eines Satellitenstaats. Nach der Niederlage der französischen Armee in Russland fiel Warschau 1815 dem Russischen Reich zu und wurde Hauptstadt des
Kongresspolen
eng. Kingdom of Poland, eng. Congress Poland, deu. Königreich Polen, pol. Królestwo Polskie

Kongresspolen ist die Bezeichnung für das von 1815 bis 1916 unter russischer Oberherrschaft stehende Königreich Polen. Nach den drei Teilungen und der endgültigen Auflösung der alten Adelsrepublik Polen-Litauen (1772, 1793, 1795) hatte zunächst kein polnischer Staat mehr existiert, bis 1807-1815 der napoleonische Satellitenstaat des Herzogtums Warschau eingerichtet wurde. Im Rahmen des Wiener Kongresses (1815) wurde zwar wieder ein polnisches Königreich errichtet. Polnischer König war allerdings in Personalunion der russische Zar und Kaiser.

In der Folge kam es mehrfach zu erfolglosen Aufständen der polnischen Bevölkerung und Elite gegen die russische Oberherrschaft (u. a. Novemberaufstand 1830/1831, Januaraufstand 1863/1864), die allerdings nur zu wachsender Repression, massiven Auswanderungs- und Fluchtwellen (Große Emigration/Wielka Emigracja) und schließlich der auch administrativen Eingliederung in den russischen Staat führten.

Das Bild zeigt eine Karte eines 1871 in Braunschweig publizierten Schulatlas. Hervorgehoben sind die preußische Provinz Preußen sowie (blassrot) Kongresspolen (CC 1.0).

. Diese Zeit politischer Umbrüche bot zugleich neue ökonomische Möglichkeiten, die von vielen Zuwanderern genutzt wurden. Der 1773 in Berlin geborene Jude Samuel Fränkel gelangte während der preußischen Herrschaft nach Warschau und stieg über sämtliche politische Zäsuren hinweg auf zu einem der wichtigsten Bankiers im geteilten Polen. Für seine Verdienste um die polnische Wirtschaft wurde er von der polnischen Regierung anerkannt und vom russischen Zaren mit Orden ausgezeichnet. Wie war Fränkel dorthin gekommen? Wie hatte er sich als deutschsprachiger Jude zu einer der zentralen Figuren des Wirtschaftssystems im Königreich Polen entwickeln können?
Von Berlin nach Warschau
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Infolge der Dritten Teilung Polen-Litauens dehnte sich der preußische Staat auf Kosten der untergegangenen Adelsrepublik aus. Warschau befand sich nunmehr in Preußen, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zum Habsburger Reich. In ihrer fast zehn Jahre umfassenden Herrschaft stießen die Preußen einige Entwicklungen an, die Warschau auch über das Jahr 1806 hinaus prägen sollten. Dazu zählt zweifellos die Neuregelung jüdischer Zuwanderung in die Stadt. Bis 1802 war es Juden im Wesentlichen verboten, sich in bestimmten Stadtteilen dauerhaft niederzulassen. Stattdessen wurden sie entweder an den Stadtrand gedrängt oder ihnen war lediglich ein kurzfristiger Aufenthalt im Zentrum gestattet. Das seit dem 16. Jahrhundert geltende Ansiedlungsverbot De non tolerandis judaeis schuf hierfür die rechtliche Grundlage und wurde erst von den Preußen endgültig aufgehoben. Die Preußen verfolgten hierbei eine stark von ökonomischen Erwägungen bestimmte Politik. In den jüdischen Einwohnern Warschaus sahen sie solvente Steuerzahler, die mit gesonderten Abgaben zum Staatshaushalt beitragen sollten. Im Gegenzug erhielten sie das Recht, sich dauerhaft in Warschau niederzulassen.
Von diesem Recht machte auch der Berliner Samuel Fränkel Gebrauch. Fränkel entstammte einer angesehenen jüdischen Berliner Bankiersfamilie. Dank der Vermittlung seines Vaters Benjamin Fränkel absolvierte der junge Samuel Fränkel eine kaufmännische Ausbildung im Bankhaus seiner Vettern Moses und Salome Levy. Nach seinem erfolgreichen Abschluss wurde er im Jahr 1798 als Vertreter des Bankhauses „S.M. Levy“ nach Warschau geschickt. Fränkels erster Arbeitsort befand sich im Gebäude der Preußischen Seehandlung in der Bielańska-Straße. Sechzehn Jahre später sollte Fränkel dasselbe Gebäude zum Sitz seiner eigenen Bank machen. Bankgeschäfte zwischen Berlin und Warschau waren zum Beginn der preußischen Herrschaft an der Weichsel noch ein relativ junges Phänomen. Die 1772 gegründete Preußische Seehandlung wickelte über ihre Niederlassung in Warschau vor allem den Salz- und Zinkhandel sowie Kredite mit der polnischen Aristokratie ab. Die Wirtschaftskrise der Adelsrepublik infolge der Zweiten Teilung von 1793 führte zum Zusammenbruch fast aller bestehenden Banken. An ihre Stelle traten unter den neuen politischen Bedingungen zahlreiche Berliner Geldinstitute. Hierzu zählten auch zahlreiche Privatbankiers, unter denen sich wiederum viele zum Christentum konvertierte Männer jüdischer Herkunft befanden. Ihre Erfahrung im Kredithandel, ihre grenzüberschreitenden Netzwerke und ihre Bereitschaft, neue wirtschaftliche Wege zu beschreiten, ermöglichten ihren Aufstieg zur neuen Finanzelite Warschaus. Auch Fränkel verdankt seinen beruflichen Aufstieg in nicht unbedeutender Weise seiner geschickten Heiratspolitik. Seine Ehefrau, Atalja Teresa Józefina, war die Tochter von Samuel Zbytkower und Judyta Jakubowicza, den wohlhabendsten Juden in Warschau. Obwohl er selbst noch nicht zu den führenden Bankiers der Stadt gehörte, gelang es Fränkel, sich in den gesellschaftlichen Kreisen Warschaus zu etablieren. Davon zeugt etwa die Tatsache, dass er zu den Gründungsmitgliedern der u.a. vom preußischen Komponisten und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann mitinitiierten Musikalischen Gesellschaft im Jahr 1805 gehörte. Der Abzug der Preußen aus Warschau und der Beginn der napoleonischen Herrschaft markiert jedoch den eigentlichen Beginn von Fränkels Aufstieg an die Spitze der Warschauer Finanzelite. Den Auftakt bildete die Konversion. Fränkel war als Jude ins preußische Warschau gekommen, trat jedoch unmittelbar nach dem französischen Einmarsch zum Christentum über und nahm den zweiten Vornamen Anton (bzw. Antonin auf Polnisch) an. Es ist anzunehmen, dass Fränkel diesen Schritt ging, um die zahlreichen gesellschaftlichen Hürden für Juden zu umgehen. Nach der Konversion gründete er 1808 das Bankhaus S.A. Fränkel.
Auf dem Weg an die Spitze
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Fränkels hervorragende Verbindungen in das Berliner Kreditgewerbe hielten sich über die politische Zäsur von 1806 hinaus. Aufgrund seiner guten Kontakte und des Fehlens zahlungskräftiger Konkurrenz wandte sich die Regierung des neu entstandenen 
eng. Duchy of Warsaw (1806/1807 - 1815), deu. Herzogtum Warschau (1806/1807 - 1815)

