Copernico hat nachgefragt: Welche Rolle spielten Epidemien und Pandemien eigentlich bislang in der Geschichte, insbesondere der des östlichen Europas? Wie hat man sie früher bekämpft? Welche Auswirkungen hatten sie auf den Geschichtsverlauf? Welche Rolle spielen sie beispielsweise auch im Kontext menschlicher Migrationsbewegungen?
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Epidemie und Pandemie
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(00:18 - 00:50) Der ältere deutsche Begriff ist eigentlich die Seuche. Im spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Deutsch gibt es noch viele andere Begriffe, aber das ist eigentlich der ältere Begriff. Epidemie und Pandemie kann man schon klar voneinander abgrenzen: Epidemie wäre der großräumige Ausbruch solch einer ansteckenden Krankheit und Pandemie würde dann zustande kommen, wenn tatsächlich die gesamte Welt oder große Teile der Welt, mehrere Kontinente, betroffen waren.
Seit wann gibt es Pandemien?
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(00:52 - 02:00) Ab wann man von Pandemien sprechen kann, das ist durchaus auch in der Forschung umstritten; irgendwann im 19. Jahrhundert greifen ansteckende Krankheitsausbrüche sehr stark, von Europa auch, auf die neue Welt, nach Amerika, über - das gilt bereits für Choleraepidemien des 19. Jahrhunderts, die dann über den erweiterten Schiffsverkehr auch in Nordamerika ausbrechen; auf jeden Fall aber für die Grippeepidemien der 1880er, 1890er Jahre. Da gibt es dann tatsächlich Ansteckungen, die dann von China über Russland – in Russland spricht man dann vom „Chinesischen Schnupfen“, wenn die Krankheit nach Großbritannien kommt, dann spricht man von der „Russischen Grippe“ - dahinter stecken dann auch immer nationale Zuweisungen – sich dann bis in die USA ausbreiten. Also da gäbe es ohne Frage solch ein Pandemiegeschehen; das ist eigentlich sehr typisch für gerade die Grippeepidemien des späten 19. und 20. Jahrhunderts, und Corona hängt da vom Krankheitsbild und auch von den Erregern sehr eng mit zusammen.
Das östliche Europa und Epidemien
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(02:01 - 03:14) Das östliche Europa ist da ein ganz spannender Begriff aus vielen Gründen: Erstens haben solche Epidemien oft einen Verlauf, der zumindest Asien und Europa zusammenbindet - sie treten irgendwo zunächst auf und breiten sich von dort aus über Ansteckungsvorgänge aus und gerade das östliche Europa galt aus einer westeuropäischen Sicht oft als Einfallstor für solche Epidemien und natürlich hätte man diese großen Pestwellen, die ja vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert reichen - gerade der deutsch-polnische Bereich ist sehr stark von einer massiven Pestwelle im frühen 18. Jahrhundert, im Gefolge des Großen Nordischen Kriegs betroffen; etwa Städte wie 
Kaliningrad
deu. Königsberg, rus. Калинингра́д

Kaliningrad ist eine Stadt im heutigen Russland. Sie liegt im Oblast Kaliningrad, einer russischen Exklave zwischen Litauen und Polen. Kaliningrad, ehemals Königsberg, gehörte über mehrere Jahrhunderte zu Preußen und war dessen nordöstlichste Großstadt.

Gdańsk
deu. Danzig

Danzig ist eine Großstadt an der Ostsee in der polnischen Woiwodschaft Pommern (Pomorskie) mit ca. 470.000 Einwohner:innen. Sie liegt am Fluss Motława (dt. Mottlau) an der Danziger Bucht.

Historische Orte
Danzig
 
Szczecin
deu. Stettin

Stettin (Polnisch: Szczecin) ist eine von knapp 403.000 Menschen bewohnte Großstadt im Nordwesten Polens und Hauptstadt der Woiwodschaft Westpommern (Polnisch: Zachodnio-Pomorskie). Stettin liegt am Stettiner Haff und grenzt an die deutschen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Die Stadt gehörte mehrere Jahrhunderte lang zu Preußen.

