Dieser Koffer ist weitgereist, aber nicht - wie man vielleicht erwarten würde - direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern in den Jahrzehnten nach der Flucht von Familie Nessner. Er reiste mit einer donauschwäbischen Tanz- und Trachtengruppe aus Baden-Württemberg zu den in aller Welt verstreuten Donauschwaben.
Text
Elisabeth Nessner aus dem ungarischen
Kunbaja
deu. Kumbai, deu. Kumbaj

Nachdem die Siedlung (Kun-)Baj über Jahrhunderte mehrfach von unterschiedlichen Ethnien besiedelt und wieder aufgegeben worden war, ließen sich ca. um 1820 sich die ersten deutschstämmigen Siedler auf dem Prädium Kumbaj/Kunbaja nieder. Sie stammten größtenteils aus den umliegenden Ortschaften, einige eventuell aber auch aus Württemberg.

  kommt im Jahr 1948 in Giengen an der Brenz an. Ihre Familie hat eine beschwerliche Flucht mit Pferdewagen und Fahrrädern hinter sich, die sie zunächst ins bayerische Augsburg führt. Sie fliehen bereits im Oktober 1944 vor der anrückenden sowjetischen Armee und aus Angst vor Vergeltungsaktionen der Zivilbevölkerung. In Giengen plagt die 17-Jährige Heimweh: Ihr fehlen ihre Heimat, ihre Freund:innen, der Klang der Sprache, das Essen; sie vermisst die Tänze und Gesänge.
Arbeit bietet Elisabeth die Spielwarenfabrik vor Ort, so kann sie zum Unterhalt ihrer Familie beitragen. Und auch sonst scheint sie Glück zu haben, denn sie kommt mit Matthias Merkle in Kontakt, der bereits in seinem Herkunftsort
Pančevo
hun. Pancsova, deu. Pantschowa, srp. Панчево

Pančevo liegt in der südlichen Vojvodina an der Mündung der Temesch in die Donau, am Rande der pannonischen Tiefebene.

Serbien
srp. Srbija, eng. Serbia, srp. Србија, srp. Republika Srbija

Serbien (Serbisch: Србија) ist ein Staat im südöstlichen bzw. mittleren Europa. In dem Land wohnen 6,9 Millionen Menschen. Belgrad ist die Hauptstadt und größte Stadt Serbiens. Serbien zählt zu den sogenannten Binnenstaaten und wird geographisch der Balkanhalbinsel zugeordnet. Den Großteil der Bevölkerung stellen die orthodox geprägten Serben.

)  eine Trachtengruppe geleitet hat und diese Tradition auch im Westen erhalten will. Er sucht Landsleute, die ihn unterstützen. Elisabeth fährt viel umher, um die benötigten Mengen an Stoffen zu organisieren. Geflüchtete Frauen schneidern die langen Röcke, die Blusen und Schürzen nach der Tracht ihres Ortes nach. 
In Giengen lernt Elisabeth den gleichaltrigen Herbert Garlik kennen. Er kommt aus dem
Sudetenland
pol. Kraj Sudetów, eng. Sudetenland, deu. Sudeten, ces. Sudety, ces. Pohraničí, deu. Sudetengebiet, deu. Reichsgau Sudetenland, deu. Gau Sudetenland

Die Bezeichnung Sudetenland (tsch. pohraniči/sudety, pl. Kraj Sudetów) bezieht sich auf teils unzusammenhängende, langgestreckte Grenzgebiete innerhalb des Territoriums der ehemaligen Tschechoslowakei entlang der Grenze zum damaligen deutschen Reich. Namensgebend ist das Sudetengebirge. Der zuvor eher allgemein-topographisch gebrauchte Begriff wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkt politisch und in Bezug auf die böhmischen, mährischen und mährisch-schlesischen Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerung angewendet und nationalistisch vereinnahmt. 1939 wird die Bezeichnung schließlich namensgebend für den durch die Nationalsozialisten infolge des Münchner Abkommens (29. September 1938) gegründeten Reichsgau Sudetenland.

und flieht bei Kriegsende mit seiner Familie nach Ostdeutschland, nun ist er ganz allein in Baden-Württemberg. Die beiden verlieben sich und heiraten 1953 in ihrem neuen Heimatort. Fortan engagiert sich auch der sudetendeutsche Ehemann in der Tanz- und Trachtengruppe der  Donauschwaben Donauschwaben Vor 300 Jahren wandern tausende Menschen aus verschiedenen deutschen Regionen nach Südosteuropa aus. Heute werden diese Auswanderer und ihre Nachfahren Donauschwaben genannt. Ihre Geschichte handelt von Aufbruch und Begegnung, von Kulturaustausch und friedlichem Zusammenleben, aber auch von Krieg, Vertreibung und Deportation. .
Mit der Gründung der Tanz- und Trachtengruppe durch Matthias Merkle beginnt auch die Geschichte des Koffers. In den nächsten Jahrzehnten tritt die Tanz- und Trachtengruppe in der Region auf zahlreichen Volkstumsabenden, Schwabenbällen und Heimattreffen auf. Der Koffer dient dem knitterfreien Transport der mehrlagigen Kleidungsstücke. Große Auftrittsreisen führen die Donauschwaben 1976 nach Argentinien und Brasilien. Dort treten sie zum 25-jährigen Bestehen der von Donauschwaben gegründeten Siedlung Entre Rios auf. Auch in Nordamerika,
Österreich
eng. Austria

Österreich ist ein von ungefähr 8,9 Millionen Einwohner:innen bewohntes Land in Mitteleuropa. Hauptstadt des Landes ist Wien.

,
Ungarn
hun. Magyarország, eng. Hungary

Ungarn ist ein Staat in Mitteleuropa, dessen Hauptstadt Budapest ist. Das Land wird von ungefähr 10 Millionen Menschen bewohnt und war für mehrere Jahrhunderte Teil des sogenannten Habsburgerreich. Ungarn gehört seit dem 01.05.2004 der Europäischen Union an. Der größte Fluss des Landes ist die Donau.

und 
Südtirol
ita. Alto Adige, eng. South Tyrol

Der Name Südtirol steht im heutigen Sprachgebrauch zumeist für die autonome Provinz Bozen-Südtirol im Norden Italiens. Historisch - und in einem allgemeineren, topographischen und geographischen Sinne - wurde der Begriff allerdings bereits im 19. Jahrhundert für den südlichen Teil der Region Tirol verwendet, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als 'Gefürstete Grafschaft Tirol' eines der Kronländer der Habsburgermonarchie (ab 1867 Österreich-Ungarns) war.

 zeigen die Garliks mit der Tanz- und Trachtengruppe Volkstänze und Theaterstücke. Um den Koffer am Flughafen schnell wieder zu finden, markieren alle Mitglieder ihre Koffer mit einem weißen Band.
Im Jahr 2006 löst sich der Verein nach 56 Jahren auf. Zwischen 2010 und 2015 gibt Familie Garlik immer wieder Objekte an die Sammlung des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm ab: verschiedene Kleidungsstücke, das Schild der Tanz- und Trachtengruppe und zahlreiche Fotografien und Erinnerungen an die Zeit, als sie mit dem Koffer zu den Donauschwaben in aller Welt reisten.

Siehe auch