Das Herzogtum Warschau entstand 1806/07 unter französischer Protektion und wurde 1809 um einen großen Teil des österreichischen Teilungsgebietes erweitert. Nach der Niederlage der Grande Armée in Russland seit 1813 praktisch vollständig besetzt, existierte es offiziell noch bis 1815 fort.

 1807 an ihn mit dem Auftrag, die finanziellen Beziehungen nach Berlin neu zu organisieren. Zuvor war Fränkel in den kleinen Kreis derjenigen Bankiers aufgestiegen, die das „Vertrauen der Regierung“ besaßen. Tatsächlich gelang es Fränkel, mehrere größere Kredite für den neuen Staat zu vermitteln und erwarb sich so Vertrauen und Dankbarkeit der neuen politischen Machthaber. Auch in Warschau baute er sein Netzwerk aus, indem er – nunmehr als Christ – der Warschauer Kaufmannsgilde beitrat. Fest verankert in Warschau pflegte Fränkel seine Kontakte nach Berlin. So organisierte sein Bankhaus 1812 einen Großauftrag zur Ausrüstung von Napoleons Armee. Zwei Jahre später erwarb Fränkel gemeinsam mit dem Krakauer Kaufmann L. Mendelsohn das staatliche Pachtmonopol für den Salzhandel im Herzogtum, wobei er erneut seine Kontakte nach Preußen nutzte. Die somit geschaffene Monopolstellung für den gesamten Salzhandel im Land erwies sich als äußerst lukrativ und legte den Grundstein für Fränkels späteres Vermögen.
Auch nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und der Gründung des Königreich Polens gehörte Fränkel zu den wichtigsten Bankiers. Das vom Krieg schwer gezeichnete Land suchte nach Mitteln, um seine Industrialisierung zu finanzieren und kam dabei immer wieder auf das Geldinstitut S.A. Fränkel zurück.
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Die neuen politischen Verhältnisse eröffneten auch Chancen für die Wirtschaft. So gründete Fränkel im Verbund mit anderen Kaufleuten 1816 die erste Wertpapierbörse des Königreich Polens mit Sitz im Warschauer Sächsischen Palais. Ein Jahr später stieg er in den Ältestenrat der Börse auf. Auch in den lokalen Freimaurerlogen war Fränkel aktiv und befand sich damit erneut in illustrer Gesellschaft. Eine unter den führenden Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens im Königreich beliebte Loge, der auch Fränkel angehörte, war die 1810 gegründete „Halle der Beständigkeit im Orient zu Warschau“. Zu ihren Mitgliedern zählten auch zahlreiche deutschsprachigen Industrielle, Kaufleute und Immobilienbesitzer aus Warschau. Fränkel gehörte demnach höheren gesellschaftlichen Kreisen an, wodurch er seine Bedeutung für die Wirtschaftsförderung im Land stetig auszubauen vermochte.
Immer wieder nutzte Fränkel die Zusammenarbeit mit seinem Schwiegersohn, dem Berliner Bankier Friedrich Magnus, zu seinem Vorteil. Nachdem der polnische Direktor der neugegründeten Bank Polski 1828 ohne Erfolg auf der Suche nach internationalen Käufern für polnische Staatsanleihen war, sprang das Bankhaus S.A. Fränkel ein. Erst nachdem Fränkels Stiefsohn Aleksander Laski als Vertreter der Bank seine Kontakte nach Berlin bemüht hatte, kam das Geschäft zustande. Ein eigens gegründetes Berliner Konsortium unter der Führung des Bankhauses F.M. Magnus erwarb bei der Bank Polski eine Staatsanleihe in Höhe von 42 Mio. Zloty. Das eingenommene Geld sollte dem Auf- und Ausbau der einheimischen Industrie dienen. Fränkels maßgebliche Rolle bei der Vermittlung staatlicher finanzpolitischer Interessen belegt seine Position als einer der führenden Finanzwirte im Königreich Polen.
 