Historische Orte
Pommern
 
 werden in dieser Epoche doch massiv von diesem Pestausbruch betroffen im Gefolge des Krieges - und solche Phänomene gibt es häufiger, dass sich solche Epidemien auch über das östliche Europa nach Westen ausbreiten. Es gibt aber auch die umgekehrte Entwicklung.
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(07:28 - 10:15) Migration und Epidemien hängen sehr wohl zusammen. Natürlich ist es nicht der einzige Faktor; man würde immer sagen die heutige Migrationsforschung geht immer von sehr vielen Faktoren aus, die solch eine Migration befördern können. Es gibt verschiedene so genannte Push-und-Pull-Faktoren, aus dem Englischen, und da spielen natürlich stets Epidemien eine erhebliche Rolle. Ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert: Dieser große Pestausbruch, der vorhin schon erwähnt wurde, führte im frühen 18. Jahrhundert dazu, dass das östliche Preußen - damals Teil Brandenburg-Preußens - massiv entvölkert wurde. Diese Epidemie hat gerade die ländlichen Regionen dort sehr, sehr schwer getroffen und diese Räume waren tatsächlich ein Stück weit entvölkert; das heißt die Grundherren, Adel, auch der preußische König, dem fehlten Einnahmen, und er versuchte natürlich durch Einwanderung diese Lücke zu schließen. Dabei kam ihm im 18. Jahrhundert zu Hilfe, dass es noch letzte Ausläufer einer Vertreibung von Menschen aufgrund ihres Glaubens gab: Der damalige Erzbischof von Salzburg vertrieb in dieser Epoche noch die Salzburger protestantische Bevölkerung, die bis dahin in den Alpen überdauert hatte, dann aber systematisch ausgewiesen und vertrieben wurde, und zu diesem Zeitpunkt sagt der preußische König Friedrich Wilhelm I., der so genannte Soldatenkönig, „Ja, kommt her, ich habe im östlichen Preußen große Regionen, die sind entvölkert“, und tatsächlich ziehen diese Salzburger dann auf einem spektakulären Zug durch die ganzen deutschen Territorien - das ist sehr gut überliefert - in dieses östliche Preußen, entwickeln eine große Loyalität zur preußischen Monarchie und werden dann zu guten preußischen Untertanen. Das wäre etwa so ein ganz klassisches Beispiel. Andererseits, Epidemien halten natürlich auch von Migration ab. Die Kolonisation der von aus dem vom Osmanischen Reich eroberten habsburgischen Territorien in Zentralungarn, auch bis hin nach 
Siebenbürgen
eng. Transylvania, deu. Transsylvanien, deu. Transsilvanien, ron. Transilvania, ron. Ardeal

Siebenbürgen ist eine historische Landschaft im heutigen Rumänien. Sie liegt im Zentrum des Landes und wird von ca. 6,8 Millionen Menschen bewohnt. Die größte Stadt Siebenbürgens ist Cluj-Napoca. In Siebenbürgen lebten einst deutschsprachige Minderheiten.

, wird wiederholt dadurch gestoppt und unterbrochen, dass sich international herumspricht „da gibt es aber grassierende Seuchen“; in dem Moment versiegt auch der Strom der Zuwanderer. Erst wenn dann wahrgenommen wird, „diese Region ist wieder sicher“, dann kommen wieder Schiffe mit Einwanderern die Donau runter, die dann Zentralungarn oder den 
Banat
ron. Banat, hun. Bánság, srp. Банат, eng. Banat, hrv. Banat, srp. Banat

Das Banat ist eine im südöstlichen Europa liegende historische Landschaft, die in den Staaten Serbien, Ungarn und Rumänien liegt. Die Region liegt zwischen den Flüssen Donau, Marosch und Theiß, sowie einem südlichen Teil der Karpaten und der Tiefenebene Ungarns. Die größte Stadt des Banats ist Timișoara in Rumänien.