Neben seinen Aktivitäten im Finanzsektor war Fränkel auch parallel in der Textilindustrie tätig. Seit 1823 produzierte seine Tuchwarenfabrik in 
Powązki
pol. Mostki, rus. Povonzki, rus. Повонзки

Das Dorf Powązki lag auf dem Gebiet der heutigen Stadtteilen Wola und Żoliborz der polnischen Hauptstadt Warschau. Heute trägt den offiziellen Namen ein Teilgebiet von Wola, wo sich der größte Teil des ehemaligen Dorfs befand. Im 14. Jahrhundert unter dem Namen Mostki bekannt, änderte sich der Name des Dorfs schon kurze Zeit später in Powązki. Im 19. Jahrhundert siedelte sich hier vermehrt Industrie an. 1916 wurde es nach Warschau eingemeindet und nach den umfangreichen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg verlor der Ort vollständig seinen ursprünglichen Charakter.
Powązki ist vor allem wegen seiner Nekropolen bekannt, insbesondere des sogenannten Alt-Powązki-Friedhof und des Militärfriedhofs, die zu den bekanntesten und bedeutendsten Bestattungsstätten Polens gehören.

 bei Warschau vorrangig für den Export nach Russland. Im Jahr darauf gründete Fränkel gemeinsam mit Konstanty Wolicki, Piotr Steinkeller und anderen eine Gesellschaft für den Kohle- und Zinkhandel. Aus Sicht seiner Zeitgenossen gehörte Fränkel damit zu den „wohlhabendsten Kapitalisten“ des Königreichs Polen.
In seinen späten Lebensjahren fungierte Fränkel als Richter am Handelsgericht der Wojewodschaft 
Masowien
eng. Mazovia, pol. Mazowsze

Die historische Landschaft Masowien liegt um Warschau herum an Weichsel und Bug. Im Mittelalter zunächst Teil des piastischen Polens, war es seit dem 12. Jahrhundert als Herzogtum zeitweise nur als Lehen mit Polen verbunden. Im 16. Jahrhundert wurde Masowien wieder dem Königreich einverleibt und in drei Woiwodschaften unterteilt. Auch im heutigen Polen gibt es eine Woiwodschaft Masowien.

. Als Handelsrat der Bank Polski von 1828 bis zu seinem Tod 1833 zeigte der gebürtige Berliner, dass ihm am finanziellen Wohl des polnischen Staates gelegen war. Fränkel hatte sich durch seine wirtschaftlichen Aktivitäten die Anerkennung der polnischen Regierung erworben. Bereits 1825 waren seine Verdienste für den polnischen Staat mit dem Orden des Heiligen Stanislaw anerkannt worden. Wie andere Wohlhabende engagierte sich auch Fränkel philanthropisch und spendete Geld u.a. an die Warschauer Kaufmannsvereinigung, das jüdische Krankenhaus oder die evangelische Gemeinde in Warschau.
Als Samuel Anton Fränkel am 17. Februar 1833 in Frankfurt am Main verstarb, wurde er in einem, im „Kurjer Warszawski“ erschienen Nachruf, als stets ehrenhafter, uneigennütziger und moralisch integrer Unternehmer bezeichnet. Der Weg des 1773 in Berlin geborenen Fränkel zum geschätzten Warschauer Bürger zeigt exemplarisch die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Berlin und Warschau sowie Preußen und Polen auf. Fränkel gelang es mithilfe seines transnationalen Netzwerks und seines ökonomischen Geschicks, sich über alle politischen Zäsuren hinweg in Warschau zu halten. Dass er auch nach seiner unter gesellschaftlichem Druck erfolgten Konversion weiterhin enge Kontakte zu seinem jüdischen Umfeld pflegte, zeigt die Bedeutung jüdischer transnationaler Netzwerke für die polnische Wirtschaftsgeschichte auf.

Siehe auch