 besiedeln.
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(10:16 - 10:58) Den Verdacht gab es natürlich stets: Stets war die Bevölkerung, die mobil war, die sich bewegte, natürlich auch im Verdacht nun Seuchen zu übertragen. Ausbrüche von solchen Epidemien führten stets dazu, dass Mobilität beschränkt wurde und natürlich hieß es auch stets „Migranten transportieren solche Seuchen“, was sicherlich auch in vielen Fällen zutreffend ist, aber wir haben neben der Migration auch viele, viele andere Bevölkerungsbewegungen - eine große Mobilität durch Handel, durch Wirtschaft - also von daher kann man den Migranten auch nur einen Faktor nennen, der solche Epidemien weitertragen kann.
Nationalismus und Epidemien
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(10:59 - 12:15) Grundsätzlich braucht man für solch katastrophale Ereignisse wie Epidemien auch Schuldige. Es ist schwer erträglich - aus einer menschlichen Perspektive - dass Dinge einfach zufällig passieren; man sucht und braucht Schuldige und gerade in der Auseinandersetzung mit Epidemien ist es ein ganz gängiges Muster, dass man die Schuld anderen Gruppen zuschreibt – das können Außenseiter seien: Die Juden standen spätmittelalterlich und frühneuzeitlich immer im Ruch, besonders Seuchen zu übertragen; ganz klare Sündenbockstrategie. Ähnlich galt das für Sinti und Roma: Im 19. und 20. Jahrhundert hat man mit dem sich entwickelnden Nationalismus immer wieder die These, dass eigentlich die Nachbarn - die Gegner, die an diesen Epidemien schuld sind - daher auch die Benennung etwas als „Russische Grippe“ oder als „Franzosenkrankheit“, die Syphilis etwa - so etwas findet man sehr, sehr stark - ist natürlich komplett unsinnig, aber man findet solche Zuweisungen immer wieder und das kann natürlich auch Chauvinismus und Nationalismus fördern.
Auswirkungen von Epidemien
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(12:16 - 13:35) Es gibt die Thesenbildung, dass  – wirklich, im globalen Maß - der Aufschwung des Europas im 15. und 16. Jahrhundert ein Stück weit auch durch die vorhergehende Pestepidemie mitbefördert worden sei. Diese Pestepidemie hatte sehr große Opferzahlen - 20, 30 Prozent der Bevölkerung - schuf aber gleichzeitig eine Verfügbarkeit von Ressourcen für die Menschen, die dann übrig blieben, und eine These ist, dass dies auch Innovationen begünstigte, die dann zu einer globalen Ausbreitung Europas im 15. und 16. Jahrhundert beitrugen. Das ist eine Thesenbildung, die ist durchaus umstritten; ich selber habe da keine eindeutige Meinung, man kann aber sehen, es wird sehr wohl darüber diskutiert, inwieweit nicht auch solche Epidemien zu einer Modernisierung beitragen können. Sicherlich ist es so, dass Epidemien den Staatsapparat teilweise stärken. Eine zentrale Motivation für den Aufbau eines starken, funktionierenden Staates war stets die Epidemienabwehr.
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(13:36 - 15:05) Das ist eigentlich ganz interessant, denn man hat tatsächlich einen ganzen Katalog von Maßnahmen, der sich ein Stück weit aus den Pestepidemien herausbildete: Abstand halten, lüften, Kontakt mit zu vielen Personen vermeiden - das ist ein Katalog von Maßnahmen, der bereits in den Pestepidemien des 17. Und 18. Jahrhunderts entwickelt wurde - also wenn man Pestordnungen aus dem frühen 18. Jahrhundert liest, zum Beispiel aus Danzig, aus Königsberg, da würde man ganz ähnliche Empfehlungen finden: Man soll seinen Mund verhüllen; auch solche Dinge würde man dort bereits finden, die auch heute bei der Coronaepidemie wiederum im Gespräch sind. Die Maßnahmen haben sich in diesem Bereich gar nicht viel verändert; was sich natürlich verändert hat, mit dem Aufkommen der Bakteriologie und der Virologie - also spätes 19. und 20. Jahrhundert – ist, dass es doch auch anders möglich ist die Erreger zu identifizieren und dann auch konkrete Gegenmaßnahmen bis hin zu Impfungen zu entwickeln. Das war in den älteren Epochen nicht möglich, aber erstaunlich ist doch, dass von Seiten der Hygienepolitik, der „Hygienisierung“, es gar nicht so große Unterschiede zwischen dem 18. und dem 21. Jahrhundert gibt.
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